Es kommt echt nicht häufig vor, dass ich eine Zeitschrift von der ersten bis zur letzten Seite durchlese: Die aktuelle ARCH+ Nr. 235 zu „Rechten Räumen“ habe ich atemlos durchgelesen, entsetzt vom faschistischen Panorama eines Europas auf dem Weg in die Barbarei, das das Heft abschreitet. Und diese Ausgabe einer renommierten Architektur-Zeitschrift ist durchaus nicht nur für Baumeister*innen und Architekturkritiker*innen (Sind wir das nicht alle?) interessant und schafft es „Rechte Räume“ zu definieren, die dahinter liegende Städtebaupolitik, die bauliche geschichtsrevisionistische Erinnerungskultur und den rechten Rekonstruktionswahn freizulegen und den Zusammenhang herzustellen zur aktuellen völkisch-nationalistischen Renaissance und zum offenen Faschismus in Europa. Weiterlesen „Architektonischer Antisemitismus“
Schlagwort: Neue Rechte
CasaPound Italia in der Krise
Kommune Rom contra CasaPound Italia
Die Auseinandersetzung zwischen der Stadtverwaltung Rom und CasaPound Italia über die Hausbesetzung in der Via Napoleone III geht weiter. Am 25. Juli erschien die amtierende Bürgermeisterin Virginia Raggi mit Vertretern der Stadt und der Polizei vor dem Gebäude Nr. 8 in der Via Napoleone III und forderte die faschistische Bewegung medienwirksam auf, den Schriftzug CasaPound von der Fassade zu entfernen. CasaPound Italia hatte die latinischen Lettern im Jahr 2008 ohne Genehmigung über den Eingang der Mietskaserne angebracht. Die Bürgermeisterin setzte den Rechtsradikalen eine Frist für den Rückbau. Anderenfalls würde die Stadt Rom die Entfernung der Lettern veranlassen. Die Vertreter der CasaPound Italia gaben sich selbstbewusst, legten jedoch kurz vor dem Ablauf des gesetzten Ultimatums selbst Hand an und entfernten zähneknirschend den im Stil der 1920er Jahre gestalteten CasaPound-Schriftzug.
Dies ist ein weiterer Schritt in den Bemühungen der Kommune Rom, das von den Faschist*innen im Dezember 2003 besetzte Gebäude wieder selbst zu verwalten. 4,6 Millionen Euro Mieteinnahmen sollen der Kommune durch die Fremdnutzung durch CasaPound entgangen sein. In den ersten fünf Jahren wurde die Besetzung durch den sozialdemokratischen Bürgermeister Walter Veltroni toleriert. Sein Nachfolger, der Faschist Giovanni Alemanno, protegierte während seiner Amtszeit von 2008 bis 2013 CasaPound Italia. In den Jahren 2013 bis 2016 ignorierten die Stadtoberen die „Faschisten des 21. Jahrhunderts“, wie sie sich selber nennen, und ihre Besetzung. Erst mit der letzten Kommunalwahl und der seit Mitte 2016 amtierenden Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Partei Movimento5Stelle bekam CasaPound Italia Gegenwind. Seit Anfang diesen Jahres steht der Entschluss der Ratsmehrheit aus Movimento5Stelle und Partito Democratico fest, dass die Besetzung zu räumen sei. Allein der Innenminister Matteo Salvini von der rassistischen Lega sträubt sich, die kommunale Entscheidungshoheit der Hauptstadt zu akzeptieren und verweigert seine Zustimmung zu dieser polizeilichen Maßnahme. Salvini und CasaPound Italia kooperierten vor einigen Jahren in dem Wahlbündnis „Sovranita“ [dt.: Souveränität]. Darüber hinaus lässt Salvini keine Gelegenheit aus, seine Sympathien für CasaPound Italia zu bekunden. Dies führte Mitte Mai diesen Jahres zu einem erneuten Skandal, als der CasaPound Verlag „Altaforte Edizioni“ den Interviewband der Journalistin Chiara Giannini „Io sono Matteo Salvini“ auf der Turiner Buchmesse präsentieren wollte.
(Das Buch „Io sono Matteo Salvini“ soll demnächst in dem mit Götz Kubitscheks Antaios Verlag verbundenen Manuscriptum Verlag unter dem Titel „Ich bin Matteo Salvini“ erscheinen. Ein Vorwort dazu liefern der Autor des „Jungeuropa Verlags“ Eberhard Straub und der „Junge Freiheit“ Autor Wulf D. Wagner. Wagner veröffentlichte Anfang diesen Jahres einen begeisterten Bericht über den CasaPound-Aufmarsch zu Acca Larentia auf dem Online-Portal Philosophia Perennis.)
CasaPound in der Krise
Wie lange Matteo Salvini bei der derzeitigen Regierungskrise noch Innenminister bleibt ist fraglich. Ein neuer Innenminister würde vor der Entscheidung stehen, die von der Landeshauptstadt eingeforderte Räumung der CasaPound Besetzung weiterhin wie Salvini zu behindern oder dem Ersuchen der Stadt Rom nachzukommen, das Gebäude in der Via Napoleone III Nr. 8 polizeilich räumen zu lassen. Für CasaPound bedeutet die eventuelle Räumung ein großes Problem. Ist doch die Via Napoleone III ihr offizielles Aushängeschild als nationalrevolutionäre Bewegung. Zum jetzigen Zeitpunkt dieses Aushängeschild zu verlieren wäre für CasaPound Italia desaströs. Und so wundert es nicht, dass sich der Parteisekretär von CasaPound Italia, Simone di Stefano, am 22. August fast panisch für Neuwahlen ausspricht. Dies in der Hoffnung Matteo Salvini als kommenden Regierungschef zu sehen. Eine Regierungsumbildung und Koalition aus Movimento5Stelle und sozialdemokratischer Partito Democratico käme für CasaPound Italia denkbar schlecht.
Die Bewegung befindet sich zur Zeit in einer Krise. Sie hat im Juni diesen Jahres ihre seit fünf Jahren verfolgte Strategie, als Wahlpartei anzutreten, für beendet erklärt. Nun muss die Führung der CasaPound Italia eine neue, gangbare Strategie in der sich rapide verändernden politischen Situation Italiens kreieren. Sie muss ihre Mitglieder und Anhänger*innen für diese neue Strategie gewinnen und dabei vermutlich eine weitere Abwanderung von Mitgliedern, Wähler*innen und Sympathisant*innen zu anderen rechten Parteien hinnehmen müssen. Eine weitere Abwanderung, denn schon bei der Europawahl entschieden sich viele ihrer Wähler*innen für die Lega oder Fratelli d‚Italia. Das Gleiche gilt für die ca. 100 Mandatsträger*innen, die für CasaPound Italia in diversen kommunalen Räten sitzen. Als CasaPound Italia zur Jahreswende 2017⁄18 Wahlerfolge erzielte, wechselten in Genova, Mantova, Montelibretti, Trenzano, Cologno Monzese, Nerola, Villanova di San Bonifacio Mandatsträger*innen der faschistischen Fratelli d‚Italia und der Lega zu CasaPound Italia. Jetzt könnte sich ein umgekehrter Trend vollziehen. Zudem beinhaltete die Strategie auf Wahlen zu setzen, dass CasaPound Italia flächendeckend in Italien als Partei präsent sein musste bzw. sein wollte. Dies war verbunden mit dem Konzept eines steten Aufbaus einer dazu notwendigen Infrastruktur, u.a. der Eröffnung neuer Parteisitze. Seit dem Jahr 2013, als CasaPound das erste Mal als Wahlpartei antrat, ist durchschnittlich jeden Monat ein neuer Parteisitz eröffnet worden. Im Jahr 2013 verfügte CasaPound über 51 Stützpunkte. Mit der letzten Eröffnung in Flaminio am 18. Mai dieses Jahres beläuft sich die Anzahl ihrer Niederlassungen auf 144. (So CasaPound Italia. Meine Zählung ergibt 142 Sitze.) Wird CasaPound Italia diese Parteisitze unter den jetzigen Bedingungen halten können? Wie sieht es mit den finanziellen Ressourcen der Bewegung aus? Darüber hinaus stehen demnächst in Mailand, Rom, Neapel, Turin, Genua und Bari diverse Strafprozesse wegen schwerer Straftaten gegen führende Repräsentanten der CasaPound Italia an. Dazu der Prozess gegen zwei CasaPound Mitglieder, die am12. April diesen Jahres eine Kameradin besoffen machten, in den CasaPound Sitz „Old Manners Tavern“ in Viterbo lockten, sie bewusstlos schlugen und mehrere Stunden vergewaltigten. Hausdurchsuchungen bei den beiden Vergewaltigern von CasaPound Italia förderten ein Handy mit Filmaufnahmen der Vergewaltigung zu Tage. Einer der beiden Täter, Francesco Chiricozzi, saß für CasaPound im Rat der Commune Vallerano, wo CasaPound Italia bei der letzten Kommunalwahl mehr als 21 % der Stimmen und drei Ratssitze bekam. Auch das dürfte der Bewegung Kopfzerbrechen bereiten.
Nach außen hin gibt sich CasaPound Italia unbeeindruckt und verbreitet im In- und Ausland Zuversicht. So zeigte sich Anfang August Alberto Palladino in einem auf dem Blog des rechten Jungeuropa-Verlags erschienenen Interview selbstbewusst und zuversichtlich angesichts der Aufforderung der Bürgermeisterin von Rom, den Schriftzug zu entfernen. Geführt hatte das Interview John Hoewer, Beisitzer im Vorstand der Jungen Alternative im Bundesland Sachsen-Anhalt. Hoewer war es auch, der sich im Juli dieses Jahres auf dem Jungeuropa-Blog an einer Analyse des CasaPound-Ausstiegs aus der Parteienlandschaft versuchte. Der Verlag Jungeuropa wurde 2016 durch den umtriebigen rechten Verleger Philip Stein gegründet und zeigt offen seine Sympathie für den (neuen) italienischen Faschismus. Zum Einknicken der italienischen Faschist*innen und dem Selbst-Handanlegen an den historischen Schriftzug erschien dann aber nichts mehr auf der Internetsite des rechten Verlags.
Das Palladino von CasaPound zum Interviewpartner von Hoewer avancierte, verwundert nicht. Im August 2018 gastierte Palladino neben Valerio Benedetti und Olena Semenyaka auf einer Tagung des Jungeuropa Verlags mit dem Titel „Jungeuropa-Forum“. Und in diesem Jahr dürfte Alberto Palladino der Referent gewesen sein, der im „Flamberg“, dem identitären Treffpunkt in Halle (Saale), beim italienischen Abend über den „Kulturkampf von Rechts“ referierte.
Interessant für den Transformationsprozess von CasaPound Italia dürfte das nächste nationale Fest, das seit 2008 stattfindende „Direzione Rivoluzione“ [dt.: Richtung Revolution] werden. Es findet Anfang September in Verona statt. Noch sind Referent*innen, Vorträge und Arbeitsgruppen nicht angekündigt. Das Musikprogramm hingegen wurde schon bekannt gegeben. Am Donnerstag, 5. September, sollen „Topi Neri“, „Sköll“, „Decima Balder“ und „RDD“ auftreten, am Freitag, 6. September, „SPQR“, „Bronson“, „Sumbu Brothers“, „Bellator“ und „DPR“ aus Chile. Und für Samstag, 7. September“, sind „ZetaZeroAlfa“, „Ultima Frontiera“ „ADL 122“ „Wild Alley“ und „Fantasmi del Passato“ angekündigt — eine wahre Horrorliste faschistischer „Kultur“.
Zeitungsartikel zum Thema: Roma, Raggi nel palazzo occupato da CasaPound: „Via la scritta dalla facciata“ (La Repubblica, 25.07.2019); Via la scritta CasaPound dalla sede Raggi: „Ora sgomberiamo il palazzo“ (La Repubblica, 07.08.2019)
Turiner Buchmesse: Des Innenministers „schwarzes Herz“
In Italien wächst zusammen, was zusammengehört. In den letzten Tagen wurde bekannt, dass auf der anstehenden Turiner Buchmesse ein Interview-Band mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini präsentiert werden soll. Der Titel des Buches lautet „Io sono Matteo Salvini“ (dt.: Ich bin Matteo Salvini) und soll „100 domande all’uomo più discusso di Europa“ (dt.: 100 Fragen an den meist diskutierten Mann Europas) enthalten. Weiterlesen „Turiner Buchmesse: Des Innenministers „schwarzes Herz““
Braune Wallfahrten nach Rom
Auch in diesem Jahr fand im römischen Stadtteil Tuscolano der jährliche Gedenkmarsch für die drei faschistischen Jugendlichen Franco Bigonzetti, Francesco Ciavatta und Stefano Recchioni in der Via Acca Larentia statt. Sie waren dort im Januar 1978 erschossen worden. Und wie im vergangenen Jahr waren auch in diesem Jahr viele italienische Faschist*innen aus unterschiedlichen Gruppen erschienen, um den drei Toten den römischen Gruß und ein „Presente!“ zu entbieten. Die Bedeutung des jährlichen Totenkults hat unter der Hegemonie von „CasaPound Italia“ in den letzten 10 Jahren stetig zugenommen und ist für die extreme Rechte Italiens immer weiter ins Zentrum gerückt. Unter den zahlreichen Delegationen waren auch Mitglieder ausländischer Gruppierungen aus Kanada, Griechenland, Polen, Schweden, der Ukraine usw. angereist. Auch eine illustre Mischung teutonischer Rechter hatte sich eingefunden, um am historischen Sitz der faschistischen Partei Nachkriegs-Italiens, des „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) den längst Verstorbenen einen letzten Gruß nachzubrüllen. Die Runde der Deutschen spannte sich dabei von der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg, dem Leiter des völkisch-nationalistischen Projekts „Ein Prozent für unser Land“ und Chef des „Jungeuropa Verlags“, Philip Stein, einigen Anhängern der Identitären Bewegung (IB) bis hin zu einem Autor, der für das Online-Portal „Philosophia Perennis“ des AfD-nahen Theologen David Berger über (neu-rechte) Ereignisse in Italien schreibt. Weiterlesen „Braune Wallfahrten nach Rom“
CasaPound auf Stippvisite in Paris
Die Größe und die Stärke der Bewegung der „Gilets Jaunes“ (Gelbwesten), die trotz ihrer Komplexität und Vielfältigkeit ein gemeinsames Ziel — das Streben nach sozialer Gerechtigkeit — aufweist und seit gut einem Monat Frankreich in Atem hält, hat bei den unterschiedlichen Gruppen, Organisationen und Parteien — links wie rechts — Begehrlichkeiten ausgelöst.
So nahmen neben Mitgliedern der rechtsradikalen „Rassemblement National“ (bis Juni 2018 „Front National“) auch (Splitter-)Gruppen der französischen Rechten wie „Bastion Social“, „Action Française“, „Civitas“, „Dissedence Française“, „Parti Nationaliste Français“, „Division Nationaliste Révolutionnaire“ und „Les Identitaires“ an den unterschiedlichen Demonstrationen der „Gilets Jaunes“ teil. Ihre Präsenz bei den Protesten stieß wiederum auf den Widerstand von Teilen der „Gilets Jaunes“ und anwesender antifaschistischer Linker. Einige Konfrontationen endeten mitunter in handfesten Auseinandersetzungen. Weiterlesen „CasaPound auf Stippvisite in Paris“