Hildegard L. hat schon vieles erlebt: Sie hat zwei Mal ein Studium abgeschlossen, arbeitete als Elektroingenieurin, als Lehrerin in einer Berufsschule, Unternehmerin, Programmiererin und zuletzt als Astrologin und Mitarbeiterin einer AfD-Bundestagsabgeordneten. Außerdem hat sie zwei Mal geheiratet und in zweiter Ehe zwei Kinder bekommen. Weshalb sie für den nächsten Lebensabschnitt den Weg einer mutmaßlichen Rechtsterroristin wählte und in Folge dessen seit über anderthalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt, versucht der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München aktuell herauszufinden.
Eltern waren Impfgegner*innen
Ihr wird vorgeworfen gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Heinrich XIII. Reuß den militärischen Sturz der Bundesregierung und den Aufbau eines Rats als Putschregierung geplant zu haben — oder zumindest mitwissend gewesen zu sein. L. entscheidet sich als erste der acht in München angeklagten Personen auszusagen und legt ein umfangreiches, bisweilen langatmiges Teilgeständnis ab.
Zunächst breitet sie im Schneckentempo, sehr ausführlich und über anderthalb Prozesstage hinweg, ihren Lebenslauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hätten keines ihrer Kinder impfen lassen. Trotzdem hätten sie sich nie mit Kinderkrankheiten angesteckt, behauptet sie. Ansonsten klingt ihre Vita zunächst unauffällig: L. berichtet auch über Familienzerwürfnisse und berufliche Hochs und Tiefs.
Rote Seidenunterwäsche
An einem gewissen Punkt der Verlesung ihrer Aussage werden ihre Erzählungen allerdings esoterisch Nach dem Kontakt zu einer Astrologin und einem Medium, beginnt sie an deren Voraussagen zu glauben. Sie arbeitet ein paar Jahre später schließlich selbst als Astrologin und Kartenlegerin, gründet sogar einen Verlag dafür und gibt regelmäßig Seminare. Ihr Interesse, beziehungsweise ihre Dienste bezeichnet sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.
Zwischenzeitlich glaubt sie nicht nur, die Erkrankungen von Menschen sehen, sondern diese auch selbst lindern zu können. Auf einem Seminar habe sie eine für sie elementare Weisheit erfahren: Um ihre Lebensenergie zu schützen, würde ihr empfohlen, möge sie entweder Chakren-Steine kaufen oder Seidenunterwäsche tragen. Am besten rote, vier Zentimeter unterhalb des Bauchnabels ansetzend. Während sich im Gericht daraufhin offenbar einige das Lachen verkneifen müssen oder peinlich berührt sind, erzählt L. von diesem absurden Ereignis wie von jedem anderen. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustimmung erheischend die Vorsitzende Richterin Illini an.
Überfall auf Bundestag geplant
In folgenden Prozesstagen äußert sich L. aber schließlich auch zur Anklage und beantwortet umfassend Fragen zu ihrer Einlassung: Sie habe von dem Mitangeklagten und Freund Thomas T. von der Gruppe gehört, sie hätten vor allem über Corona-Maßnahmen für Kinder geredet, diese verhindern wollen. Bei anschließenden Sitzungen des Rats, der über die Umsturzregierung entscheiden sollte, wären sie und T. zwar dabei gewesen, hätten allerdings nur als Beobachter*innen tätig werden dürfen. Von Schießtrainings hätte sie zwar gewusst, von den Plänen zum bewaffneten Überfall auf den Bundestag durch ehemalige KSK-Soldaten allerdings erst sehr spät erfahren.
Gerade das zweifelt die Bundesanwaltschaft allerdings an. Diese konfrontiert L. mit Chatverläufen mit der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Malsack-Winkemann. So schreibt L. nach einem Schießtraining der Reichsbürger*innen: „Die würden doch kein Training machen, wenn da nix laufen würde“, und bestätigt ihr, dass „es nicht mehr lange dauern würde“. Es sei laut Bundesanwaltschaft also naheliegend, dass L. zu diesem Zeitpunkt durchaus über den Putschplan Bescheid wusste. Laut L.s Einlassung sei sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unwissend gewesen.
„Birgit-Beruhigungsaktionen“
Ein weiterer Chatverlauf nach dem ersten Ratstreffen zeige außerdem, so die BAW, dass L. Malsack-Winkemann auf deren Frage, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geantwortet habe. Zuvor beteuerte L., dass bei diesem Treffen noch keine personellen Entscheidungen getroffen worden seien und sie auch nicht in diese miteinbezogen worden sei.
Die Konfrontation mit den Chats verunsichert L. im Gericht: Sie kann die Frage nur ausweichend beantworten. L. sagt, ihre Aufgabe wäre es gewesen Malsack-Winkemann zu beruhigen, für die sie schon während ihres Bundestags- Mandats gearbeitet habe. Sie nennt diese „typische Birgit-Beruhigungsaktionen“.
Verschwiegenheit bei Strafe des Todes
Die Verschwiegenheitserklärung, die L. zum zweiten Ratstreffen unterschreiben musste, nahm L. offenbar nicht sonderlich ernst — auch wenn Zuwiderhandlungen mit der Todesstrafe geahndet werden sollten. Kund*innen erzählte die Astrologin von den Treffen und Inhalten. Das Gespräch mit einer ihrer Klientinnen ließ die mithörende Polizei besonders aufhorchen: L. erzählte, dass Listen über systemkonforme Personen angelegt werden müssten, und plauderte aus, dass eine „Allianz“, bestehend aus verschiedenen Militärs und Geheimdiensten bald eingreifen würde.
L.s zwei Verteidiger, die sich aufgrund der hohen Anzahl von Angeklagten in die eine Ecke der hintersten Anklagebank quetschen müssen, scheinen teilweise nicht ganz mit ihren Antworten zufrieden zu sein. Sie bitten um eine Pause, vermutlich um auf Mandantin einzuwirken und ihrem Gedächtnis hin und wieder auf die Sprünge zu helfen.
Ist die Angeklagte L. dement?
Der Anwalt eines weiteren Angeklagten versucht durch die Forderung nach einem psychiatrischen Gutachten sogar L.s gesamte Aussage anzuzweifeln. Er sei der Meinung, L. leide an einer Demenz und könne nicht weiter aussagen, sagte er.
Weshalb L. sich zu der Anklageschrift äußert, während beispielsweise Thomas T. bereits durch seine Anwält*innen bekannt gegeben hat, dass er schweigen wird, bleibt nur zu vermuten. Bei der Schwere der Vorwürfe kann aber angenommen werden, dass L. und ihre Verteidigung eventuell auf ein milderes Urteil und damit eine kürzere Haftstrafe spekulieren.
Terminiert bis Juli 2025
Weitere Fragen verschiedener Verteidiger*innen und Unterbrechungen zu ihrer Beantwortung ziehen das Verfahren bisweilen in die Länge. Die Anwälte von L. bitten im Gericht darum, dass die anderen Verteidiger*innen ihre Fragen bis Ende Juli stellen mögen, um im August die Vernehmung von L. abschließen zu können.
Der ursprünglich bis Januar 2025 terminierte Prozess ist kürzlich bereits bis Juli 2025 verlängert worden.