AfD-Verbotsverfahren und gesellschaftlicher Druck

Pro­test gegen Kanz­ler Merz‘ ras­sis­ti­sche Stadt­bild-Äuße­rung am 19.10.2025 am Bran­den­bur­ger Tor

Lang­ver­si­on der Eröff­nungs­re­de zum VVN-BdA-Bun­des­kon­gress am 4.10.2025 in Stuttgart

Eine Vor­be­mer­kung zu unse­rer Verpflichtung

Wir alle, die wir heu­te hier sind, haben im Lau­fe unse­rer anti­fa­schis­ti­schen Arbeit Men­schen ken­nen­ge­lernt, die den Holo­caust über­lebt und uns mit Blick auf Geden­ken, Erin­nern und unse­re Ver­pflich­tung gegen Faschis­mus und Nazis­mus auf­zu­ste­hen, zu kämp­fen, uns anti­fa­schis­tisch ein­zu­set­zen, geprägt haben. Die meis­ten von ihnen sind nicht mehr unter uns. Ich bin im Zusam­men­hang mit den Pro­tes­ten gegen die jähr­li­chen Tra­di­ti­ons­tref­fen der Gebirgs­jä­ger in Mit­ten­wald 2005 noch dem legen­dä­ren Wider­stands­kämp­fer und Über­le­ben­den Peter Gin­gold und der Ausch­witz­über­le­ben­den Esther Bejer­ano begeg­net, in mei­ner Mün­che­ner Jugend­zeit natür­lich noch den uner­müd­li­chen Zeit­zeu­gen Max Mann­hei­mer, Mar­tin Löwen­berg und Ernst Gru­be – der jetzt in sei­nen 90ern ist -, Hanuš Hron in Wul­kow und zuletzt 2024 in Łódź und Chełm­no, Leon Weint­raub, der im Janu­ar 99 Jah­re alt gewor­den ist.

In ihnen – ihr habt sicher vie­le ande­re getrof­fen und ken­nen­ge­lernt – trat uns die Geschich­te ent­ge­gen, ihr Kampf und ihr Über­le­ben und ihre Über­lie­fe­rung ist für mich und vie­le von uns hier das Ver­mächt­nis gewor­den, was aus uns Antifaschist*innen ohne Wenn und Aber gemacht hat. Wir nah­men als nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen den Staf­fel­stab des Wider­stands und des Kamp­fes auf, um an die Mil­lio­nen Ermor­de­ten, Ver­folg­ten und Ver­schlepp­ten zu erin­nern und ihr Gedächt­nis zu ver­tei­di­gen: Die Jüdin­nen und Juden, die Rom*nja und Sint*ezze, die Kran­ken, die Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen, ande­ren Oppo­si­tio­nel­len, reli­gi­ös Ver­folg­ten, Rotarmist*innen, que­e­re Men­schen und die zivi­len Opfer der deut­schen Ver­nich­tungs­krie­ge und der Besat­zung Europas. 

Kapi­tel 1: High­way to hell

Was redet er da so pathe­tisch, wer­det Ihr euch fra­gen, aber das hat einen Grund. Ich den­ke, nie­mand von uns hät­te erwar­tet, noch ein­mal, noch ein­mal in Deutsch­land, mit der Rück­kehr des Faschis­mus kon­fron­tiert zu wer­den und zwar in einer Geschwin­dig­keit, die uns tau­meln lässt.

Es ist wirk­lich ein Trep­pen­witz der Geschich­te, dass Leu­te wie wir, Lin­ke, Links­ra­di­ka­le, Antifaschist*innen den bür­ger­li­cher Staat und den demo­kra­ti­schen Rechts­staat ver­tei­di­gen, die wir unser Leben lang kri­ti­siert, bekämpft und gegen die wir uns zur Wehr gesetzt haben. Weil der Rechts­staat bestimmt ist von poli­ti­scher und Klas­sen­jus­tiz, weil die­se Demo­kra­tie untrenn­bar mit einem eis­kal­ten Kapi­ta­lis­mus ver­knüpft ist, der unse­re Gesell­schaft, uns mit­schul­dig macht an der glo­ba­len Aus­beu­tung und Zer­stö­rung, an Exter­na­li­sie­rung und unse­rer impe­ria­len Lebens­wei­se, an Umwelt­zer­stö­rung, Kli­ma­kol­laps, Arten­ster­ben, Müll, Krieg usw.

Wie kam das? Mann könn­te als einen der Kipp­punk­te viel­leicht das Buch des eins­ti­gen sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Finanz­se­na­tors von Ber­lin, Tilo Sar­ra­zin, „Deutsch­land schafft sich ab“ aus­ma­chen. Über 1,5 Mil­lio­nen Exem­pla­re des popu­lis­ti­schen, ras­sis­ti­schen, und natio­na­lis­ti­schen Mach­werks gin­gen damals, 2010, über den Laden­tisch. Der Ruf nach einer Sar­ra­zin-Par­tei wur­de laut. 2013 dann wur­de die Par­tei gegrün­det, die es inner­halb der fol­gen­den 12 Jah­re geschafft hat, das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik auf­zu­rol­len und jetzt kurz vor der Macht­über­ga­be zu ste­hen. In Ost­deutsch­land wer­den Betei­li­gun­gen an oder die Über­ga­be der Regie­rung an die AfD kaum noch zu ver­hin­dern sein – in Sach­sen-Anhalt steht Ulrich Sieg­mund mit um die 40 Pro­zent ante por­tas. Die Meu­te skan­diert „Sieg!“ – „Mund!“.

Die Ent­frem­dung der Wähler*innenschaft von ihrem poli­ti­schen Sys­tem hat­te sich rasch auf­ge­baut über die damals so genann­te Flücht­lings­kri­se mit der Ankunft Zehn­tau­sen­der Geflüch­te­ter aus Syri­en und Afgha­ni­stan, wo eine „Will­kom­mens­kul­tur“ des Mer­kel­schen „Wir schaf­fen das“ schon bald dem blan­ken Hass der ras­sis­ti­schen Rech­ten und ihren Pegi­das etc. wich. Die AfD mar­schier­te der­weil in alle Lan­des­par­la­men­te und schließ­lich 2017 in den Bun­des­tag durch. Die per­so­nel­len und ideo­lo­gi­schen Häu­tun­gen der Par­tei sahen eine Füh­rungs­rie­ge nach der ande­ren von noch radi­ka­le­ren ver­jagt wer­den. Lucke, Petry, Meu­then mach­ten Platz für die aggres­si­ve­ren Wei­del, Chrup­al­la und Höcke, die heu­te selbst der Ver­fas­sungs­schutz genann­te Inlands­ge­heim­dienst als „gesi­chert rechts­extrem“ ein­stu­fen wür­de. Die Klam­mer bil­de­te der aus dem rech­ten Flü­gel der hes­si­schen CDU stam­men­de Alex­an­der Gau­land, was ihm zuletzt den Ehren­vor­sitz eintrug.

Anti­fa­schis­ti­sche Recher­che hat­te seit lan­gem gewarnt und auf einen wei­te­ren Kipp­punkt hin­ge­wie­sen, den 1. Sep­tem­ber 2018 in Chem­nitz: unter den Zehn­tau­send Rech­ten, die dort einen „Trau­er­zug“ absol­vier­ten, war nicht nur die Par­tei­pro­mi­nenz der Län­der­ebe­ne um Björn Höcke (Thü­rin­gen), Uwe Jun­ge (Rhein­land-Pfalz) und damals noch Andre­as Kal­bitz (Bran­den­burg), son­dern auch alles was Rang und Namen rechts und weit rechts davon hat­te: Mar­tin Sell­ner von Iden­ti­tä­ren Bewe­gung, Mar­tin Kohl­mann, damals Pro Chem­nitz, Vor­den­ker und Ein­peit­scher Götz Kubit­schek vom Insti­tut für Staats­po­li­tik und die Pegi­da-Initia­to­ren Lutz Bach­mann und Sieg­fried Däbritz. Aber eben auch der Rechts­ter­ro­rist Ste­phan Ernst mit sei­nen Spieß­ge­sel­len, der wenig spä­ter den Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke ermor­den soll­te. Das war die Geburts­stun­de der neu­en faschis­ti­schen Bewe­gung, die uns gera­de über den Kopf wächst. 

Sehr bald schon konn­te man mer­ken, dass die Skan­da­li­sie­rung der all­fäl­li­gen Kon­tak­te von AfD-Leu­ten in den orga­ni­sier­ten Neo­na­zis­mus hin­ein und zum rech­ten Ter­ro­ris­mus kei­ner­lei Wir­kung mehr ent­fal­te­te und eine Gewöh­nung an die neu­en Faschist*innen, eine Nor­ma­li­sie­rung sich breit mach­te. Muss­ten Leu­te wie Andre­as Kal­bitz und der Sach­sen-Anhal­ti­ner Rüpel André Pog­gen­burg noch irgend­wann gehen, muss heu­te kaum noch jemand sei­nen oder ihren Hut neh­men, wenn ein Skan­dal dräut: nicht Maxi­mi­li­an Krah mit sei­ner Ver­harm­lo­sung der SS, den Betrugs­vor­wür­fen und der Spio­na­ge-Affä­re; und schon gar nicht etwa Ste­phan Kotré und sei­ne Frau Lena mit ihren sehr unmit­tel­ba­ren Bezü­gen zu bri­ti­schen Nazis z.B. der „Home­land Par­ty“, mit denen Ste­fan Kotré erst im Febru­ar auf dem Dach des Reichs­ta­ges posier­te; oder der Ham­bur­ger Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­te Robert Risch, der erst am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de an einem inter­na­tio­na­len Faschist*innentreffen aus­ge­rech­net in St. Peters­burg teil­nahm. [Nach­trag 20.10.25: immer­hin soll er jetzt aus­ge­schlos­sen wer­den] Die­se Din­ge sind kaum noch eine Mel­dung wert. Nor­mal. Selbst das Auf­flie­gen der rechts­ter­ro­ris­ti­schen Grup­pe „Säch­si­sche Sepa­ra­tis­ten“ und der Verschwörer*innen um „Prinz Reuß“ sind Gegen­stand von Ver­harm­lo­sung und Ver­ächt­lich­ma­chung der Straf­ver­fol­gung. Noch in jeder die­ser zahl­rei­chen Grup­pen sind AfD-Mit­glie­der und – wo es einem kalt den Buckel run­ter­läuft — Polizist*innen, Soldat*innen und ande­re „wohl­an­stän­di­ge“ Leute. 

Dann kam 2020 die Pan­de­mie, dann kam der anhal­ten­de, Men­schen ver­schlin­gen­de Angriffs­krieg Russ­lands auf die Ukrai­ne, die Ener­gie­kri­se, Infla­ti­on und die Ent­ste­hung eines rie­si­gen Reser­voirs an wahl­be­rech­tig­ten Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen und Pandemieleugner*innen. Eine Art bräun­li­che „Zivil­ge­sell­schaft von rechts“ ent­stand und die Bin­de­kraft des unter Druck ste­hen­den Staa­tes und sei­ner Insti­tu­tio­nen nahm rapi­de ab, ins­be­son­de­re Ost­deutsch­land ist für den bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei­en­staat weit­ge­hend verloren. 

Unter­des­sen ahnen füh­ren­de Politiker*innen im Osten das auch all­mäh­lich: etwa wenn der Noch-Minis­ter­prä­si­dent von Sach­sen-Anhalt, Rei­ner Hasel­hoff (CDU), ankün­digt, aus sei­nem Bun­des­land weg­zu­zie­hen, falls die AfD an die Macht kommt.1 Und auch Die­ter Woid­ke, der SPD-Minis­ter­prä­si­dent von Bran­den­burg fin­det die­ser Tage deut­li­che Wor­te (Zitat): „Es ist ja so, dass wir gera­de wie­der Atta­cken auf Anders­den­ken­de, Min­der­hei­ten, auf Jugend­ein­rich­tun­gen und Demo­kra­tie­fes­te erle­ben. Da kom­men Erin­ne­run­gen an die 90er hoch, an die Base­ball­schlä­ger-Jah­re.“ Und wei­ter: „Wir dach­ten, igno­rie­ren reicht. Aus­gren­zen, tabui­sie­ren, durch­ste­hen. Und mög­lichst gute Poli­tik machen. Nun, das hat nicht funk­tio­niert.“2

War­um er sich so wenig wie Hasel­hoff zur Unter­stüt­zung eines Ver­bots­ver­fah­rens gegen die AfD ver­ste­hen will, wird sein Geheim­nis bleiben. 

Anti-AfD-Pro­test in Ber­lin am bun­des­wei­ten Akti­ons­tag am 11. Mai 2025

Kapi­tel 2: Der Osten ist verloren

Ich habe 4 ½ Jah­re in Wei­mar gelebt und gear­bei­tet und und wür­de mir doch nicht anma­ßen, für den Osten zu spre­chen. Dafür habe ich dort einen Gewährs­mann, er ist Theo­lo­ge und kom­mu­na­ler Bera­ter gegen rechts. Er heißt David Beg­rich und ich habe mich aus­führ­lich mit ihm über die Lage in Ost­deutsch­land unter­hal­ten, weil ich es für fatal hal­te, wie sehr der Osten nach wie vor auch in unse­rer poli­ti­schen Wahr­neh­mung ver­nach­läs­sigt und igno­riert wird. Das ist ein Grund dafür, dass uns die Wucht der Din­ge, die dort auf uns zukom­men, auch wie­der unvor­be­rei­tet tref­fen wer­den. Und Beg­richs Ein­schät­zung zeigt auch, dass wir alle mit der schie­ren Geschwin­dig­keit der Ent­wick­lun­gen nicht mit­kom­men: der gesell­schaft­li­che, der zivil­ge­sell­schaft­li­che – auch unser – Dis­kurs hinkt den Ent­wick­lun­gen hoff­nungs­los hinterher. 

Hier kom­men die Gesprächsnotizen:

- Die Nor­ma­li­sie­rung der extre­men Rech­ten in Ost­deutsch­land ist irrever­si­bel. In eini­gen Land­krei­sen in Sach­sen ist eine Ver­fes­ti­gung in den Insti­tu­tio­nen zu kon­sta­tie­ren, die in der nächs­ten Legis­la­tur in eine Macht­über­nah­me über­ge­hen wird.

- Ein Aspekt des Erfolgs der extre­men Rech­ten, neben der Bereit­schaft so vie­ler ihren Ein­stel­lun­gen und Pra­xen zuzu­stim­men, ist die schie­re Anwe­sen­heit und damit Plau­si­bi­li­tät ihrer Deu­tungs­an­ge­bo­te. Die jah­re­lan­ge (Selbst-)Verharmlosung ver­fehlt ihre Wir­kung nicht.

- In den länd­li­chen und klein­städ­ti­schen Regio­nen Ost­deutsch­lands sind demo­kra­ti­sche Kipp­punk­te erreicht, die das Ver­hält­nis, wer sich wofür recht­fer­ti­gen muss, umkeh­ren. Recht­fer­ti­gen müs­sen sich jetzt alle, die der AfD und ihrem poli­ti­schen Vor­feld geg­ne­risch geson­nen sind oder sie auch nur lebens­welt­lich und habi­tu­ell nicht unterstützen.

- Die Gegen­kräf­te – also unse­re Bezugs­punk­te im Osten – sind poli­tisch, sozi­al und kul­tu­rell frag­men­tiert. Ihre Moti­ve, sich der AfD und ihrem Vor­feld zu ver­wei­gern, dif­fe­rie­ren so stark, dass es nur punk­tu­ell zu einem gemein­sa­men poli­ti­schen Han­deln kommt. Die katho­li­sche Frau­en­ar­beit ist in Ost­deutsch­land eben­so mar­gi­nal wie Men­schen, die sich als Lin­ke beschreiben. 

- Es fin­det kein Auf­bau resi­li­en­ter Struk­tu­ren und Netz­wer­ke statt. Grund dafür ist: Erschöp­fung. Allein die Bewäl­ti­gung des ope­ra­ti­ven Geschäfts, des All­täg­li­chen frisst alle Kräf­te, der Erfolg der extre­men Rech­ten lähmt, es fehlt zuneh­mend an der Erfah­rung von Wirk­sam­keit und Orten der Soli­da­ri­tät usw. Kam­pa­gnen und Demos ver­schlin­gen ein­fach zu viel Kraft.

- Par­tei­en und Ver­bän­de ver­fü­gen in Ost­deutsch­land in den Regio­nen nicht oder nicht mehr über Mit­glie­der und Struk­tu­ren, um erkenn­bar stra­te­gisch zu kom­mu­ni­zie­ren und Prä­senz zu zeigen.

- Ent­ge­gen allen Bekun­dun­gen ste­hen Men­schen in den Regio­nen in der Gefahr,  Opfer von extrem rech­ten Zer­set­zungs­maß­nah­men zu wer­den. Die­sen Sta­si-Begriff wählt Beg­rich mit Bedacht, weil ersicht­lich ist, dass sich eini­ge rechts­extre­me Struk­tu­ren in loka­len Kon­tex­ten die­ser Metho­den bedienen.

- Ein wei­te­rer unter­schätz­ter Bereich, sind die kom­men­den juris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, wenn es um Ver­fah­ren rund um Gemein­nütz­keit, Nut­zungs­rech­te, Ver­eins­recht usw. geht. Es fehlt Trä­gern in Ost­deutsch­land schlicht an Geld, juris­ti­schem Know­how und Anwält*innen. Glei­ches gilt für pres­se­recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen, Ein­schüch­te­run­gen, Dro­hun­gen usw. 

Hier sei nur an Wur­zen erin­nert, wo AfD und CDU gemein­sam dem Netz­werk Demo­kra­ti­sche Kul­tur das Was­ser abgra­ben. Von wegen Brand­mau­er. Und das ist nur das aktu­ells­te Bei­spiel. Die Aus­trock­nung der Zivil­ge­sell­schaft ist dort längst in vol­lem Gange. 

Die­se sehr klu­gen und zutref­fen­den, aber auch alar­mie­ren­den Beob­ach­tun­gen mei­nes geschätz­ten Gewährs­man­nes, die jeder und jede bestä­ti­gen kann, der*die auch nur gele­gent­lich im Osten unter­wegs und aktiv ist, las­se ich jetzt mal im Raum ste­hen und kom­me dar­auf zurück, wenn wir noch auf unse­re Hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu spre­chen kom­men. Und es ist wich­tig, nicht zu ver­ges­sen, dass der­ar­ti­ge Ent­wick­lun­gen und Ten­den­zen auch in West­deutsch­land zu grei­fen begin­nen. Und auch wenn sich die AfD in Nord­rhein-West­fa­len in den kom­mu­na­len Stich­wah­len nicht durch­set­zen konn­te, ist sie auch dort auf dem Vor­marsch. Die bil­li­ge Erleich­te­rung über die­se jüngs­ten Miss­erfol­ge füh­ren auf den Holzweg. 

Kapi­tel 3: Der Kli­ma­wan­del und die Fes­tung Europa

Der Kli­ma­wan­del ist eine Rea­li­tät, die ihren alles bestim­men­den exis­ten­zi­el­len Cha­rak­ter in den kom­men­den Jah­ren und Jahr­zehn­ten unwei­ger­lich ent­fal­ten wird. Dar­an wird auch die Tat­sa­che nichts ändern, dass die Kli­ma­be­we­gung ver­schwun­den zu sein scheint, der Kli­ma­kol­laps kaum noch ein The­ma im gesell­schaft­li­chen Dis­kurs ist. 

(Unse­re zuse­hends grau­haa­ri­ge anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung „pro­fi­tiert“ davon gera­de sehr, denn die tol­len jun­gen Aktivist*innen der Kli­ma­pro­tes­te tra­gen mit ihrer Blo­cka­de- und Kampf­erfah­rung gera­de sehr zu unse­rer Schlag­kraft bei, wie man in Essen und Rie­sa gese­hen hat – aber das nur am Rande.)

Die Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­kri­se, die von so empö­rend dum­men Leu­ten wie Donald Trump und hier­zu­lan­de etwa Bea­trix von Storch als Fake und Hoax bezeich­net wer­den, wer­den inner­halb sehr kur­zer Zeit alle öko­lo­gi­schen, poli­ti­schen und vor allem auch sozia­len Fra­gen eska­lie­ren und zu einer wei­te­ren Ver­ro­hung des Den­kens füh­ren. Die Rekar­bo­ni­sie­rung und die Rück­kehr der fos­si­len Ener­gien nicht nur in den Län­dern unter auto­ri­tä­rer Herr­schaft ist im vol­len Gan­ge und wen erstaunt es, dass auch in Deutsch­land alter­na­ti­ve Ener­gie­ge­win­nung geschmäht wird und ein Ver­bot von Ver­bren­ner­mo­to­ren wie­der zur Dis­po­si­ti­on steht. Ali­ce Wei­dels völ­lig hirn­ver­brann­tes Wort von den „Wind­müh­len der Schan­de“ wird nur noch vom völ­lig schwach­sin­ni­gen Gebrab­bel Trumps zu Wind­ener­gie überboten…

Die Ver­un­si­che­rung vie­ler Men­schen durch die immer dras­ti­scher wer­den­den Kli­ma­fol­gen führt sie Popu­lis­mus und auto­ri­tä­ren Ver­su­chun­gen zu: Es zeich­net sich ab, dass sie in der gegen­wär­ti­gen Pha­se der gesell­schaft­li­chen Ver­ro­hung bereit sein wer­den, den­je­ni­gen ihre Stim­me zu geben, die mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit und Dreis­tig­keit den Sta­tus Quo zu sichern ver­spre­chen – zur Not mit Krieg, Grenz­ter­ror, Gewalt und Pogrom.

Und ich wer­de jetzt nicht die euro­päi­sche Umge­bung abschrei­ten — Ungarn, UK, Nie­der­lan­de, Ita­li­en, Tür­kei, Polen, Öster­reich — um den kon­ti­nen­ta­len Rechts­ruck zu doku­men­tie­ren, obwohl es mir wirk­lich wich­tig erscheint, Deutsch­land nicht wie aus­ge­stanzt zu betrach­ten: wir haben es mit einem euro­päi­schen und glo­ba­len Rechts­ruck zu tun. Das zeig­te sich zuletzt etwa in Groß­bri­tan­ni­en sehr dras­tisch, wo 110.000 Men­schen sich zu einer durch und durch ras­sis­ti­schen Demons­tra­ti­on des noto­ri­schen Neo­na­zis Tom­my Robin­son ver­sam­mel­ten. Auf der Sei­te der Gegendemonstrant*innen waren nur 5000 Leu­te, genau­so wenig übri­gens wie bei den Pro­tes­ten gegen den Besuch Donald Trumps in Lon­don ein paar Tage spä­ter – das ist defi­ni­tiv zu wenig Gegen­wehr gegen die dro­hen­den Gefah­ren. Auf der Robin­son-Demo war übri­gens Elon Musk zuge­schal­tet, der die bri­ti­schen Mas­sen zu Gewalt auf­rief. Und das bringt uns zum nächs­ten Kapitel. 

Kapi­tel 4: Das Ende der „west­li­chen Demo­kra­tie“, wie wir sie kannten

Infan­ti­li­sie­rung der faschis­ti­schen Diktatur

Wir erle­ben seit dem Wahl­kampf und der Inau­gu­ra­ti­on des 47. US-Prä­si­den­ten Donald Trump in Echt­zeit den Blitz­um­bau der „ältes­ten Demo­kra­tie der Welt“ in einen auto­ri­tä­ren Füh­rer­staat und ein faschis­ti­sches Regime. Die Par­al­le­len zum Jahr 1933 – auch was die unge­heue­re Geschwin­dig­keit angeht – sind ver­stö­rend. Nach dem Skript „Pro­ject 2025“ aus der Heri­ta­ge Foun­da­ti­on wird gera­de der rechts- und ver­fas­sungs­s­staat­li­che Auf­bau der US-Demo­kra­tie ein­ge­ris­sen und über ein prä­si­dia­les Dekret-Regime eine faschis­ti­sche Dik­ta­tur durch­ge­setzt – ganz nach Plan, das war der Lern­ef­fekt der chao­ti­schen ers­ten Amts­zeit Trumps und sei­ner Abwahl Ende 2020.

Dreh- und Angel­punkt, ich will das nur kurz skiz­zie­ren, war die „Ein­wan­de­rung“, die Migra­ti­on. Mit der Ermäch­ti­gung der „Immi­gra­ti­on Con­trol and Cus­toms Enforce­ment“ (ICE) hat sich die Trump-Regie­rung ein Instru­ment des inner­staat­li­chen Ter­rors geschaf­fen. Mas­kier­te Roll­kom­man­dos über­fal­len über­all im Land am hell­lich­ten Tag mit­ten in Städ­ten und Gemein­we­sen, vor Dut­zen­den fil­men­den Han­dy­ka­me­ras mit scho­ckie­ren­der Bru­ta­li­tät „Ver­däch­ti­ge“3, ver­schlep­pen sie ohne Legi­ti­ma­ti­on, Anspra­che, Haft­be­fehl und Wider­spruchs­mög­lich­kei­ten in eines der aus dem Boden schie­ßen­den Lager auf US- oder aus­län­di­schem Boden, etwa in das Sal­va­do­ria­ni­sche Hor­ror-Gefäng­nis CeCot. Men­schen wer­den wochen­lang unter unhalt­ba­ren Bedin­gun­gen fest­ge­hal­ten und zuse­hends auch US-Staatsbürger*innen fest­ge­setzt. Der Ver­gleich mit dem frü­hen NS-Ter­ror und den ers­ten KZs drängt sich auch hier auf. Die ers­ten Men­schen sind aus einem Lager bereits unauf­find­bar verschwunden. 

Was der geschätz­te Georg Seeß­len in sei­nem Trump-Buch4 als Infan­ti­li­sie­rung, affek­ti­ve Pola­ri­sie­rung und Hys­te­ri­sie­rung, aber auch als Dis­rup­ti­on bezeich­net, wirkt sich für Mil­lio­nen US-Bürger*innen exis­ten­zi­ell nega­tiv aus und wird in Kür­ze Wir­kung ent­fal­ten. Das Gesund­heits­we­sen wird eben­so zer­schla­gen wie das Rechts- und Jus­tiz­sys­tem. Seeß­len schreibt über Trump: „Die Hälf­te aller Ame­ri­ka­ner und Ame­ri­ka­ne­rin­nen, und nicht weni­ge Men­schen im Rest der Welt, wol­len genau so einen wie ihn als mäch­tigs­ten Mann. Kol­lek­ti­ve Ver­blö­dung? Ver­blen­dung? Kor­rup­ti­on? (…) Die­ser Mensch ist ein ego­man­er Kri­mi­nel­ler und sein Gespenst lau­tet auf den Namen: Ame­ri­ka­ni­scher Faschis­mus.“ (S. 19)

Die Mas­sen­fest­nah­men erfol­gen nach den ras­sis­ti­schen Anhalts­punk­ten des „racial pro­fil­ing“ und ori­en­tie­ren sich an Aus­se­hen, Spra­che und Ver­hal­ten. Ihr Aus­maß lässt sich kaum ein­schät­zen, dürf­te aber wohl schon jetzt in die 100.000de gehen. Und wei­ter: die Eröff­nung rie­si­ger Gefäng­nis­se und Lager – man den­ke nur an den irren Popanz, der um „Alli­ga­tor Alca­traz“ ver­an­stal­tet wur­de –; das Umschrei­ben der Geschich­te, das Schön­re­den oder Leug­nen des Geno­zids an den indi­ge­nen Ureinwohner*innen Nord­ame­ri­kas, die Rela­ti­vie­rung des Mensch­heits­ver­bre­chens der Skla­ve­rei, die Umdeu­tung des Putsch­ver­suchs vom 6. Janu­ar 2021 in Washing­ton zu einem patrio­ti­schen Akt; Biblio­the­ken wer­den „gesäu­bert“, freie Medi­en und freie Uni­ver­si­tä­ten mas­siv ange­grif­fen, unter Druck gesetzt oder von För­de­run­gen abge­schnit­ten: Die Macht hat, wer über die Geschichts­deu­tung verfügt.

Und wei­ter: Der Zugriff auf die Rech­te und die Kör­per von Frau­en und ihre repro­duk­ti­ven Rech­te und ent­spre­chen­de medi­zi­ni­sche Gesund­heits­ver­sor­gung – in eini­gen Bun­des­staa­ten ist bereits eine Fehl­ge­burt ein Grund für Kri­mi­na­li­sie­rung bis hin zur Dro­hung mit der Todes­stra­fe wegen Kinds­mords; Die Mar­kie­rung der Grup­pen, denen die kom­men­de Repres­si­on gel­ten wird: Obdach­lo­se, Trans­men­schen und die Que­er-Com­mu­ni­ty als sol­che und Leu­te wie wir: Anti­fa! Sie wer­den ohne jeden Rea­li­täts­be­zug zu Feind*innen, Invasor*innen, Vaterlandsverräter*innen erklärt und gegen sie ICE, Poli­zei, FBI, Natio­nal­gar­de und die US-Armee auf­ge­bo­ten. Die beschwo­re­ne Gefahr, das „kriegs­ver­wüs­te­te Port­land“, die „Inva­si­on kri­mi­nel­ler Aus­län­der“, der „Ter­ror der woken Kul­tur“, der „Ter­ro­ris­mus der Anti­fa“, der Lin­ken und Kommunist*innen — das alles gibt es nicht, ist aber maß­ge­ben­de Grund­la­ge des Trump­schen Ter­rors gehen sein eige­nes Land. Die dämo­ni­sche Über­hö­hung des Ras­sis­ten, Holo­caust­ver­harm­lo­sers, Befür­wor­ters öffent­li­cher, grau­sa­mer Hin­rich­tun­gen, Frau­en­has­sers und Faschis­ten Char­lie Kirk zum Natio­nal­hei­li­gen zei­gen das Aus­maß der Mas­sen­ver­blö­dung: bei einer obs­zö­nen Mas­sen­an­dacht sprach eine KI-gene­rier­te Stim­me des Getö­te­ten und feu­er­te die ver­zück­ten Zuhörer*innen qua­si aus dem Jen­seits zu noch grö­ße­ren Anstren­gung bei der Umset­zung sei­ner Agen­da an. Ste­hen­de Ovationen.

Und wir müs­sen die Ohren spit­zen, wenn die­se Ver­herr­li­chung des Halun­ken Kirk in Deutsch­land außer von AfD-Anhänger*innen und etli­chen rech­ten Medi­en wie Nius, vor allem auch von der Jun­ge Uni­on, Caro­li­ne Bos­bach und Jens Spahn mit­ge­tra­gen wird.

Die Zer­stö­rung des Rechts­staa­tes, der Habe­as Cor­pus Garan­tien, des Gesund­heits­we­sens, des Wahl­rechts – vor allem von Frau­en – und die Ein­schüch­te­rung und Ver­fol­gung aller, die dem Wahn von Trump und sei­ner Spei­chel­le­cker nicht fol­gen wol­len, ist fast schon gelau­fen und wird in Kür­ze zu einer Mas­sen­ver­elen­dung, Mas­sen­ver­haf­tun­gen und ‑Psych­ia­tri­sie­rung von Kran­ken, Obdach­lo­sen, Trans­per­so­nen und Autist*innen, die als „unnüt­ze Esser“ stig­ma­ti­siert wer­den, führen. 

Vie­le US-Amerikaner*innen der „ande­ren Sei­te“, also demo­kra­tisch gesinn­te Bürger*innen, hof­fen und schwö­ren trotz deren fort­ge­schrit­te­ner Zer­set­zung auf die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge und rechts­staat­li­che Ord­nung und Tra­di­ti­on und deren Selbst­hei­lungs­kräf­te des poli­ti­schen Sys­tems: das scheint zuneh­mend naiv und hält mög­li­chen Wider­stand in einer fata­len Warteposition!

Und auch Trumps Außen­po­li­tik betreibt er als Bul­ly, als unge­ho­bel­ter, bru­ta­ler Rüpel, der abstraft, wer nicht in sei­ne „Frie­dens­plä­ne“ passt und sei­ne Busi­ness­plä­ne nicht mit­ma­chen will. Elon Musk taucht immer wie­der, unter ande­rem eben auch beim AfD-Par­tei­tag in Hal­le per Video­call, auf und befeu­ert Faschis­mus welt­weit, wäh­rend er gera­de noch die US-Ver­wal­tung mit einer eigens für ihn geschaf­fe­nen Behör­de (Wie aus einer Orwell-Par­odie: „Depart­ment of Govern­ment Effi­ci­en­cy“ (DOGE)) „säu­ber­te“ und zertrümmerte. 

Kaum aus­zu­hal­ten: media­le Omni­prä­senz der Hor­ror­clowns des US-Faschismus

Mei­ne The­se: Die Mid­terms, die Wah­len zur Mit­te der Amts­zeit, wer­den nicht statt­fin­den. In Kür­ze wird in den Stra­ßen der US-Städ­te Blut flie­ßen, Donald Trump eska­liert ohne Zögern, wenn er jetzt neu­er­dings von „full force“ beim Ein­satz von Trup­pen im Inne­ren spricht, also der Frei­ga­be leta­len Schuss­waf­fen­ge­brauchs. Er wird sich – um den dies­be­züg­li­chen Vor­den­ker Carl Schmitt zu zitie­ren — den Aus­nah­me­zu­stand sichern, um sei­ne Herr­schaft zu zementieren.

War­um erzählt er uns das in die­ser Aus­führ­lich­keit, wer­det Ihr Euch fra­gen: Natür­lich wird die­ser Wahn­sinn, der von den mäch­tigs­ten Tech-Kon­zer­nen der Welt will­fäh­rig und geld­geil mit­ge­tra­gen wird, nicht ohne Aus­wir­kun­gen auf die gan­ze Welt blei­ben. Ich sehe Krieg, bes­ser: noch mehr Krie­ge, ich sehe einen wei­te­ren Rechts­ruck auch bei uns kom­men und ich sehe die Grund­la­gen eines huma­nen, regel­ba­sier­ten Umgangs mit­ein­an­der schwin­den, inter­na­tio­nal. Denn wenn wir von Trump und den USA reden, haben wir noch nicht vom Ukrai­ne-Krieg, Isra­el-Gaza und schon gar nicht von den lau­fen­den Geno­zi­den des Roh­stoffraubs im Kon­go und im Sudan gespro­chen. Das ist die neue Weltordnung.

Leu­te in der AfD rei­ben sich beim Blick über den gro­ßen Teich die Hän­de, dar­aus hat eine freu­de­trun­ke­ne Bea­trix von Storch nach der exklu­si­ven Ein­la­dung zu Trumps Inau­gu­ra­ti­on kein Hehl gemacht. 

Zusam­men­fas­send noch ein­mal Seeß­len: „Repu­bli­ka­ner in den USA, AfD­ler in Deutsch­land sind nicht in ers­ter Linie in den Par­la­men­ten, um ihre ‚Mei­nun­gen‘ zu ver­tre­ten, son­dern um deren Funk­ti­ons­wei­sen nach­hal­tig zu blo­ckie­ren und schließ­lich zu zer­stö­ren.“ (S. 140) 

Kapi­tel 5: Die AfD im Wind­schat­ten der Union

Man hat es vor­her gewusst: Sti­cker im Ber­li­ner Stadtbild

Ich will hier nun nicht noch das Pan­ora­ma der deut­schen Poli­tik des zurück­lie­gen­den Drei­vier­tel­jah­res auf­fä­chern, die Spren­gung der Brand­mau­er Ende Janu­ar, als die Uni­on mit den Stim­men von AfD, FDP und den anwe­sen­den BSWler*innen den Ent­schlie­ßungs­an­trag für das „Ein­wan­de­rungs­be­schrän­kungs­ge­setz“ in den Bun­des­tag ein­brach­te; die rhe­to­ri­sche und poli­ti­sche Anglei­chung – zumal beim hys­te­ri­sier­ten The­ma Migra­ti­on – von Uni­ons- und AfD-Posi­tio­nen; die Ver­ro­hung der Innen­po­li­tik mit Alex­an­der „Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ Dob­rindt5, der für sei­ne ras­sis­ti­sche Abschie­be­agen­da sogar bereit ist, mit den Tali­ban zu koope­rie­ren; und auch die Angrif­fe auf das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bei der Richter*innenwahl unter Frak­ti­ons­chef Spahn; die Ver­ächt­lich­ma­chung der Pri­de-Bewe­gung hier­zu­lan­de durch Bun­des­tags­prä­si­den­tin Julia Klöck­ner und Bun­des­kanz­ler Merz; gar nicht zu reden von ähn­li­chen Aus­fäl­len nach rechts wei­te­rer Minister*innen wie Prien und Weimer. 

Da muss die AfD gera­de gar nichts machen. (Und hat Zeit ihre Gold­re­ser­ven in einem Mase­r­a­ti durch die Gegend zu gon­deln.6) Die­se Situa­ti­on hat die Schrift­stel­le­rin Özge İnan auf Insta­gram zor­ning auf den Punkt gebracht: „Die schwarz-rote Koali­ti­on hat die Gren­zen geschlos­sen und das Recht auf Asyl abge­schafft. Wir dis­ku­tie­ren über Höchst­quo­ten migran­ti­scher Kin­der an Schu­len und Regis­ter für psy­chisch kran­ke Men­schen. Auf Demos herrscht Deutsch-Pflicht und die Bun­des­tags­po­li­zei durch­sucht Abge­ord­ne­ten­bü­ros nach LGBTQ-Fah­nen. Ich kann die­ses Anti-AfD-Maul­hel­den­tum, wäh­rend hier täg­lich Din­ge pas­sie­ren, die vor weni­gen Jah­ren noch AfD-Maxi­mal­for­de­run­gen waren, nicht mehr ertra­gen!“7

Eine zuneh­mend an Bedeu­tung gewin­nen­de Hetz­pres­se wie Nius, Bild, Tichys Ein­blick, eigen­tüm­lich frei, frei­lich, Com­pact, die Schwei­zer Welt­wo­che und sogar die NZZ, ganz zu schwei­gen natür­lich auch von Social Media, die uns alle mit rech­tem Shit über­flu­ten, flan­kiert die­se pro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, die es der AfD erlaubt sich ent­spannt in War­te­stel­lung zu bege­ben und gemäß ihrem Stra­te­gie­pa­pier zu „mäßi­gen“ und etwa ihre neo­na­zis­ti­sche Par­tei­ju­gend „Jun­ge Alter­na­ti­ve“ in etwas ver­meint­lich weni­ger Gefähr­li­ches umzu­la­beln, näm­lich die „Patrio­ti­sche Jugend“. Sonst muss sie nichts tun. Ihre Umfra­ge­wer­te stel­len unter­des­sen die der Uni­on auch bun­des­weit schon mal in den Schatten.

Das Ver­hal­ten der Uni­on und das Mit­tun der Sozialdemokrat*innen dabei macht die Umset­zung etwa eines Ver­bots­ver­fah­rens gegen die faschis­ti­sche AfD fast unmög­lich: man wäre dafür auf zumin­dest Tei­le der nach rechts abdre­hen­den CDU/CSU angewiesen. 

Das macht die anti­fa­schis­ti­sche Arbeit gegen die AfD nicht gera­de leich­ter. Und nach den Stroh­feu­ern der Mas­sen­pro­tes­te Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res nach dem Pots­dam-Skan­dal und – schon klei­ner – die­ses Jah­res nach der Abstim­mung im Bun­des­tag ist der Pro­test gegen die Faschi­sie­rung auch wie­der schwä­cher gewor­den. Nor­ma­li­sie­rung, wie Özge İnan sie beschreibt, hat ein­ge­setzt und nur die­je­ni­gen zivil­ge­sell­schaft­li­chen und anti­fa­schis­ti­schen Grup­pen wie VVN-BdA oder die Omas gegen rechts, Wider­set­zen, Cam­pact u.a., die im denun­zia­to­ri­schen 551-Fra­gen-Kata­log der CDU gegen eine poli­tisch pro­fi­lier­te Zivil­ge­sell­schaft auf­tau­chen, bemü­hen sich wei­ter, den Pro­test nicht ein­schla­fen zu lassen. 

Kapi­tel 6: End­zeit­fa­schis­mus und die Herr­schaft der Hor­ror Clowns 

Wäh­rend der neue Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Dob­rindt und auch die hie­si­gen grü­nen Landespolitiker*innen [= BaWü] kei­ner­lei Beden­ken gegen­über der poli­zei­li­che Total­über­wa­chung mit der „Palantir“-Software sehen, die aus dem Hau­se des Pay­pal-Grün­ders Peter Thiels kommt, spre­chen eini­ge im Zusam­men­hang gera­de mit die­ser Soft­ware vom kom­men­den End­zeit­fa­schis­mus. Auch die [vor­erst gestopp­te] Ein­füh­rung einer „Chat­kon­trol­le“ auf EU-Ebe­ne ist ein Schritt in die­se Total­über­wa­chung, für die wir Smartphone-User*innen uns seit Jah­ren selbst hin­ge­ben mit unse­ren Nach­rich­ten, Bil­dern, poli­ti­schen Bemer­kun­gen und Scher­zen.8

Erst im Juni ver­ei­dig­te die US-Armee vier Füh­rungs­kräf­te aus dem Sili­con Val­ley als Oberst­leut­nants der Army Reser­ve, dar­un­ter füh­ren­de Mana­ger etwa von Meta, Ope­nAI (also ChatGBT ) und eben Palan­tir: ein gewal­ti­ger zivil-mili­tä­risch-tech­no­lo­gi­scher Über­wa­chungs­an­griff soll hier die­se End­zeit ein­läu­ten.9

Ein sehr lesens­wer­ter Arti­kel von Nao­mi Klein und Astra Tay­lor im bri­ti­schen Guar­di­an mit dem Titel „Der Auf­stieg des End­zeit­fa­schis­mus“10 schil­dert den apo­ka­lyp­ti­schen Ama­ged­don-Kom­plex, der vie­le Super­rei­che und Tech-Mil­li­ar­dä­re zu inspi­rie­ren scheint. Sie schrei­ben: „Die herr­schen­de Ideo­lo­gie der extre­men Rech­ten hat sich in unse­rem Zeit­al­ter eska­lie­ren­der Kata­stro­phen zu einem mons­trö­sen, ras­sis­ti­schen Über­le­bens­kampf ent­wi­ckelt.“ Es sei klar, so heißt es wei­ter, „dass sich die künst­li­che Spie­gel­welt, die KI zu erschaf­fen ver­spricht, nicht errich­ten lässt, ohne die­se Welt zu opfern – die­se Tech­no­lo­gien ver­brau­chen zu viel Ener­gie, zu vie­le wich­ti­ge Mine­ra­li­en und zu viel Was­ser, als dass bei­des in irgend­ei­ner Art von Gleich­ge­wicht koexis­tie­ren könn­te.“ Die Schaf­fung von exklu­si­ven Schutz­räu­men des Über­le­bens der Aus­er­wähl­ten und der Auf­stieg eines gott­glei­chen KI-Gebil­des, das sich „aus der Asche der auf­ge­ge­be­nen Welt“ empor­schwingt, wird mit reli­giö­ser Ver­zü­ckung und Inbrunst ver­brämt zur End­zeit­er­zäh­lung der bibli­schen Weni­gen, die dem Unter­gang entgegen. 

Man mag das als düs­te­ren Sci­ence Fic­tion abtun und über­trie­ben fin­den, und doch bie­ten die gera­de­zu absur­de Nie­der­tracht und boden­lo­se Dumm­heit des der­zei­ti­gen US-Prä­si­den­ten und sei­ner Anhänger*innen durch­aus Anhalts­punk­te für der­ar­ti­ge Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en. Wir befin­den uns doch jetzt schon in einer Situa­ti­on, die wir noch vor zehn Jah­ren für völ­lig unmög­lich gehal­ten hät­ten. Die Geschwin­dig­keit der Ver­än­de­rung über­for­dert – zumin­dest was mich betrifft – das Fas­sungs­ver­mö­gen des Gemüts. Ob wir uns im End­zeit­fa­schis­mus schon befin­den, ob er zunächst nur in den USA zu beob­ach­ten ist, wie wir ihn defi­nie­ren und was wir gegen ihn zu tun geden­ken, bringt mich jetzt zum Schluss mei­ner Anmerkungen. 

Kapi­tel 7: Am eige­nen Zopf aus dem Sumpf

Blo­cka­den und Pro­tes­te gegen den AfD-Par­tei­tag in Rie­sa am 11, Janu­ar 2025

Und dazu gibt es noch ein Zitat von Klein und Tay­lor, weil die bei­den dem End­zeit­fa­schis­mus auch etwas ent­ge­gen­set­zen wol­len, eine Art uni­ver­sa­lis­ti­sche huma­ne Beru­fung auf die Mensch­lich­keit: Wir stel­len „ihren apo­ka­lyp­ti­schen Erzäh­lun­gen eine weit­aus bes­se­re Geschich­te ent­ge­gen: Wie wir die kom­men­den schwe­ren Zei­ten über­ste­hen, ohne jeman­den zurück­zu­las­sen. Eine Geschich­te, die dem End­zeit­fa­schis­mus sei­ne düs­te­re Kraft ent­zie­hen und eine Bewe­gung in Gang set­zen kann, die bereit ist, alles für unser gemein­sa­mes Über­le­ben aufs Spiel zu set­zen. Eine Geschich­te nicht vom Ende der Zei­ten, son­dern von bes­se­ren Zei­ten; nicht von Tren­nung und Vor­herr­schaft, son­dern von gegen­sei­ti­ger Abhän­gig­keit und Zuge­hö­rig­keit; nicht von Flucht, son­dern von Blei­ben und der Treue zur unru­hi­gen irdi­schen Rea­li­tät, in die wir ver­strickt und gefan­gen sind.“

Und in die­sem Sin­ne haben wir genug zu tun und es wäre unschätz­bar, wenn von die­sem Bun­des­kon­gress in die­ser Hin­sicht ein kla­res Signal aus­gin­ge und – mal wie­der – die „Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes – Bund der Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten“ die nöti­gen Impul­se geben wür­de, um der AfD, der Faschi­sie­rung in die­sem Lan­de ent­ge­gen zu tre­ten und den Druck auf die­je­ni­gen zu erhö­hen, die immer noch mei­nen, sie wür­den der AfD am bes­ten ent­ge­gen­wir­ken, indem sie sich ihr anver­wan­deln und zum Bei­spiel auf das unsäg­li­che ras­sis­ti­sche Migra­ti­ons­ti­cket setzen. 

- Wir müs­sen den gesell­schaft­li­chen Druck zum Schut­ze einer ver­fas­sungs­mä­ßi­gen und recht­staat­li­chen und sozia­len Ord­nung erhö­hen und auf ein Ver­bots­ver­fah­ren gegen die AfD drän­gen. „Men­schen­wür­de ver­tei­di­gen – AfD-Ver­bot Jetzt!“ ist die Kam­pa­gne, die das auch mit auf Initia­ti­ve der VVN-BdA ver­folgt, aber bis­her noch kein Momen­tum errei­chen konn­te. Das Zau­dern, das über­heb­li­che Abwin­ken und die super­schlau­en Ein­wän­de gegen Ver­bo­te im All­ge­mei­nen und das der AfD im Beson­de­ren müs­sen über­wun­den wer­den. Das Ver­bot der AfD ist eine gebo­te­ne demo­kra­ti­sche Not­wehr. Wir haben kaum etwas zu ver­lie­ren und im Grun­de kei­ne Wahl, wenn wir uns nach der Macht­über­ga­be noch gegen­sei­tig in die Augen bli­cken wol­len. Aber vor allem haben wir kei­ne Zeit. 

- Wir müs­sen ver­hin­dern, dass die als „gesi­chert rechts­extrem“ zu betrach­ten­de, in Tei­len faschis­ti­sche AfD sich eine neue faschis­ti­sche HJ, die „Höcke Jugend“, die „Patrio­ti­sche Jugend“ als ver­meint­lich harm­lo­sen Ersatz für die „Jun­ge Alter­na­ti­ve“ zulegt. Wir müs­sen, zusam­men mit unse­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Mitstreiter*innen von den „Omas gegen Rechts“ über „Auf­ste­hen gegen Ras­sis­mus“ bis hin zu „Wider­set­zen“ den Grün­dungs­akt in Gie­ßen Ende Novem­ber blockieren. 

Anti­fa heißt mehr als Angriff

 — Wir müs­sen der Kri­mi­na­li­sie­rung anti­fa­schis­ti­scher und lin­ker Struk­tu­ren im Kon­text der Hys­te­ri­sie­rung von Anti­fa nach dem Kirk-Atten­tat ent­ge­gen­tre­ten und uns geschlos­sen hin­ter die Anti­fa stellen.

Anti­fa ist die ein­zig ver­läss­li­che Recher­che zu rech­ten und faschis­ti­schen Umtrie­ben in die­sem Land und ande­ren Län­dern, Anti­fa sind Geden­kinitia­ti­ven und Erin­ne­rungs­kul­tur an Sho­ah, Poraj­mos und deut­sche Ver­nich­tungs­po­li­ti­ken, Anti­fa ist kri­ti­sche Publi­zis­tik zu Nazis und Ideo­lo­gien der Ungleich­wer­tig­keit, Anti­fa ist poli­ti­sche Bil­dung, Anti­fa ist Stra­ßen­prä­senz, Stadt­teil­ar­beit und beherz­te Not­hil­fe für Betrof­fe­ne ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Bedro­hung und Gewalt, Anti­fa ist unab­hän­gi­ge Pro­zess­be­ob­ach­tung und Beglei­tung der Betrof­fe­nen rech­ten Ter­rors usw. – Dan­ke Antifa! 

- Wir müs­sen gegen Nor­ma­li­sie­rung des lau­fen­den Wahn­sinns laut und lau­ter werden.

Und wir müs­sen auch für West­deutsch­land, für Euro­pa und glo­bal beher­zi­gen, was David Beg­rich für Ost­deutsch­land emp­fiehlt (ich zitie­re ihn ger­ne noch ein­mal): „Kata­ly­ti­sche Prä­senz. Es wird dar­auf ankom­men, in den Regio­nen jene zu hal­ten und zu stär­ken, die als Ein­zel­per­so­nen oder als klei­ne Netz­wer­ke eine Erkenn­bar­keit gewähr­leis­ten, an der sich ande­re wie­der­um ori­en­tie­ren kön­nen. Das wird schwer durch­zu­hal­ten und wird in den kom­men­den Jah­ren Här­ten brin­gen, wie wir sie bis­lang nicht kann­ten. Wir wer­den uns im Ernst­fall nicht auf Orga­ni­sa­tio­nen, nur auf Per­so­nen und Netz­wer­ke ver­las­sen kön­nen. An die­sen muss gear­bei­tet wer­den. Sie brau­chen: Prag­ma­tis­mus, einen wei­ten habi­tu­el­len Hori­zont und die Zurück­stel­lung poli­ti­scher Glaubenssätze.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Fuß­no­ten:

1https://​www​.deutsch​land​funk​kul​tur​.de/​m​i​n​i​s​t​e​r​p​r​a​e​s​i​d​e​n​t​-​r​e​i​n​e​r​-​h​a​s​e​l​o​f​f​-​g​e​h​e​n​-​w​e​n​n​-​d​i​e​-​a​f​d​-​g​e​w​i​n​n​t​-​1​0​0​.​h​tml

2https://​www​.tages​spie​gel​.de/​p​o​t​s​d​a​m​/​b​r​a​n​d​e​n​b​u​r​g​/​r​e​c​h​t​s​e​x​t​r​e​m​i​s​m​u​s​-​w​o​i​d​k​e​-​a​u​s​g​r​e​n​z​u​n​g​-​d​e​r​-​a​f​d​-​h​a​t​-​n​i​c​h​t​-​f​u​n​k​t​i​o​n​i​e​r​t​-​1​4​3​8​4​0​9​6​.​h​tml

3Der Schock, den die­se Reels von die­sem empö­rend bru­ta­len Ver­haf­tun­gen auf Social Media (Insta­gram, Tik­tok usw.) aus­lö­sen, ist in das Pro­gramm von Ein­schüch­te­rung, Über­wäl­ti­gung und Abschre­ckung ver­mut­lich mit eingepreist.

4Georg Seeß­len: Trump & Co. Der un/aufhaltsame Weg des Wes­tens in die Anti-Demo­kra­tie, Ber­lin 2025

5Die Kar­rie­re des Alex­an­der Dob­rindt ver­zeich­net ja nicht nur jenen Gast­kom­men­tar in der Welt unter die­sem Rubrum, son­dern ist gespickt von stein­dum­men Zita­ten, die zei­gen, wes’ Klein­geis­tes Kind die­ser gefähr­li­che Mann ist, zum Bei­spiel die­ses: „„Die­je­ni­gen, die ges­tern gegen Kern­ener­gie, heu­te gegen Stutt­gart 21 demons­trie­ren, agi­tie­ren, die müs­sen sich dann auch nicht wun­dern, wenn sie über­mor­gen irgend­wann ein Mina­rett im Gar­ten ste­hen haben.“ — Rede am 29. Okto­ber 2010 in Mün­chen auf dem Par­tei­tag der CSU

7https://​www​.insta​gram​.com/​p​/​D​M​q​L​t​l​N​M​U​1Y/

Graue Erinnerung an den NSU-Prozess in München

Der fol­gen­de Text wur­de von Regis­seu­rin Anna­le­na Maaas Anfang des Jah­res 2025 für ihr Thea­ter­stück Graue Ener­gie ange­for­dert und ein Vor­trag zur Gene­ral­pro­be des Stü­ckes am 23. Mai 2025 ohne vor­he­ri­ge Beschäf­ti­gung damit bestellt: nach der Gene­ral­pro­be ent­schied sie sich, den Text und sei­nen Vor­trag kur­zer­hand aus dem Stück zu wer­fen, weil er ihr doch irgend­wie nicht ins Kon­zept pass­te. Expe­ri­men­tell war an die­sem Vor­gang allen­falls der Umgang mit dem Autor und sei­nem Werk. Hier also just for the record:

Schwar­ze Luft­bal­lons über dem Mün­che­ner Straf­jus­tiz­zen­trum zur Eröff­nung des NSU-Pro­zes­ses am 6. Mai 2013 — Foto: NSU-Watch

Die Zeu­gin Nuran K. kam am 30. Ver­hand­lungs­tag Ende Juli 2013 erst am Nach­mit­tag dran. Wir sahen sie nur von hin­ten oben, von der Tri­bü­ne aus, auf der „die Öffent­lich­keit“ saß. Sie berich­te­te, wie sie am 29. August 2001 das Geschäft von Habil Kılıç betrat, um noch Brot zu besor­gen. Vor dem Laden begeg­ne­te sie ihren 8‑jährigen Sohn mit einem Freund. Sie betrat den Laden und traf dort nie­man­den an, aber sie hör­te aus dem Hin­ter­zim­mer eine Kaf­fee­ma­schi­ne blub­bern und dach­te, Herr Kılıç mache hin­ten Pau­se. Erst als sie zum Tre­sen trat, sah sie Habil Kılıç hin­ter dem Tre­sen lie­gen, in einer rie­si­gen Blut­la­che. Was Nuran K. für eine Kaf­fee­ma­schi­ne gehal­ten hat­te, war das Röcheln des an sei­nem Blut ersti­cken­den Ster­ben­den, der von zwei Kugeln, eine davon in den Kopf, getrof­fen wor­den war.
Nuran K. konn­te sich nicht dar­an erin­nern, dass ihr Sohn mit im Laden gewe­sen war. Auch nicht, dass er nach dem, was er dort gese­hen hat­te, in kin­der­psych­ia­tri­sche Behand­lung muss­te. Auch auf mehr­fa­che Nach­fra­ge des Vor­sit­zen­den konn­te sie sich dar­an nicht erin­nern. Woll­te es nicht.

Störrischer Zeuge

Ende Juli 2015 sag­te der bizarr aus­staf­fier­ter V‑Mann-Füh­rer Rei­ner Gör­litz als Zeu­ge aus. Der Mit­ar­bei­ter des Bran­den­bur­gi­schen Ver­fas­sungs­schut­zes, der einen der wich­tigs­ten Zeu­gen des Pro­zes­ses, Cars­ten Szc­ze­pan­ski, Deck­na­me „Piat­to“, geführt hat­te, trug eine Perü­cke, Son­nen­bril­le und hat­te sei­ne Klei­dung mit Stoff aus­ge­stopft, um kor­pu­len­ter zu wirken.
Die Unter­la­gen des stör­ri­schen Zeu­gen ließ das Gericht vor­läu­fig beschlag­nah­men. Wohl­ge­merkt, die Unter­la­gen eines Geheim­dienst-Mit­ar­bei­ters, einer staat­li­chen Behörde.

Es gibt poli­ti­sche Grup­pen, die nur 9 vom NSU Ermor­de­te zäh­len, weil Mic­hè­le Kie­se­wet­ter Poli­zis­tin war.

Am 9. Dezem­ber 2015 ließ die Haupt­an­ge­klag­te Bea­te Zsch­ä­pe ihre Aus­sa­ge von ihrem Anwalt Mat­thi­as Gras­el ver­le­sen. Vor dem Gerichts­ge­bäu­de bil­de­ten sich von früh mor­gens an Schlan­gen von „Schau­lus­ti­gen“, die zum grü­nen Ein­gang des Straf­jus­tiz­zen­trums dräng­ten, weil sie dach­ten, Bea­te Zsch­ä­pe wer­de selbst sprechen.
In der Nacht zu die­sem Tage war die Neben­kla­ge­an­wäl­tin im NSU-Pro­zess und unse­re Freun­din Ange­li­ka Lex ihrem Krebs­lei­den erlegen.
Der Vor­sit­zen­de Rich­ter Man­fred Götzl und eini­ge ande­re Mit­glie­der des erken­nen­den Senats kamen spä­ter zu ihrer Beer­di­gung am Mün­che­ner Ostfriedhof.

Manch­mal ist einem der Kopf nach vor­ne gekippt — im Som­mer — wenn es drau­ßen fast 30 Grad hatte.

Gesunde Ernährung

Auf dem Trep­pen­ab­satz, wo einer der Ein­gän­ge zum A 101 ist, war mit mobi­len höl­zer­nen Tafeln eine Art Gehe­ge abge­trennt wor­den mit einem Pau­sen­raum für Zuschauer*innen und einem innen noch ein­mal abge­grenz­ten Bereich für Journalist*innen. Irgend­wann kam das Gericht der drin­gen­den Anfor­de­rung „der Öffent­lich­keit“ nach, in den Pau­sen Ver­pfle­gung anzu­bie­ten. Dar­un­ter waren auch Plas­tik­scha­len mit Salat und ekli­gem Dres­sing, um das Spei­sen­an­ge­bot „gesün­der“ zu machen und weni­ger koh­le­hy­drat­las­tig. Ob wir das ein­ge­for­dert hat­ten, weil wir bemerk­ten, dass die ewi­gen But­ter­bre­zen uns im Lau­fe der Zeit auf­ge­hen lie­ßen wie Hefe­knö­del, weiß ich nicht mehr genau. Zah­len muss­te man in eine „Kas­se des Ver­trau­ens“. Die­ses Ver­trau­en hat­ten offen­bar durch­aus nicht alle ver­dient. Irgend­wann hieß es, es fehl­ten mehr als 1000 Euro in die­ser Kas­se. Das ging durch die Pres­se. Aus­ge­rech­net die Süd­deut­sche Zei­tung, die sich so viel auf ihre angeb­lich exklu­si­ve Mit­schrift des Pro­zes­ses zugu­te hielt, erweck­te in ihrem Arti­kel zu die­sem „Skan­dal“ den Ein­druck, dass aus­ge­rech­net die Betrof­fe­nen des NSU-Ter­rors und Ange­hö­ri­gen der Ermor­de­ten sich hier ohne zu zah­len bedient hätten.

Am 99. Pro­zess­tag wur­de über das Spiel gespro­chen, dass der NSU im Unter­grund kon­zi­pier­te, um es zur Siche­rung des Unter­halts im Unter­grund zu ver­kau­fen. Eines die­ser Spie­le tauch­te spä­ter im Besitz des bri­ti­schen Holo­caust­leug­ners David Irving auf. Das Spiel hieß „Pogrom­ly“. Eine der „Ereig­nis­kar­ten“ des Spiels lau­te­te: „Du hat­test auf ein Juden­grab gekackt. Lei­der hat­test Du Dir hier­bei eine Infek­ti­on zuge­zo­gen. Arzt­kos­ten 1000 RM“.

Wis­sen Sie, was ein „Split­ter­gar­ten“ ist? Was für ein poe­ti­sches Wort. Es kommt aus der Kri­mi­nal­tech­nik, der Spu­ren­si­che­rung. Wenn es um eine Bom­ben­ex­plo­si­on geht, wird die gezün­de­te Bom­be iden­tisch nach­ge­baut und in gesi­cher­tem Gelän­de zur Explo­si­on gebracht, um die Wucht und Zer­stö­rungs­kraft der Bom­be zu mes­sen. Dafür wer­den um die Bom­be in bestimm­ten Abstän­den Metall­wän­de auf­ge­baut, auf die die Split­ter der Bom­be auf­tref­fen, wodurch man ihre kine­ti­sche Ener­gie bestim­men kann. Im NSU-Pro­zess ging es dabei um den Nagel­bom­ben­an­schlag auf die migran­tisch gepräg­te Keup­stra­ße in Köln am 9. Juni 2004. Die Bom­be in einer Cam­ping-Gas­fla­sche bestand aus 5,5 kg Schwarz­pul­ver und 800 10 Zen­ti­me­ter lan­gen Nägeln. Ein Schwer­ver­letz­ter hat­te 9 die­ser Nägel in sei­nen Ober­schen­keln. Er kam gera­de zum Zeit­punkt der Explo­si­on an der auf einem Fahr­rad depo­nier­ten Bom­be vor­bei. Trotz mas­si­ver phy­si­scher und psy­chi­scher Beein­träch­ti­gun­gen muss­te er über Jah­re um eine Opfer­ent­schä­di­gung gegen den Land­schafts­ver­band Rhein­land prozessieren.

Die Gesinnung des Mandanten

Bei einer Haus­durch­su­chung beim Ange­klag­ten Ralf Wohl­le­ben wird sein „Schlaf-Shirt“ beschlag­nahmt. Zu sehen ist dar­auf das Ein­gangs­tor des Ver­nich­tungs­la­gers Ausch­witz-Bir­ken­au. Dar­über steht in Frak­tur: „Eisen­bahn­ro­man­tik“. Einer der ein­schlä­gig rech­ten Sze­ne-Ver­tei­di­ger erklärt, von einem sol­chen Tshirt las­se sich nicht auf die Gesin­nung sei­nes Man­dan­ten schließen.

Das Scharz­pul­ver des „Stol­len­do­sen­an­schlags“ in der Köl­ner Prob­stei­gas­se hat sich in die Gesichts­haut der betrof­fe­nen 19-jäh­ri­gen Medi­zin­stu­den­tin Maja M., die schwer ver­letzt wur­de, ein­ge­brannt. Die schwar­zen Spu­ren im ihrem Gesicht nennt man „Schmutz­tä­to­wie­run­gen“.

Der Frei­bur­ger Psych­ia­trie­pro­fes­sor Joa­chim Bau­er war von der „Neu-Ver­tei­di­gung Zsch­ä­pe“ in den Pro­zess geholt wor­den, um als psych­ia­tri­scher Gut­ach­ter die Ange­klag­te zu ent­las­ten. Das geriet zum Desas­ter, als bekannt wird, dass Bau­er den Pro­zess eine „Hexen­jagd“ genannt und er ver­sucht hat­te, sei­ner „Pro­ban­din“ eine Schach­tel Pra­li­nen in die JVA zu schmug­geln. Die­ser „unschul­di­ge Akt von Huma­ni­tät“, wie er es bezeich­ne­te, trägt ihm einen Befan­gen­heits­an­trag ein. Den ein­zi­gen Befan­gen­heits­an­trag, dem in den über 5 Jah­ren Pro­zess statt­ge­ge­ben wurde.

Ivan, der Schreckliche“ im A 101

Im Ver­fah­ren gegen den eins­ti­gen Gebirgs­jä­ger-Leut­nant Josef Scheun­gra­ber erör­ter­te sein Ver­tei­di­ger Rai­ner The­sen, ob Gei­sel­er­schie­ßun­gen zu jener Zeit nicht üblich waren und inso­weit kei­ner Ver­fol­gung Jahr­zehn­te spä­ter erheisch­ten. Der 90-jäh­ri­ge Scheun­gra­ber war ange­klagt, als Kom­man­dant eines Gebirgs­jä­ger­zu­ges der „Wehr­macht“ am 26. Juni 1944 für die Ermor­dung von 14 Men­schen ver­ant­wort­lich gewe­sen zu sein, die im Rah­men einer Süh­ne­ak­ti­on getö­tet wur­den. 11 von ihnen waren in Fal­ca­no di Cor­to­na in ein Haus gesperrt wor­den, dass die deut­schen Sol­da­ten dann in die Luft spreng­ten. Nur ein damals 15-Jäh­ri­ger über­leb­te das Mas­sa­ker schwer ver­letzt in den Trüm­mern. Gino M. sag­te 64 Jah­re nach der Gräu­el­tat gegen Scheun­gra­ber aus. Sei­ne trau­ri­ges Gesicht ist mir in Erin­ne­rung geblieben.

Zwei Jah­re spä­ter wur­de noch „Ivan, der Schreck­li­che“ in einem Kran­ken­bett in den A 101 gerollt. Der eins­ti­ge KZ-Auf­se­her im Ver­nich­tungs­la­ger Sobi­bor, Ivan Dem­ja­ni­uk, wur­de wegen „Bei­hil­fe zum Mord“ an 28.060 Men­schen zu einer Frei­heits­stra­fe von 5 Jah­ren ver­ur­teilt. Der Tod des 92-Jäh­ri­gen ver­hin­der­te, dass das Urteil rechts­kräf­tig wur­de. In Sobi­bor sind in den Jah­ren 1942 und 1943 etwa 250.000 Jüdin­nen und Juden ver­gast worden.“

Gilead Rising: Verstörende Social-Media-Clips dokumentieren den Höllensturz der USA

Scho­ckie­ren­de State­ments zur staat­li­chen Gei­sel­nah­me von Frau­en in den USA: Pul­lup­s­Pas­ta­Po­li­tics Screenshot

Irgend­wie muss ich doch was falsch machen. Wenn ich mit den dicken Boo­mer-Fin­gern die Dut­zen­den und Hun­der­ten erschüt­tern­den, ver­stö­ren­den, bru­ta­len und empö­ren­den Clips aus den USA durch­swi­pe und aus dem Stau­nen und dem Hor­ror nicht mehr rauskomme.

Natür­lich weiß ich, dass durch mein Gebannt-sein von den Doku­men­ten des ent­fes­sel­ten Faschis­mus‘ im Land der unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten, Algo­rith­men ansprin­gen, die mir immer mehr von die­sen Doku­men­ten des Grau­ens in die Time­line spülen.

Herstellung weißer Menschen

Nichts davon kann ich über­prü­fen, nicht die kur­zen Alarm- und Hil­fe­ru­fe aus Utah, Texas, Mis­sou­ri und Mon­ta­na, wo eine neue christ­lich-fun­da­men­ta­lis­ti­sche Legis­la­tur im Sin­ne der neu­en Macht­ha­ber schwan­ge­re Frau­en als Gei­seln nimmt, ihrer Grund- und Frei­heits­rech­te ent­klei­det oder gar Schwan­ge­re, die eine Fehl­ge­burt erlei­den, des Mor­des an einem Fötus anklagt und mit Gefäng­nis­stra­fen bis hin zur Todes­stra­fe bedroht. Ich weiß auch nicht viel dar­über, wer hin­ter Pul­lups Pas­ta Poli­tics steckt. Ich kann aber nur sagen, dass mei­ne Hän­de zit­tern und mir kal­te Schau­er des Ent­set­zens den Rücken her­un­ter­lau­fen, wenn die Front­per­son die­ses Accounts mir von den Aus­wir­kun­gen der neu­en Zeit in den USA erzählt und dass in Mis­sou­ri Geset­ze wie in Mar­gret Atwoods fik­ti­vem Staat „Gilead“ erlas­sen und recht­lo­se „Hand­maids“ unter mas­si­ver Straf­an­dro­hung zur Her­stel­lung wei­ßer Kin­der gefan­gen gehal­ten werden.

Lost in Bukeles Horrorknast

Oder die zahl­lo­sen Sze­nen ras­sis­ti­scher staat­li­cher Gewalt, bei denen wohl über­wie­gend ohne jede recht­li­che Grund­la­ge Men­schen durch Roll­kom­man­dos von Trumps Immi­gra­ti­on Con­trol Enforce­ment (ICE) oder gar dem FBI aus ihren Häu­sern, ihrem All­tag, in aller Öffent­lich­keit, vor den Augen ihrer Kin­der und eben auch zahl­lo­ser mit­fil­men­der Zeug*innen bru­tal fest­ge­nom­men und in – ja, wie soll ich sagen – Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger auf US-Boden oder gar in das regel­rech­te Hor­ror­ge­fäng­nis des gewis­sen­lo­sen sal­va­do­ria­ni­schen Dik­ta­tors Nay­ib Buke­le depor­tiert wer­den – auf Nim­mer­wie­der­se­hen, wie der Fall von Kil­mer Gar­cia zeigt, der trotz Ein­ge­ständ­nis eines Behör­den­feh­lers, nicht zurück aus El Sal­va­dor nach Hau­se kann. Es soll sich — laut New York Post — in weni­gen Wochen der zwei­ten Trump Admi­nis­tra­ti­on um 113.000 Fest­nah­men han­deln und 100.000 Abschie­bun­gen. Dar­un­ter nicht nur Fami­li­en mit Kin­dern, son­dern auch — und das wird hier­zu­lan­de beson­ders die AfD inters­sie­ren — auch US-Bürger*innen.

Rechtsweg abgeschnitten

Wäh­rend sich Trump und sei­ne Scher­gen die Taschen voll­pa­cken, den Staat als Beu­te unter sich auf­tei­len und dabei im Vor­bei­ge­hen über das Schick­sal von Mil­lio­nen Men­schen – und da geht es, was z.B. Ver­sor­gung mit Medi­ka­men­ten, Ver­hü­tungs­mit­teln angeht, für sehr vie­le Men­schen glo­bal um Leben und Tod – ent­schei­den (davon kün­den auch tau­sen­de Social-Media-Clips), gehen mas­si­ve, poli­tisch gesteu­er­te gesell­schaft­li­che Angrif­fe auf die LGBTQIA+-Community, auf Wissenschaftler*innen, Stu­die­ren­de, Journalist*innen, Staatsbeamt*innen und Gegner*innen und Kritiker*innen des „groß­ar­tigs­ten Prä­si­den­ten der US-Geschich­te“ und sei­ner nie­der­träch­ti­gen Spieß­ge­sel­len wie J.D. Van­ce und Elon Musk wei­ter. Ein Rechts­staat scheint auf­ge­ho­ben, Min­der­hei­ten, Frau­en, Nicht-Wei­ße sehen sich geball­tem Unrecht und ille­gi­ti­mer staat­li­cher Gewalt gegen­über. Der Rechts­weg ist abgeschnitten.

Die Bürgerlichen sticht der Hafer

Und die Welt? Sie schweigt und sieht zu, schließ­lich mischt man sich nicht in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten eines ande­ren Staa­tes ein. Machen wir ja in Chi­na und der Tür­kei, in Russ­land und Argen­ti­ni­en auch nicht, und las­sen auch inner­halb der EU illi­be­ra­le Poten­ta­ten á la Orban, Melo­ni, Wil­ders usw. gewäh­ren. Im Gegen­teil, die bis vor kur­zem noch bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ven Par­tei­en und selbst Sozi­al­de­mo­kra­tien sticht der Hafer, wenn sie sehen, wie schnell und gründ­lich man eine grund­sätz­li­che huma­ne Ori­en­tie­rung und die sozia­len Errun­gen­schaf­ten (vor allem im Bereich sexu­el­ler und repro­duk­ti­ver Rech­te) der zurück­lie­gen­den 80 Jah­re abräu­men und der Bar­ba­rei preis­ge­ben kann.

Niemöller revisited

Irre ich mich, oder sind ernst­haf­te Bericht­erstat­tung und inter­na­tio­na­ler Pro­test zu die­sem Höl­len­sturz in den USA über­schau­bar? Beschränkt sich die (inter­na­tio­na­le) Kri­tik auf die völ­lig frei dre­hen­de Außen­po­li­tik und die oft wirk­lich gefähr­lich dum­men Ver­laut­ba­run­gen aus der Trump-Admi­nis­tra­ti­on nicht auf halb belus­tig­te, halb ungläu­bi­ge Reak­tio­nen. Nur wenn es um die eige­nen wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen geht – etwa durch die wild wuchern­de Zöl­le­po­li­tik Trumps – oder um unge­stör­te Urlaubs­rei­sen, die neu­er­dings ger­ne mal im US-Knast enden, fängt das übli­che lar­moy­an­te Geze­ter an. Wie Men­schen- und Min­der­hei­ten­rech­te, Grund- und Frei­heits­rech­te mit Füs­sen getre­ten wer­den, lockt in Niemöller’scher Manier offen­bar nie­man­den hin­ter dem Ofen her­vor. Oder nur die paar Mil­lio­nen, die sich dem Hor­ror die­ser Social-media-Clips aus­set­zen wie ich.

Kein Plan

Und dann? Ich hab‘ kei­nen Plan? Hilfs­pro­gram­me und Flucht­hil­fe für ver­folg­te Schwan­ge­re aus den US? Für von Abschie­bung und ille­ga­ler Inhaf­tie­rung Bedroh­te? Für die LGBTQIA+-Community? Für ver­folg­te Wissenschaftler*innen und Journalist*innen? Schmug­gel von Schrift­gut auf­klä­re­ri­schen Inhalts und zen­sier­ten Wer­ken über die grü­ne Gren­ze mit Canada?

Der Faschis­mus ist wie­der da. Und wir wis­sen wie­der nicht, was zu tun ist.

Horoskope für den Umsturz: „Chef-Astrologin“ sagt im Reuß-Verfahren aus

Bun­des­an­walt Loh­se am Eröff­nungs­tag des Pro­zes­ses am 18. Juni vor dem Gerichts­ge­bäu­de in der Nym­phen­bur­ger Str. in München.

Hil­de­gard L. hat schon vie­les erlebt: Sie hat zwei Mal ein Stu­di­um abge­schlos­sen, arbei­te­te als Elek­tro­in­ge­nieu­rin, als Leh­re­rin in einer Berufs­schu­le, Unter­neh­me­rin, Pro­gram­mie­re­rin und zuletzt als Astro­lo­gin und Mit­ar­bei­te­rin einer AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten. Außer­dem hat sie zwei Mal gehei­ra­tet und in zwei­ter Ehe zwei Kin­der bekom­men. Wes­halb sie für den nächs­ten Lebens­ab­schnitt den Weg einer mut­maß­li­chen Rechts­ter­ro­ris­tin wähl­te und in Fol­ge des­sen seit über andert­halb Jah­ren in Unter­su­chungs­haft sitzt, ver­sucht der Staats­schutz­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen aktu­ell herauszufinden.

Eltern waren Impfgegner*innen

Ihr wird vor­ge­wor­fen gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Hein­rich XIII. Reuß den mili­tä­ri­schen Sturz der Bun­des­re­gie­rung und den Auf­bau eines Rats als Putsch­re­gie­rung geplant zu haben — oder zumin­dest mit­wis­send gewe­sen zu sein. L. ent­schei­det sich als ers­te der acht in Mün­chen ange­klag­ten Per­so­nen aus­zu­sa­gen und legt ein umfang­rei­ches, bis­wei­len lang­at­mi­ges Teil­ge­ständ­nis ab.
Zunächst brei­tet sie im Schne­cken­tem­po, sehr aus­führ­lich und über andert­halb Pro­zess­ta­ge hin­weg, ihren Lebens­lauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hät­ten kei­nes ihrer Kin­der imp­fen las­sen. Trotz­dem hät­ten sie sich nie mit Kin­der­krank­hei­ten ange­steckt, behaup­tet sie. Ansons­ten klingt ihre Vita zunächst unauf­fäl­lig: L. berich­tet auch über Fami­li­en­zer­würf­nis­se und beruf­li­che Hochs und Tiefs.

Rote Seidenunterwäsche

An einem gewis­sen Punkt der Ver­le­sung ihrer Aus­sa­ge wer­den ihre Erzäh­lun­gen aller­dings eso­te­risch Nach dem Kon­takt zu einer Astro­lo­gin und einem Medi­um, beginnt sie an deren Vor­aus­sa­gen zu glau­ben. Sie arbei­tet ein paar Jah­re spä­ter schließ­lich selbst als Astro­lo­gin und Kar­ten­le­ge­rin, grün­det sogar einen Ver­lag dafür und gibt regel­mä­ßig Semi­na­re. Ihr Inter­es­se, bezie­hungs­wei­se ihre Diens­te bezeich­net sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.

Zwi­schen­zeit­lich glaubt sie nicht nur, die Erkran­kun­gen von Men­schen sehen, son­dern die­se auch selbst lin­dern zu kön­nen. Auf einem Semi­nar habe sie eine für sie ele­men­ta­re Weis­heit erfah­ren: Um ihre Lebens­en­er­gie zu schüt­zen, wür­de ihr emp­foh­len, möge sie ent­we­der Chak­ren-Stei­ne kau­fen oder Sei­den­un­ter­wä­sche tra­gen. Am bes­ten rote, vier Zen­ti­me­ter unter­halb des Bauch­na­bels anset­zend. Wäh­rend sich im Gericht dar­auf­hin offen­bar eini­ge das Lachen ver­knei­fen müs­sen oder pein­lich berührt sind, erzählt L. von die­sem absur­den Ereig­nis wie von jedem ande­ren. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustim­mung erhei­schend die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Illi­ni an.

Überfall auf Bundestag geplant

In fol­gen­den Pro­zess­ta­gen äußert sich L. aber schließ­lich auch zur Ankla­ge und beant­wor­tet umfas­send Fra­gen zu ihrer Ein­las­sung: Sie habe von dem Mit­an­ge­klag­ten und Freund Tho­mas T. von der Grup­pe gehört, sie hät­ten vor allem über Coro­na-Maß­nah­men für Kin­der gere­det, die­se ver­hin­dern wol­len. Bei anschlie­ßen­den Sit­zun­gen des Rats, der über die Umsturz­re­gie­rung ent­schei­den soll­te, wären sie und T. zwar dabei gewe­sen, hät­ten aller­dings nur als Beobachter*innen tätig wer­den dür­fen. Von Schieß­trai­nings hät­te sie zwar gewusst, von den Plä­nen zum bewaff­ne­ten Über­fall auf den Bun­des­tag durch ehe­ma­li­ge KSK-Sol­da­ten aller­dings erst sehr spät erfahren.

Gera­de das zwei­felt die Bun­des­an­walt­schaft aller­dings an. Die­se kon­fron­tiert L. mit Chat­ver­läu­fen mit der ehe­ma­li­gen AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mal­sack-Win­ke­mann. So schreibt L. nach einem Schieß­trai­ning der Reichsbürger*innen: „Die wür­den doch kein Trai­ning machen, wenn da nix lau­fen wür­de“, und bestä­tigt ihr, dass „es nicht mehr lan­ge dau­ern wür­de“. Es sei laut Bun­des­an­walt­schaft also nahe­lie­gend, dass L. zu die­sem Zeit­punkt durch­aus über den Putsch­plan Bescheid wuss­te. Laut L.s Ein­las­sung sei sie zu die­sem Zeit­punkt aller­dings noch unwis­send gewesen.

Birgit-Beruhigungsaktionen“

Ein wei­te­rer Chat­ver­lauf nach dem ers­ten Rats­tref­fen zei­ge außer­dem, so die BAW, dass L. Mal­sack-Win­ke­mann auf deren Fra­ge, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geant­wor­tet habe. Zuvor beteu­er­te L., dass bei die­sem Tref­fen noch kei­ne per­so­nel­len Ent­schei­dun­gen getrof­fen wor­den sei­en und sie auch nicht in die­se mit­ein­be­zo­gen wor­den sei.

Die Kon­fron­ta­ti­on mit den Chats ver­un­si­chert L. im Gericht: Sie kann die Fra­ge nur aus­wei­chend beant­wor­ten. L. sagt, ihre Auf­ga­be wäre es gewe­sen Mal­sack-Win­ke­mann zu beru­hi­gen, für die sie schon wäh­rend ihres Bun­des­tags- Man­dats gear­bei­tet habe. Sie nennt die­se „typi­sche Birgit-Beruhigungsaktionen“.

Verschwiegenheit bei Strafe des Todes

Die Ver­schwie­gen­heits­er­klä­rung, die L. zum zwei­ten Rats­tref­fen unter­schrei­ben muss­te, nahm L. offen­bar nicht son­der­lich ernst — auch wenn Zuwi­der­hand­lun­gen mit der Todes­stra­fe geahn­det wer­den soll­ten. Kund*innen erzähl­te die Astro­lo­gin von den Tref­fen und Inhal­ten. Das Gespräch mit einer ihrer Kli­en­tin­nen ließ die mit­hö­ren­de Poli­zei beson­ders auf­hor­chen: L. erzähl­te, dass Lis­ten über sys­tem­kon­for­me Per­so­nen ange­legt wer­den müss­ten, und plau­der­te aus, dass eine „Alli­anz“, bestehend aus ver­schie­de­nen Mili­tärs und Geheim­diens­ten bald ein­grei­fen würde.

L.s zwei Ver­tei­di­ger, die sich auf­grund der hohen Anzahl von Ange­klag­ten in die eine Ecke der hin­ters­ten Ankla­ge­bank quet­schen müs­sen, schei­nen teil­wei­se nicht ganz mit ihren Ant­wor­ten zufrie­den zu sein. Sie bit­ten um eine Pau­se, ver­mut­lich um auf Man­dan­tin ein­zu­wir­ken und ihrem Gedächt­nis hin und wie­der auf die Sprün­ge zu helfen.

Ist die Angeklagte L. dement?

Der Anwalt eines wei­te­ren Ange­klag­ten ver­sucht durch die For­de­rung nach einem psych­ia­tri­schen Gut­ach­ten sogar L.s gesam­te Aus­sa­ge anzu­zwei­feln. Er sei der Mei­nung, L. lei­de an einer Demenz und kön­ne nicht wei­ter aus­sa­gen, sag­te er.

Wes­halb L. sich zu der Ankla­ge­schrift äußert, wäh­rend bei­spiels­wei­se Tho­mas T. bereits durch sei­ne Anwält*innen bekannt gege­ben hat, dass er schwei­gen wird, bleibt nur zu ver­mu­ten. Bei der Schwe­re der Vor­wür­fe kann aber ange­nom­men wer­den, dass L. und ihre Ver­tei­di­gung even­tu­ell auf ein mil­de­res Urteil und damit eine kür­ze­re Haft­stra­fe spekulieren.

Terminiert bis Juli 2025

Wei­te­re Fra­gen ver­schie­de­ner Verteidiger*innen und Unter­bre­chun­gen zu ihrer Beant­wor­tung zie­hen das Ver­fah­ren bis­wei­len in die Län­ge. Die Anwäl­te von L. bit­ten im Gericht dar­um, dass die ande­ren Verteidiger*innen ihre Fra­gen bis Ende Juli stel­len mögen, um im August die Ver­neh­mung von L. abschlie­ßen zu können.

Der ursprüng­lich bis Janu­ar 2025 ter­mi­nier­te Pro­zess ist kürz­lich bereits bis Juli 2025 ver­län­gert worden.

Gefährliche Filme: Fahrlässige Doku über Südthüringen bei Dok.fest München

Demo­cra­zy“ heißt ein Schwer­punkt auf dem dies­jäh­ri­gen Mün­che­ner Doku­men­tar­film­fes­ti­val Dok.fest und wid­met sich den „aus­ein­an­der­stre­ben­den Kräf­ten inner­halb euro­päi­scher Demo­kra­tien“, wie es im Pro­gramm­heft heißt. Mit „cra­zy“ ist noch mild umschrie­ben, mit wel­chem poli­tisch und ästhe­tisch aus der Zeit gefal­le­nen Strei­fen Deutsch­land in die­ser Rei­he ver­tre­ten ist. Mit „Frag­men­te aus der Pro­vinz“ vom Doku­men­tar­fil­mer Mar­tin Wein­hart lief auf dem Dok.fest ein Film, der die bevor­ste­hen­den Damm­brü­che der Faschi­sie­rung in Ost­deutsch­land in fahr­läs­si­ger Wei­se ver­harm­lost und ohne Kennt­nis der wah­ren Situa­ti­on vor Ort zur Nor­ma­li­sie­rung beiträgt.

Tommy Frenck im Fokus

Um was geht es: der Film spielt in Süd­thü­rin­gen, wo seit Jahr­zehn­ten der Neo­na­zi Tom­my Frenck der weit­ge­hend hilf­lo­sen (Zivil-)Gesellschaft auf der Nase her­um­tanzt. Und Frenck ist das The­ma, das der Film gera­de­zu mikro­sko­pisch in den Fokus nimmt. Zur Erin­ne­rung: der aus Schleu­sin­gen stam­men­de Mitt­drei­ßi­ger ist weit über die Gren­zen Thü­rin­gens hin­aus für sein Agie­ren als Faschist bekannt und mischt spä­tes­tens als Wirt der Gast­stät­te „Gol­de­ner Löwe“ in Klos­ter Veß­ra den struk­tur­schwa­chen Land­strich auf. Er betreibt die­se Gast­stät­te, wo das Füh­rer­schnit­zel am 20. April immer 8.88 Euro kos­tet, die Ver­sand­han­del druck18 bzw. 88 für Nazi-Out­fit, Nazi­li­te­ra­tur und Nazi­de­vo­tio­na­li­en, orga­ni­siert in der Nach­bar­schaft die größ­ten Rechts­rock-Kon­zer­te im gan­zen Land mit über 6000 teil­neh­men­den Hard­core-Nazis – auf dem Pri­vat­grund des AfD-Poli­ti­kers Bodo Dressel — und lotet die wachs­wei­chen Gen­zen der hei­mi­schen Demo­kra­tie auf kom­mu­na­ler und Lan­des­ebe­ne aus – ent­we­der in sei­ner Jugend für die NPD, dann deren Nach­fol­ge-Par­tei „Die Hei­mat“ und die Wäh­ler­ge­mein­schaft Bünd­nis Zukunft Hild­burg­hau­sen. Als Land­rats­kan­di­dat erhielt er 2018 17 Pro­zent der Stim­men, 2022 30 Pro­zent als Bür­ger­meis­ter­kan­di­dat in Klos­ter Veßra.

Nazi-Versteher-Filme

Die Fra­ge ist nun, war­um Mar­tin Wein­hart es für rich­tig hält, mit sei­ner Kame­ra die­sem Men­schen wirk­lich auf die Pel­le zu rücken und Löcher in den Bauch zu fra­gen – und ihn so hof­fä­hig zu machen, zu nor­ma­li­sie­ren und zu ver­harm­lo­sen. So, wie Wein­hart sich auch beim Publi­kums­ge­spräch im Anschluss an die Film­vor­füh­rung in der Hoch­schu­le für Film und Fern­se­hen (HFF) in Mün­chen gab, scheint er zu glau­ben, einen ganz gro­ßen Coup gelan­det zu haben und der Welt wirk­lich mal unge­schminkt einen Neo­na­zi vor­zu­füh­ren. Dass sein Agie­ren sträf­lich geschichts­los ist, offen­bart ein Blick in die 1990-er Jah­re, wo die Nazi-Ver­ste­her-Fil­me „Stau – jetzt geht‘s los“ (1992), „Beruf Neo­na­zi“ (1993) (übri­gens über den Mün­che­ner Neo­na­zi Ewald Alt­hans), „Füh­rer Ex“ und vie­le wei­te­re mit ihren distanz­los inti­men Nah­auf­nah­men von Nazis hef­tig hin­ter­fragt und in lan­gen Dis­kus­sio­nen letzt­lich doch ver­wor­fen wur­den. Wenn der Mün­che­ner Fil­me­ma­cher Wein­hart dann auch noch resü­miert, mit Frenck kön­ne man gut reden und der wol­le doch auch nur irgend­wie dazu gehö­ren, dröhnt einem der Ärz­te-Song vom „stum­men Schrei nach Lie­be“ in den Ohren. Wein­reich bie­tet Frenck in gefühlt einem Fünf­tel des Films aus­führ­lich und kaum hin­ter­fragt Gele­gen­heit, sei­ne satt­sam bekann­te, unver­hoh­len men­schen­ver­ach­ten­de, ras­sis­ti­sche und in Tra­di­ti­on des his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus ste­hen­de Ideo­lo­gie aus­zu­brei­ten. Es wird auch wahr­lich unan­ge­nehm kör­per­lich, wenn Frenck sei­ne Nazi-Tat­toos erläu­tern, Bank drü­cken und alle nur erdenk­li­chen Nazi-T-Shirts wie auf einer Moden­schau prä­sen­tie­ren darf. Die Kame­ra fährt durch die Küche von Frencks Gast­haus, beob­ach­tet die Zube­rei­tung von Essen in der voll­ge­stell­ten, ekli­gen Küche und führt Post­an­ge­stell­te beim Abtrans­port von mas­sen­wei­se Ver­sand­stü­cken vor. Fas­sungs­los fragt man sich, wer das im Jah­re 2024 noch braucht, um den Schuss zu hören. Zumal Frenck rou­ti­niert die Insze­nie­rung sei­ner Per­son durch den allen­falls harm­los nach­fra­gen­den Fil­me­ma­cher nutzt, um unge­fil­tert und freund­lich lächelnd sei­ne haar­sträu­ben­de Ideo­lo­gie – natür­lich inklu­si­ve N‑Wort – in die Kame­ra zu spre­chen. Sicher kann sich Wein­hart auch nicht an Michel Fried­manns Inter­view mit dem fana­ti­schen Holo­caust-Leug­ner Horst Mahler 2010 erin­nert, wo Fried­mann dach­te, weiß Gott wie er den ver­bohr­ten Nazi da vor­ge­führt habe: Tat­sa­che bleibt, dass Mahler damals ent­spannt die Gele­gen­heit nutz­te, sei­ne Leug­nung der Sho­ah ein­mal mehr zu wiederholen.

Mit Maaßen on the road

Aber nicht genug damit: der Film hat einen wei­te­ren Prot­ago­nis­ten, näm­lich Hans-Georg Maa­ßen, den eins­ti­gen Chef des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz, den eine rechts­of­fe­ne CDU im Wahl­kreis Wahl­kreis Suhl/­Sch­mal­kal­den-Mei­nin­gen/Hild­burg­hau­sen/­Son­ne­berg (Son­ne­berg? Ja: Son­ne­berg!) 2021 als Bun­des­tags­kan­di­da­ten auf­stell­te. Als sol­cher tin­gelt er im Film durch Süd­thü­rin­gen und nimmt an aller­lei gna­den­los stumpf wir­ken­den Volks­bes­lus­ti­gun­gen teil und gibt sich mit sei­nem Null-Cha­ris­ma bür­ger­nah. Höhe­punkt die­ser Seg­men­te des Films ist eine Wan­de­rung, wel­che die eins­ti­ge Thü­rin­ger CDU-Minis­ter­prä­si­den­tin Chris­ti­ne Lie­ber­knecht orga­ni­siert hat und zu der sich selbst Lan­des­va­ter Bodo Rame­low von der Links­par­tei zu kom­men genö­tigt fühl­te. Gemein­sam stap­fen die Wan­ders­leut‘ durch die Land­schaft, lup­fen immer wie­der ein Schnäps­chen und stel­len in Wein­harts Vor­stel­lung wohl die Ver­kör­pe­rung der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Demo­kra­tie dar: Maa­ßen, Rame­low, Lie­ber­knecht und dazu noch der eins­ti­ge CDU-Innen­mi­nis­ter, Shrek Trautvetter.

Unverzeihlich

Dass Maa­ßen unter­des­sen mit sei­ner Wer­te­uni­on selbst aus dem Rah­men der CDU rechts aus dem Bild gekippt ist, küm­mert Wein­hart eben­so­we­nig wie die Gesamt­si­tua­ti­on in Thü­rin­gen, wo mit einem Wahl­sieg der AfD bei etwa 30 Pro­zent der Wäh­ler­stim­men und einem poli­ti­schen Desas­ter zu rech­nen ist. Thü­rin­gen – kennt Wein­hart die zahl­lo­sen Stich­wor­te, die Thü­rin­gen in Zei­ten der Faschi­sie­rung umrei­ßen, nicht: NSU, Ball­städt, Höcke, Hei­se, Fret­ter­ode usw. Wein­hart muss so besof­fen von sei­nem Mate­ri­al gewe­sen sein, dass er wohl dach­te, er wür­de nun mit die­sen Bil­dern unsterb­lich. Das mag man ihm viel­leicht noch ver­zei­hen, nicht aber sei­ne sträf­li­che Bana­li­sie­rung eines uner­träg­li­chen brau­nen Ist-Zustan­des. Und der offen­sicht­lich in die­ser Fra­ge schwer über­for­der­ten Jury des Dok.festes – des­sen Lei­ter Dani­el Spon­sel das unsäg­li­che Gespräch nach der Film­vor­füh­rung höchst­selbst mode­rier­te – auch nicht.