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„Erinnern heißt kämpfen“: Die Zukunft des Strafjustizzentrums in München
Das Münchener Strafjustizzentrum ist weit mehr als ein funktionaler Ort für juristische Abläufe. Derzeit steht es im Mittelpunkt einer Debatte über seine Zukunft: Sollte es abgerissen oder einer neuen Nutzung zugeführt werden? Noch ist das Gebäude in Betrieb, aber seine symbolische und historische Bedeutung wirft die Frage auf, ob und wie man diesen Ort bewahren sollte, wenn die Gerichte wie geplant umziehen.
Es ist ein Ort, der in der Geschichte der deutschen Justiz und ihrer Auseinandersetzung mit rechtem Terror und neonazistischen Netzwerken eine symbolische und tiefgreifende Bedeutung erlangt hat. Über Jahrzehnte hinweg war es Schauplatz bedeutender Verfahren, die nicht nur juristisch, sondern auch politisch und gesellschaftlich von größter Relevanz waren. Dazu zählen unter anderem der Prozess, der die rassistisch motivierte Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) verhandelte, sowie der gegen den Waffenlieferanten des Attentäters vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ), der im Juli 2016 neun Menschen ebenfalls aus rassistischen Motiven dort ermordet hat.
In einer Zeit, in der rechte Gewalt und rechter Terror immer wieder und immer mehr auf erschreckende Weise in Deutschland zutage treten, rückt die Diskussion um das Strafjustizzentrum in ein neues Licht. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion, organisiert von der Initiative „JustizzentrumErhalten / AbbrechenAbbrechen“, gingen die Podiumsgäste der Frage nach, ob das Justizzentrum als Ort des Gedenkens an die hier verhandelten Gewaltverbrechen erhalten bleiben sollte, um Raum zu bieten für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, diesen Geschichten.
Auf dem Panel saßen Gisela Kollmann, die ihren Enkel Giuliano Kollmann bei dem rechten Anschlag im OEZ verlor, Patrycja Kowalska, eine Unterstützerin der Initiative „München OEZ Erinnern“, Friedrich Burschel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung & NSU Watch sowie der Journalist Robert Andreasch, der für die Antifaschistische Informations‑, Dokumentations- und Archivstelle München arbeitet. Sie alle verbindet das Anliegen, dass die Opfer rechter Gewalt nicht vergessen werden und dass der Staat endlich Verantwortung übernimmt – sowohl für die lückenlose Aufklärung solcher Taten als auch für die Anerkennung des rechten Terrors als systemisches Problem.
Der OEZ-Anschlag und die Kämpfe der Angehörigen
Im Jahr 2016 ereignete sich der rechtsterroristischer Anschlag im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Neun Menschen, überwiegend mit familiärer Migrationsgeschichte, fielen dem Anschlag zum Opfer, darunter auch Giuliano Kollmann, der damals 19-jährige Enkel von Gisela Kollmann. Der Täter, mit tief verwurzelten rassistischen und völkisch-nationalen Überzeugungen, plante die Tat systematisch und fand dabei Unterstützung von einem Waffenhändler, der ihn mit der Mordwaffe sowie „ausreichend“ Munition versorgte. Trotz offensichtlicher Hinweise auf die rechte Motivation, verharmoste man die Hintergründe des Anschlags lange. Die Behörden sprachen von einem „Amoklauf“, nicht von rechtem Terror.
Gisela Kollmann berichtet in der Diskussion von den Erfahrungen, die sie während des Prozesses gegen den Waffenhändler im Strafjustizzentrum in der Nymphenburgerstraße machte. „Ich wollte nur, dass er mir einmal in die Augen sieht, aber er konnte es nicht“, erzählt sie. Kollmanns Erlebnisse im Gerichtssaal sind symptomatisch für die Art und Weise, wie staatliche Institutionen mit den Betroffenen umgehen: Ohne Empathie, ohne wirkliches Verständnis für den Schmerz und das Trauma, das solche Taten hinterlassen. Floskeln wie „Sie müssen keine Angst haben, dass er ihre anderen Kinder tötet“ hätten diese Mißachtung sehr deutlich gemacht, sagt Gisela Kollmann. Die Hinterblieben werden durch den Prozess weiter traumatisiert – diesmal durch den Staat, der sie hätte schützen und unterstützen sollen.
Diese Erfahrungen sind keine Einzelfälle. Die Initiative „München OEZ Erinnern“, der auch andere Angehörige und Überlebende des Anschlags angehören, kämpft seit Jahren dafür, dass der Anschlag als das anerkannt wird, was er war: ein rechtsterroristischer Angriff. Patrycja Kowalska, die die Initiative unterstützt, betont, dass dieser Kampf nicht nur ein persönlicher ist. Es geht um das politische und gesellschaftliche Bewusstsein, dass rechter Terror ein systematischer Angriff auf das Leben und die Würde von Menschen ist – motiviert durch gruppenbezogenen Hass und getragen von rechter Ideologie.
Parallelen zum NSU-Prozess
Auch im gigantischen, 438 Tage dauernden NSU-Verfahren dort wurden die Angehörigen der Opfer oft ignoriert und ihre Interessen aktiv missachtet. Der NSU, eine neonazistische Terrorzelle, war für die Morde an zehn Menschen, überwiegend Migranten, verantwortlich. Doch ähnlich wie im OEZ-Fall wurde auch hier lange an einem Narrativ festgehalten, das die Verantwortung des Staates und die Rolle eines hinter dem Kern-Trio stehenden, umfangreichen rechten Netzwerks kleinredete. Die jahrelangen Ermittlungen und der anschließende Gerichtsprozess zeigten, wie tief strukturelle Ignoranz und institutionelles Rassismus verankert sind, wenn es um die Aufklärung und Verfolgung rechten Terrors geht.
Der NSU-Prozess offenbarte zudem, dass der NSU keineswegs isoliert agierte. Ein breites Netzwerk von Unterstützern half der Terrorgruppe, sich jahrelang dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Beobachter des Prozesses betonen, dass weit über 100 Personen in dieses Netzwerk involviert waren, viele von ihnen als aktive Mittäter oder Unterstützer. Trotz dieser klaren Beweise wurde im Prozess versucht, die Verantwortung des Staates und der Verfassungsschutzbehörden herunterzuspielen, die den NSU über zahlreiche Informant*innen in unmittelbarer Nähe der Täter*innen und über das Geld für deren Dienste erst überhaupt mit aufgebaut und unter Beobachtung gehabt hätten, aber dann eben nicht gestoppt hätten.
Auch im NSU-Prozess war der Gerichtssaal geprägt von einer bedrückenden Hierarchie. Die 93 Nebenkläger*innen, die Familien der Opfer, die im Verfahren von mehr als 60 Rechtsanwält*innen vertreten wurden, saßen im Saal A101 unter der Tribüne, auf der die Presse und die Öffentlichkeit über ihnen thronten. Diese räumliche Anordnung spiegelte die reale Marginalisierung der Opfer und ihrer Angehörigen wider, die um Gehör und Anerkennung kämpften, während die staatlichen Institutionen versuchten die eigenen Versäumnisse zu verdecken.
Die Bedeutung der Räume des Justizzentrums
Angesichts dieser Geschichte wird die historische Bedeutung der Räume des Justizzentrums besonders deutlich. Diese Wände haben Zeugenberichte von Menschen gehört, deren Familien durch rechten Terror zerstört wurden. Sie haben die Bemühungen gesehen, den Staat zur Verantwortung zu ziehen, und zugleich das Scheitern staatlicher Institutionen, sich der vollen Wahrheit über diese Verbrechen zu stellen. Die Prozesse, die hier stattfanden, sind Zeugnisse eines fortwährenden Kampfes – nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen eine Gesellschaft, die allzu oft wegschaut.
Das Justizzentrum könnte, wenn es mit einem Ort des Gedenkens — etwa im A101 — erhalten bliebe, all diese Geschichten bewahren. Es wäre ein Mahnmal, das nicht nur an die Opfer erinnerte, sondern auch daran, wie institutionelles Versagen rechten Terror ermöglicht und begünstigt hat.
„Reichsbürger“-Prozesse und die Kontinuität rechten Terrors
Nicht nur vergangene Prozesse sind hier von Bedeutung: In den gleichen Hallen finden heute die „Reichsbürger“-Prozesse statt.
Die „Reichsbürger“, eine Bewegung, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und sich oft durch rechte, antisemitische und verschwörungstheoretische Überzeugungen auszeichnet, stehen derzeit im Zentrum zahlreicher Gerichtsverfahren. Diese Prozesse, die ebenfalls im Justizzentrum geführt werden, knüpfen direkt an die Tradition der Auseinandersetzung mit rechtem Terror an. Wie schon bei den NSU-Morden und dem OEZ-Anschlag zeigt sich auch hier, dass rechte Ideologien nicht isoliert, sondern in Netzwerken agieren – unterstützt werden die Akteur*innen von Gleichgesinnten, teils mit weitreichenden Verbindungen in gesellschaftliche und staatliche Strukturen.
Diese Kontinuität rechter Gewalt und ihre bedrohliche Präsenz in der Gegenwart verdeutlichen, wie notwendig eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Justizzentrums ist. Der Abriss dieses symbolträchtigen Ortes wäre ein Verlust, der weit über das rein Architektonische hinausgeht.
Kulturen des Verdrängens und Erinnerns — Rezension
Diese neue Publikation reiht sich in die Vielzahl derer ein, die in den letzten Jahren zum Thema der Nicht_Erinnerungen an die rassistische Gewalt der 1990 er Jahre erschienen sind. Sie fragt danach, wie die rassistische Gewalt erinnert wird, und von wem und in welcher Form?
«Kulturen des Verdrängens und Erinnerns» legt den Fokus auf den August 1992, als in Rostock-Lichtenhagen ein Heim für Geflüchtete belagert und angegriffen wird, eine Menschenmenge zuschaut, und die AngreiferInnen anfeuert. Es geht also, und selbst das ist heute kaum öffentlich sagbar, um Gewalt, Schmerz, Leid und Traumata, und den individuellen wie den gesellschaftlichen Umgang damit.
Das Buch enthält eine Einleitung und 14 Artikel, Angaben zu den Autor*innen des Bandes, die Informationen zu deren Perspektive oder Sprechposition hätten bieten können, fehlen bedauerlicherweise. Die Historikerin Franka Maubach plädiert vehement dafür, rassistische Gewalt auch in die spezifische lokale und regionale Situation einzubetten und sie nicht nur als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Stimmungen zu verstehen. Die Tübinger Rechtsextremismusforscherin Tanja Thomas und Fabian Virchow weisen gut begründet darauf hin, dass die Erinnerungskultur weiterhin von der Mehrheitsgesellschaft geprägt, wenn nicht dominiert sei. Dies führe unter anderem dazu, dass die Stimmen und Perspektiven von Betroffenen, Opfern und Überlebenden beharrlich übergangen werden. Oliver Plessow, Geschichtsdidaktiker und die Demokratiepädagogin Gudrun Heinrich, beide von der Universität Rostock skizzieren in ihren Texten jeweils die Situation in Rostock selbst, hinterfragen den auch von aktivistischen Kreisen angenommenen Wirkungsoptimismus öffentlichen Gedenkens und öffentlicher Gedenkzeichen, und benennen die wichtige Rolle, die lokale und überregionale zivilgesellschaftliche Initiativen im Feld der Erinnerungspolitik, und so war es auch in Rostock, haben. Kien Nghi Ha begreift Rostock als Symbol für institutionellen Rassismus von Medien, Polizei, Stadtverwaltung und anderen, kollektiven Akteur*innen. Von ihnen wird lange Zeit, von vielen bis heute, der Begriff «Pogrom» vermieden. Die antiziganistische Dimension des Pogroms wird im Beitrag von Stefanie Oster und Johann Henningsen vom Dokumentationszentrum «Lichtenhagen im Gedächtnis» deutlich. Sie haben betroffene Rom*nja des Pogroms recherchiert und so 2022 einige Interviews führen (lassen) können, vier sind hier online.
Im letzten Kapitel werden noch drei andere, wichtige Ereignisse, und die damit zusammenhängende Erinnerung, thematisiert: Die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und in Mannheim-Schönau 1992 und der Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Solingen 1993, bei dem fünf Menschen ermordet werden. Der Anschlag in Solingen fand am 29. Mai statt, drei Tage nachdem im Bundestag mit großer Mehrheit die bis dahin bestehende Asylrechtsregelung abgeschafft wurde.
Die Texte zeigen, dass Erinnerung umkämpft ist und immer wieder um Erinnerung gerungen wird. Die Publikation dokumentiert auch, dass durch das jahrzehntelange, mühsame Engagement von vielen sich etwas verändert hat, wenn auch zu langsam und zu wenig. Wer sich noch nicht so grundlegend oder umfangreich mit der Historisierung rassistischer Gewalt beschäftigt hat, wird in dem Buch viel Lesens- und Bedenkenswertes finden. Die Sprache ist auch nicht zu akademisch. Wer sich besser auskennt, wird jedoch auch viel Bekanntes lesen. Die Publikation entstand aus Aktivitäten an der Universität Rostock im Sommer 2022, sie ist hier auch open access verfügbar.
Informationen zum Buch:
Gudrun Heinrich / David Jünger / Oliver Plessow / Cornelia Sylla (Hrsg.): Kulturen des Verdrängens und Erinnerns. Perspektiven auf die rassistische Gewalt in Rostock-Lichtenhagen 1992; Neofelis Verlag, Berlin 2024, 226 Seiten, 23 Euro
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(K)ein Ende in Rostock-Lichtenhagen - 30 Jahre Rostock Lichtenhagen
Reichsbürger vor LG München: „Grüß Gott an die Kinder Satans“
Der Prozess gegen den Reichsbürger Johannes M., der unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, Nachstellung sowie Anstiftung zu Straftaten angeklagt war, endete vor dem Staatsschutzsenat des Landgerichts München mit einer Verurteilung zu 2 Jahren und 10 Monaten Freiheitsentzug.
Bereits beim Betreten des Saals wird M. von seinen etwa 20 Anhänger*innen empfangen, die ihn mit freudigen Gesten und warmen Worten begrüßen. Der Angeklagte, der in seiner Erscheinung an einen charismatischen Prediger erinnert, wendet sich durchweg seiner Fangemeinde zu. Mit einer Darstellung von Jesus in den Händen verteilt er Küsse und Grüße in die Menge – das Gericht ignoriert er dabei demonstrativ und wendet ihm den Rücken zu. Im Plädoyer der Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft München, Staatsanwältin Stefanie Ruf, wird die volle Tragweite von M. Taten und deren Konsequenzen unmissverständlich dargestellt.
Die BRD-Firmen
Johannes M. hat sich in den letzten Jahren als Kopf einer über Telegram organisierten Gruppe etabliert. Auf dem unterdessen gesperrten Account verbreitete er Verschwörungsfantasien, die zu einer Melange aus antisemitischen Ideologien, staatsfeindlichen Positionen wie der aus den USA stammenden QAnon-Erzählung und Pandemieleugnungen mit Christlichen Versatzstücken verrührt werden. Zentral ist M.s Überzeugung, dass ein „zionistischer Plan“ auf die Vernichtung des „deutschen Volkes“ abziele und Deutschland seit über einem Jahrhundert im Krieg lebe. Er bestreitet konsequent die Existenz der BRD und sieht damit Behörden und staatliche Institutionen als illegal an und beschuldigt sie, in pädokriminelle Machenschaften verwickelt zu sein. Auch er selbst sieht sich als Opfer und wirft dem Gericht Nötigung und Verschleppung durch Schergen der in Delaware (USA) registrierten aus 47.000 Privatfirmen bestehenden BRD vor.
Institutionen als Hassobjekte
M.s Attacken richteten sich gegen eine Vielzahl von Institutionen. Besonders betroffen waren Arztpraxen und Schulen, die nach seiner Ansicht über Impfungen und Corona-Schutzmaßnahmen das Wohl der Kinder gefährdeten. Aber auch Jugendämter, Polizeibeamt*innen und Mitarbeiter*innen des Gerichts, die er als kriminell und pädophil beschimpft, werden nicht verschont. Der Ablauf der von M. losgetretenen Aktionen war stets ähnlich: Zunächst rief er persönlich in den betreffenden Institutionen an, hielt einen wirren Monolog über die angeblich dort stattfindenden kriminellen Machenschaften und stieß teils direkte Gewaltandrohungen und Tötungsvorhersagen aus. Er geht davon aus, dass in naher Zeit „das Militär“ unter Führung des Commanders in Chief, Donald J. Trump, über seine Widersacher „richten“ und diese exekutieren werde — das teilte er den zum Teil tief geschockten Betroffenen am Telefon auch so mit.
Doch bei einem einzigen Anruf bleibt es nicht. Müller forderte anschließend stets seine Anhänger*innen auf Telegram auf, ebenfalls bei den betreffenden Institutionen anzurufen, um dort tätige Personen systematisch zu terrorisieren. Kontaktdaten und Fotos der Opfer verbreitete er vielfach in der Chatgruppe und die Aufrufe zur Gewalt häuften sich – wobei sich Müller selbst widersprüchlich stets als Pazifist bezeichnet hatte.
„Die Herren in Schwarz“
Die langanhaltende Einschüchterung durch Müllers Gruppe hinterließ bei den Betroffenen tiefe Spuren. Die Staatsanwältin berichtet von traumatisierten Mitarbeitenden in Jugendämtern, die Polizeischutz benötigen und kurzzeitig schließen mußten. Beschäftigte trauten sich nicht mehr alleine nach Hause, Polizist*innen überlegten, ob sie ihre Dienstwaffen mitnehmen sollten, Ärzt*innen sahen sich gezwungen, ihre Praxen zu schließen und sich krankschreiben zu lassen. Die Angst und der psychische Druck sind allgegenwärtig – viele Opfer leiden bis heute unter Schlaflosigkeit und schweren Belastungsreaktionen. Nicht alle schafften es, vor Gericht auszusagen.
Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft, lässt der Angeklagte keine Gelegenheit aus, das Gericht zu verunglimpfen. Die Staatsanwältin wird von ihm in herabwürdigender Weise als „blonde Tusse“ bezeichnet, während er das gesamte Gericht als „pädokriminell“ und „illegitim“ beschimpft.
In der anschließenden kurzen Pause sammeln sich M.s Anhänger, um untereinander kollektiv ihr Unverständnis gegenüber dem Gericht kundzutun. Die tiefe Ablehnung gegenüber der Institution Gericht und die Glorifizierung des Angeklagten werden in dieser Gruppe deutlich. Als der Prozess fortgesetzt wird, wendet sich das Geschehen der Verteidigung M.s zu.
Doch bevor sein Verteidiger überhaupt zu sprechen beginnt, wird dieser von M. selbst unterbrochen. In einem bizarren Akt der Selbstinszenierung beschuldigt M. seinen Anwalt, Teil krimineller Machenschaften zu sein, und erklärt offen, dass er sich von den beiden Verteidigern unter keinen Umständen vertreten lassen wolle. Er bezeichnet die Mitglieder des Gerichts lediglich als „Herren in Schwarz“ und verweigert jegliche Anerkennung der juristischen Autorität. Stattdessen interagiert er mit Gesten mit seinen Anhänger*innen oder versinkt in Gebeten.
Anwalt schweigt zur Verteidigung
Trotz Müllers aufgebrachter Intervention versucht sein Anwalt, die Verteidigung in mildernder Absicht fortzusetzen, beschränkt sich jedoch auf einige Worte, die sich vor allem auf die juristische Frage der Bildung einer kriminellen Vereinigung konzentrieren, deren Bildung der Jurist nicht zu erkennen vermochte. Jede weitere inhaltliche Verteidigung unterbleibt unter diesen Umständen jedoch.
Erlösungsfantasien
Im weiteren Verlauf fordert der Vorsitzende Richter M. zu seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung auf. Er nutzt diese Gelegenheit, um ein weiteres Mal seine umfassende Verschwörungsideologie in epischer Breite darzulegen. Er spricht davon, dass nur ein Drittel der Menschheit, diejenigen, die „auf dem richtigen Weg“ seien, gerettet werden könnten, während die übrigen zwei Drittel, darunter auch der Senat, dem Gericht Gottes anheimfallen würden. Er wendet sich provokativ an die Prozessbeteiligten: „Grüß Gott an die Kinder Satans“.
M.s Rede mündet schließlich in einem Schwall bizarrer Verschwörungserzählungen, die verschiedene historische und aktuelle Themen und Persönlichkeiten miteinander verweben. Der „Tag des Herrn“, so prophezeit er, stünde unmittelbar bevor, eine Art Endzeitmoment, der das Schicksal der Menschheit besiegeln werde. Dabei verknüpft er aktuelle politische Akteure wie Donald Trump mit fantastischen Narrativen über elektromagnetische Strahlen und geheime Knöpfe. Auch Annalena Baerbock taucht in seinen Theorien auf– angeblich maskiert mit einer Silikonhaut. Während dieser verstörenden Ausführungen hält M. durchgehend eine Bibel in der Hand, aus der er stellenweise Passagen zitiert, um seine wirren Theorien mit religiöser Beglaubigung zu untermauern. M.s Rede endet, wie sie begonnen hat: mit einem Mix aus religiösem Pathos, Bedrohungsszenarien und wilden Verschwörungsgeschichten, die das Bild eines radikalisierten und unberechenbaren Individuums zeichnen.
Das Urteil
Als tags darauf das Urteil gegen M. verkündet werden soll, richtet er einen wissenden Blick in die Menge und sagt zu seinen Anhängerinnen: „Man müsse nur Gott vertrauen.“ Noch während der Richter das Urteil verliest, unterbricht Müller ihn und erklärt, der Richter besiegele gerade „sein eigenes Todesurteil“.
M. wird schließlich zu 2 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt — 14 Monate weniger als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Daraufhin beginnt die verzückte Menge einen Choral für und mit ihrem Helden anzustimmen. Alle Zuschauer*innen werden des Saales verwiesen. Kein Publikum – keine Bühne mehr — nun ging der Prozess, den Müller bislang immer wieder in die Länge gezogen hatte, nun zügig zu Ende.
Es bleibt unklar, wie und ob sich Müllers Anhänger*innen in seiner Abwesenheit weiter organisieren werden. Die Frage, ob die Gruppe ohne ihren Anführer weiterbesteht und möglicherweise auch weiter radikalisiert, bleibt offen.
Die Offenbarung des Johannes M. – weiterer Reichsbürgerprozess vor dem Landgericht München
Dem Reichsbürger Johannes M. werden unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung vorgeworfen.
„Pädokriminelle Machenschaften“
Konkret heißt das, dass er Behörden, darunter Jugendämter, Polizei, Gerichte, und Ärzt*innen aufs übelste beschimpfte und sie durch Anrufe selbst terrorisierte oder von seinen Anhänger*innen — die er auf Telegram gewinnen konnte — terrorisieren ließ. Er bedrohte sie mit dem Tod und stellte ganz in Reichsbürger-Manier ihre Legitimation in Frage. Dabei verkündet er, die Bedrohten würden bald von US-amerikanischen Militärs auf Grundlage eines Dekrets von Donald Trump abgeurteilt und hingerichtet.
Seine Ideologie fußt dabei auf kruden Verschwörungsideologien, die stark antisemitisch durchsetzt sind. Er spricht von „Zionisten“, die die Welt beherrschten, leugnet die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und wittert in jeder Behörde „pädokriminelle Machenschaften“. Zudem ist er Anhänger der QAnon-Verschwörungsidee, die besagt, dass „Eliten“ Kinder in unterirdische Tunnelsysteme entführten und missbrauchten, um ihr Blut für Verjüngungssera zu nutzen.
Maskenzwang und Sorgerecht
Das könnte auch der Grund sein, weshalb er sich für zwei seiner Anhängerinnen eingesetzt hat. Als Jugendämter bei den beiden Müttern bei Frankfurt und in Weiden Kontrollen durchführten, weil sie ihre Kinder während der Pandemie wegen des Maskenzwangs nicht in die Schule schickten. Sie fürchteten um ihr Sorgerecht. Daraufhin kontaktierten sie Johannes M. Dieser erteilte den beiden Müttern telefonisch klare Anweisungen, was zu tun sei, und begann mit seinen „Terror-Telefonaten“ bei zuständigen Ämtern und der Polizei.
Er scheint außerdem ein ziemlich fanatischer Christ zu sein. Jedenfalls hält er auch im Gerichtssaal ausgedruckte Jesus- und andere Heiligenbilder in den Händen, betet mit ihnen und küsst sie sogar auf theatralische Weise während der Beweisaufnahme. Dabei kehrt er dem Gericht fast durchgehend den Rücken zu und hält stattdessen zwinkernd Augenkontakt mit seinen mehr als zwanzig Anhänger*innen, die regelmäßig im Zuschauer*innenraum sitzen.
Mit dem Rücken zum Gericht
Diese, sowie alle weiteren Zuschauer*innen und Journalist*innen müssen zunächst eine doppelte Durchsuchung über sich ergehen lassen, bevor sie in den in brutalistischem Stil gebauten Sitzungssaal eingelassen werden, der wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Auf Beobachter*innen wirkt Johannes M. selbstsicher. Er scherzt mit dem Publikum, unter ihnen auffällig viele Frauen. Sie sprechen ihm Mut zu, „bald habe er es geschafft“. Auch sie beten für ihn und rufen ihm Segenswünsche zu. Während der Verhandlung sucht er immer wieder den Blickkontakt und die Bestätigung seiner „Fans“. Er steht die gesamte Zeit mit dem Rücken zu den Richter*innen, setzt sich nie hin, bewegt sich fahrig und grinst in sich hinein.
Zu seinen beiden Pflichtverteidigern sucht er ebenfalls keinen Kontakt. Er bezeichnete sie sogar als „vermutlich pädokriminell“, lehnt ihre Unterstützung kategorisch als „illegal“ ab. Stattdessen fällt der Angeklagte ständig sämtlichen Prozessbeteiligten ins Wort und brüllt die immer gleichen Phrasen. Weil er dabei immer wieder den Senat, die Staatsanwältinnen und anwesende Polizei heftig beleidigt, hagelt es regelmäßig Ordnungsgelder bzw. Hafttage. Das Gericht inklusive des erfahrenen Vorsitzenden Richters wirkt dabei bisweilen etwas hilflos. Der Vorsitzende versucht die Vernehmungen trotz massiver Störungen so gut es geht sicher zu stellen. Vielleicht setzt M. beim Ordnungsgeld auf die Unterstützung seiner Fans – seine populäre Telegram-Gruppe hatte zwischenzeitlich über 50.000 Follower*innen und spendete reichlich. So aberwitzig und absurd seine Thesen auch sein mögen, die Zahl seiner Anhänger*innen zeigt, dass er und seine Ideologie durchaus Resonanz finden. Seine „Jünger*innen“ jedenfalls wirken wie eine eingespielte, vielleicht sogar befreundete Gruppe. Indem sie sich voll und ganz auf sein abstruses Denken und seine „Fangemeinde“, wie sie auch der Vorsitzende nennt, eingelassen haben, könnten sie sich möglicherweise sozial isoliert haben und immer weiter in den Bann des Gurus geraten sein, so jedenfalls wirken sie, ihre Weltsicht ist auf M. fokussiert und hermetisch gegen Einwände — zum Beispiel, dass seine Prophezeiungen noch nie eingetreten sind — abgeschirmt. „Ja, ich glaube das schon alles, was der Johannes sagt“, äußert dann auch eine von ihnen auf kritische Nachfragen.
Pandemie als Kipppunkt
Während der Covid-19-Pandemie rutschten so ganze Bevölkerungsgruppen in Verschwörungsglauben und damit auch oft in rechte Ideologien ab. Johannes M.s Drohungen gegenüber einer Kinderärzt*innenpraxis, die Corona-Impfungen anbot, sind da nur die Spitze des Eisbergs.
Mit den Anhänger*innen von Johannes M. kommt man schnell ins Gespräch: In einer Sitzungspause – die Kammer beschließt gerade ein weiteres Ordnungsgeld gegen den querulantischen Angeklagten– erzählt eine von ihnen, wie sie auf den Kanal des Angeklagten stieß: Zunächst sei sie darauf aufmerksam geworden, wie Bill Gates seine Mitarbeiter*innen behandle und hätte dann seine Verwicklung in die WHO und Vorhaben, Impfstoffe zu verteilen, kritisiert. Als Trump der WHO Teile der Unterstützung entzog, begann sie Vertrauen in dessen Politik zu fassen und sah sich Videos seiner Reden an. Der ihrer Meinung nach abschließende Schritt war es dann, ebenfalls Videos von Reichsbürger*innen zu konsumieren, deren Inhalte sie dann „schlüssig“ fand.
Kein klinischer Wahn
Eine forensisch-psychiatrische Sachverständige sagte vor Gericht aus, dass Johannes M. eventuell von Wahnvorstellungen betroffen sei, sie ihn aber zur abschließenden Beurteilung dessen nicht ausreichend kennengelernt habe. In zwei Einzelgesprächen, sprach der offenbar mehrmals davon, von Gott auserwählt zu sein, tatsächlich die biblische „Offenbarung des Johannes“ zu erfüllen. Diese Behauptung stellte Johannes M. vor Gericht heftig in Abrede: Er beleidigte die Sachverständige und alle weiteren Beteiligten, sodass der Sitzungstag deutlich in die Länge gezogen wurde und seine Ordnungsgelder weiter in die Höhe schossen. Vor allem ein weiterer Sachverständiger, sowie der vom Gericht bestellte psychiatrischer Gutachter betonten aber, dass die Grenze zwischen Ideologie und Wahn meist fließend verlaufe. Weil er seine Thesen immer mit realen Bezugspunkten verknüpfe, gäbe es keine Anhaltspunkte für einen ausgesprochenen klinischen Wahn. Diese Einschätzungen machen eine Einstufung des Angeklagten als schuldunfähig durch das Gericht sehr unrealistisch.
In den zurückliegenden Prozesstagen vor der Sommerpause werden M.s Fans immer unruhiger und aufmüpfiger, werden vom Vorsitzenden ermahnt und mit Räumung bedroht. Der Prozess dauert an. Ein Urteil wird zu Ende September erwartet.
Horoskope für den Umsturz: „Chef-Astrologin“ sagt im Reuß-Verfahren aus
Hildegard L. hat schon vieles erlebt: Sie hat zwei Mal ein Studium abgeschlossen, arbeitete als Elektroingenieurin, als Lehrerin in einer Berufsschule, Unternehmerin, Programmiererin und zuletzt als Astrologin und Mitarbeiterin einer AfD-Bundestagsabgeordneten. Außerdem hat sie zwei Mal geheiratet und in zweiter Ehe zwei Kinder bekommen. Weshalb sie für den nächsten Lebensabschnitt den Weg einer mutmaßlichen Rechtsterroristin wählte und in Folge dessen seit über anderthalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt, versucht der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München aktuell herauszufinden.
Eltern waren Impfgegner*innen
Ihr wird vorgeworfen gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Heinrich XIII. Reuß den militärischen Sturz der Bundesregierung und den Aufbau eines Rats als Putschregierung geplant zu haben — oder zumindest mitwissend gewesen zu sein. L. entscheidet sich als erste der acht in München angeklagten Personen auszusagen und legt ein umfangreiches, bisweilen langatmiges Teilgeständnis ab.
Zunächst breitet sie im Schneckentempo, sehr ausführlich und über anderthalb Prozesstage hinweg, ihren Lebenslauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hätten keines ihrer Kinder impfen lassen. Trotzdem hätten sie sich nie mit Kinderkrankheiten angesteckt, behauptet sie. Ansonsten klingt ihre Vita zunächst unauffällig: L. berichtet auch über Familienzerwürfnisse und berufliche Hochs und Tiefs.
Rote Seidenunterwäsche
An einem gewissen Punkt der Verlesung ihrer Aussage werden ihre Erzählungen allerdings esoterisch Nach dem Kontakt zu einer Astrologin und einem Medium, beginnt sie an deren Voraussagen zu glauben. Sie arbeitet ein paar Jahre später schließlich selbst als Astrologin und Kartenlegerin, gründet sogar einen Verlag dafür und gibt regelmäßig Seminare. Ihr Interesse, beziehungsweise ihre Dienste bezeichnet sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.
Zwischenzeitlich glaubt sie nicht nur, die Erkrankungen von Menschen sehen, sondern diese auch selbst lindern zu können. Auf einem Seminar habe sie eine für sie elementare Weisheit erfahren: Um ihre Lebensenergie zu schützen, würde ihr empfohlen, möge sie entweder Chakren-Steine kaufen oder Seidenunterwäsche tragen. Am besten rote, vier Zentimeter unterhalb des Bauchnabels ansetzend. Während sich im Gericht daraufhin offenbar einige das Lachen verkneifen müssen oder peinlich berührt sind, erzählt L. von diesem absurden Ereignis wie von jedem anderen. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustimmung erheischend die Vorsitzende Richterin Illini an.
Überfall auf Bundestag geplant
In folgenden Prozesstagen äußert sich L. aber schließlich auch zur Anklage und beantwortet umfassend Fragen zu ihrer Einlassung: Sie habe von dem Mitangeklagten und Freund Thomas T. von der Gruppe gehört, sie hätten vor allem über Corona-Maßnahmen für Kinder geredet, diese verhindern wollen. Bei anschließenden Sitzungen des Rats, der über die Umsturzregierung entscheiden sollte, wären sie und T. zwar dabei gewesen, hätten allerdings nur als Beobachter*innen tätig werden dürfen. Von Schießtrainings hätte sie zwar gewusst, von den Plänen zum bewaffneten Überfall auf den Bundestag durch ehemalige KSK-Soldaten allerdings erst sehr spät erfahren.
Gerade das zweifelt die Bundesanwaltschaft allerdings an. Diese konfrontiert L. mit Chatverläufen mit der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Malsack-Winkemann. So schreibt L. nach einem Schießtraining der Reichsbürger*innen: „Die würden doch kein Training machen, wenn da nix laufen würde“, und bestätigt ihr, dass „es nicht mehr lange dauern würde“. Es sei laut Bundesanwaltschaft also naheliegend, dass L. zu diesem Zeitpunkt durchaus über den Putschplan Bescheid wusste. Laut L.s Einlassung sei sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unwissend gewesen.
„Birgit-Beruhigungsaktionen“
Ein weiterer Chatverlauf nach dem ersten Ratstreffen zeige außerdem, so die BAW, dass L. Malsack-Winkemann auf deren Frage, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geantwortet habe. Zuvor beteuerte L., dass bei diesem Treffen noch keine personellen Entscheidungen getroffen worden seien und sie auch nicht in diese miteinbezogen worden sei.
Die Konfrontation mit den Chats verunsichert L. im Gericht: Sie kann die Frage nur ausweichend beantworten. L. sagt, ihre Aufgabe wäre es gewesen Malsack-Winkemann zu beruhigen, für die sie schon während ihres Bundestags- Mandats gearbeitet habe. Sie nennt diese „typische Birgit-Beruhigungsaktionen“.
Verschwiegenheit bei Strafe des Todes
Die Verschwiegenheitserklärung, die L. zum zweiten Ratstreffen unterschreiben musste, nahm L. offenbar nicht sonderlich ernst — auch wenn Zuwiderhandlungen mit der Todesstrafe geahndet werden sollten. Kund*innen erzählte die Astrologin von den Treffen und Inhalten. Das Gespräch mit einer ihrer Klientinnen ließ die mithörende Polizei besonders aufhorchen: L. erzählte, dass Listen über systemkonforme Personen angelegt werden müssten, und plauderte aus, dass eine „Allianz“, bestehend aus verschiedenen Militärs und Geheimdiensten bald eingreifen würde.
L.s zwei Verteidiger, die sich aufgrund der hohen Anzahl von Angeklagten in die eine Ecke der hintersten Anklagebank quetschen müssen, scheinen teilweise nicht ganz mit ihren Antworten zufrieden zu sein. Sie bitten um eine Pause, vermutlich um auf Mandantin einzuwirken und ihrem Gedächtnis hin und wieder auf die Sprünge zu helfen.
Ist die Angeklagte L. dement?
Der Anwalt eines weiteren Angeklagten versucht durch die Forderung nach einem psychiatrischen Gutachten sogar L.s gesamte Aussage anzuzweifeln. Er sei der Meinung, L. leide an einer Demenz und könne nicht weiter aussagen, sagte er.
Weshalb L. sich zu der Anklageschrift äußert, während beispielsweise Thomas T. bereits durch seine Anwält*innen bekannt gegeben hat, dass er schweigen wird, bleibt nur zu vermuten. Bei der Schwere der Vorwürfe kann aber angenommen werden, dass L. und ihre Verteidigung eventuell auf ein milderes Urteil und damit eine kürzere Haftstrafe spekulieren.
Terminiert bis Juli 2025
Weitere Fragen verschiedener Verteidiger*innen und Unterbrechungen zu ihrer Beantwortung ziehen das Verfahren bisweilen in die Länge. Die Anwälte von L. bitten im Gericht darum, dass die anderen Verteidiger*innen ihre Fragen bis Ende Juli stellen mögen, um im August die Vernehmung von L. abschließen zu können.
Der ursprünglich bis Januar 2025 terminierte Prozess ist kürzlich bereits bis Juli 2025 verlängert worden.