Sinn und Zweck dieser Rezension soll sein, die ak (analyse & kritik) Herbst 2013 Sonderbeilage zum Critical-Whiteness-Ansatz prägnant zu durchleuchten. Die Beilage ist online für 4,50 € unter: https://www.akweb.de/service/beieinzel/ oder via Email an: vertrieb@akweb.de oder per Post an: ak — analyse & kritik, Rombergstraße 10, 20255 Hamburg zu bestellen. Dieser Ansatz will die Perspektive von den Opfern von Diskriminierung weg auf die („weißen“) Täter richten, damit diese sich mit ihren Privilegien auseinandersetzen und die Opfer nicht mehr zum Objekt ihrer wissenschaftlichen Studien werden. Was ist an diesem Ansatz positiv und was negativ? Kann man ihn in die akademische und politische Diskussion als erweiternde Perspektive aufnehmen? Oder führen die ihm inhärenten Spaltungen nur zu einer Verhärtung der Positionen?
Editorial – die ak-Redaktion
Eine Verständigung zum Thema und Konzept Critical Whiteness (CW) scheint wohl eher fraglich, da sich hinter der Auslegung von CW eine essentialisierende Tendenz verbirgt. Man darf das Kriterium „weiß“ nicht zwingend mit privilegiert und rassistisch gleichsetzen, denn will man Rassismus etwas entgegensetzen und verhindern, so setzt dies die Veränderbarkeit des menschlichen bzw. des sozialen Verhaltens voraus. Das bedeutet, dass Rassismus ein soziales Produkt ist, Menschen also die Wahl haben, was sie sich selbst für Normen, Strukturen und Institutionen setzen.
Decolorize it! – A. Ibrahim, J. Karakayali, S. Karakayali, V. Tsianos
Nach einer kurzen Darstellung von CW, setzen Ibrahim et al mit der Kritik fort. Als antirassistischer Ansatz legt CW, ironischer Weise, „Weiße“ aufgrund ihrer Hautfarbe als rassistisch fest. Sie werden also entmündigt. Nicht gerade emanzipatorisch.
Mit der Frage danach, was Rassismus verursache, kommen die Autor_innen zum Schluss, dass die Verhältnisse ihn produzieren. Doch wenn diese ein rassistisches Bewusstsein und Strukturen produzierten, könnte Antirassismus eigentlich nicht stattfinden. Also muss es vorher eine Idee von „Rasse“ geben, die diesen Strukturaufbau antreibt. So würde auch die Implikation Strukturen (wenn auch unbeabsichtigt) als „naturwüchsig“ darzustellen verhindert. Als soziales Konstrukt sind sie hingegen veränderbar und aufzulösen. Deshalb gilt es, nicht nur die materiellen Verhältnisse aufzudecken und zu verändern, sondern auch die Diskurse.
Farbenblindheit ist auch keine Lösung – A. Dugalski, M. Hamsa, C. Lara
Hier werden Vielzahl und Vielfalt der Meinungen verwechselt. Auch dass die Geschichte des, die Forschung zu und Bewegungen gegen Rassismus für die eigene Position vereinnahmt werden, scheint wieder essentialisierend.
Weiterhin problematisch ist eine Rhetorik des 19. und 20. Jahrhunderts, samt ihrer historisch überkommenen Postulate. Denn sie reduzieren den Begriff des Politischen auf „Kampf“ und entleeren ihn somit. Weitere begriffliche Ungenauigkeiten bestehen in der Gleichsetzung von CW und PoC (People of Colour), da so „Weiße“ ausgeschlossen werden. Es reproduziert letztlich rassistische Mechanismen. Ihnen steht höchstens eine Unterstützerrolle zu. Der implizite Schluss, Benachteiligungen zumindest gleich zu verteilen, anstatt sich die gleichen Rechte zu geben (vgl. hierzu das Verhalten einiger CW-Aktivist_innen auf dem No Border Camp in Köln 2013), zeugt von einer Verwechselung von Privilegien und Rechten. Denn auch in einem gerichtlichen Prozess gilt, dass eine bloße Beschuldigung oder Unterstellung noch lange nicht zu einer Verurteilung führen darf.
Man kommt auch nicht umher, sich an Orwells Animal farm erinnert zu fühlen, in dem die sieben Gebote der Tiere zusammengestrichen werden auf: „All animals are equal, but some animals are more equal than others.“
Dass aus dem Versuch, CW (eigentlich eine analytische Perspektive) zu einem allgemeingültigen Lösungsansatz zu machen, die Kaperung von CW und die Verbindung des Ansatzes mit Autoritarismus hervorgeht, erkennen und beklagen auch die Autor_innen.
Dimensionen der Differenz – Moderation: J.O. Arps und R. Khan – Gesprächsteilnehmer: J.K. Aikins, J. Karakayali, S. Karakayali, S.D. Otoo, V. Tsianos
Zunächst soll klargestellt werden, dass sich auf dem taz-lab im April 2013 beide Seiten daneben benommen haben.
Auch in dieser Gesprächsrunde kommt man nicht viel weiter. Neben viel zu sprunghaften Beiträgen, zu vielen Beispielen, Umgangssprache und sehr zurückhaltender Moderatoren, sind auch hier die Vereinnahmung der Geschichte (der Wissensproduktion durch PoC) und die notorische Verwechselung von Privilegien und Rechten ein Problem.
Auch hier schließt der PoC-Begriff „Weiße“ aus. Doch dieses Verständnis von Ungleichberechtigung reduziert das Problem auf ein Kriterium (Herkunft, Hautfarbe) und erkennt nicht die Idee oder den Mechanismus dahinter und versucht auch nicht diese aufzulösen. Nur Tsianos greift dies kurz explizit auf. Der Fokus auf das Kriterium, nach dem ausgeschlossen wird, ist nicht emanzipatorisch, da dieses meist nicht zu beeinflussen ist. Also spaltet dies unnötigerweise.
Was ebenfalls zu bedauern ist, ist die Betonung von historischer Kontinuität, gleichzeitig aber Ereignisse wie die Shoah aus dieser herausgenommen werden, mit dem Hinweis sie seien singulär. Dann soll aber aus dieser Singularität eine historische Verantwortung der „Deutschen“ entstehen? Es fehlt der rote Faden.
Auch die Nennung von „Erkenntnisbarrieren“ oder der Schaffung „ein[es] anderen Raum[es]“ weisen auf ähnliche Ausgrenzungsmechanismen in den Argumenten, wie beim Rassismus hin.
Dynamische Sprache gegen Herrschaft und Diskriminierung – Interviewer: I. Stützle – Interviewte: L. Hornscheidt
Die Auffassung von Sprache als einem Konstrukt betont genau die Elemente die oben schon öfters genannt wurden: Emanzipation- und Veränderungsmöglichkeiten, Betonung von Diskursen und die Kritik der Naturalisierung und Essentialisierung von Phänomenen.
Der Verzicht auf Lösungen von „oben“ spricht für einen emanzipatorischen Ansatz, der auf gesellschaftlicher Verständigung und weniger auf Zwang (es sei denn auf den sich eigens gegebenen) baut. Trotzdem soll hier gesagt sein, dass in diesem kommunikativen Prozess, Publikum und Sprecher_innen sich gegenseitig dazu verpflichten, dem anderen seine Rechte einzugestehen. Es kann nicht sein, dass nur die einen aufgrund einer früheren Benachteiligung, nun über mehr Rechte verfügen (Aussprache), aber nicht selber die Pflicht des Zuhörens haben, was nun aber für die vorher nicht benachteiligten Personen gelten solle.
In diesem Prozess kommt es darauf an, die Argumentation (also den Kontext) zu beachten und nicht nur auf die Assoziationen in Verbindung mit gewissen Schlagwörtern. Denn nur im Zusammenhang ergeben Worte Sinn und lassen Assoziationen entstehen. Um sich einen gewissen Freiraum zu geben, dürfen Worte nicht auf eine Bedeutung reduziert werden, sonst entsteht ein Gefangenendilemma und Alternativen können nur noch schwer artikuliert werden. Geschieht diese Auseinandersetzung mit Argumentationen nicht, zeugt es von einem profunden Missverständnis von Diskurstheorie.
Nur für Eingeweihte – H. Wettig
Wettig greift die eben genannte Kritik auf, indem das Beispiel der Schwulenbewegung und der Umdeutung des Wortes „queer“ zum Positiven und im Sinne der Bewegung genannt wird. Es stimmt auch, dass sich genauso wie die Sprache auch die Verhältnisse ändern müssen. Dies sollte jedoch so verstanden werden, dass Sprache, die keinen Einfluss auf die Verhältnisse hat, als die Verhältnisse lediglich reproduzierend verworfen werden sollte. Daraus zu schließen, Sprache wäre das zweitrangige Ziel, ist jedoch falsch. Vielmehr geht es darum die Dialektik beider zu verstehen und den Impuls auf die Veränderung der Verhältnisse durch Sprache auszulösen.
Allerdings kann Wettigs Position bekräftigt werden, dass dogmatische und unreflektierte Wortneuschöpfungen ebenso elitär und von „oben“ kommen, wenn sie nicht in einer gemeinsamen Auseinandersetzung über Sprache entstehen, sondern nur der Betroffenengruppe zustehen, die diese mitunter auch mittels der Autorität der Wissenschaft oder des Mantras der Expert_innen durchsetzen wollen und sich nicht der Kritik des Publikums stellen.
Wer hat die Definitionsmacht? – S.D. Otoo
Auch in Otoos Beitrag finden sich einige kritische Elemente. Sie achtet bei Sprache auf den Tonfall (also den Kontext), stellt danach aber die These auf, dass das Wort „Endlösung“ aufgrund der Assoziationen, die es hervorruft (Kontext: Nationalsozialismus), innerhalb eines komplett anderen Kontextes (z.B.: Mathematik) nie mehr verwendet werden könnte. Eigentlich widerspricht sie sich selbst, da es ihr anscheinend doch nicht auf den Kontext, mit dem auch Intentionen verbunden sind, ankommt. Sie reduziert Worte auf eine einzige Bedeutung, was autoritär wirkt.
Die Unterstellung, Wettig sei sich ihrer Privilegien nicht bewusst, kommt einem bereits bekannt vor. Das Argument der „Betroffenheit“, vermengt mit einer anschuldigenden direkten Ansprache der Leser_innen, kommt als Totschlagargument rüber und beinhaltet ein hyperindividualisiertes Verständnis von Gesellschaft, in dem Vermittlung sehr schwierig wird. Sie vergisst, dass ihr Recht auf Selbstbezeichnung auch eine Pflicht der Gegenkritik mit sich bringt, sonst bevormundet man sein Gegenüber, ist unkritisch und macht soziale Kommunikation unmöglich.
Als sie von versehentlicher Diskriminierung spricht, erkennt sie nicht, dass ein Versehen einem anderen Kontext entspringt, als dem des vermeintlich Diskriminierten. Es zeugt von missverstandener Diskurstheorie.
Die Schwierigkeiten der Repräsentation – M.Z. Yufanyi
Beiträge wie der Yufanyis verdienen Lob und Kritik. Dass sie Othering anspricht, wird hier begrüßt, da es einen diskursiven Mechanismus hervorhebt, anstelle von rein materiellen Verhältnissen.
Dass dies auch in der Wissenschaft, speziell in der Geographie, stattfand stimmt. Sich aber nur auf ein (historisch überholtes) Paradigma zu beziehen und die jüngsten Entwicklungen in der Humangeographie nicht zu nennen, ist schlechthin ahistorisch, selektiv und essentialisierend. Es scheint so, als würde Selbstbezeichnung dazu verkümmern, lediglich die Konstruktionen des Selbst, die durch andere geschaffen wurden, zu kritisieren. Wirklich autonome Selbstbezeichnung findet sich kaum.
Auch hier wird Vielzahl der Meinungen mit Vielfalt verwechselt. Es sollte Alternativen zu Othering geben, nicht welche innerhalb Otherings.
Damit wir im Antirassismus vorankommen, brauchen wir eine selbstkritische Kritik von Opfern und Tätern. D.h., dass wir historische Variabilität, also auch die personelle Veränderung anerkennen müssen. Sonst werden Rehabilitation, Schuldbegleichung und Vergebung unmöglich. Opfer sowie Täter würden stets in ihren Rollen verbleiben. Deshalb ist neben Bestrafung auch eine Möglichkeit zum Ausstieg aus rechten Kreisen zu schaffen. Täter müssen sich von ihrem Tätersein emanzipieren können, damit die (potentiellen) Opfer bei deren Freilassung nicht (wieder) zu Opfern werden.
Es ist keine Lösung, wenn jeder nur für sich und seine subjektiven Erfahrungen sprechen kann. Denn es geht nicht darum, konstant Grenzen zwischen Personen zu ziehen und aus ihren separaten Erfahrungen das arithmetische Mittel zu nehmen, sondern es geht vielmehr um die Vermittlung zwischen Positionen. Man kann also nicht einseitig und kontextlos definieren, was diskriminierend ist (z.B. die Frage „Woher kommst du?“ ist nicht immer rassistisch), da man nicht in die gleichen selektiven Argumentationsstrukturen verfallen darf wie der Rassismus.
Auch Yufanyi verwechselt Privilegien und Rechte, was dahin führen könnte, dass wir vom „separate and unequal“ zum „separate but equal“ kommen, nicht aber zum simplen „equal“.
Die Definition von „Weißsein“ ist ebenfalls problematisch, da nicht nur der Begriff, sondern auch die Argumentation essentialisierend, gar rassistisch anmutet. Die Hautfarbe hat in diesem Verständnis einen Einfluss, wenn auch nicht biologischen sondern strukturellen, auf die persönliche Einstellung. Was daran noch emanzipierend sein soll, kann man sich durchaus fragen. Es wäre besser, die Eigenschaften zu benennen, sie nicht zu reifizieren (verdinglichen) und ein autonomes Selbst zu entwerfen.
Die Grenzen des Antirassismus – A. Reed Jr.
Was nicht mit Reed Jr. geteilt wird ist die Kritik, der Begriff des Antirassismus werde zu stark betont, denn es erst wenn das Problem be-griffen wurde, kann ein Ziel formuliert werden.
Positiv ist, dass auch er die Vereinnahmung historischer Bewegungen durch aktuelle kritisiert. Letzteren wirft er eine Einzelfallmobilisierung vor.
Sein dialektisches Verständnis von Diskurs und Praktik ist gut. Allerdings vertritt er die Meinung, dass die Wissensproduktion zu einzelnen sozialen Teilbereichen unproduktiv sei, da sie nur neoliberale Reformen umsetze. Er sucht den kompletten Systemwandel. Dem wird hier widersprochen, da Reformen nicht per se neoliberal sind, da sie dort ansetzen, wo Bedarf ist und nicht alles, v.a. nicht sozial gerechte Verhältnisse (dort wo es sie gibt), über Bord werfen. Mit dem Systemwechsel kommt auch die Frage nach einer gewaltfreien Revolution. Diese lässt er außer Acht.
Auch dass Erkenntnis nur wenig an den Praktiken verändere, kann so nicht bejaht werden, da nach der Dialektik von Diskurs und Praktik, ein veränderter Diskurs eine veränderte Praktik mitbringt. Nur die Praktik zu ändern, ohne Argument, löst den ideellen Rassismus nicht auf.
Es ist auch an den konkreten Umständen zu arbeiten, da sie Teil des Diskurses sind und ihn reproduzieren und legitimieren bzw. ihn auch widersprüchlich erscheinen lassen.
Doch die Auseinandersetzung mit dem „Danach“, muss vorher stattfinden, sonst kann die Bewegung vereinnahmt und usurpiert werden. Es müssen Antworten darauf gegeben werden, was nach der Umverteilung geschehen soll? Reduziert die Umverteilung nicht die Debatte auf Einkommens- und Vermögensaspekte? Nimmt es nicht auch die Gesellschaft aus der Verantwortung, nach dem Motto: „Jetzt wo umverteilt wurde, ist es an euch, euch zu erweisen“? Nach welchen Marktregeln wollen wir dann handeln? Was ist, wenn wieder aufgrund eines Merkmals Gruppen diskriminiert werden? Liegt das dann im System oder nur in einem Teil davon? Sind in einer Gesellschaft nicht auch andere Faktoren relevant (z.B.: Zugehörigkeitsvorstellungen), die zuerst de- und dann rekonstruiert werden müssten? Entspringt nicht gerade daraus eine Gruppe der „Unerreichbaren“, wenn der dritte vor dem zweiten Schritt getan wird, als Teil eines hysterischen Aktionismus, bevor überhaupt ein Konsens erreicht wurde? Dies ist die eigentlich schwierige Aufgabe.
Kritik der ak-Sonderbeilage Herbst 2013