Reichsbürger vor LG München: „Grüß Gott an die Kinder Satans“

Stets sei­ner Fan-Gemein­de zuge­wandt: Reichs­bür­ger Johan­nes M. vor dem Land­ge­richt München

Von Tab­itha Potthoff

Der Pro­zess gegen den Reichs­bür­ger Johan­nes M., der unter ande­rem wegen der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Nach­stel­lung sowie Anstif­tung zu Straf­ta­ten ange­klagt war, ende­te vor dem Staats­schutz­se­nat des Land­ge­richts Mün­chen mit einer Ver­ur­tei­lung zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Freiheitsentzug.

Bereits beim Betre­ten des Saals wird M. von sei­nen etwa 20 Anhänger*innen emp­fan­gen, die ihn mit freu­di­gen Ges­ten und war­men Wor­ten begrü­ßen. Der Ange­klag­te, der in sei­ner Erschei­nung an einen cha­ris­ma­ti­schen Pre­di­ger erin­nert, wen­det sich durch­weg sei­ner Fan­ge­mein­de zu. Mit einer Dar­stel­lung von Jesus in den Hän­den ver­teilt er Küs­se und Grü­ße in die Men­ge – das Gericht igno­riert er dabei demons­tra­tiv und wen­det ihm den Rücken zu. Im Plä­doy­er der Ver­tre­te­rin der Gene­ral­staats­an­walt­schaft Mün­chen, Staats­an­wäl­tin Ste­fa­nie Ruf, wird die vol­le Trag­wei­te von M. Taten und deren Kon­se­quen­zen unmiss­ver­ständ­lich dargestellt.

Die BRD-Firmen

Johan­nes M. hat sich in den letz­ten Jah­ren als Kopf einer über Tele­gram orga­ni­sier­ten Grup­pe eta­bliert. Auf dem unter­des­sen gesperr­ten Account ver­brei­te­te er Ver­schwö­rungs­fan­ta­sien, die zu einer Melan­ge aus anti­se­mi­ti­schen Ideo­lo­gien, staats­feind­li­chen Posi­tio­nen wie der aus den USA stam­men­den QAnon-Erzäh­lung und Pan­de­mie­leug­nun­gen mit Christ­li­chen Ver­satz­stü­cken ver­rührt wer­den. Zen­tral ist M.s Über­zeu­gung, dass ein „zio­nis­ti­scher Plan“ auf die Ver­nich­tung des „deut­schen Vol­kes“ abzie­le und Deutsch­land seit über einem Jahr­hun­dert im Krieg lebe. Er bestrei­tet kon­se­quent die Exis­tenz der BRD und sieht damit Behör­den und staat­li­che Insti­tu­tio­nen als ille­gal an und beschul­digt sie, in pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten ver­wi­ckelt zu sein. Auch er selbst sieht sich als Opfer und wirft dem Gericht Nöti­gung und Ver­schlep­pung durch Scher­gen der in Dela­ware (USA) regis­trier­ten aus 47.000 Pri­vat­fir­men bestehen­den BRD vor.

Institutionen als Hassobjekte

M.s Atta­cken rich­te­ten sich gegen eine Viel­zahl von Insti­tu­tio­nen. Beson­ders betrof­fen waren Arzt­pra­xen und Schu­len, die nach sei­ner Ansicht über Imp­fun­gen und Coro­na-Schutz­maß­nah­men das Wohl der Kin­der gefähr­de­ten. Aber auch Jugend­äm­ter, Polizeibeamt*innen und Mitarbeiter*innen des Gerichts, die er als kri­mi­nell und pädo­phil beschimpft, wer­den nicht ver­schont. Der Ablauf der von M. los­ge­tre­te­nen Aktio­nen war stets ähn­lich: Zunächst rief er per­sön­lich in den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen an, hielt einen wir­ren Mono­log über die angeb­lich dort statt­fin­den­den kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten und stieß teils direk­te Gewalt­an­dro­hun­gen und Tötungs­vor­her­sa­gen aus. Er geht davon aus, dass in naher Zeit „das Mili­tär“ unter Füh­rung des Com­man­ders in Chief, Donald J. Trump, über sei­ne Wider­sa­cher „rich­ten“ und die­se exe­ku­tie­ren wer­de — das teil­te er den zum Teil tief geschock­ten Betrof­fe­nen am Tele­fon auch so mit.

Doch bei einem ein­zi­gen Anruf bleibt es nicht. Mül­ler for­der­te anschlie­ßend stets sei­ne Anhänger*innen auf Tele­gram auf, eben­falls bei den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen anzu­ru­fen, um dort täti­ge Per­so­nen sys­te­ma­tisch zu ter­ro­ri­sie­ren. Kon­takt­da­ten und Fotos der Opfer ver­brei­te­te er viel­fach in der Chat­grup­pe und die Auf­ru­fe zur Gewalt häuf­ten sich – wobei sich Mül­ler selbst wider­sprüch­lich stets als Pazi­fist bezeich­net hatte.

Die Herren in Schwarz“

Die lang­an­hal­ten­de Ein­schüch­te­rung durch Mül­lers Grup­pe hin­ter­ließ bei den Betrof­fe­nen tie­fe Spu­ren. Die Staats­an­wäl­tin berich­tet von trau­ma­ti­sier­ten Mit­ar­bei­ten­den in Jugend­äm­tern, die Poli­zei­schutz benö­ti­gen und kurz­zei­tig schlie­ßen muß­ten. Beschäf­tig­te trau­ten sich nicht mehr allei­ne nach Hau­se, Polizist*innen über­leg­ten, ob sie ihre Dienst­waf­fen mit­neh­men soll­ten, Ärzt*innen sahen sich gezwun­gen, ihre Pra­xen zu schlie­ßen und sich krank­schrei­ben zu las­sen. Die Angst und der psy­chi­sche Druck sind all­ge­gen­wär­tig – vie­le Opfer lei­den bis heu­te unter Schlaf­lo­sig­keit und schwe­ren Belas­tungs­re­ak­tio­nen. Nicht alle schaff­ten es, vor Gericht auszusagen.

Nach dem Plä­doy­er der Staats­an­walt­schaft, lässt der Ange­klag­te kei­ne Gele­gen­heit aus, das Gericht zu ver­un­glimp­fen. Die Staats­an­wäl­tin wird von ihm in her­ab­wür­di­gen­der Wei­se als „blon­de Tus­se“ bezeich­net, wäh­rend er das gesam­te Gericht als „pädo­kri­mi­nell“ und „ille­gi­tim“ beschimpft.

In der anschlie­ßen­den kur­zen Pau­se sam­meln sich M.s Anhän­ger, um unter­ein­an­der kol­lek­tiv ihr Unver­ständ­nis gegen­über dem Gericht kund­zu­tun. Die tie­fe Ableh­nung gegen­über der Insti­tu­ti­on Gericht und die Glo­ri­fi­zie­rung des Ange­klag­ten wer­den in die­ser Grup­pe deut­lich. Als der Pro­zess fort­ge­setzt wird, wen­det sich das Gesche­hen der Ver­tei­di­gung M.s zu.

Doch bevor sein Ver­tei­di­ger über­haupt zu spre­chen beginnt, wird die­ser von M. selbst unter­bro­chen. In einem bizar­ren Akt der Selbst­in­sze­nie­rung beschul­digt M. sei­nen Anwalt, Teil kri­mi­nel­ler Machen­schaf­ten zu sein, und erklärt offen, dass er sich von den bei­den Ver­tei­di­gern unter kei­nen Umstän­den ver­tre­ten las­sen wol­le. Er bezeich­net die Mit­glie­der des Gerichts ledig­lich als „Her­ren in Schwarz“ und ver­wei­gert jeg­li­che Aner­ken­nung der juris­ti­schen Auto­ri­tät. Statt­des­sen inter­agiert er mit Ges­ten mit sei­nen Anhänger*innen oder ver­sinkt in Gebeten.

Anwalt schweigt zur Verteidigung

Trotz Mül­lers auf­ge­brach­ter Inter­ven­ti­on ver­sucht sein Anwalt, die Ver­tei­di­gung in mil­dern­der Absicht  fort­zu­set­zen, beschränkt sich jedoch auf eini­ge Wor­te, die sich vor allem auf die juris­ti­sche Fra­ge der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung kon­zen­trie­ren, deren Bil­dung der Jurist nicht zu erken­nen ver­moch­te. Jede wei­te­re inhalt­li­che Ver­tei­di­gung unter­bleibt unter die­sen Umstän­den jedoch.

Erlösungsfantasien

Im wei­te­ren Ver­lauf for­dert der Vor­sit­zen­de Rich­ter M. zu sei­nem letz­ten Wort vor der Urteils­ver­kün­dung auf. Er nutzt die­se Gele­gen­heit, um ein wei­te­res Mal sei­ne umfas­sen­de Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gie in epi­scher Brei­te dar­zu­le­gen. Er spricht davon, dass nur ein Drit­tel der Mensch­heit, die­je­ni­gen, die „auf dem rich­ti­gen Weg“ sei­en, geret­tet wer­den könn­ten, wäh­rend die übri­gen zwei Drit­tel, dar­un­ter auch der Senat, dem Gericht Got­tes anheim­fal­len wür­den. Er wen­det sich pro­vo­ka­tiv an die Pro­zess­be­tei­lig­ten: „Grüß Gott an die Kin­der Satans“.

M.s Rede mün­det schließ­lich in einem Schwall bizar­rer Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen, die ver­schie­de­ne his­to­ri­sche und aktu­el­le The­men und Per­sön­lich­kei­ten mit­ein­an­der ver­we­ben. Der „Tag des Herrn“, so pro­phe­zeit er, stün­de unmit­tel­bar bevor, eine Art End­zeit­mo­ment, der das Schick­sal der Mensch­heit besie­geln wer­de. Dabei ver­knüpft er aktu­el­le poli­ti­sche Akteu­re wie Donald Trump mit fan­tas­ti­schen Nar­ra­ti­ven über elek­tro­ma­gne­ti­sche Strah­len und gehei­me Knöp­fe. Auch Anna­le­na Baer­bock taucht in sei­nen Theo­rien auf– angeb­lich mas­kiert mit einer Sili­kon­haut. Wäh­rend die­ser ver­stö­ren­den Aus­füh­run­gen hält M. durch­ge­hend eine Bibel in der Hand, aus der er stel­len­wei­se Pas­sa­gen zitiert, um sei­ne wir­ren Theo­rien mit reli­giö­ser Beglau­bi­gung zu unter­mau­ern. M.s Rede endet, wie sie begon­nen hat: mit einem Mix aus reli­giö­sem Pathos, Bedro­hungs­sze­na­ri­en und wil­den Ver­schwö­rungs­ge­schich­ten, die das Bild eines radi­ka­li­sier­ten und unbe­re­chen­ba­ren Indi­vi­du­ums zeichnen.

Das Urteil

Als tags dar­auf das Urteil gegen M. ver­kün­det wer­den soll, rich­tet er einen wis­sen­den Blick in die Men­ge und sagt zu sei­nen Anhän­ge­rin­nen: „Man müs­se nur Gott ver­trau­en.“ Noch wäh­rend der Rich­ter das Urteil ver­liest, unter­bricht Mül­ler ihn und erklärt, der Rich­ter besie­ge­le gera­de „sein eige­nes Todesurteil“.

M. wird schließ­lich zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Haft ver­ur­teilt — 14 Mona­te weni­ger als die Staats­an­walt­schaft gefor­dert hat­te. Dar­auf­hin beginnt die ver­zück­te Men­ge einen Cho­ral für und mit ihrem Hel­den anzu­stim­men. Alle Zuschauer*innen wer­den des Saa­les ver­wie­sen. Kein Publi­kum – kei­ne Büh­ne mehr — nun ging der Pro­zess, den Mül­ler bis­lang immer wie­der in die Län­ge gezo­gen hat­te, nun zügig zu Ende.

Es bleibt unklar, wie und ob sich Mül­lers Anhänger*innen in sei­ner Abwe­sen­heit wei­ter orga­ni­sie­ren wer­den. Die Fra­ge, ob die Grup­pe ohne ihren Anfüh­rer wei­ter­be­steht und mög­li­cher­wei­se auch wei­ter radi­ka­li­siert, bleibt offen.

Die Offenbarung des Johannes M. – weiterer Reichsbürgerprozess vor dem Landgericht München

Das Straf­jus­tiz­zen­trum in Mün­chen ist der­zeit Schau­platz von vier Reichsbürger*innen-Prozessen: Das Land­ge­richt ver­han­delt den Fall von Johan­nes Müller

Dem Reichs­bür­ger Johan­nes M. wer­den unter ande­rem die Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Belei­di­gung und Bedro­hung vorgeworfen.

Pädokriminelle Machenschaften“

Kon­kret heißt das, dass er Behör­den, dar­un­ter Jugend­äm­ter, Poli­zei, Gerich­te, und Ärzt*innen aufs übels­te beschimpf­te und sie durch Anru­fe selbst ter­ro­ri­sier­te oder von sei­nen Anhänger*innen — die er auf Tele­gram gewin­nen konn­te — ter­ro­ri­sie­ren ließ. Er bedroh­te sie mit dem Tod und stell­te ganz in Reichs­bür­ger-Manier ihre Legi­ti­ma­ti­on in Fra­ge. Dabei ver­kün­det er, die Bedroh­ten wür­den bald von US-ame­ri­ka­ni­schen Mili­tärs auf Grund­la­ge eines Dekrets von Donald Trump abge­ur­teilt und hingerichtet.

Sei­ne Ideo­lo­gie fußt dabei auf kru­den Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien, die stark anti­se­mi­tisch durch­setzt sind. Er spricht von „Zio­nis­ten“, die die Welt beherrsch­ten, leug­net die Exis­tenz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und wit­tert in jeder Behör­de „pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten“. Zudem ist er Anhän­ger der QAnon-Ver­schwö­rungs­idee, die besagt, dass „Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­sche Tun­nel­sys­te­me ent­führ­ten und miss­brauch­ten, um ihr Blut für Ver­jün­gungs­se­ra zu nutzen.

Maskenzwang und Sorgerecht

Das könn­te auch der Grund sein, wes­halb er sich für zwei sei­ner Anhän­ge­rin­nen ein­ge­setzt hat. Als Jugend­äm­ter bei den bei­den Müt­tern bei Frank­furt und in Wei­den Kon­trol­len durch­führ­ten, weil sie ihre Kin­der wäh­rend der Pan­de­mie wegen des Mas­ken­zwangs nicht in die Schu­le schick­ten. Sie fürch­te­ten um ihr Sor­ge­recht. Dar­auf­hin kon­tak­tier­ten sie Johan­nes M. Die­ser erteil­te den bei­den Müt­tern tele­fo­nisch kla­re Anwei­sun­gen, was zu tun sei, und begann mit sei­nen „Ter­ror-Tele­fo­na­ten“ bei zustän­di­gen Ämtern und der Polizei.

Er scheint außer­dem ein ziem­lich fana­ti­scher Christ zu sein. Jeden­falls hält er auch im Gerichts­saal aus­ge­druck­te Jesus- und ande­re Hei­li­gen­bil­der in den Hän­den, betet mit ihnen und küsst sie sogar auf thea­tra­li­sche Wei­se wäh­rend der Beweis­auf­nah­me. Dabei kehrt er dem Gericht fast durch­ge­hend den Rücken zu und hält statt­des­sen zwin­kernd Augen­kon­takt mit sei­nen mehr als zwan­zig Anhänger*innen, die regel­mä­ßig im Zuschauer*innenraum sitzen.

Mit dem Rücken zum Gericht

Die­se, sowie alle wei­te­ren Zuschauer*innen und Journalist*innen müs­sen zunächst eine dop­pel­te Durch­su­chung über sich erge­hen las­sen, bevor sie in den in bru­ta­lis­ti­schem Stil gebau­ten Sit­zungs­saal ein­ge­las­sen wer­den, der wie aus der Zeit gefal­len wirkt.

Auf Beobachter*innen wirkt Johan­nes M. selbst­si­cher. Er scherzt mit dem Publi­kum, unter ihnen auf­fäl­lig vie­le Frau­en. Sie spre­chen ihm Mut zu, „bald habe er es geschafft“. Auch sie beten für ihn und rufen ihm Segens­wün­sche zu. Wäh­rend der Ver­hand­lung sucht er immer wie­der den Blick­kon­takt und die Bestä­ti­gung sei­ner „Fans“. Er steht die gesam­te Zeit mit dem Rücken zu den Richter*innen, setzt sich nie hin, bewegt sich fah­rig und grinst in sich hinein.

Zu sei­nen bei­den Pflicht­ver­tei­di­gern sucht er eben­falls kei­nen Kon­takt. Er bezeich­ne­te sie sogar als „ver­mut­lich pädo­kri­mi­nell“, lehnt ihre Unter­stüt­zung kate­go­risch als „ille­gal“ ab. Statt­des­sen fällt der Ange­klag­te stän­dig sämt­li­chen Pro­zess­be­tei­lig­ten ins Wort und brüllt die immer glei­chen Phra­sen. Weil er dabei immer wie­der den Senat, die Staats­an­wäl­tin­nen und anwe­sen­de Poli­zei hef­tig belei­digt, hagelt es regel­mä­ßig Ord­nungs­gel­der bzw. Haft­ta­ge. Das Gericht inklu­si­ve des erfah­re­nen Vor­sit­zen­den Rich­ters wirkt dabei bis­wei­len etwas hilf­los. Der Vor­sit­zen­de ver­sucht die Ver­neh­mun­gen trotz mas­si­ver Stö­run­gen so gut es geht sicher zu stel­len. Viel­leicht setzt M. beim Ord­nungs­geld auf die Unter­stüt­zung sei­ner Fans – sei­ne popu­lä­re Tele­gram-Grup­pe hat­te zwi­schen­zeit­lich über 50.000 Follower*innen und spen­de­te reich­lich. So aber­wit­zig und absurd sei­ne The­sen auch sein mögen, die Zahl sei­ner Anhänger*innen zeigt, dass er und sei­ne Ideo­lo­gie durch­aus Reso­nanz fin­den. Sei­ne „Jünger*innen“ jeden­falls wir­ken wie eine ein­ge­spiel­te, viel­leicht sogar befreun­de­te Grup­pe. Indem sie sich voll und ganz auf sein abstru­ses Den­ken und sei­ne „Fan­ge­mein­de“, wie sie auch der Vor­sit­zen­de nennt, ein­ge­las­sen haben, könn­ten sie sich mög­li­cher­wei­se  sozi­al iso­liert haben und immer wei­ter in den Bann des Gurus gera­ten sein, so jeden­falls wir­ken sie, ihre Welt­sicht ist auf M. fokus­siert und her­me­tisch gegen Ein­wän­de — zum Bei­spiel, dass sei­ne Pro­phe­zei­un­gen noch nie ein­ge­tre­ten sind — abge­schirmt. „Ja, ich glau­be das schon alles, was der Johan­nes sagt“, äußert dann auch eine von ihnen auf kri­ti­sche Nachfragen.

Pandemie als Kipppunkt

Wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie rutsch­ten so gan­ze Bevöl­ke­rungs­grup­pen in Ver­schwö­rungs­glau­ben und damit auch oft in rech­te Ideo­lo­gien ab. Johan­nes M.s Dro­hun­gen gegen­über einer Kinderärzt*innenpraxis, die Coro­na-Imp­fun­gen anbot, sind da nur die Spit­ze des Eisbergs.

Mit den Anhänger*innen von Johan­nes M. kommt man schnell ins Gespräch: In einer Sit­zungs­pau­se – die Kam­mer beschließt gera­de ein wei­te­res Ord­nungs­geld gegen den que­ru­lan­ti­schen Ange­klag­ten– erzählt eine von ihnen, wie sie auf den Kanal des Ange­klag­ten stieß: Zunächst sei sie dar­auf auf­merk­sam gewor­den, wie Bill Gates sei­ne Mitarbeiter*innen behand­le und hät­te dann sei­ne Ver­wick­lung in die WHO und Vor­ha­ben, Impf­stof­fe zu ver­tei­len, kri­ti­siert. Als Trump der WHO Tei­le der Unter­stüt­zung ent­zog, begann sie Ver­trau­en in des­sen Poli­tik zu fas­sen und sah sich Vide­os sei­ner Reden an. Der ihrer Mei­nung nach abschlie­ßen­de Schritt war es dann, eben­falls Vide­os von Reichsbürger*innen zu kon­su­mie­ren, deren Inhal­te sie dann „schlüs­sig“ fand.

Kein klinischer Wahn

Eine foren­sisch-psych­ia­tri­sche Sach­ver­stän­di­ge sag­te vor Gericht aus, dass Johan­nes M. even­tu­ell von Wahn­vor­stel­lun­gen betrof­fen sei, sie ihn aber zur abschlie­ßen­den Beur­tei­lung des­sen nicht aus­rei­chend ken­nen­ge­lernt habe. In zwei Ein­zel­ge­sprä­chen, sprach der offen­bar mehr­mals davon, von Gott aus­er­wählt zu sein, tat­säch­lich die bibli­sche „Offen­ba­rung des Johan­nes“ zu erfül­len. Die­se Behaup­tung stell­te Johan­nes M. vor Gericht hef­tig in Abre­de: Er belei­dig­te die Sach­ver­stän­di­ge und alle wei­te­ren Betei­lig­ten, sodass der Sit­zungs­tag deut­lich in die Län­ge gezo­gen wur­de und sei­ne Ord­nungs­gel­der wei­ter in die Höhe schos­sen. Vor allem ein wei­te­rer Sach­ver­stän­di­ger, sowie der vom Gericht bestell­te psych­ia­tri­scher Gut­ach­ter beton­ten aber, dass die Gren­ze zwi­schen Ideo­lo­gie und Wahn meist flie­ßend  ver­lau­fe. Weil er sei­ne The­sen immer mit rea­len Bezugs­punk­ten ver­knüp­fe, gäbe es kei­ne Anhalts­punk­te für einen aus­ge­spro­che­nen kli­ni­schen Wahn. Die­se Ein­schät­zun­gen machen eine Ein­stu­fung des Ange­klag­ten als schuld­un­fä­hig durch das Gericht sehr unrealistisch.

In den zurück­lie­gen­den Pro­zess­ta­gen vor der Som­mer­pau­se wer­den M.s Fans immer unru­hi­ger und auf­müp­fi­ger, wer­den vom Vor­sit­zen­den ermahnt und mit Räu­mung bedroht. Der Pro­zess dau­ert an. Ein Urteil wird zu Ende Sep­tem­ber erwartet.

Horoskope für den Umsturz: „Chef-Astrologin“ sagt im Reuß-Verfahren aus

Bun­des­an­walt Loh­se am Eröff­nungs­tag des Pro­zes­ses am 18. Juni vor dem Gerichts­ge­bäu­de in der Nym­phen­bur­ger Str. in München.

Hil­de­gard L. hat schon vie­les erlebt: Sie hat zwei Mal ein Stu­di­um abge­schlos­sen, arbei­te­te als Elek­tro­in­ge­nieu­rin, als Leh­re­rin in einer Berufs­schu­le, Unter­neh­me­rin, Pro­gram­mie­re­rin und zuletzt als Astro­lo­gin und Mit­ar­bei­te­rin einer AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten. Außer­dem hat sie zwei Mal gehei­ra­tet und in zwei­ter Ehe zwei Kin­der bekom­men. Wes­halb sie für den nächs­ten Lebens­ab­schnitt den Weg einer mut­maß­li­chen Rechts­ter­ro­ris­tin wähl­te und in Fol­ge des­sen seit über andert­halb Jah­ren in Unter­su­chungs­haft sitzt, ver­sucht der Staats­schutz­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen aktu­ell herauszufinden.

Eltern waren Impfgegner*innen

Ihr wird vor­ge­wor­fen gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Hein­rich XIII. Reuß den mili­tä­ri­schen Sturz der Bun­des­re­gie­rung und den Auf­bau eines Rats als Putsch­re­gie­rung geplant zu haben — oder zumin­dest mit­wis­send gewe­sen zu sein. L. ent­schei­det sich als ers­te der acht in Mün­chen ange­klag­ten Per­so­nen aus­zu­sa­gen und legt ein umfang­rei­ches, bis­wei­len lang­at­mi­ges Teil­ge­ständ­nis ab.
Zunächst brei­tet sie im Schne­cken­tem­po, sehr aus­führ­lich und über andert­halb Pro­zess­ta­ge hin­weg, ihren Lebens­lauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hät­ten kei­nes ihrer Kin­der imp­fen las­sen. Trotz­dem hät­ten sie sich nie mit Kin­der­krank­hei­ten ange­steckt, behaup­tet sie. Ansons­ten klingt ihre Vita zunächst unauf­fäl­lig: L. berich­tet auch über Fami­li­en­zer­würf­nis­se und beruf­li­che Hochs und Tiefs.

Rote Seidenunterwäsche

An einem gewis­sen Punkt der Ver­le­sung ihrer Aus­sa­ge wer­den ihre Erzäh­lun­gen aller­dings eso­te­risch Nach dem Kon­takt zu einer Astro­lo­gin und einem Medi­um, beginnt sie an deren Vor­aus­sa­gen zu glau­ben. Sie arbei­tet ein paar Jah­re spä­ter schließ­lich selbst als Astro­lo­gin und Kar­ten­le­ge­rin, grün­det sogar einen Ver­lag dafür und gibt regel­mä­ßig Semi­na­re. Ihr Inter­es­se, bezie­hungs­wei­se ihre Diens­te bezeich­net sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.

Zwi­schen­zeit­lich glaubt sie nicht nur, die Erkran­kun­gen von Men­schen sehen, son­dern die­se auch selbst lin­dern zu kön­nen. Auf einem Semi­nar habe sie eine für sie ele­men­ta­re Weis­heit erfah­ren: Um ihre Lebens­en­er­gie zu schüt­zen, wür­de ihr emp­foh­len, möge sie ent­we­der Chak­ren-Stei­ne kau­fen oder Sei­den­un­ter­wä­sche tra­gen. Am bes­ten rote, vier Zen­ti­me­ter unter­halb des Bauch­na­bels anset­zend. Wäh­rend sich im Gericht dar­auf­hin offen­bar eini­ge das Lachen ver­knei­fen müs­sen oder pein­lich berührt sind, erzählt L. von die­sem absur­den Ereig­nis wie von jedem ande­ren. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustim­mung erhei­schend die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Illi­ni an.

Überfall auf Bundestag geplant

In fol­gen­den Pro­zess­ta­gen äußert sich L. aber schließ­lich auch zur Ankla­ge und beant­wor­tet umfas­send Fra­gen zu ihrer Ein­las­sung: Sie habe von dem Mit­an­ge­klag­ten und Freund Tho­mas T. von der Grup­pe gehört, sie hät­ten vor allem über Coro­na-Maß­nah­men für Kin­der gere­det, die­se ver­hin­dern wol­len. Bei anschlie­ßen­den Sit­zun­gen des Rats, der über die Umsturz­re­gie­rung ent­schei­den soll­te, wären sie und T. zwar dabei gewe­sen, hät­ten aller­dings nur als Beobachter*innen tätig wer­den dür­fen. Von Schieß­trai­nings hät­te sie zwar gewusst, von den Plä­nen zum bewaff­ne­ten Über­fall auf den Bun­des­tag durch ehe­ma­li­ge KSK-Sol­da­ten aller­dings erst sehr spät erfahren.

Gera­de das zwei­felt die Bun­des­an­walt­schaft aller­dings an. Die­se kon­fron­tiert L. mit Chat­ver­läu­fen mit der ehe­ma­li­gen AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mal­sack-Win­ke­mann. So schreibt L. nach einem Schieß­trai­ning der Reichsbürger*innen: „Die wür­den doch kein Trai­ning machen, wenn da nix lau­fen wür­de“, und bestä­tigt ihr, dass „es nicht mehr lan­ge dau­ern wür­de“. Es sei laut Bun­des­an­walt­schaft also nahe­lie­gend, dass L. zu die­sem Zeit­punkt durch­aus über den Putsch­plan Bescheid wuss­te. Laut L.s Ein­las­sung sei sie zu die­sem Zeit­punkt aller­dings noch unwis­send gewesen.

Birgit-Beruhigungsaktionen“

Ein wei­te­rer Chat­ver­lauf nach dem ers­ten Rats­tref­fen zei­ge außer­dem, so die BAW, dass L. Mal­sack-Win­ke­mann auf deren Fra­ge, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geant­wor­tet habe. Zuvor beteu­er­te L., dass bei die­sem Tref­fen noch kei­ne per­so­nel­len Ent­schei­dun­gen getrof­fen wor­den sei­en und sie auch nicht in die­se mit­ein­be­zo­gen wor­den sei.

Die Kon­fron­ta­ti­on mit den Chats ver­un­si­chert L. im Gericht: Sie kann die Fra­ge nur aus­wei­chend beant­wor­ten. L. sagt, ihre Auf­ga­be wäre es gewe­sen Mal­sack-Win­ke­mann zu beru­hi­gen, für die sie schon wäh­rend ihres Bun­des­tags- Man­dats gear­bei­tet habe. Sie nennt die­se „typi­sche Birgit-Beruhigungsaktionen“.

Verschwiegenheit bei Strafe des Todes

Die Ver­schwie­gen­heits­er­klä­rung, die L. zum zwei­ten Rats­tref­fen unter­schrei­ben muss­te, nahm L. offen­bar nicht son­der­lich ernst — auch wenn Zuwi­der­hand­lun­gen mit der Todes­stra­fe geahn­det wer­den soll­ten. Kund*innen erzähl­te die Astro­lo­gin von den Tref­fen und Inhal­ten. Das Gespräch mit einer ihrer Kli­en­tin­nen ließ die mit­hö­ren­de Poli­zei beson­ders auf­hor­chen: L. erzähl­te, dass Lis­ten über sys­tem­kon­for­me Per­so­nen ange­legt wer­den müss­ten, und plau­der­te aus, dass eine „Alli­anz“, bestehend aus ver­schie­de­nen Mili­tärs und Geheim­diens­ten bald ein­grei­fen würde.

L.s zwei Ver­tei­di­ger, die sich auf­grund der hohen Anzahl von Ange­klag­ten in die eine Ecke der hin­ters­ten Ankla­ge­bank quet­schen müs­sen, schei­nen teil­wei­se nicht ganz mit ihren Ant­wor­ten zufrie­den zu sein. Sie bit­ten um eine Pau­se, ver­mut­lich um auf Man­dan­tin ein­zu­wir­ken und ihrem Gedächt­nis hin und wie­der auf die Sprün­ge zu helfen.

Ist die Angeklagte L. dement?

Der Anwalt eines wei­te­ren Ange­klag­ten ver­sucht durch die For­de­rung nach einem psych­ia­tri­schen Gut­ach­ten sogar L.s gesam­te Aus­sa­ge anzu­zwei­feln. Er sei der Mei­nung, L. lei­de an einer Demenz und kön­ne nicht wei­ter aus­sa­gen, sag­te er.

Wes­halb L. sich zu der Ankla­ge­schrift äußert, wäh­rend bei­spiels­wei­se Tho­mas T. bereits durch sei­ne Anwält*innen bekannt gege­ben hat, dass er schwei­gen wird, bleibt nur zu ver­mu­ten. Bei der Schwe­re der Vor­wür­fe kann aber ange­nom­men wer­den, dass L. und ihre Ver­tei­di­gung even­tu­ell auf ein mil­de­res Urteil und damit eine kür­ze­re Haft­stra­fe spekulieren.

Terminiert bis Juli 2025

Wei­te­re Fra­gen ver­schie­de­ner Verteidiger*innen und Unter­bre­chun­gen zu ihrer Beant­wor­tung zie­hen das Ver­fah­ren bis­wei­len in die Län­ge. Die Anwäl­te von L. bit­ten im Gericht dar­um, dass die ande­ren Verteidiger*innen ihre Fra­gen bis Ende Juli stel­len mögen, um im August die Ver­neh­mung von L. abschlie­ßen zu können.

Der ursprüng­lich bis Janu­ar 2025 ter­mi­nier­te Pro­zess ist kürz­lich bereits bis Juli 2025 ver­län­gert worden.

Reichsbürger-Prozess in München: Messianische Verzückung

Das bru­ta­lis­ti­sche Straf­jus­tiz­zen­trum in der Nym­phen­bur­ger Stra­ße in Mün­chen ist der­zeit Schau­platz meh­re­rer zum Teil bizar­rer „Reichsbürger“-Verfahren

Der Faschis­mus funk­tio­niert nur, wenn vie­le Men­schen mit­ma­chen“, sagt Johan­nes M. ein­dring­lich zu einem der Polizeibeamt*innen, die ihn hier im Mün­che­ner Gerichts­saal bewa­chen und die er als Büt­tel einer faschis­ti­schen Fir­ma betrach­tet. „Sans ma ned bös, Herr M., aber des inter­es­siert mich nicht“, erwi­dert der sicht­lich generv­te Beam­te. Sei­ne Genervt­heit ist gut nach­voll­zieh­bar, das Ver­fah­ren gegen den selbst­er­nann­ten Pro­phe­ten des Unter­gangs ist an Absur­di­tät kaum zu überbieten.

Christliche Versatzstücke

M. ist ange­klagt, Rädels­füh­rer einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung zu sein, die sich des Tele­fon­ter­rors bei Behör­den und der Bedro­hung von Praxismitarbeiter*innen schul­dig gemacht haben soll. Ver­han­delt wird seit Ende Juni vor dem Staats­schutz­se­nat des Land­ge­richts Mün­chen, die Sicher­heits­vor­keh­run­gen sind enorm, stren­ger als im par­al­lel statt­fin­den­den so genann­ten Reuß-Pro­zess gegen 8 Ange­klag­te. M. wie­der­holt in End­los­schlei­fen sei­ne wahn­wit­zi­ge Welt­sicht zwi­schen Reichs­bür­ger­den­ken, Ver­schwö­rungs­my­thos QAnon und christ­li­chen Ver­satz­stü­cken. Er sagt, dass es sich bei den deut­schen Behör­den um 47.000 pri­va­te Fir­men han­de­le und dass er hier gegen sei­nen Wil­len bei einer Fir­men­be­spre­chung sei.

M. wie­der­holt unbe­irrt und mit lau­ter Stim­me die immer glei­chen Text­bau­stei­ne sei­ner Ver­schwö­rungs­idee. Am 18. Juli, so pro­phe­zeit er, wer­de das US-Mili­tär unter Com­man­der in Chief Donald J. Trump eh über­neh­men und dann wer­de mit den Nazis hier, die seit 109 Jah­ren Krieg gegen das deut­sche Volk führ­ten, auf­ge­räumt: nach gött­li­chem Wil­len und nach der Offen­ba­rung des – ja, wes­sen? – Johan­nes wür­den zwei Drit­tel der Leu­te hier wegen Kriegs- und Men­schen­rechts­ver­bre­chen, vor allem gegen Kin­der, vor’s Kriegs­ge­richt gestellt und gerich­tet. Wenn die Rich­ter oder die bei­den Ver­tre­te­rin­nen des Gene­ral­staats­an­walts oder gar die psych­ia­tri­schen Sach­ver­stän­di­gen es wagen ihn zu unter­bre­chen, belegt er sie mit unflä­ti­gen Schimpf­ti­ra­den, Flü­chen und Dro­hun­gen: er sei mit dem Mili­tär in stän­di­gem Kon­takt und es wer­de hier alles aufgenommen.

Hörige Fangemeinde

Dabei bleibt er ste­hen und dreht dem Senat den Rücken zu und bespielt eine wach­sen­de Zahl von Jünger*innen, die ihn aus dem Publi­kums­be­reich anhim­meln. Der mani­pu­la­ti­ve Pre­di­ger in eige­ner Sache ver­steht es sogar, sei­ne Stim­me bre­chen zu las­sen und Trä­nen vor­zu­spie­len, weil er zunächst im „Nazi-KZ Haar“ – er meint das Bezirks­kli­ni­kum, wo er ein hal­bes Jahr im Maß­re­gel­voll­zug ver­brach­te – oder in der U‑Haft fest­ge­hal­ten wer­de. Dabei hält er oft Hei­li­gen­bild­chen in der Hand und betet gemein­sam mit sei­nen Anhänger*innen. Fast noch mehr als M. selbst, scho­ckiert die Hörig­keit sei­ner Gemein­de, die offen­bar Geld und Zeit genug hat, um regel­mä­ßig zum Pro­zess aus ganz Deutsch­land anzu­rei­sen – da ist von Ber­lin, Win­ter­berg, Soest die Rede. Gefragt, ob sie M.s Aus­sa­gen für bare Mün­ze näh­men, ant­wor­ten sie fest und über­zeugt: Ja! Dass sei­ne dys­to­pi­schen Vor­her­sa­gen stets nicht ein­tref­fen, stört sie offen­bar gar nicht in ihrer mes­sia­ni­schen Verzückung.

Über wei­te Stre­cken mutet das Gesche­hen im Gerichts­saal wie eine absur­de, komi­sche Oper an: Wäh­rend der Senat ver­sucht, Zeug*innen und Sach­ver­stän­di­ge zu befra­gen, fährt M. unge­rührt mit dröh­nen­der Stim­me mit sei­ner Sua­da fort. Sei­ne „Fan­ge­mei­ne“, wie der Vor­sit­zen­de die Besucher*innen mah­nend anspricht und mit Sank­tio­nen droht, wird im Lau­fe der psych­ia­tri­schen Begut­ach­tung immer unru­hi­ger, die hin­ge­zisch­ten Wor­te „Fol­ter“ und „Unrecht“ wer­den lau­ter. Der Rich­ter wirkt recht hilf­los, wenn er die Ver­hand­lung alle Vier­tel­stun­de unter­bricht, um danach ein Ord­nungs­geld gegen M. zu ver­hän­gen, weil er stets in der Begrün­dung die zum Teil sexis­ti­schen Beschimp­fun­gen wie­der­ho­len muss. Bis­wei­len ver­han­deln bzw. brül­len das Gericht und M. im Chor, zu ver­ste­hen ist wenig, die Meu­te hin­ten wird noch unru­hi­ger und bestärkt M. in sei­nem Wüten.

Zusammenrottung rechter Fanatiker*innen

Das Ver­fah­ren gegen M. ist nur eines der Ver­fah­ren, in denen – auch nicht nur in Mün­chen – wohl die Coro­na-Fol­gen abge­ar­bei­tet wer­den. Mit der Pan­de­mie und fol­gen­den Kri­sen sind sehr vie­le Men­schen im Lan­de dem poli­ti­schen Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik von der Fah­ne gegan­gen oder haben sich sogar den irr­wit­zigs­ten Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien und ter­ro­ris­ti­schen und Prep­per­grup­pen ange­schlos­sen. Eben­so wie im Reuß-Pro­zess, wo Ange­klag­te unbe­irrt an der QAnon-Sto­ry fest­hal­ten, oder im Ver­fah­ren gegen wei­te­re Reichs­bür­ger im benach­bar­ten Gerichts­saal, wo es um die Aus­ga­be ille­ga­ler Urkun­den eines „Bun­des­staa­tes Bay­ern“ geht, wer­den The­sen ver­tre­ten, von denen man nicht fas­sen kann, dass irgend­je­mand sich dem ernst­lich ver­schrei­ben könn­te. Man möch­te sie als völ­lig durch­ge­dreh­ten Unfug vom Tisch wischen. Aber das Droh­sze­na­rio, das Täter*innen wie M. und sei­ne zeit­wei­se bis zu 50.000 Fol­lower auf sei­nem Tele­gram-Kanal ent­fal­ten, oder die Tat­sa­che, dass es im Reuß-Ver­fah­ren um Beamt*innen selbst, poli­ti­sche Mandatsträger*innen und eben auch (Elite-)Soldat*innen und Polizist*innen geht, die Waf­fen hor­te­ten, zei­gen, dass es sich nicht um harm­lo­se Spinner*innen, son­dern um gefähr­li­che Zusam­men­rot­tun­gen rech­ter Fanatiker*innen han­delt, die kei­nes­wegs zu unter­schät­zen sind.

Die­ser Bei­trag erschien am 18. Juli 2024 in gekürz­ter Fas­sung im nd.

Münchener Reuß-Prozess: Zwischen Astrologie und Waffendepots

Die Akus­tik-Ele­men­te im alten NSU-Gerichts­saal A 101 im Straf­jus­tiz­zen­trum Mün­chen, in dem das drit­te Reuß-Ver­fah­ren nun ver­han­delt wird

Sie woll­ten den Staat stür­zen und bau­ten einen mili­tä­ri­schen Arm für einen gewalt­sa­men Sturm auf den Bun­des­tag auf: So lässt sich die Ankla­ge der Bun­des­an­walt­schaft (BAW) gegen die acht in Mün­chen vor dem Ober­lan­des­ge­richt (OLG) ange­klag­ten Mit­glie­der der Reichs­bür­ger­grup­pe um Prinz Hein­rich XIII Reuß zusammenfassen.

Hochverrat und Staatsgefährdung

In Frank­furt und Stutt­gart wird schon seit eini­gen Wochen der Pro­zess gegen 18 wei­te­re Mit­glie­der die­ser Grup­pe – in Frank­furt Prinz Reuß auch per­sön­lich – eröff­net. Unter den Ange­klag­ten gro­ße Tei­le der poli­ti­schen Füh­rungs­rie­ge der Verschwörer*innen und des mili­tä­ri­schen Arms, den so genann­ten Hei­mat­schutz­kom­pa­nien (HSK). Neben hoch­ver­rä­te­ri­schen Absich­ten und der Vor­be­rei­tung staats­ge­fähr­den­der schwe­rer Straf­ta­ten wird ihnen die Grün­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung vorgeworfen.

Als nun in Mün­chen die 8 Ange­klag­ten vor­ge­führt wur­den, hielt sich aller­dings das öffent­li­che und media­le Inter­es­se in Gren­zen – ver­gli­chen zumal mit dem Pro­mi-Ver­fah­ren in Frank­furt, wo Reuß selbst, aber auch die eins­ti­ge AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Ex-Rich­te­rin Mal­sack-Win­ke­mann und die bei­den ehe­ma­li­gen hohen Bun­des­wehr-Offi­zie­re von Pes­ca­to­re und Eder vor Gericht stehen.
Der erwar­te­te Andrang wie zu Zei­ten des NSU-Pro­zes­ses blieb in Mün­chen aus. Die­ser hat­te damals im sel­ben Gerichts­saal A 101 statt­ge­fun­den und zumin­dest eini­ge der Gesich­ter unter den Journalist*innen und Verteidiger*innen von damals waren wie­der dabei.

Die Besucher*innen wur­den nicht nur durch ein gro­ßes Poli­zei­auf­ge­bot im Saal, inklu­si­ve Absper­run­gen und gründ­li­cher Durch­su­chun­gen ein­ge­schüch­tert. Sie muss­ten außer­dem sämt­li­che Taschen, tech­ni­schen Gerä­te und Trink­fla­schen abge­ben. Auch die kah­len Beton­wän­de des gro­ßen Saa­les wirk­ten durch­aus erdrückend.

Croissants und Handyverbot

Ich wer­de selbst­ver­ständ­lich jeden Tag Crois­sants mit­brin­gen“ scherz­te der Pres­se­spre­cher des Ober­lan­des­ge­richts, Lau­rent Laf­leur, zwei Wochen vor Pro­zess­be­ginn gegen­über den Journalist*innen bei einer Füh­rung durch den Gerichts­saal. Trotz die­ser bemüh­ten Freund­lich­kei­ten blie­ben die Auf­la­gen des Gerichts für Pressevertreter*innen den­noch hart: Sie muss­ten am Zugang zum Pres­se­be­reich einem Jus­tiz­be­am­ten vor­wei­sen, dass ihre Han­dys aus­ge­schal­tet waren, und konn­ten ihre Lap­tops nur ohne Inter­net­ver­bin­dung nutzen.

Der gesam­te Vor­mit­tag war nach den Eröff­nungs­for­ma­lia der mehr­stün­di­gen Ver­le­sung der Ankla­ge­schrift gewid­met. Die Sitzungsvertreter*innen des Gene­ral­bun­des­an­wal­tes im Ver­fah­ren fächer­ten dar­in die Pla­nun­gen der Grup­pe in den Jah­ren 20 – 22 auf: Die Ange­klag­ten in Mün­chen sei­en dem­nach unter ande­rem auch für Ämter in der Putschist*innen-Regierung vor­ge­se­hen und in Waf­fen­ge­schäf­te ver­wi­ckelt gewe­sen. Außer­dem wer­de eini­gen von ihnen vor­ge­wor­fen, für den Auf­bau der ins­ge­samt über 280 geplan­ten HSK-Trup­pen, die Rekru­tie­rung und Ver­net­zung mit Unterstützer*innen, sowie die Gewähr­leis­tung einer abhör­si­che­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on etwa über Satel­li­ten­te­le­fo­ne zustän­dig gewe­sen zu sein.
Außer­dem schil­der­te die Bun­des­an­walt­schaft im Detail das Welt­bild der Reichsbürger*innen: So wür­den die Anhänger*innen an die kru­de Ver­schwö­rungs­er­zäh­lung Q‑Anon glau­ben, die im Kern besagt, dass „die Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­schen Tun­nel­sys­te­men gefan­gen hiel­ten, um sie zu miss­han­deln und aus ihrem Blut Ver­jün­gungs­se­rum zu gewinnen.
Eine der Ange­klag­ten habe sich in der Schweiz auch mehr­mals mit den Eltern eines ver­meint­lich in die­se Unter­welt ent­führ­ten Kin­des getroffen.

Irre Narrative und realer Terrorismus

Außer­dem habe die Grup­pe für ihr Vor­ha­ben immer wie­der Kon­takt und Unter­stüt­zung bei offi­zi­el­len Vertreter*innen der rus­si­schen Föde­ra­ti­on etwa im Gene­ral­kon­su­lat in Frank­furt und in Bra­tis­la­va gesucht.

Vor allem die ableh­nen­de Hal­tung zu Maß­nah­men zur Ein­däm­mung von Covid-19 hät­te die Grup­pe radi­ka­li­siert und geeint. Die in Mün­chen ange­klag­te und als Gesund­heits­mi­nis­te­rin der Putschist*innen vor­ge­se­he­ne Ärz­tin, Mela­nie R., habe laut Ankla­ge bei­spiels­wei­se immer wie­der Vor­trä­ge zu den Aus­wir­kun­gen von Imp­fun­gen mit dem wäh­rend der Pan­de­mie neu ent­wi­ckel­ten MRNA-Serum gehalten.

Prozessbeobachter*innen dis­ku­tier­ten in der Mit­tags­pau­se, ob die Umsturz­plä­ne wohl ohne die Pan­de­mie zustan­de gekom­men wären. Außer­dem stell­ten sie sich die Fra­ge, ob die „Grup­pe Reuß“ nur ein Bei­spiel für das Umkip­pen gan­zer Bevöl­ke­rungs­grup­pen in ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sches Den­ken dar­stel­le. Immer­hin sei­en sie nicht die ein­zi­gen, die im Lau­fe der Zeit auf­ge­flo­gen und jetzt peu-á-peu ange­klagt wür­den. Neben den „Reuß-Pro­zes­sen“ lau­fen der­zeit auch Pro­zes­se gegen die „Kaiserreichgruppe“/„Patriotische Ver­ei­ni­gung, die vor­hat­te, Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach zu ent­füh­ren, sowie gegen den „Reichs­bür­ger-Star“ Johan­nes M..

Der ver­le­se­ne Ankla­ge­satz im Reuß-Ver­fah­ren ver­deut­licht durch­aus die Absur­di­tät der Gesin­nung der Ange­klag­ten. Jen­seits der zum Teil irr­wit­zi­gen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen konn­te die Bun­des­an­walt­schaft vor allem durch die Auf­zäh­lung der von der Grup­pe gehor­te­ten Waf­fen samt Muni­ti­on, Waf­fen­tei­len und wei­te­rer Mili­tär­aus­stat­tung den Ernst der Absich­ten der Grup­pe ver­an­schau­li­chen. Unter ande­rem habe die Grup­pe, der auch hoch­ran­gi­ge KSK-Offi­zie­re ange­hör­ten, ver­sucht, Soldat*innen des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK) zu rekru­tier­ten, um die „Hei­mat­schutz­kom­pa­nien“ aufzubauen.

Antisemitisch, rassistisch und faschistisch

Den­noch mag man­chen in der Ankla­ge eine Ein­ord­nung der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen und in Tei­len faschis­ti­schen Ideo­lo­gie der ange­klag­ten Reichsbürger*innen gefehlt haben. Nur neben­bei erwähnt die BAW die ras­sis­ti­schen Ansich­ten zur Migra­ti­ons­po­li­tik – eine Ein­stu­fung der Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen rund um Q‑Anon als anti­se­mi­tisch blieb gänz­lich aus.
Die­se Aus­spa­run­gen könn­ten auf eini­ge vor allem des­halb fatal wir­ken, da sie einen gro­ßen Teil der Gefahr ver­ken­nen, die von der „Grup­pe Reuß“ aus­ging. Wäre es zu dem, mit Hil­fe der AfD-Abge­ord­ne­ten geplan­ten Angriff auf den Bun­des­tag und einer Macht­über­nah­me gekom­men, lässt sich ahnen, wie die neu­en Machthaber*innen mit migran­ti­schen und geflüch­te­ten Per­so­nen ver­fah­ren wären. Der Begriff der „Re-Migra­ti­on“ und die Plä­ne für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen von Mil­lio­nen sind ja der­zeit in aller Munde.

Obwohl sich zwi­schen­zeit­lich fast dop­pelt so vie­le Jus­tiz- und Polizeibeamt*innen wie Zuschauer*innen auf den Tri­bü­nen auf­hiel­ten, konn­ten dort auch eini­ge ver­mut­li­che Unterstützer*innen der Ange­klag­ten aus­ge­macht wer­den. Ein pro­tes­tie­ren­der Schrei­hals, warf noch vor Ver­le­sung des Ankla­ge­sat­zes der Bun­des­an­walt­schaft vor „die Fal­schen anzu­kla­gen“ und spiel­te damit ver­mut­lich auf die Ver­schwö­rung rund um Q‑Anon an. Er wur­de aller­dings sehr schnell abge­führt. Etwas mode­ra­ter ver­hiel­ten sich zwei Frau­en, die mit aus­ge­brei­te­ten Armen von unter­schied­li­chen Sei­ten der Zuschauer*innentribüne offen­bar Ener­gie in den Gerichts­saal zu schi­cken ver­such­ten —  bis ihre Hän­de nach eini­gen Stun­den müde wur­den. Ob ihre Aura das Gericht und die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Dag­mar Illi­ni mil­de stim­men wird, muss sich noch zeigen.

Sterndeuterin im Dienste der AfD-Abgeordneten

An die­sem Phä­no­men wur­de aber auch deut­lich, wie wich­tig den Reichsbürger*innen um Reuß die­se Art der Spi­ri­tua­li­tät ist: So war eine der Münch­ner Ange­klag­ten, Hil­de­gard L., als astro­lo­gi­sche Mit­ar­bei­te­rin der in Frank­furt mit­an­ge­klag­ten AfD-MdB Mal­sack-Win­ke­mann angestellt.
Außer­dem war sie spi­ri­tu­el­le Bera­te­rin von Reuß und sei­ner poli­ti­schen Führungsriege.

Ein Ende nicht abzusehen

Ein 36-sei­ti­ges, läng­li­ches Opening–Statement des ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gers der NSU-Ter­ro­ris­tin Bea­te Zsch­ä­pe, Wolf­gang Heer, und jede Men­ge ange­kün­dig­ter Anträ­ge ver­schie­de­ner wei­te­rer Verteidiger*innen gaben bereits am ers­ten Tag einen Vor­ge­schmack dar­auf, wie sich der Pro­zess bis zum geplan­ten Ende im Janu­ar 2025 oder dar­über hin­aus in die Län­ge zie­hen könn­te. Es bleibt span­nend, wie die Drei­tei­lung des Pro­zes­ses sich auf das Ver­fah­ren aus­wir­ken wird und wel­che Stra­te­gien die Ange­klag­ten und ihre Verteidiger*innen anwen­den wer­den. Vor allem das Span­nungs­feld zwi­schen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und rech­tem Ter­ror könn­te das Ver­fah­ren prä­gen. Wie die Richter*innen die­ses beur­tei­len wer­den, sowie der Aus­gang des Pro­zes­ses blei­ben zunächst offen.