Die Offenbarung des Johannes M. – weiterer Reichsbürgerprozess vor dem Landgericht München

Das Straf­jus­tiz­zen­trum in Mün­chen ist der­zeit Schau­platz von vier Reichsbürger*innen-Prozessen: Das Land­ge­richt ver­han­delt den Fall von Johan­nes Müller

Dem Reichs­bür­ger Johan­nes M. wer­den unter ande­rem die Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Belei­di­gung und Bedro­hung vorgeworfen.

Pädokriminelle Machenschaften“

Kon­kret heißt das, dass er Behör­den, dar­un­ter Jugend­äm­ter, Poli­zei, Gerich­te, und Ärzt*innen aufs übels­te beschimpf­te und sie durch Anru­fe selbst ter­ro­ri­sier­te oder von sei­nen Anhänger*innen — die er auf Tele­gram gewin­nen konn­te — ter­ro­ri­sie­ren ließ. Er bedroh­te sie mit dem Tod und stell­te ganz in Reichs­bür­ger-Manier ihre Legi­ti­ma­ti­on in Fra­ge. Dabei ver­kün­det er, die Bedroh­ten wür­den bald von US-ame­ri­ka­ni­schen Mili­tärs auf Grund­la­ge eines Dekrets von Donald Trump abge­ur­teilt und hingerichtet.

Sei­ne Ideo­lo­gie fußt dabei auf kru­den Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien, die stark anti­se­mi­tisch durch­setzt sind. Er spricht von „Zio­nis­ten“, die die Welt beherrsch­ten, leug­net die Exis­tenz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und wit­tert in jeder Behör­de „pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten“. Zudem ist er Anhän­ger der QAnon-Ver­schwö­rungs­idee, die besagt, dass „Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­sche Tun­nel­sys­te­me ent­führ­ten und miss­brauch­ten, um ihr Blut für Ver­jün­gungs­se­ra zu nutzen.

Maskenzwang und Sorgerecht

Das könn­te auch der Grund sein, wes­halb er sich für zwei sei­ner Anhän­ge­rin­nen ein­ge­setzt hat. Als Jugend­äm­ter bei den bei­den Müt­tern bei Frank­furt und in Wei­den Kon­trol­len durch­führ­ten, weil sie ihre Kin­der wäh­rend der Pan­de­mie wegen des Mas­ken­zwangs nicht in die Schu­le schick­ten. Sie fürch­te­ten um ihr Sor­ge­recht. Dar­auf­hin kon­tak­tier­ten sie Johan­nes M. Die­ser erteil­te den bei­den Müt­tern tele­fo­nisch kla­re Anwei­sun­gen, was zu tun sei, und begann mit sei­nen „Ter­ror-Tele­fo­na­ten“ bei zustän­di­gen Ämtern und der Polizei.

Er scheint außer­dem ein ziem­lich fana­ti­scher Christ zu sein. Jeden­falls hält er auch im Gerichts­saal aus­ge­druck­te Jesus- und ande­re Hei­li­gen­bil­der in den Hän­den, betet mit ihnen und küsst sie sogar auf thea­tra­li­sche Wei­se wäh­rend der Beweis­auf­nah­me. Dabei kehrt er dem Gericht fast durch­ge­hend den Rücken zu und hält statt­des­sen zwin­kernd Augen­kon­takt mit sei­nen mehr als zwan­zig Anhänger*innen, die regel­mä­ßig im Zuschauer*innenraum sitzen.

Mit dem Rücken zum Gericht

Die­se, sowie alle wei­te­ren Zuschauer*innen und Journalist*innen müs­sen zunächst eine dop­pel­te Durch­su­chung über sich erge­hen las­sen, bevor sie in den in bru­ta­lis­ti­schem Stil gebau­ten Sit­zungs­saal ein­ge­las­sen wer­den, der wie aus der Zeit gefal­len wirkt.

Auf Beobachter*innen wirkt Johan­nes M. selbst­si­cher. Er scherzt mit dem Publi­kum, unter ihnen auf­fäl­lig vie­le Frau­en. Sie spre­chen ihm Mut zu, „bald habe er es geschafft“. Auch sie beten für ihn und rufen ihm Segens­wün­sche zu. Wäh­rend der Ver­hand­lung sucht er immer wie­der den Blick­kon­takt und die Bestä­ti­gung sei­ner „Fans“. Er steht die gesam­te Zeit mit dem Rücken zu den Richter*innen, setzt sich nie hin, bewegt sich fah­rig und grinst in sich hinein.

Zu sei­nen bei­den Pflicht­ver­tei­di­gern sucht er eben­falls kei­nen Kon­takt. Er bezeich­ne­te sie sogar als „ver­mut­lich pädo­kri­mi­nell“, lehnt ihre Unter­stüt­zung kate­go­risch als „ille­gal“ ab. Statt­des­sen fällt der Ange­klag­te stän­dig sämt­li­chen Pro­zess­be­tei­lig­ten ins Wort und brüllt die immer glei­chen Phra­sen. Weil er dabei immer wie­der den Senat, die Staats­an­wäl­tin­nen und anwe­sen­de Poli­zei hef­tig belei­digt, hagelt es regel­mä­ßig Ord­nungs­gel­der bzw. Haft­ta­ge. Das Gericht inklu­si­ve des erfah­re­nen Vor­sit­zen­den Rich­ters wirkt dabei bis­wei­len etwas hilf­los. Der Vor­sit­zen­de ver­sucht die Ver­neh­mun­gen trotz mas­si­ver Stö­run­gen so gut es geht sicher zu stel­len. Viel­leicht setzt M. beim Ord­nungs­geld auf die Unter­stüt­zung sei­ner Fans – sei­ne popu­lä­re Tele­gram-Grup­pe hat­te zwi­schen­zeit­lich über 50.000 Follower*innen und spen­de­te reich­lich. So aber­wit­zig und absurd sei­ne The­sen auch sein mögen, die Zahl sei­ner Anhänger*innen zeigt, dass er und sei­ne Ideo­lo­gie durch­aus Reso­nanz fin­den. Sei­ne „Jünger*innen“ jeden­falls wir­ken wie eine ein­ge­spiel­te, viel­leicht sogar befreun­de­te Grup­pe. Indem sie sich voll und ganz auf sein abstru­ses Den­ken und sei­ne „Fan­ge­mein­de“, wie sie auch der Vor­sit­zen­de nennt, ein­ge­las­sen haben, könn­ten sie sich mög­li­cher­wei­se  sozi­al iso­liert haben und immer wei­ter in den Bann des Gurus gera­ten sein, so jeden­falls wir­ken sie, ihre Welt­sicht ist auf M. fokus­siert und her­me­tisch gegen Ein­wän­de — zum Bei­spiel, dass sei­ne Pro­phe­zei­un­gen noch nie ein­ge­tre­ten sind — abge­schirmt. „Ja, ich glau­be das schon alles, was der Johan­nes sagt“, äußert dann auch eine von ihnen auf kri­ti­sche Nachfragen.

Pandemie als Kipppunkt

Wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie rutsch­ten so gan­ze Bevöl­ke­rungs­grup­pen in Ver­schwö­rungs­glau­ben und damit auch oft in rech­te Ideo­lo­gien ab. Johan­nes M.s Dro­hun­gen gegen­über einer Kinderärzt*innenpraxis, die Coro­na-Imp­fun­gen anbot, sind da nur die Spit­ze des Eisbergs.

Mit den Anhänger*innen von Johan­nes M. kommt man schnell ins Gespräch: In einer Sit­zungs­pau­se – die Kam­mer beschließt gera­de ein wei­te­res Ord­nungs­geld gegen den que­ru­lan­ti­schen Ange­klag­ten– erzählt eine von ihnen, wie sie auf den Kanal des Ange­klag­ten stieß: Zunächst sei sie dar­auf auf­merk­sam gewor­den, wie Bill Gates sei­ne Mitarbeiter*innen behand­le und hät­te dann sei­ne Ver­wick­lung in die WHO und Vor­ha­ben, Impf­stof­fe zu ver­tei­len, kri­ti­siert. Als Trump der WHO Tei­le der Unter­stüt­zung ent­zog, begann sie Ver­trau­en in des­sen Poli­tik zu fas­sen und sah sich Vide­os sei­ner Reden an. Der ihrer Mei­nung nach abschlie­ßen­de Schritt war es dann, eben­falls Vide­os von Reichsbürger*innen zu kon­su­mie­ren, deren Inhal­te sie dann „schlüs­sig“ fand.

Kein klinischer Wahn

Eine foren­sisch-psych­ia­tri­sche Sach­ver­stän­di­ge sag­te vor Gericht aus, dass Johan­nes M. even­tu­ell von Wahn­vor­stel­lun­gen betrof­fen sei, sie ihn aber zur abschlie­ßen­den Beur­tei­lung des­sen nicht aus­rei­chend ken­nen­ge­lernt habe. In zwei Ein­zel­ge­sprä­chen, sprach der offen­bar mehr­mals davon, von Gott aus­er­wählt zu sein, tat­säch­lich die bibli­sche „Offen­ba­rung des Johan­nes“ zu erfül­len. Die­se Behaup­tung stell­te Johan­nes M. vor Gericht hef­tig in Abre­de: Er belei­dig­te die Sach­ver­stän­di­ge und alle wei­te­ren Betei­lig­ten, sodass der Sit­zungs­tag deut­lich in die Län­ge gezo­gen wur­de und sei­ne Ord­nungs­gel­der wei­ter in die Höhe schos­sen. Vor allem ein wei­te­rer Sach­ver­stän­di­ger, sowie der vom Gericht bestell­te psych­ia­tri­scher Gut­ach­ter beton­ten aber, dass die Gren­ze zwi­schen Ideo­lo­gie und Wahn meist flie­ßend  ver­lau­fe. Weil er sei­ne The­sen immer mit rea­len Bezugs­punk­ten ver­knüp­fe, gäbe es kei­ne Anhalts­punk­te für einen aus­ge­spro­che­nen kli­ni­schen Wahn. Die­se Ein­schät­zun­gen machen eine Ein­stu­fung des Ange­klag­ten als schuld­un­fä­hig durch das Gericht sehr unrealistisch.

In den zurück­lie­gen­den Pro­zess­ta­gen vor der Som­mer­pau­se wer­den M.s Fans immer unru­hi­ger und auf­müp­fi­ger, wer­den vom Vor­sit­zen­den ermahnt und mit Räu­mung bedroht. Der Pro­zess dau­ert an. Ein Urteil wird zu Ende Sep­tem­ber erwartet.

Horoskope für den Umsturz: „Chef-Astrologin“ sagt im Reuß-Verfahren aus

Bun­des­an­walt Loh­se am Eröff­nungs­tag des Pro­zes­ses am 18. Juni vor dem Gerichts­ge­bäu­de in der Nym­phen­bur­ger Str. in München.

Hil­de­gard L. hat schon vie­les erlebt: Sie hat zwei Mal ein Stu­di­um abge­schlos­sen, arbei­te­te als Elek­tro­in­ge­nieu­rin, als Leh­re­rin in einer Berufs­schu­le, Unter­neh­me­rin, Pro­gram­mie­re­rin und zuletzt als Astro­lo­gin und Mit­ar­bei­te­rin einer AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten. Außer­dem hat sie zwei Mal gehei­ra­tet und in zwei­ter Ehe zwei Kin­der bekom­men. Wes­halb sie für den nächs­ten Lebens­ab­schnitt den Weg einer mut­maß­li­chen Rechts­ter­ro­ris­tin wähl­te und in Fol­ge des­sen seit über andert­halb Jah­ren in Unter­su­chungs­haft sitzt, ver­sucht der Staats­schutz­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen aktu­ell herauszufinden.

Eltern waren Impfgegner*innen

Ihr wird vor­ge­wor­fen gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Hein­rich XIII. Reuß den mili­tä­ri­schen Sturz der Bun­des­re­gie­rung und den Auf­bau eines Rats als Putsch­re­gie­rung geplant zu haben — oder zumin­dest mit­wis­send gewe­sen zu sein. L. ent­schei­det sich als ers­te der acht in Mün­chen ange­klag­ten Per­so­nen aus­zu­sa­gen und legt ein umfang­rei­ches, bis­wei­len lang­at­mi­ges Teil­ge­ständ­nis ab.
Zunächst brei­tet sie im Schne­cken­tem­po, sehr aus­führ­lich und über andert­halb Pro­zess­ta­ge hin­weg, ihren Lebens­lauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hät­ten kei­nes ihrer Kin­der imp­fen las­sen. Trotz­dem hät­ten sie sich nie mit Kin­der­krank­hei­ten ange­steckt, behaup­tet sie. Ansons­ten klingt ihre Vita zunächst unauf­fäl­lig: L. berich­tet auch über Fami­li­en­zer­würf­nis­se und beruf­li­che Hochs und Tiefs.

Rote Seidenunterwäsche

An einem gewis­sen Punkt der Ver­le­sung ihrer Aus­sa­ge wer­den ihre Erzäh­lun­gen aller­dings eso­te­risch Nach dem Kon­takt zu einer Astro­lo­gin und einem Medi­um, beginnt sie an deren Vor­aus­sa­gen zu glau­ben. Sie arbei­tet ein paar Jah­re spä­ter schließ­lich selbst als Astro­lo­gin und Kar­ten­le­ge­rin, grün­det sogar einen Ver­lag dafür und gibt regel­mä­ßig Semi­na­re. Ihr Inter­es­se, bezie­hungs­wei­se ihre Diens­te bezeich­net sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.

Zwi­schen­zeit­lich glaubt sie nicht nur, die Erkran­kun­gen von Men­schen sehen, son­dern die­se auch selbst lin­dern zu kön­nen. Auf einem Semi­nar habe sie eine für sie ele­men­ta­re Weis­heit erfah­ren: Um ihre Lebens­en­er­gie zu schüt­zen, wür­de ihr emp­foh­len, möge sie ent­we­der Chak­ren-Stei­ne kau­fen oder Sei­den­un­ter­wä­sche tra­gen. Am bes­ten rote, vier Zen­ti­me­ter unter­halb des Bauch­na­bels anset­zend. Wäh­rend sich im Gericht dar­auf­hin offen­bar eini­ge das Lachen ver­knei­fen müs­sen oder pein­lich berührt sind, erzählt L. von die­sem absur­den Ereig­nis wie von jedem ande­ren. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustim­mung erhei­schend die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Illi­ni an.

Überfall auf Bundestag geplant

In fol­gen­den Pro­zess­ta­gen äußert sich L. aber schließ­lich auch zur Ankla­ge und beant­wor­tet umfas­send Fra­gen zu ihrer Ein­las­sung: Sie habe von dem Mit­an­ge­klag­ten und Freund Tho­mas T. von der Grup­pe gehört, sie hät­ten vor allem über Coro­na-Maß­nah­men für Kin­der gere­det, die­se ver­hin­dern wol­len. Bei anschlie­ßen­den Sit­zun­gen des Rats, der über die Umsturz­re­gie­rung ent­schei­den soll­te, wären sie und T. zwar dabei gewe­sen, hät­ten aller­dings nur als Beobachter*innen tätig wer­den dür­fen. Von Schieß­trai­nings hät­te sie zwar gewusst, von den Plä­nen zum bewaff­ne­ten Über­fall auf den Bun­des­tag durch ehe­ma­li­ge KSK-Sol­da­ten aller­dings erst sehr spät erfahren.

Gera­de das zwei­felt die Bun­des­an­walt­schaft aller­dings an. Die­se kon­fron­tiert L. mit Chat­ver­läu­fen mit der ehe­ma­li­gen AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mal­sack-Win­ke­mann. So schreibt L. nach einem Schieß­trai­ning der Reichsbürger*innen: „Die wür­den doch kein Trai­ning machen, wenn da nix lau­fen wür­de“, und bestä­tigt ihr, dass „es nicht mehr lan­ge dau­ern wür­de“. Es sei laut Bun­des­an­walt­schaft also nahe­lie­gend, dass L. zu die­sem Zeit­punkt durch­aus über den Putsch­plan Bescheid wuss­te. Laut L.s Ein­las­sung sei sie zu die­sem Zeit­punkt aller­dings noch unwis­send gewesen.

Birgit-Beruhigungsaktionen“

Ein wei­te­rer Chat­ver­lauf nach dem ers­ten Rats­tref­fen zei­ge außer­dem, so die BAW, dass L. Mal­sack-Win­ke­mann auf deren Fra­ge, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geant­wor­tet habe. Zuvor beteu­er­te L., dass bei die­sem Tref­fen noch kei­ne per­so­nel­len Ent­schei­dun­gen getrof­fen wor­den sei­en und sie auch nicht in die­se mit­ein­be­zo­gen wor­den sei.

Die Kon­fron­ta­ti­on mit den Chats ver­un­si­chert L. im Gericht: Sie kann die Fra­ge nur aus­wei­chend beant­wor­ten. L. sagt, ihre Auf­ga­be wäre es gewe­sen Mal­sack-Win­ke­mann zu beru­hi­gen, für die sie schon wäh­rend ihres Bun­des­tags- Man­dats gear­bei­tet habe. Sie nennt die­se „typi­sche Birgit-Beruhigungsaktionen“.

Verschwiegenheit bei Strafe des Todes

Die Ver­schwie­gen­heits­er­klä­rung, die L. zum zwei­ten Rats­tref­fen unter­schrei­ben muss­te, nahm L. offen­bar nicht son­der­lich ernst — auch wenn Zuwi­der­hand­lun­gen mit der Todes­stra­fe geahn­det wer­den soll­ten. Kund*innen erzähl­te die Astro­lo­gin von den Tref­fen und Inhal­ten. Das Gespräch mit einer ihrer Kli­en­tin­nen ließ die mit­hö­ren­de Poli­zei beson­ders auf­hor­chen: L. erzähl­te, dass Lis­ten über sys­tem­kon­for­me Per­so­nen ange­legt wer­den müss­ten, und plau­der­te aus, dass eine „Alli­anz“, bestehend aus ver­schie­de­nen Mili­tärs und Geheim­diens­ten bald ein­grei­fen würde.

L.s zwei Ver­tei­di­ger, die sich auf­grund der hohen Anzahl von Ange­klag­ten in die eine Ecke der hin­ters­ten Ankla­ge­bank quet­schen müs­sen, schei­nen teil­wei­se nicht ganz mit ihren Ant­wor­ten zufrie­den zu sein. Sie bit­ten um eine Pau­se, ver­mut­lich um auf Man­dan­tin ein­zu­wir­ken und ihrem Gedächt­nis hin und wie­der auf die Sprün­ge zu helfen.

Ist die Angeklagte L. dement?

Der Anwalt eines wei­te­ren Ange­klag­ten ver­sucht durch die For­de­rung nach einem psych­ia­tri­schen Gut­ach­ten sogar L.s gesam­te Aus­sa­ge anzu­zwei­feln. Er sei der Mei­nung, L. lei­de an einer Demenz und kön­ne nicht wei­ter aus­sa­gen, sag­te er.

Wes­halb L. sich zu der Ankla­ge­schrift äußert, wäh­rend bei­spiels­wei­se Tho­mas T. bereits durch sei­ne Anwält*innen bekannt gege­ben hat, dass er schwei­gen wird, bleibt nur zu ver­mu­ten. Bei der Schwe­re der Vor­wür­fe kann aber ange­nom­men wer­den, dass L. und ihre Ver­tei­di­gung even­tu­ell auf ein mil­de­res Urteil und damit eine kür­ze­re Haft­stra­fe spekulieren.

Terminiert bis Juli 2025

Wei­te­re Fra­gen ver­schie­de­ner Verteidiger*innen und Unter­bre­chun­gen zu ihrer Beant­wor­tung zie­hen das Ver­fah­ren bis­wei­len in die Län­ge. Die Anwäl­te von L. bit­ten im Gericht dar­um, dass die ande­ren Verteidiger*innen ihre Fra­gen bis Ende Juli stel­len mögen, um im August die Ver­neh­mung von L. abschlie­ßen zu können.

Der ursprüng­lich bis Janu­ar 2025 ter­mi­nier­te Pro­zess ist kürz­lich bereits bis Juli 2025 ver­län­gert worden.

OEZ-Anschlag: An ihre Namen und ihre Leben erinnern

Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon gab einen Soli-Gig im Rah­men des „Mün­chen erinnern!“-Gedenkens auf der klei­nen Büh­ne im Mün­che­ner „Import-Export“

We will shi­ne for the­se nine“ — So lau­tet das Mot­to des Bünd­nis­ses „Mün­chen erin­nern!“ zum dies­jäh­ri­gen Geden­ken an das rechts­ter­ro­ris­ti­sche Atten­tat im Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) vor genau acht Jah­ren, am 22. Juli 2016. Acht Jugend­li­che und eine Erwach­se­ne, ihre Namen ste­hen im Zen­trum des Erin­nerns: Arme­la, Can, Dija­mant, Gui­lia­no, Hüsey­in, Rober­to, Sabi­ne, Sel­çuk und Sev­da, ver­lo­ren ihr Leben bei dem Anschlag im Juli 2016 im OEZ. Erst vie­le Jah­re und etli­che Gut­ach­ten spä­ter war es offi­zi­ell: Es war kein „Amok­lauf“, wie die Medi­en die Tat all die Jah­re fram­ten, son­dern ein rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlag. Seit­dem kämp­fen Ange­hö­ri­ge dar­um gehört zu werden.

Apsilon zollt Respekt

Am Wochen­en­de gedach­ten etli­che Hun­dert Men­schen der Ermor­de­ten bereits bei einem Kon­zert, einem Podi­um und einer Lesung. Vie­le Bei­trä­ge auf den Büh­nen beton­ten, dass Ras­sis­mus ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem sei. Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon zeig­te sich berührt davon, zum Geden­ken ein­ge­la­den wor­den zu sein, und erzähl­te auf der klei­nen Musik­büh­ne und in sei­nen Song­tex­ten von Ras­sis­mus-Erfah­run­gen seit sei­ner Kindheit.

Dring­li­cher Tenor der Ver­an­stal­tung war es, dass sich eben auch und vor allem Nicht-Betrof­fe­ne von Ras­sis­mus soli­da­risch ver­hal­ten soll­ten. Es sei auch ihre Auf­ga­be, auf die Gefahr ras­sis­ti­scher Ideo­lo­gie und Gewalt hin­zu­wei­sen und die Opfer nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu lassen.

Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24

Am eigent­li­chen Gedenk­tag, dem Mon­tag, 22. Juli, ver­sam­mel­ten sich abends Ange­hö­ri­ge der Opfer, vie­le Unterstützer*innen und Trau­ern­de am Ort des Anschlags vor dem OEZ. Es waren Lie­der zu hören, die die Getö­te­ten ger­ne gehört haben oder sol­che, mit denen Freund*innen und die Fami­li­en an sie erinnerten.
Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24/caption]

Schmerz des Vermissens

Ober­bür­ger­meis­ter Die­ter Rei­ter ver­wies dar­auf, dass Mün­chen die Stadt mit den meis­ten rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen in Nach­kriegs­deutsch­land sei. Auch er beton­te die Wich­tig­keit, auf die Wün­sche der Ange­hö­ri­gen ein­zu­ge­hen und sprach von Mün­chen als „bun­ter und demo­kra­ti­scher Stadt“.

Nach dem Stadt­ober­haupt spra­chen die Ange­hö­ri­ge der Getö­te­ten: Dabei erzähl­ten sie nicht nur von dem Leben ihrer ver­lo­re­nen Kin­der und Geschwis­ter und der ermor­de­ten Mut­ter und Ehe­frau, son­dern vom Gefühl des Ver­mis­sens. Eine der Ange­hö­ri­gen for­der­te zudem mehr Auf­klä­rung über das Vor­ge­hen der Poli­zei und Behör­den zum Tat­zeit­punkt. Sie äußer­te deut­li­che Kri­tik am Umgang mit dem Anschlag und sei­ner Ein­stu­fung als Amok­lauf durch den baye­ri­schen Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann. Eine wei­te­re Ange­hö­ri­ge äußer­te ihre tie­fe Sor­ge über die zuneh­men­de Macht der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Par­tei AfD.

Zum Zeit­punkt des Atten­tats ver­sam­mel­ten sich Freund*innen und Fami­li­en an dem für die Ver­stor­be­nen errich­te­ten Denk­mal und lie­ßen Luft­bal­lons auf­stei­gen. In einer Schwei­ge­mi­nu­te gedach­ten alle Anwe­sen­den der getö­te­ten Menschen.

Der Täter mag allei­ne geschos­sen haben – den­noch steht der Anschlag in Mün­chen nicht ver­ein­zelt im Raum, son­dern ist nur ein Bei­spiel für ras­sis­ti­sche Mor­de in Deutsch­land. Das Atten­tat in Hanau, der anti­se­mi­ti­sche Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le, die Ermor­dung des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Walt­her Lüb­cke, aber auch der jüngs­te Brand­an­schlag auf eine Fami­lie in Solin­gen, zahl­rei­che bren­nen­de Unter­künf­te für Geflüch­te­te oder der von der Poli­zei getö­te­te Mou­ha­med Lami­ne Dra­mé sind nur eini­ge Bei­spie­le, bei denen Men­schen auf­grund einer ras­sis­tisch-natio­na­lis­ti­schen Ideo­lo­gie der Täter ihr Leben verloren.

Netzwerk der Betroffenen

Die­se schreck­li­chen Taten zu ver­knüp­fen und zusam­men zu sehen, ist für die Ange­hö­ri­gen wich­tig. Die Ver­wand­ten und Freund*innen der Opfer ras­sis­ti­scher Mor­de in ver­schie­de­nen Städ­ten Deutsch­lands sind inzwi­schen gut ver­netzt und besu­chen sich gegen­sei­tig bei Gedenk­ver­an­stal­tun­gen, war wäh­rend der Gedenk­ver­an­stal­tung zu hören. Die Ange­hö­ri­gen aus Mün­chen ver­si­cher­ten, dass ihnen das Gefühl, mit ihrer Trau­er und Wut nicht allei­ne zu sein, Kraft gebe.

Tell their stories

Unter den Anwe­sen­den wur­de das Heft­chen „Tell their Sto­ries“ ver­teilt. In dem berüh­ren­den Book­let ver­öf­fent­li­chen Ange­hö­ri­ge etli­cher der Ermor­de­ten Bil­der, Gedich­te, Erin­ne­run­gen und Geschich­ten aus dem Leben der Opfer. Die Bot­schaft auch hier: Nicht nur die Namen der Getö­te­ten dür­fen nie­mals in Ver­ges­sen­heit gera­ten – auch ihre Geschich­ten müs­sen gehört werden!

Buchpräsentation: Mutmacher Semsrott

Es gibt kei­ne Ent­schul­di­gung dafür, die AfD zu wäh­len!“ So ant­wor­te­te Arne Sems­rott bei der Pre­mie­ren­prä­sen­ta­ti­on sei­nes Buches „Macht­über­nah­me“ in Nürn­berg Anfang Juni auf die Fra­ge eines Zuschau­ers, der wis­se woll­te, ob es nicht viel­leicht mehr Ver­ständ­nis für AfD-Wähler*innen bräuchte.

Vor etwa 100 Zuschauer*innen las Sems­rott in der Vil­la Leon in Nürn­berg und koket­tier­te auf char­man­te Art mit die­ser Pre­mie­ren­si­tua­ti­on. In dem Buch geht es dar­um, was pas­siert, wenn die AfD auf Bun­des­ebe­ne an der Regie­rung betei­ligt wird. Und vor allem dar­um, wie die Tei­le der Gesell­schaft, die noch an demo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen inte­re­siert sind, sich dage­gen weh­ren können.

Bröckelnde Brandmauer

Sems­rott ist der Mei­nung, dass eine Regie­rungs­be­tei­li­gung der AfD durch­aus rea­lis­tisch ist und dass die „Brand­mau­er“ fal­len kann, die bis­her die bür­ger­li­chen Par­tei­en von einer Zusam­men­ar­beit mit der AfD abhält. Auf regio­na­ler und kom­mu­na­ler Ebe­ne ist die­se Brand­mau­er vie­ler­orts bereits weit­ge­hend abgetragen.

Das Sze­na­rio im Buch macht außer­dem deut­lich, wel­che Mög­lich­kei­ten die AfD bereits hat, wenn sie sich im Rah­men der bereits bestehen­den Geset­ze bewegt, um ihre völ­kisch-natio­na­lis­ti­sche Ideo­lo­gie durch­zu­set­zen. Auch ohne eine Ände­rung des Grund­ge­set­zes oder ande­rer weit­rei­chen­der Rechts­stan­dards kann die AfD reich­lich Scha­den anrich­ten. In Ost­deutsch­land, wo sie in Umfra­gen bereits zwi­schen 25 und 40 Pro­zent ran­giert, tut sie das schon. Etwa indem sie auf bestimm­ten Pos­ten in Ver­wal­tung, Medi­en, Poli­zei und Behör­den nur „gesin­nungs­treue“ Anhänger*innen durch­zu­set­zen ver­sucht. Die reak­tio­nä­re Poli­tik tref­fe, so Sems­rott, vor allem mar­gi­na­li­sier­te Grup­pen wie migran­ti­sche oder que­e­re Men­schen. Mas­sen­haf­te Abschie­bun­gen nach völ­ki­schen Kri­te­ri­en – Stich­wort „Remi­gra­ti­on“ – könn­ten bald schon an der Tages­ord­nung sein. Die bür­ger­li­chen Par­tei­en, so möch­te man Sems­rott bei­pflich­ten, über­schla­gen sich ja der­zeit in vor­aus­ei­len­dem Gehorsam.

Sondervermögen Demokratie

Aller­dings sagt er auch: „Es ist nie zu spät!“ Selbst wenn die AfD regiert, gibt es jede Men­ge For­men des Wider­stands. Dabei dis­ku­tiert er bei­spiels­wei­se ein Son­der­ver­mö­gen für Demo­kra­tie, was ähn­lich wie das für die Bun­des­wehr auf­ge­baut sein könn­te. Sems­rott pro­pa­giert, was er „soli­da­ri­sches Prep­ping“ nennt – also die akti­ve Vor­be­rei­tung von Gemein­schaf­ten auf schlech­te (poli­ti­sche) Zei­ten, in denen die Men­schen im Ernst­fall für­ein­an­der ein­ste­hen oder sich in Selbst­ver­tei­di­gung üben kön­nen. Ziel kann es dabei auch sein, sagt Sems­rott, „safe spaces“ für beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Grup­pen zu schaffen.

Der Mit­grün­der der Infor­ma­ti­ons­frei­heits-NGO „#Frag­den­staat“ tritt außer­dem aktiv für ein AfD-Ver­bot ein und erklärt, es sei sinn­voll zu pro­tes­tie­ren, zu stö­ren und – zum Bei­spiel in Behör­den durch „Dienst nach Vor­schrift“ zu strei­ken und men­schen­ver­ach­ten­de Poli­tik zu blo­ckie­ren. Politiker*innen der Par­tei soll­ten sei­ner Ansicht nach auch deut­lich sel­te­ner eine Büh­ne in Talk­shows und öffent­li­chen Events gebo­ten wer­den. Statt­des­sen setzt er auf inves­ti­ga­ti­ve Recher­chen zu rech­ten Struk­tu­ren bis hin zu Hack­ing-Angrif­fen, um bri­san­te Infor­ma­tio­nen zugäng­lich zu machen.

AfD: Unbedeutende Splitterpartei?

Der 36-jäh­ri­ge Ber­li­ner berich­tet außer­dem von der Platt­form „Frag den Staat“, die es Bürger*innen leich­ter machen soll, Anfra­gen an Regie­rung, Ver­wal­tung und Behör­den, kurz: den Staat, zu rich­ten. So konn­te sein Team bei­spiels­wei­se die Her­aus­ga­be von Tei­len der NSU-Akten gericht­lich erzwin­gen. Außer­dem schuf die NGO mit dem „Frei­heits­fond“ eine Mög­lich­keit, sozi­al schwä­che­re Betrof­fe­ne aus dem Gefäng­nis frei­zu­kau­fen, wenn sie Ersatz­haft wegen Fah­rens ohne Fahr­kar­te absit­zen müs­sen. Auf gera­de­zu gro­tes­ke Wei­se ent­las­tet die­se Initia­ti­ve sogar Gefäng­nis­se und spart Steu­er­gel­der ein.

Auch das Publi­kums­ge­spräch im Anschluss geriet zu einem span­nen­den Mei­nungs­aus­tausch. Sems­rott hat eine leicht selbst­iro­ni­sche, ruhi­ge und bedach­te Art auf sein Publi­kum ein­zu­ge­hen. Das kommt gut an und auch kri­ti­sche Anmer­kun­gen zum Gesag­ten oder kur­ze abschwei­fen­de State­ments sind willkommen.

Aus einem Neben­saal hat­ten sich auch eini­ge weni­ge „Freidenker*innen“ in die Buch­vor­stel­lung ver­irrt und woll­ten lie­ber über die ver­meint­li­che Dis­kri­mi­nie­rung Russ­lands spre­chen. Ein wei­te­rer Mit­dis­ku­tant bezeich­ne­te die AfD als „unbe­deu­ten­de Split­ter­par­tei“, um die mit dem Buch viel zu gro­ßes Auf­he­bens gemacht wer­de: Die Men­schen hät­ten ande­re Sor­gen. Sems­rott wies das zurück und beschrieb ein­mal mehr, wie schnell die AfD noch gefähr­li­cher und mäch­ti­ger wer­den kön­ne. Die Euro­pa­wahl­er­geb­nis­se, bei der die AfD 15,9 Pro­zent erziel­te, bezeich­ne­te er als Alarmzeichen.

Dienst nach Vorschrift“ als Streikform

Meh­re­re Wort­mel­dun­gen mach­ten deut­lich, dass die Angst vor einer Macht­über­nah­me von rechts vie­le Men­schen umtreibt und in die Lesung zog. Eini­ge Per­so­nen frag­ten, was sie jetzt per­sön­lich tun könn­ten. Der Autor erzählt, wie er nach den Euro­pa-Wahl­er­geb­nis­sen nie­der­ge­schla­gen war, dem aller­dings nicht nach­ge­ben woll­te. Am sel­ben Abend noch kon­tak­tier­te er Bekann­te, die von einer Zuspit­zung rech­ter Poli­tik am stärks­ten betrof­fen sein wür­den, um zu zei­gen, dass er an sie den­ke und für sie ein­ste­hen werde.

Einer Leh­re­rin im Publi­kum war die Sor­ge anzu­se­hen, dass sie in Zukunft dazu gezwun­gen wer­den könn­te, Inhal­te zu unter­rich­ten, die sie für mora­lisch ver­werf­lich hält. Sie und eine wei­te­re Beam­tin fühl­ten sich vor allem von den Tei­len von Sems­rotts Vor­trag ange­spro­chen, in dem die beson­de­re Rol­le und Ver­ant­wor­tung von Staats­be­diens­te­ten her­vor­ge­ho­ben wur­de. Hier sieht Sems­rott einen wirk­mäch­ti­gen Ansatz, Miss­stän­de in Behör­den anzu­spre­chen und ein Kip­pen der jewei­li­gen Insti­tu­ti­on nach rechts zu verhindern.

In den Kampf gegen Rechts einsteigen

Das Fazit vie­ler Besucher*innen war, dass das Buch eine Rea­li­tät skiz­ziert, die beun­ru­hi­gend nah scheint. Gera­de nach den Groß­de­mos im Janu­ar, bei denen teils Hun­dert­tau­sen­de Men­schen gegen Plä­ne der extre­men Rech­ten für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen auf die Stra­ße gegan­gen waren, mache das Buch Mut wei­ter­zu­ma­chen, in den Kampf gegen rechts ein­zu­stei­gen und nicht nachzulassen.

Münchener Reuß-Prozess: Zwischen Astrologie und Waffendepots

Die Akus­tik-Ele­men­te im alten NSU-Gerichts­saal A 101 im Straf­jus­tiz­zen­trum Mün­chen, in dem das drit­te Reuß-Ver­fah­ren nun ver­han­delt wird

Sie woll­ten den Staat stür­zen und bau­ten einen mili­tä­ri­schen Arm für einen gewalt­sa­men Sturm auf den Bun­des­tag auf: So lässt sich die Ankla­ge der Bun­des­an­walt­schaft (BAW) gegen die acht in Mün­chen vor dem Ober­lan­des­ge­richt (OLG) ange­klag­ten Mit­glie­der der Reichs­bür­ger­grup­pe um Prinz Hein­rich XIII Reuß zusammenfassen.

Hochverrat und Staatsgefährdung

In Frank­furt und Stutt­gart wird schon seit eini­gen Wochen der Pro­zess gegen 18 wei­te­re Mit­glie­der die­ser Grup­pe – in Frank­furt Prinz Reuß auch per­sön­lich – eröff­net. Unter den Ange­klag­ten gro­ße Tei­le der poli­ti­schen Füh­rungs­rie­ge der Verschwörer*innen und des mili­tä­ri­schen Arms, den so genann­ten Hei­mat­schutz­kom­pa­nien (HSK). Neben hoch­ver­rä­te­ri­schen Absich­ten und der Vor­be­rei­tung staats­ge­fähr­den­der schwe­rer Straf­ta­ten wird ihnen die Grün­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung vorgeworfen.

Als nun in Mün­chen die 8 Ange­klag­ten vor­ge­führt wur­den, hielt sich aller­dings das öffent­li­che und media­le Inter­es­se in Gren­zen – ver­gli­chen zumal mit dem Pro­mi-Ver­fah­ren in Frank­furt, wo Reuß selbst, aber auch die eins­ti­ge AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Ex-Rich­te­rin Mal­sack-Win­ke­mann und die bei­den ehe­ma­li­gen hohen Bun­des­wehr-Offi­zie­re von Pes­ca­to­re und Eder vor Gericht stehen.
Der erwar­te­te Andrang wie zu Zei­ten des NSU-Pro­zes­ses blieb in Mün­chen aus. Die­ser hat­te damals im sel­ben Gerichts­saal A 101 statt­ge­fun­den und zumin­dest eini­ge der Gesich­ter unter den Journalist*innen und Verteidiger*innen von damals waren wie­der dabei.

Die Besucher*innen wur­den nicht nur durch ein gro­ßes Poli­zei­auf­ge­bot im Saal, inklu­si­ve Absper­run­gen und gründ­li­cher Durch­su­chun­gen ein­ge­schüch­tert. Sie muss­ten außer­dem sämt­li­che Taschen, tech­ni­schen Gerä­te und Trink­fla­schen abge­ben. Auch die kah­len Beton­wän­de des gro­ßen Saa­les wirk­ten durch­aus erdrückend.

Croissants und Handyverbot

Ich wer­de selbst­ver­ständ­lich jeden Tag Crois­sants mit­brin­gen“ scherz­te der Pres­se­spre­cher des Ober­lan­des­ge­richts, Lau­rent Laf­leur, zwei Wochen vor Pro­zess­be­ginn gegen­über den Journalist*innen bei einer Füh­rung durch den Gerichts­saal. Trotz die­ser bemüh­ten Freund­lich­kei­ten blie­ben die Auf­la­gen des Gerichts für Pressevertreter*innen den­noch hart: Sie muss­ten am Zugang zum Pres­se­be­reich einem Jus­tiz­be­am­ten vor­wei­sen, dass ihre Han­dys aus­ge­schal­tet waren, und konn­ten ihre Lap­tops nur ohne Inter­net­ver­bin­dung nutzen.

Der gesam­te Vor­mit­tag war nach den Eröff­nungs­for­ma­lia der mehr­stün­di­gen Ver­le­sung der Ankla­ge­schrift gewid­met. Die Sitzungsvertreter*innen des Gene­ral­bun­des­an­wal­tes im Ver­fah­ren fächer­ten dar­in die Pla­nun­gen der Grup­pe in den Jah­ren 20 – 22 auf: Die Ange­klag­ten in Mün­chen sei­en dem­nach unter ande­rem auch für Ämter in der Putschist*innen-Regierung vor­ge­se­hen und in Waf­fen­ge­schäf­te ver­wi­ckelt gewe­sen. Außer­dem wer­de eini­gen von ihnen vor­ge­wor­fen, für den Auf­bau der ins­ge­samt über 280 geplan­ten HSK-Trup­pen, die Rekru­tie­rung und Ver­net­zung mit Unterstützer*innen, sowie die Gewähr­leis­tung einer abhör­si­che­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on etwa über Satel­li­ten­te­le­fo­ne zustän­dig gewe­sen zu sein.
Außer­dem schil­der­te die Bun­des­an­walt­schaft im Detail das Welt­bild der Reichsbürger*innen: So wür­den die Anhänger*innen an die kru­de Ver­schwö­rungs­er­zäh­lung Q‑Anon glau­ben, die im Kern besagt, dass „die Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­schen Tun­nel­sys­te­men gefan­gen hiel­ten, um sie zu miss­han­deln und aus ihrem Blut Ver­jün­gungs­se­rum zu gewinnen.
Eine der Ange­klag­ten habe sich in der Schweiz auch mehr­mals mit den Eltern eines ver­meint­lich in die­se Unter­welt ent­führ­ten Kin­des getroffen.

Irre Narrative und realer Terrorismus

Außer­dem habe die Grup­pe für ihr Vor­ha­ben immer wie­der Kon­takt und Unter­stüt­zung bei offi­zi­el­len Vertreter*innen der rus­si­schen Föde­ra­ti­on etwa im Gene­ral­kon­su­lat in Frank­furt und in Bra­tis­la­va gesucht.

Vor allem die ableh­nen­de Hal­tung zu Maß­nah­men zur Ein­däm­mung von Covid-19 hät­te die Grup­pe radi­ka­li­siert und geeint. Die in Mün­chen ange­klag­te und als Gesund­heits­mi­nis­te­rin der Putschist*innen vor­ge­se­he­ne Ärz­tin, Mela­nie R., habe laut Ankla­ge bei­spiels­wei­se immer wie­der Vor­trä­ge zu den Aus­wir­kun­gen von Imp­fun­gen mit dem wäh­rend der Pan­de­mie neu ent­wi­ckel­ten MRNA-Serum gehalten.

Prozessbeobachter*innen dis­ku­tier­ten in der Mit­tags­pau­se, ob die Umsturz­plä­ne wohl ohne die Pan­de­mie zustan­de gekom­men wären. Außer­dem stell­ten sie sich die Fra­ge, ob die „Grup­pe Reuß“ nur ein Bei­spiel für das Umkip­pen gan­zer Bevöl­ke­rungs­grup­pen in ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sches Den­ken dar­stel­le. Immer­hin sei­en sie nicht die ein­zi­gen, die im Lau­fe der Zeit auf­ge­flo­gen und jetzt peu-á-peu ange­klagt wür­den. Neben den „Reuß-Pro­zes­sen“ lau­fen der­zeit auch Pro­zes­se gegen die „Kaiserreichgruppe“/„Patriotische Ver­ei­ni­gung, die vor­hat­te, Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach zu ent­füh­ren, sowie gegen den „Reichs­bür­ger-Star“ Johan­nes M..

Der ver­le­se­ne Ankla­ge­satz im Reuß-Ver­fah­ren ver­deut­licht durch­aus die Absur­di­tät der Gesin­nung der Ange­klag­ten. Jen­seits der zum Teil irr­wit­zi­gen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen konn­te die Bun­des­an­walt­schaft vor allem durch die Auf­zäh­lung der von der Grup­pe gehor­te­ten Waf­fen samt Muni­ti­on, Waf­fen­tei­len und wei­te­rer Mili­tär­aus­stat­tung den Ernst der Absich­ten der Grup­pe ver­an­schau­li­chen. Unter ande­rem habe die Grup­pe, der auch hoch­ran­gi­ge KSK-Offi­zie­re ange­hör­ten, ver­sucht, Soldat*innen des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK) zu rekru­tier­ten, um die „Hei­mat­schutz­kom­pa­nien“ aufzubauen.

Antisemitisch, rassistisch und faschistisch

Den­noch mag man­chen in der Ankla­ge eine Ein­ord­nung der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen und in Tei­len faschis­ti­schen Ideo­lo­gie der ange­klag­ten Reichsbürger*innen gefehlt haben. Nur neben­bei erwähnt die BAW die ras­sis­ti­schen Ansich­ten zur Migra­ti­ons­po­li­tik – eine Ein­stu­fung der Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen rund um Q‑Anon als anti­se­mi­tisch blieb gänz­lich aus.
Die­se Aus­spa­run­gen könn­ten auf eini­ge vor allem des­halb fatal wir­ken, da sie einen gro­ßen Teil der Gefahr ver­ken­nen, die von der „Grup­pe Reuß“ aus­ging. Wäre es zu dem, mit Hil­fe der AfD-Abge­ord­ne­ten geplan­ten Angriff auf den Bun­des­tag und einer Macht­über­nah­me gekom­men, lässt sich ahnen, wie die neu­en Machthaber*innen mit migran­ti­schen und geflüch­te­ten Per­so­nen ver­fah­ren wären. Der Begriff der „Re-Migra­ti­on“ und die Plä­ne für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen von Mil­lio­nen sind ja der­zeit in aller Munde.

Obwohl sich zwi­schen­zeit­lich fast dop­pelt so vie­le Jus­tiz- und Polizeibeamt*innen wie Zuschauer*innen auf den Tri­bü­nen auf­hiel­ten, konn­ten dort auch eini­ge ver­mut­li­che Unterstützer*innen der Ange­klag­ten aus­ge­macht wer­den. Ein pro­tes­tie­ren­der Schrei­hals, warf noch vor Ver­le­sung des Ankla­ge­sat­zes der Bun­des­an­walt­schaft vor „die Fal­schen anzu­kla­gen“ und spiel­te damit ver­mut­lich auf die Ver­schwö­rung rund um Q‑Anon an. Er wur­de aller­dings sehr schnell abge­führt. Etwas mode­ra­ter ver­hiel­ten sich zwei Frau­en, die mit aus­ge­brei­te­ten Armen von unter­schied­li­chen Sei­ten der Zuschauer*innentribüne offen­bar Ener­gie in den Gerichts­saal zu schi­cken ver­such­ten —  bis ihre Hän­de nach eini­gen Stun­den müde wur­den. Ob ihre Aura das Gericht und die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Dag­mar Illi­ni mil­de stim­men wird, muss sich noch zeigen.

Sterndeuterin im Dienste der AfD-Abgeordneten

An die­sem Phä­no­men wur­de aber auch deut­lich, wie wich­tig den Reichsbürger*innen um Reuß die­se Art der Spi­ri­tua­li­tät ist: So war eine der Münch­ner Ange­klag­ten, Hil­de­gard L., als astro­lo­gi­sche Mit­ar­bei­te­rin der in Frank­furt mit­an­ge­klag­ten AfD-MdB Mal­sack-Win­ke­mann angestellt.
Außer­dem war sie spi­ri­tu­el­le Bera­te­rin von Reuß und sei­ner poli­ti­schen Führungsriege.

Ein Ende nicht abzusehen

Ein 36-sei­ti­ges, läng­li­ches Opening–Statement des ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gers der NSU-Ter­ro­ris­tin Bea­te Zsch­ä­pe, Wolf­gang Heer, und jede Men­ge ange­kün­dig­ter Anträ­ge ver­schie­de­ner wei­te­rer Verteidiger*innen gaben bereits am ers­ten Tag einen Vor­ge­schmack dar­auf, wie sich der Pro­zess bis zum geplan­ten Ende im Janu­ar 2025 oder dar­über hin­aus in die Län­ge zie­hen könn­te. Es bleibt span­nend, wie die Drei­tei­lung des Pro­zes­ses sich auf das Ver­fah­ren aus­wir­ken wird und wel­che Stra­te­gien die Ange­klag­ten und ihre Verteidiger*innen anwen­den wer­den. Vor allem das Span­nungs­feld zwi­schen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und rech­tem Ter­ror könn­te das Ver­fah­ren prä­gen. Wie die Richter*innen die­ses beur­tei­len wer­den, sowie der Aus­gang des Pro­zes­ses blei­ben zunächst offen.