Dem Reichsbürger Johannes M. werden unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung vorgeworfen.
„Pädokriminelle Machenschaften“
Konkret heißt das, dass er Behörden, darunter Jugendämter, Polizei, Gerichte, und Ärzt*innen aufs übelste beschimpfte und sie durch Anrufe selbst terrorisierte oder von seinen Anhänger*innen — die er auf Telegram gewinnen konnte — terrorisieren ließ. Er bedrohte sie mit dem Tod und stellte ganz in Reichsbürger-Manier ihre Legitimation in Frage. Dabei verkündet er, die Bedrohten würden bald von US-amerikanischen Militärs auf Grundlage eines Dekrets von Donald Trump abgeurteilt und hingerichtet.
Seine Ideologie fußt dabei auf kruden Verschwörungsideologien, die stark antisemitisch durchsetzt sind. Er spricht von „Zionisten“, die die Welt beherrschten, leugnet die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und wittert in jeder Behörde „pädokriminelle Machenschaften“. Zudem ist er Anhänger der QAnon-Verschwörungsidee, die besagt, dass „Eliten“ Kinder in unterirdische Tunnelsysteme entführten und missbrauchten, um ihr Blut für Verjüngungssera zu nutzen.
Maskenzwang und Sorgerecht
Das könnte auch der Grund sein, weshalb er sich für zwei seiner Anhängerinnen eingesetzt hat. Als Jugendämter bei den beiden Müttern bei Frankfurt und in Weiden Kontrollen durchführten, weil sie ihre Kinder während der Pandemie wegen des Maskenzwangs nicht in die Schule schickten. Sie fürchteten um ihr Sorgerecht. Daraufhin kontaktierten sie Johannes M. Dieser erteilte den beiden Müttern telefonisch klare Anweisungen, was zu tun sei, und begann mit seinen „Terror-Telefonaten“ bei zuständigen Ämtern und der Polizei.
Er scheint außerdem ein ziemlich fanatischer Christ zu sein. Jedenfalls hält er auch im Gerichtssaal ausgedruckte Jesus- und andere Heiligenbilder in den Händen, betet mit ihnen und küsst sie sogar auf theatralische Weise während der Beweisaufnahme. Dabei kehrt er dem Gericht fast durchgehend den Rücken zu und hält stattdessen zwinkernd Augenkontakt mit seinen mehr als zwanzig Anhänger*innen, die regelmäßig im Zuschauer*innenraum sitzen.
Mit dem Rücken zum Gericht
Diese, sowie alle weiteren Zuschauer*innen und Journalist*innen müssen zunächst eine doppelte Durchsuchung über sich ergehen lassen, bevor sie in den in brutalistischem Stil gebauten Sitzungssaal eingelassen werden, der wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Auf Beobachter*innen wirkt Johannes M. selbstsicher. Er scherzt mit dem Publikum, unter ihnen auffällig viele Frauen. Sie sprechen ihm Mut zu, „bald habe er es geschafft“. Auch sie beten für ihn und rufen ihm Segenswünsche zu. Während der Verhandlung sucht er immer wieder den Blickkontakt und die Bestätigung seiner „Fans“. Er steht die gesamte Zeit mit dem Rücken zu den Richter*innen, setzt sich nie hin, bewegt sich fahrig und grinst in sich hinein.
Zu seinen beiden Pflichtverteidigern sucht er ebenfalls keinen Kontakt. Er bezeichnete sie sogar als „vermutlich pädokriminell“, lehnt ihre Unterstützung kategorisch als „illegal“ ab. Stattdessen fällt der Angeklagte ständig sämtlichen Prozessbeteiligten ins Wort und brüllt die immer gleichen Phrasen. Weil er dabei immer wieder den Senat, die Staatsanwältinnen und anwesende Polizei heftig beleidigt, hagelt es regelmäßig Ordnungsgelder bzw. Hafttage. Das Gericht inklusive des erfahrenen Vorsitzenden Richters wirkt dabei bisweilen etwas hilflos. Der Vorsitzende versucht die Vernehmungen trotz massiver Störungen so gut es geht sicher zu stellen. Vielleicht setzt M. beim Ordnungsgeld auf die Unterstützung seiner Fans – seine populäre Telegram-Gruppe hatte zwischenzeitlich über 50.000 Follower*innen und spendete reichlich. So aberwitzig und absurd seine Thesen auch sein mögen, die Zahl seiner Anhänger*innen zeigt, dass er und seine Ideologie durchaus Resonanz finden. Seine „Jünger*innen“ jedenfalls wirken wie eine eingespielte, vielleicht sogar befreundete Gruppe. Indem sie sich voll und ganz auf sein abstruses Denken und seine „Fangemeinde“, wie sie auch der Vorsitzende nennt, eingelassen haben, könnten sie sich möglicherweise sozial isoliert haben und immer weiter in den Bann des Gurus geraten sein, so jedenfalls wirken sie, ihre Weltsicht ist auf M. fokussiert und hermetisch gegen Einwände — zum Beispiel, dass seine Prophezeiungen noch nie eingetreten sind — abgeschirmt. „Ja, ich glaube das schon alles, was der Johannes sagt“, äußert dann auch eine von ihnen auf kritische Nachfragen.
Pandemie als Kipppunkt
Während der Covid-19-Pandemie rutschten so ganze Bevölkerungsgruppen in Verschwörungsglauben und damit auch oft in rechte Ideologien ab. Johannes M.s Drohungen gegenüber einer Kinderärzt*innenpraxis, die Corona-Impfungen anbot, sind da nur die Spitze des Eisbergs.
Mit den Anhänger*innen von Johannes M. kommt man schnell ins Gespräch: In einer Sitzungspause – die Kammer beschließt gerade ein weiteres Ordnungsgeld gegen den querulantischen Angeklagten– erzählt eine von ihnen, wie sie auf den Kanal des Angeklagten stieß: Zunächst sei sie darauf aufmerksam geworden, wie Bill Gates seine Mitarbeiter*innen behandle und hätte dann seine Verwicklung in die WHO und Vorhaben, Impfstoffe zu verteilen, kritisiert. Als Trump der WHO Teile der Unterstützung entzog, begann sie Vertrauen in dessen Politik zu fassen und sah sich Videos seiner Reden an. Der ihrer Meinung nach abschließende Schritt war es dann, ebenfalls Videos von Reichsbürger*innen zu konsumieren, deren Inhalte sie dann „schlüssig“ fand.
Kein klinischer Wahn
Eine forensisch-psychiatrische Sachverständige sagte vor Gericht aus, dass Johannes M. eventuell von Wahnvorstellungen betroffen sei, sie ihn aber zur abschließenden Beurteilung dessen nicht ausreichend kennengelernt habe. In zwei Einzelgesprächen, sprach der offenbar mehrmals davon, von Gott auserwählt zu sein, tatsächlich die biblische „Offenbarung des Johannes“ zu erfüllen. Diese Behauptung stellte Johannes M. vor Gericht heftig in Abrede: Er beleidigte die Sachverständige und alle weiteren Beteiligten, sodass der Sitzungstag deutlich in die Länge gezogen wurde und seine Ordnungsgelder weiter in die Höhe schossen. Vor allem ein weiterer Sachverständiger, sowie der vom Gericht bestellte psychiatrischer Gutachter betonten aber, dass die Grenze zwischen Ideologie und Wahn meist fließend verlaufe. Weil er seine Thesen immer mit realen Bezugspunkten verknüpfe, gäbe es keine Anhaltspunkte für einen ausgesprochenen klinischen Wahn. Diese Einschätzungen machen eine Einstufung des Angeklagten als schuldunfähig durch das Gericht sehr unrealistisch.
In den zurückliegenden Prozesstagen vor der Sommerpause werden M.s Fans immer unruhiger und aufmüpfiger, werden vom Vorsitzenden ermahnt und mit Räumung bedroht. Der Prozess dauert an. Ein Urteil wird zu Ende September erwartet.