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AfD-Verbotsverfahren und gesellschaftlicher Druck

Langversion der Eröffnungsrede zum VVN-BdA-Bundeskongress am 4.10.2025 in Stuttgart
Eine Vorbemerkung zu unserer Verpflichtung
Wir alle, die wir heute hier sind, haben im Laufe unserer antifaschistischen Arbeit Menschen kennengelernt, die den Holocaust überlebt und uns mit Blick auf Gedenken, Erinnern und unsere Verpflichtung gegen Faschismus und Nazismus aufzustehen, zu kämpfen, uns antifaschistisch einzusetzen, geprägt haben. Die meisten von ihnen sind nicht mehr unter uns. Ich bin im Zusammenhang mit den Protesten gegen die jährlichen Traditionstreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald 2005 noch dem legendären Widerstandskämpfer und Überlebenden Peter Gingold und der Auschwitzüberlebenden Esther Bejerano begegnet, in meiner Münchener Jugendzeit natürlich noch den unermüdlichen Zeitzeugen Max Mannheimer, Martin Löwenberg und Ernst Grube – der jetzt in seinen 90ern ist -, Hanuš Hron in Wulkow und zuletzt 2024 in Łódź und Chełmno, Leon Weintraub, der im Januar 99 Jahre alt geworden ist.
In ihnen – ihr habt sicher viele andere getroffen und kennengelernt – trat uns die Geschichte entgegen, ihr Kampf und ihr Überleben und ihre Überlieferung ist für mich und viele von uns hier das Vermächtnis geworden, was aus uns Antifaschist*innen ohne Wenn und Aber gemacht hat. Wir nahmen als nachfolgende Generationen den Staffelstab des Widerstands und des Kampfes auf, um an die Millionen Ermordeten, Verfolgten und Verschleppten zu erinnern und ihr Gedächtnis zu verteidigen: Die Jüdinnen und Juden, die Rom*nja und Sint*ezze, die Kranken, die Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen, anderen Oppositionellen, religiös Verfolgten, Rotarmist*innen, queere Menschen und die zivilen Opfer der deutschen Vernichtungskriege und der Besatzung Europas.
Kapitel 1: Highway to hell
Was redet er da so pathetisch, werdet Ihr euch fragen, aber das hat einen Grund. Ich denke, niemand von uns hätte erwartet, noch einmal, noch einmal in Deutschland, mit der Rückkehr des Faschismus konfrontiert zu werden und zwar in einer Geschwindigkeit, die uns taumeln lässt.
Es ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte, dass Leute wie wir, Linke, Linksradikale, Antifaschist*innen den bürgerlicher Staat und den demokratischen Rechtsstaat verteidigen, die wir unser Leben lang kritisiert, bekämpft und gegen die wir uns zur Wehr gesetzt haben. Weil der Rechtsstaat bestimmt ist von politischer und Klassenjustiz, weil diese Demokratie untrennbar mit einem eiskalten Kapitalismus verknüpft ist, der unsere Gesellschaft, uns mitschuldig macht an der globalen Ausbeutung und Zerstörung, an Externalisierung und unserer imperialen Lebensweise, an Umweltzerstörung, Klimakollaps, Artensterben, Müll, Krieg usw.
Wie kam das? Mann könnte als einen der Kipppunkte vielleicht das Buch des einstigen sozialdemokratischen Finanzsenators von Berlin, Tilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“ ausmachen. Über 1,5 Millionen Exemplare des populistischen, rassistischen, und nationalistischen Machwerks gingen damals, 2010, über den Ladentisch. Der Ruf nach einer Sarrazin-Partei wurde laut. 2013 dann wurde die Partei gegründet, die es innerhalb der folgenden 12 Jahre geschafft hat, das parlamentarische System der Bundesrepublik aufzurollen und jetzt kurz vor der Machtübergabe zu stehen. In Ostdeutschland werden Beteiligungen an oder die Übergabe der Regierung an die AfD kaum noch zu verhindern sein – in Sachsen-Anhalt steht Ulrich Siegmund mit um die 40 Prozent ante portas. Die Meute skandiert „Sieg!“ – „Mund!“.
Die Entfremdung der Wähler*innenschaft von ihrem politischen System hatte sich rasch aufgebaut über die damals so genannte Flüchtlingskrise mit der Ankunft Zehntausender Geflüchteter aus Syrien und Afghanistan, wo eine „Willkommenskultur“ des Merkelschen „Wir schaffen das“ schon bald dem blanken Hass der rassistischen Rechten und ihren Pegidas etc. wich. Die AfD marschierte derweil in alle Landesparlamente und schließlich 2017 in den Bundestag durch. Die personellen und ideologischen Häutungen der Partei sahen eine Führungsriege nach der anderen von noch radikaleren verjagt werden. Lucke, Petry, Meuthen machten Platz für die aggressiveren Weidel, Chrupalla und Höcke, die heute selbst der Verfassungsschutz genannte Inlandsgeheimdienst als „gesichert rechtsextrem“ einstufen würde. Die Klammer bildete der aus dem rechten Flügel der hessischen CDU stammende Alexander Gauland, was ihm zuletzt den Ehrenvorsitz eintrug.
Antifaschistische Recherche hatte seit langem gewarnt und auf einen weiteren Kipppunkt hingewiesen, den 1. September 2018 in Chemnitz: unter den Zehntausend Rechten, die dort einen „Trauerzug“ absolvierten, war nicht nur die Parteiprominenz der Länderebene um Björn Höcke (Thüringen), Uwe Junge (Rheinland-Pfalz) und damals noch Andreas Kalbitz (Brandenburg), sondern auch alles was Rang und Namen rechts und weit rechts davon hatte: Martin Sellner von Identitären Bewegung, Martin Kohlmann, damals Pro Chemnitz, Vordenker und Einpeitscher Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik und die Pegida-Initiatoren Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz. Aber eben auch der Rechtsterrorist Stephan Ernst mit seinen Spießgesellen, der wenig später den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermorden sollte. Das war die Geburtsstunde der neuen faschistischen Bewegung, die uns gerade über den Kopf wächst.
Sehr bald schon konnte man merken, dass die Skandalisierung der allfälligen Kontakte von AfD-Leuten in den organisierten Neonazismus hinein und zum rechten Terrorismus keinerlei Wirkung mehr entfaltete und eine Gewöhnung an die neuen Faschist*innen, eine Normalisierung sich breit machte. Mussten Leute wie Andreas Kalbitz und der Sachsen-Anhaltiner Rüpel André Poggenburg noch irgendwann gehen, muss heute kaum noch jemand seinen oder ihren Hut nehmen, wenn ein Skandal dräut: nicht Maximilian Krah mit seiner Verharmlosung der SS, den Betrugsvorwürfen und der Spionage-Affäre; und schon gar nicht etwa Stephan Kotré und seine Frau Lena mit ihren sehr unmittelbaren Bezügen zu britischen Nazis z.B. der „Homeland Party“, mit denen Stefan Kotré erst im Februar auf dem Dach des Reichstages posierte; oder der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Robert Risch, der erst am vergangenen Wochenende an einem internationalen Faschist*innentreffen ausgerechnet in St. Petersburg teilnahm. [Nachtrag 20.10.25: immerhin soll er jetzt ausgeschlossen werden] Diese Dinge sind kaum noch eine Meldung wert. Normal. Selbst das Auffliegen der rechtsterroristischen Gruppe „Sächsische Separatisten“ und der Verschwörer*innen um „Prinz Reuß“ sind Gegenstand von Verharmlosung und Verächtlichmachung der Strafverfolgung. Noch in jeder dieser zahlreichen Gruppen sind AfD-Mitglieder und – wo es einem kalt den Buckel runterläuft — Polizist*innen, Soldat*innen und andere „wohlanständige“ Leute.
Dann kam 2020 die Pandemie, dann kam der anhaltende, Menschen verschlingende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die Energiekrise, Inflation und die Entstehung eines riesigen Reservoirs an wahlberechtigten Verschwörungsgläubigen und Pandemieleugner*innen. Eine Art bräunliche „Zivilgesellschaft von rechts“ entstand und die Bindekraft des unter Druck stehenden Staates und seiner Institutionen nahm rapide ab, insbesondere Ostdeutschland ist für den bundesrepublikanischen Parteienstaat weitgehend verloren.
Unterdessen ahnen führende Politiker*innen im Osten das auch allmählich: etwa wenn der Noch-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haselhoff (CDU), ankündigt, aus seinem Bundesland wegzuziehen, falls die AfD an die Macht kommt.1 Und auch Dieter Woidke, der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg findet dieser Tage deutliche Worte (Zitat): „Es ist ja so, dass wir gerade wieder Attacken auf Andersdenkende, Minderheiten, auf Jugendeinrichtungen und Demokratiefeste erleben. Da kommen Erinnerungen an die 90er hoch, an die Baseballschläger-Jahre.“ Und weiter: „Wir dachten, ignorieren reicht. Ausgrenzen, tabuisieren, durchstehen. Und möglichst gute Politik machen. Nun, das hat nicht funktioniert.“2
Warum er sich so wenig wie Haselhoff zur Unterstützung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD verstehen will, wird sein Geheimnis bleiben.

Kapitel 2: Der Osten ist verloren
Ich habe 4 ½ Jahre in Weimar gelebt und gearbeitet und und würde mir doch nicht anmaßen, für den Osten zu sprechen. Dafür habe ich dort einen Gewährsmann, er ist Theologe und kommunaler Berater gegen rechts. Er heißt David Begrich und ich habe mich ausführlich mit ihm über die Lage in Ostdeutschland unterhalten, weil ich es für fatal halte, wie sehr der Osten nach wie vor auch in unserer politischen Wahrnehmung vernachlässigt und ignoriert wird. Das ist ein Grund dafür, dass uns die Wucht der Dinge, die dort auf uns zukommen, auch wieder unvorbereitet treffen werden. Und Begrichs Einschätzung zeigt auch, dass wir alle mit der schieren Geschwindigkeit der Entwicklungen nicht mitkommen: der gesellschaftliche, der zivilgesellschaftliche – auch unser – Diskurs hinkt den Entwicklungen hoffnungslos hinterher.
Hier kommen die Gesprächsnotizen:
- Die Normalisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland ist irreversibel. In einigen Landkreisen in Sachsen ist eine Verfestigung in den Institutionen zu konstatieren, die in der nächsten Legislatur in eine Machtübernahme übergehen wird.
- Ein Aspekt des Erfolgs der extremen Rechten, neben der Bereitschaft so vieler ihren Einstellungen und Praxen zuzustimmen, ist die schiere Anwesenheit und damit Plausibilität ihrer Deutungsangebote. Die jahrelange (Selbst-)Verharmlosung verfehlt ihre Wirkung nicht.
- In den ländlichen und kleinstädtischen Regionen Ostdeutschlands sind demokratische Kipppunkte erreicht, die das Verhältnis, wer sich wofür rechtfertigen muss, umkehren. Rechtfertigen müssen sich jetzt alle, die der AfD und ihrem politischen Vorfeld gegnerisch gesonnen sind oder sie auch nur lebensweltlich und habituell nicht unterstützen.
- Die Gegenkräfte – also unsere Bezugspunkte im Osten – sind politisch, sozial und kulturell fragmentiert. Ihre Motive, sich der AfD und ihrem Vorfeld zu verweigern, differieren so stark, dass es nur punktuell zu einem gemeinsamen politischen Handeln kommt. Die katholische Frauenarbeit ist in Ostdeutschland ebenso marginal wie Menschen, die sich als Linke beschreiben.
- Es findet kein Aufbau resilienter Strukturen und Netzwerke statt. Grund dafür ist: Erschöpfung. Allein die Bewältigung des operativen Geschäfts, des Alltäglichen frisst alle Kräfte, der Erfolg der extremen Rechten lähmt, es fehlt zunehmend an der Erfahrung von Wirksamkeit und Orten der Solidarität usw. Kampagnen und Demos verschlingen einfach zu viel Kraft.
- Parteien und Verbände verfügen in Ostdeutschland in den Regionen nicht oder nicht mehr über Mitglieder und Strukturen, um erkennbar strategisch zu kommunizieren und Präsenz zu zeigen.
- Entgegen allen Bekundungen stehen Menschen in den Regionen in der Gefahr, Opfer von extrem rechten Zersetzungsmaßnahmen zu werden. Diesen Stasi-Begriff wählt Begrich mit Bedacht, weil ersichtlich ist, dass sich einige rechtsextreme Strukturen in lokalen Kontexten dieser Methoden bedienen.
- Ein weiterer unterschätzter Bereich, sind die kommenden juristischen Auseinandersetzungen, wenn es um Verfahren rund um Gemeinnützkeit, Nutzungsrechte, Vereinsrecht usw. geht. Es fehlt Trägern in Ostdeutschland schlicht an Geld, juristischem Knowhow und Anwält*innen. Gleiches gilt für presserechtliche Auseinandersetzungen, Einschüchterungen, Drohungen usw.
Hier sei nur an Wurzen erinnert, wo AfD und CDU gemeinsam dem Netzwerk Demokratische Kultur das Wasser abgraben. Von wegen Brandmauer. Und das ist nur das aktuellste Beispiel. Die Austrocknung der Zivilgesellschaft ist dort längst in vollem Gange.
Diese sehr klugen und zutreffenden, aber auch alarmierenden Beobachtungen meines geschätzten Gewährsmannes, die jeder und jede bestätigen kann, der*die auch nur gelegentlich im Osten unterwegs und aktiv ist, lasse ich jetzt mal im Raum stehen und komme darauf zurück, wenn wir noch auf unsere Handlungsmöglichkeiten zu sprechen kommen. Und es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass derartige Entwicklungen und Tendenzen auch in Westdeutschland zu greifen beginnen. Und auch wenn sich die AfD in Nordrhein-Westfalen in den kommunalen Stichwahlen nicht durchsetzen konnte, ist sie auch dort auf dem Vormarsch. Die billige Erleichterung über diese jüngsten Misserfolge führen auf den Holzweg.
Kapitel 3: Der Klimawandel und die Festung Europa
Der Klimawandel ist eine Realität, die ihren alles bestimmenden existenziellen Charakter in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unweigerlich entfalten wird. Daran wird auch die Tatsache nichts ändern, dass die Klimabewegung verschwunden zu sein scheint, der Klimakollaps kaum noch ein Thema im gesellschaftlichen Diskurs ist.
(Unsere zusehends grauhaarige antifaschistische Bewegung „profitiert“ davon gerade sehr, denn die tollen jungen Aktivist*innen der Klimaproteste tragen mit ihrer Blockade- und Kampferfahrung gerade sehr zu unserer Schlagkraft bei, wie man in Essen und Riesa gesehen hat – aber das nur am Rande.)
Die Auswirkungen der Klimakrise, die von so empörend dummen Leuten wie Donald Trump und hierzulande etwa Beatrix von Storch als Fake und Hoax bezeichnet werden, werden innerhalb sehr kurzer Zeit alle ökologischen, politischen und vor allem auch sozialen Fragen eskalieren und zu einer weiteren Verrohung des Denkens führen. Die Rekarbonisierung und die Rückkehr der fossilen Energien nicht nur in den Ländern unter autoritärer Herrschaft ist im vollen Gange und wen erstaunt es, dass auch in Deutschland alternative Energiegewinnung geschmäht wird und ein Verbot von Verbrennermotoren wieder zur Disposition steht. Alice Weidels völlig hirnverbranntes Wort von den „Windmühlen der Schande“ wird nur noch vom völlig schwachsinnigen Gebrabbel Trumps zu Windenergie überboten…
Die Verunsicherung vieler Menschen durch die immer drastischer werdenden Klimafolgen führt sie Populismus und autoritären Versuchungen zu: Es zeichnet sich ab, dass sie in der gegenwärtigen Phase der gesellschaftlichen Verrohung bereit sein werden, denjenigen ihre Stimme zu geben, die mit größter Wahrscheinlichkeit und Dreistigkeit den Status Quo zu sichern versprechen – zur Not mit Krieg, Grenzterror, Gewalt und Pogrom.
Und ich werde jetzt nicht die europäische Umgebung abschreiten — Ungarn, UK, Niederlande, Italien, Türkei, Polen, Österreich — um den kontinentalen Rechtsruck zu dokumentieren, obwohl es mir wirklich wichtig erscheint, Deutschland nicht wie ausgestanzt zu betrachten: wir haben es mit einem europäischen und globalen Rechtsruck zu tun. Das zeigte sich zuletzt etwa in Großbritannien sehr drastisch, wo 110.000 Menschen sich zu einer durch und durch rassistischen Demonstration des notorischen Neonazis Tommy Robinson versammelten. Auf der Seite der Gegendemonstrant*innen waren nur 5000 Leute, genauso wenig übrigens wie bei den Protesten gegen den Besuch Donald Trumps in London ein paar Tage später – das ist definitiv zu wenig Gegenwehr gegen die drohenden Gefahren. Auf der Robinson-Demo war übrigens Elon Musk zugeschaltet, der die britischen Massen zu Gewalt aufrief. Und das bringt uns zum nächsten Kapitel.
Kapitel 4: Das Ende der „westlichen Demokratie“, wie wir sie kannten

Wir erleben seit dem Wahlkampf und der Inauguration des 47. US-Präsidenten Donald Trump in Echtzeit den Blitzumbau der „ältesten Demokratie der Welt“ in einen autoritären Führerstaat und ein faschistisches Regime. Die Parallelen zum Jahr 1933 – auch was die ungeheuere Geschwindigkeit angeht – sind verstörend. Nach dem Skript „Project 2025“ aus der Heritage Foundation wird gerade der rechts- und verfassungssstaatliche Aufbau der US-Demokratie eingerissen und über ein präsidiales Dekret-Regime eine faschistische Diktatur durchgesetzt – ganz nach Plan, das war der Lerneffekt der chaotischen ersten Amtszeit Trumps und seiner Abwahl Ende 2020.
Dreh- und Angelpunkt, ich will das nur kurz skizzieren, war die „Einwanderung“, die Migration. Mit der Ermächtigung der „Immigration Control and Customs Enforcement“ (ICE) hat sich die Trump-Regierung ein Instrument des innerstaatlichen Terrors geschaffen. Maskierte Rollkommandos überfallen überall im Land am helllichten Tag mitten in Städten und Gemeinwesen, vor Dutzenden filmenden Handykameras mit schockierender Brutalität „Verdächtige“3, verschleppen sie ohne Legitimation, Ansprache, Haftbefehl und Widerspruchsmöglichkeiten in eines der aus dem Boden schießenden Lager auf US- oder ausländischem Boden, etwa in das Salvadorianische Horror-Gefängnis CeCot. Menschen werden wochenlang unter unhaltbaren Bedingungen festgehalten und zusehends auch US-Staatsbürger*innen festgesetzt. Der Vergleich mit dem frühen NS-Terror und den ersten KZs drängt sich auch hier auf. Die ersten Menschen sind aus einem Lager bereits unauffindbar verschwunden.
Was der geschätzte Georg Seeßlen in seinem Trump-Buch4 als Infantilisierung, affektive Polarisierung und Hysterisierung, aber auch als Disruption bezeichnet, wirkt sich für Millionen US-Bürger*innen existenziell negativ aus und wird in Kürze Wirkung entfalten. Das Gesundheitswesen wird ebenso zerschlagen wie das Rechts- und Justizsystem. Seeßlen schreibt über Trump: „Die Hälfte aller Amerikaner und Amerikanerinnen, und nicht wenige Menschen im Rest der Welt, wollen genau so einen wie ihn als mächtigsten Mann. Kollektive Verblödung? Verblendung? Korruption? (…) Dieser Mensch ist ein egomaner Krimineller und sein Gespenst lautet auf den Namen: Amerikanischer Faschismus.“ (S. 19)
Die Massenfestnahmen erfolgen nach den rassistischen Anhaltspunkten des „racial profiling“ und orientieren sich an Aussehen, Sprache und Verhalten. Ihr Ausmaß lässt sich kaum einschätzen, dürfte aber wohl schon jetzt in die 100.000de gehen. Und weiter: die Eröffnung riesiger Gefängnisse und Lager – man denke nur an den irren Popanz, der um „Alligator Alcatraz“ veranstaltet wurde –; das Umschreiben der Geschichte, das Schönreden oder Leugnen des Genozids an den indigenen Ureinwohner*innen Nordamerikas, die Relativierung des Menschheitsverbrechens der Sklaverei, die Umdeutung des Putschversuchs vom 6. Januar 2021 in Washington zu einem patriotischen Akt; Bibliotheken werden „gesäubert“, freie Medien und freie Universitäten massiv angegriffen, unter Druck gesetzt oder von Förderungen abgeschnitten: Die Macht hat, wer über die Geschichtsdeutung verfügt.
Und weiter: Der Zugriff auf die Rechte und die Körper von Frauen und ihre reproduktiven Rechte und entsprechende medizinische Gesundheitsversorgung – in einigen Bundesstaaten ist bereits eine Fehlgeburt ein Grund für Kriminalisierung bis hin zur Drohung mit der Todesstrafe wegen Kindsmords; Die Markierung der Gruppen, denen die kommende Repression gelten wird: Obdachlose, Transmenschen und die Queer-Community als solche und Leute wie wir: Antifa! Sie werden ohne jeden Realitätsbezug zu Feind*innen, Invasor*innen, Vaterlandsverräter*innen erklärt und gegen sie ICE, Polizei, FBI, Nationalgarde und die US-Armee aufgeboten. Die beschworene Gefahr, das „kriegsverwüstete Portland“, die „Invasion krimineller Ausländer“, der „Terror der woken Kultur“, der „Terrorismus der Antifa“, der Linken und Kommunist*innen — das alles gibt es nicht, ist aber maßgebende Grundlage des Trumpschen Terrors gehen sein eigenes Land. Die dämonische Überhöhung des Rassisten, Holocaustverharmlosers, Befürworters öffentlicher, grausamer Hinrichtungen, Frauenhassers und Faschisten Charlie Kirk zum Nationalheiligen zeigen das Ausmaß der Massenverblödung: bei einer obszönen Massenandacht sprach eine KI-generierte Stimme des Getöteten und feuerte die verzückten Zuhörer*innen quasi aus dem Jenseits zu noch größeren Anstrengung bei der Umsetzung seiner Agenda an. Stehende Ovationen.
Und wir müssen die Ohren spitzen, wenn diese Verherrlichung des Halunken Kirk in Deutschland außer von AfD-Anhänger*innen und etlichen rechten Medien wie Nius, vor allem auch von der Junge Union, Caroline Bosbach und Jens Spahn mitgetragen wird.
Die Zerstörung des Rechtsstaates, der Habeas Corpus Garantien, des Gesundheitswesens, des Wahlrechts – vor allem von Frauen – und die Einschüchterung und Verfolgung aller, die dem Wahn von Trump und seiner Speichellecker nicht folgen wollen, ist fast schon gelaufen und wird in Kürze zu einer Massenverelendung, Massenverhaftungen und ‑Psychiatrisierung von Kranken, Obdachlosen, Transpersonen und Autist*innen, die als „unnütze Esser“ stigmatisiert werden, führen.
Viele US-Amerikaner*innen der „anderen Seite“, also demokratisch gesinnte Bürger*innen, hoffen und schwören trotz deren fortgeschrittener Zersetzung auf die verfassungsmäßige und rechtsstaatliche Ordnung und Tradition und deren Selbstheilungskräfte des politischen Systems: das scheint zunehmend naiv und hält möglichen Widerstand in einer fatalen Warteposition!
Und auch Trumps Außenpolitik betreibt er als Bully, als ungehobelter, brutaler Rüpel, der abstraft, wer nicht in seine „Friedenspläne“ passt und seine Businesspläne nicht mitmachen will. Elon Musk taucht immer wieder, unter anderem eben auch beim AfD-Parteitag in Halle per Videocall, auf und befeuert Faschismus weltweit, während er gerade noch die US-Verwaltung mit einer eigens für ihn geschaffenen Behörde (Wie aus einer Orwell-Parodie: „Department of Government Efficiency“ (DOGE)) „säuberte“ und zertrümmerte.

Meine These: Die Midterms, die Wahlen zur Mitte der Amtszeit, werden nicht stattfinden. In Kürze wird in den Straßen der US-Städte Blut fließen, Donald Trump eskaliert ohne Zögern, wenn er jetzt neuerdings von „full force“ beim Einsatz von Truppen im Inneren spricht, also der Freigabe letalen Schusswaffengebrauchs. Er wird sich – um den diesbezüglichen Vordenker Carl Schmitt zu zitieren — den Ausnahmezustand sichern, um seine Herrschaft zu zementieren.
Warum erzählt er uns das in dieser Ausführlichkeit, werdet Ihr Euch fragen: Natürlich wird dieser Wahnsinn, der von den mächtigsten Tech-Konzernen der Welt willfährig und geldgeil mitgetragen wird, nicht ohne Auswirkungen auf die ganze Welt bleiben. Ich sehe Krieg, besser: noch mehr Kriege, ich sehe einen weiteren Rechtsruck auch bei uns kommen und ich sehe die Grundlagen eines humanen, regelbasierten Umgangs miteinander schwinden, international. Denn wenn wir von Trump und den USA reden, haben wir noch nicht vom Ukraine-Krieg, Israel-Gaza und schon gar nicht von den laufenden Genoziden des Rohstoffraubs im Kongo und im Sudan gesprochen. Das ist die neue Weltordnung.
Leute in der AfD reiben sich beim Blick über den großen Teich die Hände, daraus hat eine freudetrunkene Beatrix von Storch nach der exklusiven Einladung zu Trumps Inauguration kein Hehl gemacht.
Zusammenfassend noch einmal Seeßlen: „Republikaner in den USA, AfDler in Deutschland sind nicht in erster Linie in den Parlamenten, um ihre ‚Meinungen‘ zu vertreten, sondern um deren Funktionsweisen nachhaltig zu blockieren und schließlich zu zerstören.“ (S. 140)
Kapitel 5: Die AfD im Windschatten der Union

Ich will hier nun nicht noch das Panorama der deutschen Politik des zurückliegenden Dreivierteljahres auffächern, die Sprengung der Brandmauer Ende Januar, als die Union mit den Stimmen von AfD, FDP und den anwesenden BSWler*innen den Entschließungsantrag für das „Einwanderungsbeschränkungsgesetz“ in den Bundestag einbrachte; die rhetorische und politische Angleichung – zumal beim hysterisierten Thema Migration – von Unions- und AfD-Positionen; die Verrohung der Innenpolitik mit Alexander „Konservative Revolution“ Dobrindt5, der für seine rassistische Abschiebeagenda sogar bereit ist, mit den Taliban zu kooperieren; und auch die Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht bei der Richter*innenwahl unter Fraktionschef Spahn; die Verächtlichmachung der Pride-Bewegung hierzulande durch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Bundeskanzler Merz; gar nicht zu reden von ähnlichen Ausfällen nach rechts weiterer Minister*innen wie Prien und Weimer.
Da muss die AfD gerade gar nichts machen. (Und hat Zeit ihre Goldreserven in einem Maserati durch die Gegend zu gondeln.6) Diese Situation hat die Schriftstellerin Özge İnan auf Instagram zorning auf den Punkt gebracht: „Die schwarz-rote Koalition hat die Grenzen geschlossen und das Recht auf Asyl abgeschafft. Wir diskutieren über Höchstquoten migrantischer Kinder an Schulen und Register für psychisch kranke Menschen. Auf Demos herrscht Deutsch-Pflicht und die Bundestagspolizei durchsucht Abgeordnetenbüros nach LGBTQ-Fahnen. Ich kann dieses Anti-AfD-Maulheldentum, während hier täglich Dinge passieren, die vor wenigen Jahren noch AfD-Maximalforderungen waren, nicht mehr ertragen!“7
Eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Hetzpresse wie Nius, Bild, Tichys Einblick, eigentümlich frei, freilich, Compact, die Schweizer Weltwoche und sogar die NZZ, ganz zu schweigen natürlich auch von Social Media, die uns alle mit rechtem Shit überfluten, flankiert diese problematische Entwicklung, die es der AfD erlaubt sich entspannt in Wartestellung zu begeben und gemäß ihrem Strategiepapier zu „mäßigen“ und etwa ihre neonazistische Parteijugend „Junge Alternative“ in etwas vermeintlich weniger Gefährliches umzulabeln, nämlich die „Patriotische Jugend“. Sonst muss sie nichts tun. Ihre Umfragewerte stellen unterdessen die der Union auch bundesweit schon mal in den Schatten.
Das Verhalten der Union und das Mittun der Sozialdemokrat*innen dabei macht die Umsetzung etwa eines Verbotsverfahrens gegen die faschistische AfD fast unmöglich: man wäre dafür auf zumindest Teile der nach rechts abdrehenden CDU/CSU angewiesen.
Das macht die antifaschistische Arbeit gegen die AfD nicht gerade leichter. Und nach den Strohfeuern der Massenproteste Anfang vergangenen Jahres nach dem Potsdam-Skandal und – schon kleiner – dieses Jahres nach der Abstimmung im Bundestag ist der Protest gegen die Faschisierung auch wieder schwächer geworden. Normalisierung, wie Özge İnan sie beschreibt, hat eingesetzt und nur diejenigen zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gruppen wie VVN-BdA oder die Omas gegen rechts, Widersetzen, Campact u.a., die im denunziatorischen 551-Fragen-Katalog der CDU gegen eine politisch profilierte Zivilgesellschaft auftauchen, bemühen sich weiter, den Protest nicht einschlafen zu lassen.
Kapitel 6: Endzeitfaschismus und die Herrschaft der Horror Clowns
Während der neue Bundesinnenminister Dobrindt und auch die hiesigen grünen Landespolitiker*innen [= BaWü] keinerlei Bedenken gegenüber der polizeiliche Totalüberwachung mit der „Palantir“-Software sehen, die aus dem Hause des Paypal-Gründers Peter Thiels kommt, sprechen einige im Zusammenhang gerade mit dieser Software vom kommenden Endzeitfaschismus. Auch die [vorerst gestoppte] Einführung einer „Chatkontrolle“ auf EU-Ebene ist ein Schritt in diese Totalüberwachung, für die wir Smartphone-User*innen uns seit Jahren selbst hingeben mit unseren Nachrichten, Bildern, politischen Bemerkungen und Scherzen.8
Erst im Juni vereidigte die US-Armee vier Führungskräfte aus dem Silicon Valley als Oberstleutnants der Army Reserve, darunter führende Manager etwa von Meta, OpenAI (also ChatGBT ) und eben Palantir: ein gewaltiger zivil-militärisch-technologischer Überwachungsangriff soll hier diese Endzeit einläuten.9
Ein sehr lesenswerter Artikel von Naomi Klein und Astra Taylor im britischen Guardian mit dem Titel „Der Aufstieg des Endzeitfaschismus“10 schildert den apokalyptischen Amageddon-Komplex, der viele Superreiche und Tech-Milliardäre zu inspirieren scheint. Sie schreiben: „Die herrschende Ideologie der extremen Rechten hat sich in unserem Zeitalter eskalierender Katastrophen zu einem monströsen, rassistischen Überlebenskampf entwickelt.“ Es sei klar, so heißt es weiter, „dass sich die künstliche Spiegelwelt, die KI zu erschaffen verspricht, nicht errichten lässt, ohne diese Welt zu opfern – diese Technologien verbrauchen zu viel Energie, zu viele wichtige Mineralien und zu viel Wasser, als dass beides in irgendeiner Art von Gleichgewicht koexistieren könnte.“ Die Schaffung von exklusiven Schutzräumen des Überlebens der Auserwählten und der Aufstieg eines gottgleichen KI-Gebildes, das sich „aus der Asche der aufgegebenen Welt“ emporschwingt, wird mit religiöser Verzückung und Inbrunst verbrämt zur Endzeiterzählung der biblischen Wenigen, die dem Untergang entgegen.
Man mag das als düsteren Science Fiction abtun und übertrieben finden, und doch bieten die geradezu absurde Niedertracht und bodenlose Dummheit des derzeitigen US-Präsidenten und seiner Anhänger*innen durchaus Anhaltspunkte für derartige Weltuntergangsszenarien. Wir befinden uns doch jetzt schon in einer Situation, die wir noch vor zehn Jahren für völlig unmöglich gehalten hätten. Die Geschwindigkeit der Veränderung überfordert – zumindest was mich betrifft – das Fassungsvermögen des Gemüts. Ob wir uns im Endzeitfaschismus schon befinden, ob er zunächst nur in den USA zu beobachten ist, wie wir ihn definieren und was wir gegen ihn zu tun gedenken, bringt mich jetzt zum Schluss meiner Anmerkungen.
Kapitel 7: Am eigenen Zopf aus dem Sumpf

Und dazu gibt es noch ein Zitat von Klein und Taylor, weil die beiden dem Endzeitfaschismus auch etwas entgegensetzen wollen, eine Art universalistische humane Berufung auf die Menschlichkeit: Wir stellen „ihren apokalyptischen Erzählungen eine weitaus bessere Geschichte entgegen: Wie wir die kommenden schweren Zeiten überstehen, ohne jemanden zurückzulassen. Eine Geschichte, die dem Endzeitfaschismus seine düstere Kraft entziehen und eine Bewegung in Gang setzen kann, die bereit ist, alles für unser gemeinsames Überleben aufs Spiel zu setzen. Eine Geschichte nicht vom Ende der Zeiten, sondern von besseren Zeiten; nicht von Trennung und Vorherrschaft, sondern von gegenseitiger Abhängigkeit und Zugehörigkeit; nicht von Flucht, sondern von Bleiben und der Treue zur unruhigen irdischen Realität, in die wir verstrickt und gefangen sind.“
Und in diesem Sinne haben wir genug zu tun und es wäre unschätzbar, wenn von diesem Bundeskongress in dieser Hinsicht ein klares Signal ausginge und – mal wieder – die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ die nötigen Impulse geben würde, um der AfD, der Faschisierung in diesem Lande entgegen zu treten und den Druck auf diejenigen zu erhöhen, die immer noch meinen, sie würden der AfD am besten entgegenwirken, indem sie sich ihr anverwandeln und zum Beispiel auf das unsägliche rassistische Migrationsticket setzen.
- Wir müssen den gesellschaftlichen Druck zum Schutze einer verfassungsmäßigen und rechtstaatlichen und sozialen Ordnung erhöhen und auf ein Verbotsverfahren gegen die AfD drängen. „Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot Jetzt!“ ist die Kampagne, die das auch mit auf Initiative der VVN-BdA verfolgt, aber bisher noch kein Momentum erreichen konnte. Das Zaudern, das überhebliche Abwinken und die superschlauen Einwände gegen Verbote im Allgemeinen und das der AfD im Besonderen müssen überwunden werden. Das Verbot der AfD ist eine gebotene demokratische Notwehr. Wir haben kaum etwas zu verlieren und im Grunde keine Wahl, wenn wir uns nach der Machtübergabe noch gegenseitig in die Augen blicken wollen. Aber vor allem haben wir keine Zeit.
- Wir müssen verhindern, dass die als „gesichert rechtsextrem“ zu betrachtende, in Teilen faschistische AfD sich eine neue faschistische HJ, die „Höcke Jugend“, die „Patriotische Jugend“ als vermeintlich harmlosen Ersatz für die „Junge Alternative“ zulegt. Wir müssen, zusammen mit unseren zivilgesellschaftlichen Mitstreiter*innen von den „Omas gegen Rechts“ über „Aufstehen gegen Rassismus“ bis hin zu „Widersetzen“ den Gründungsakt in Gießen Ende November blockieren.

— Wir müssen der Kriminalisierung antifaschistischer und linker Strukturen im Kontext der Hysterisierung von Antifa nach dem Kirk-Attentat entgegentreten und uns geschlossen hinter die Antifa stellen.
Antifa ist die einzig verlässliche Recherche zu rechten und faschistischen Umtrieben in diesem Land und anderen Ländern, Antifa sind Gedenkinitiativen und Erinnerungskultur an Shoah, Porajmos und deutsche Vernichtungspolitiken, Antifa ist kritische Publizistik zu Nazis und Ideologien der Ungleichwertigkeit, Antifa ist politische Bildung, Antifa ist Straßenpräsenz, Stadtteilarbeit und beherzte Nothilfe für Betroffene rassistischer und antisemitischer Bedrohung und Gewalt, Antifa ist unabhängige Prozessbeobachtung und Begleitung der Betroffenen rechten Terrors usw. – Danke Antifa!
- Wir müssen gegen Normalisierung des laufenden Wahnsinns laut und lauter werden.
Und wir müssen auch für Westdeutschland, für Europa und global beherzigen, was David Begrich für Ostdeutschland empfiehlt (ich zitiere ihn gerne noch einmal): „Katalytische Präsenz. Es wird darauf ankommen, in den Regionen jene zu halten und zu stärken, die als Einzelpersonen oder als kleine Netzwerke eine Erkennbarkeit gewährleisten, an der sich andere wiederum orientieren können. Das wird schwer durchzuhalten und wird in den kommenden Jahren Härten bringen, wie wir sie bislang nicht kannten. Wir werden uns im Ernstfall nicht auf Organisationen, nur auf Personen und Netzwerke verlassen können. An diesen muss gearbeitet werden. Sie brauchen: Pragmatismus, einen weiten habituellen Horizont und die Zurückstellung politischer Glaubenssätze.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Fußnoten:
1https://www.deutschlandfunkkultur.de/ministerpraesident-reiner-haseloff-gehen-wenn-die-afd-gewinnt-100.html
2https://www.tagesspiegel.de/potsdam/brandenburg/rechtsextremismus-woidke-ausgrenzung-der-afd-hat-nicht-funktioniert-14384096.html
3Der Schock, den diese Reels von diesem empörend brutalen Verhaftungen auf Social Media (Instagram, Tiktok usw.) auslösen, ist in das Programm von Einschüchterung, Überwältigung und Abschreckung vermutlich mit eingepreist.
4Georg Seeßlen: Trump & Co. Der un/aufhaltsame Weg des Westens in die Anti-Demokratie, Berlin 2025
5Die Karriere des Alexander Dobrindt verzeichnet ja nicht nur jenen Gastkommentar in der Welt unter diesem Rubrum, sondern ist gespickt von steindummen Zitaten, die zeigen, wes’ Kleingeistes Kind dieser gefährliche Mann ist, zum Beispiel dieses: „„Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“ — Rede am 29. Oktober 2010 in München auf dem Parteitag der CSU
6https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/afd-gold-aus-erbschaft-wohl-nach-liechtenstein-gebracht-fragen-bleiben-offen-a-d3fc4003-7e55-480a-ac83-8a217cba78c3
7https://www.instagram.com/p/DMqLtlNMU1Y/
8https://chat-kontrolle.eu/index.php/2025/10/02/der-kampf-gegen-die-chatkontrolle-braucht-dich-jetzt/; https://signal.org/blog/pdfs/germany-chat-control.pdf
Graue Erinnerung an den NSU-Prozess in München
Der folgende Text wurde von Regisseurin Annalena Maaas Anfang des Jahres 2025 für ihr Theaterstück Graue Energie angefordert und ein Vortrag zur Generalprobe des Stückes am 23. Mai 2025 ohne vorherige Beschäftigung damit bestellt: nach der Generalprobe entschied sie sich, den Text und seinen Vortrag kurzerhand aus dem Stück zu werfen, weil er ihr doch irgendwie nicht ins Konzept passte. Experimentell war an diesem Vorgang allenfalls der Umgang mit dem Autor und seinem Werk. Hier also just for the record:

„Die Zeugin Nuran K. kam am 30. Verhandlungstag Ende Juli 2013 erst am Nachmittag dran. Wir sahen sie nur von hinten oben, von der Tribüne aus, auf der „die Öffentlichkeit“ saß. Sie berichtete, wie sie am 29. August 2001 das Geschäft von Habil Kılıç betrat, um noch Brot zu besorgen. Vor dem Laden begegnete sie ihren 8‑jährigen Sohn mit einem Freund. Sie betrat den Laden und traf dort niemanden an, aber sie hörte aus dem Hinterzimmer eine Kaffeemaschine blubbern und dachte, Herr Kılıç mache hinten Pause. Erst als sie zum Tresen trat, sah sie Habil Kılıç hinter dem Tresen liegen, in einer riesigen Blutlache. Was Nuran K. für eine Kaffeemaschine gehalten hatte, war das Röcheln des an seinem Blut erstickenden Sterbenden, der von zwei Kugeln, eine davon in den Kopf, getroffen worden war.
Nuran K. konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Sohn mit im Laden gewesen war. Auch nicht, dass er nach dem, was er dort gesehen hatte, in kinderpsychiatrische Behandlung musste. Auch auf mehrfache Nachfrage des Vorsitzenden konnte sie sich daran nicht erinnern. Wollte es nicht.
Störrischer Zeuge
Ende Juli 2015 sagte der bizarr ausstaffierter V‑Mann-Führer Reiner Görlitz als Zeuge aus. Der Mitarbeiter des Brandenburgischen Verfassungsschutzes, der einen der wichtigsten Zeugen des Prozesses, Carsten Szczepanski, Deckname „Piatto“, geführt hatte, trug eine Perücke, Sonnenbrille und hatte seine Kleidung mit Stoff ausgestopft, um korpulenter zu wirken.
Die Unterlagen des störrischen Zeugen ließ das Gericht vorläufig beschlagnahmen. Wohlgemerkt, die Unterlagen eines Geheimdienst-Mitarbeiters, einer staatlichen Behörde.
Es gibt politische Gruppen, die nur 9 vom NSU Ermordete zählen, weil Michèle Kiesewetter Polizistin war.
Am 9. Dezember 2015 ließ die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihre Aussage von ihrem Anwalt Matthias Grasel verlesen. Vor dem Gerichtsgebäude bildeten sich von früh morgens an Schlangen von „Schaulustigen“, die zum grünen Eingang des Strafjustizzentrums drängten, weil sie dachten, Beate Zschäpe werde selbst sprechen.
In der Nacht zu diesem Tage war die Nebenklageanwältin im NSU-Prozess und unsere Freundin Angelika Lex ihrem Krebsleiden erlegen.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und einige andere Mitglieder des erkennenden Senats kamen später zu ihrer Beerdigung am Münchener Ostfriedhof.
Manchmal ist einem der Kopf nach vorne gekippt — im Sommer — wenn es draußen fast 30 Grad hatte.
Gesunde Ernährung
Auf dem Treppenabsatz, wo einer der Eingänge zum A 101 ist, war mit mobilen hölzernen Tafeln eine Art Gehege abgetrennt worden mit einem Pausenraum für Zuschauer*innen und einem innen noch einmal abgegrenzten Bereich für Journalist*innen. Irgendwann kam das Gericht der dringenden Anforderung „der Öffentlichkeit“ nach, in den Pausen Verpflegung anzubieten. Darunter waren auch Plastikschalen mit Salat und ekligem Dressing, um das Speisenangebot „gesünder“ zu machen und weniger kohlehydratlastig. Ob wir das eingefordert hatten, weil wir bemerkten, dass die ewigen Butterbrezen uns im Laufe der Zeit aufgehen ließen wie Hefeknödel, weiß ich nicht mehr genau. Zahlen musste man in eine „Kasse des Vertrauens“. Dieses Vertrauen hatten offenbar durchaus nicht alle verdient. Irgendwann hieß es, es fehlten mehr als 1000 Euro in dieser Kasse. Das ging durch die Presse. Ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung, die sich so viel auf ihre angeblich exklusive Mitschrift des Prozesses zugute hielt, erweckte in ihrem Artikel zu diesem „Skandal“ den Eindruck, dass ausgerechnet die Betroffenen des NSU-Terrors und Angehörigen der Ermordeten sich hier ohne zu zahlen bedient hätten.
Am 99. Prozesstag wurde über das Spiel gesprochen, dass der NSU im Untergrund konzipierte, um es zur Sicherung des Unterhalts im Untergrund zu verkaufen. Eines dieser Spiele tauchte später im Besitz des britischen Holocaustleugners David Irving auf. Das Spiel hieß „Pogromly“. Eine der „Ereigniskarten“ des Spiels lautete: „Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest Du Dir hierbei eine Infektion zugezogen. Arztkosten 1000 RM“.
Wissen Sie, was ein „Splittergarten“ ist? Was für ein poetisches Wort. Es kommt aus der Kriminaltechnik, der Spurensicherung. Wenn es um eine Bombenexplosion geht, wird die gezündete Bombe identisch nachgebaut und in gesichertem Gelände zur Explosion gebracht, um die Wucht und Zerstörungskraft der Bombe zu messen. Dafür werden um die Bombe in bestimmten Abständen Metallwände aufgebaut, auf die die Splitter der Bombe auftreffen, wodurch man ihre kinetische Energie bestimmen kann. Im NSU-Prozess ging es dabei um den Nagelbombenanschlag auf die migrantisch geprägte Keupstraße in Köln am 9. Juni 2004. Die Bombe in einer Camping-Gasflasche bestand aus 5,5 kg Schwarzpulver und 800 10 Zentimeter langen Nägeln. Ein Schwerverletzter hatte 9 dieser Nägel in seinen Oberschenkeln. Er kam gerade zum Zeitpunkt der Explosion an der auf einem Fahrrad deponierten Bombe vorbei. Trotz massiver physischer und psychischer Beeinträchtigungen musste er über Jahre um eine Opferentschädigung gegen den Landschaftsverband Rheinland prozessieren.
Die Gesinnung des Mandanten
Bei einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten Ralf Wohlleben wird sein „Schlaf-Shirt“ beschlagnahmt. Zu sehen ist darauf das Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Darüber steht in Fraktur: „Eisenbahnromantik“. Einer der einschlägig rechten Szene-Verteidiger erklärt, von einem solchen Tshirt lasse sich nicht auf die Gesinnung seines Mandanten schließen.
Das Scharzpulver des „Stollendosenanschlags“ in der Kölner Probsteigasse hat sich in die Gesichtshaut der betroffenen 19-jährigen Medizinstudentin Maja M., die schwer verletzt wurde, eingebrannt. Die schwarzen Spuren im ihrem Gesicht nennt man „Schmutztätowierungen“.
Der Freiburger Psychiatrieprofessor Joachim Bauer war von der „Neu-Verteidigung Zschäpe“ in den Prozess geholt worden, um als psychiatrischer Gutachter die Angeklagte zu entlasten. Das geriet zum Desaster, als bekannt wird, dass Bauer den Prozess eine „Hexenjagd“ genannt und er versucht hatte, seiner „Probandin“ eine Schachtel Pralinen in die JVA zu schmuggeln. Dieser „unschuldige Akt von Humanität“, wie er es bezeichnete, trägt ihm einen Befangenheitsantrag ein. Den einzigen Befangenheitsantrag, dem in den über 5 Jahren Prozess stattgegeben wurde.
„Ivan, der Schreckliche“ im A 101
Im Verfahren gegen den einstigen Gebirgsjäger-Leutnant Josef Scheungraber erörterte sein Verteidiger Rainer Thesen, ob Geiselerschießungen zu jener Zeit nicht üblich waren und insoweit keiner Verfolgung Jahrzehnte später erheischten. Der 90-jährige Scheungraber war angeklagt, als Kommandant eines Gebirgsjägerzuges der „Wehrmacht“ am 26. Juni 1944 für die Ermordung von 14 Menschen verantwortlich gewesen zu sein, die im Rahmen einer Sühneaktion getötet wurden. 11 von ihnen waren in Falcano di Cortona in ein Haus gesperrt worden, dass die deutschen Soldaten dann in die Luft sprengten. Nur ein damals 15-Jähriger überlebte das Massaker schwer verletzt in den Trümmern. Gino M. sagte 64 Jahre nach der Gräueltat gegen Scheungraber aus. Seine trauriges Gesicht ist mir in Erinnerung geblieben.
Zwei Jahre später wurde noch „Ivan, der Schreckliche“ in einem Krankenbett in den A 101 gerollt. Der einstige KZ-Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, Ivan Demjaniuk, wurde wegen „Beihilfe zum Mord“ an 28.060 Menschen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Der Tod des 92-Jährigen verhinderte, dass das Urteil rechtskräftig wurde. In Sobibor sind in den Jahren 1942 und 1943 etwa 250.000 Jüdinnen und Juden vergast worden.“
Gilead Rising: Verstörende Social-Media-Clips dokumentieren den Höllensturz der USA

Irgendwie muss ich doch was falsch machen. Wenn ich mit den dicken Boomer-Fingern die Dutzenden und Hunderten erschütternden, verstörenden, brutalen und empörenden Clips aus den USA durchswipe und aus dem Staunen und dem Horror nicht mehr rauskomme.
Natürlich weiß ich, dass durch mein Gebannt-sein von den Dokumenten des entfesselten Faschismus‘ im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Algorithmen anspringen, die mir immer mehr von diesen Dokumenten des Grauens in die Timeline spülen.
Herstellung weißer Menschen
Nichts davon kann ich überprüfen, nicht die kurzen Alarm- und Hilferufe aus Utah, Texas, Missouri und Montana, wo eine neue christlich-fundamentalistische Legislatur im Sinne der neuen Machthaber schwangere Frauen als Geiseln nimmt, ihrer Grund- und Freiheitsrechte entkleidet oder gar Schwangere, die eine Fehlgeburt erleiden, des Mordes an einem Fötus anklagt und mit Gefängnisstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Ich weiß auch nicht viel darüber, wer hinter Pullups Pasta Politics steckt. Ich kann aber nur sagen, dass meine Hände zittern und mir kalte Schauer des Entsetzens den Rücken herunterlaufen, wenn die Frontperson dieses Accounts mir von den Auswirkungen der neuen Zeit in den USA erzählt und dass in Missouri Gesetze wie in Margret Atwoods fiktivem Staat „Gilead“ erlassen und rechtlose „Handmaids“ unter massiver Strafandrohung zur Herstellung weißer Kinder gefangen gehalten werden.
Lost in Bukeles Horrorknast
Oder die zahllosen Szenen rassistischer staatlicher Gewalt, bei denen wohl überwiegend ohne jede rechtliche Grundlage Menschen durch Rollkommandos von Trumps Immigration Control Enforcement (ICE) oder gar dem FBI aus ihren Häusern, ihrem Alltag, in aller Öffentlichkeit, vor den Augen ihrer Kinder und eben auch zahlloser mitfilmender Zeug*innen brutal festgenommen und in – ja, wie soll ich sagen – Konzentrationslager auf US-Boden oder gar in das regelrechte Horrorgefängnis des gewissenlosen salvadorianischen Diktators Nayib Bukele deportiert werden – auf Nimmerwiedersehen, wie der Fall von Kilmer Garcia zeigt, der trotz Eingeständnis eines Behördenfehlers, nicht zurück aus El Salvador nach Hause kann. Es soll sich — laut New York Post — in wenigen Wochen der zweiten Trump Administration um 113.000 Festnahmen handeln und 100.000 Abschiebungen. Darunter nicht nur Familien mit Kindern, sondern auch — und das wird hierzulande besonders die AfD interssieren — auch US-Bürger*innen.
Rechtsweg abgeschnitten
Während sich Trump und seine Schergen die Taschen vollpacken, den Staat als Beute unter sich aufteilen und dabei im Vorbeigehen über das Schicksal von Millionen Menschen – und da geht es, was z.B. Versorgung mit Medikamenten, Verhütungsmitteln angeht, für sehr viele Menschen global um Leben und Tod – entscheiden (davon künden auch tausende Social-Media-Clips), gehen massive, politisch gesteuerte gesellschaftliche Angriffe auf die LGBTQIA+-Community, auf Wissenschaftler*innen, Studierende, Journalist*innen, Staatsbeamt*innen und Gegner*innen und Kritiker*innen des „großartigsten Präsidenten der US-Geschichte“ und seiner niederträchtigen Spießgesellen wie J.D. Vance und Elon Musk weiter. Ein Rechtsstaat scheint aufgehoben, Minderheiten, Frauen, Nicht-Weiße sehen sich geballtem Unrecht und illegitimer staatlicher Gewalt gegenüber. Der Rechtsweg ist abgeschnitten.
Die Bürgerlichen sticht der Hafer
Und die Welt? Sie schweigt und sieht zu, schließlich mischt man sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ein. Machen wir ja in China und der Türkei, in Russland und Argentinien auch nicht, und lassen auch innerhalb der EU illiberale Potentaten á la Orban, Meloni, Wilders usw. gewähren. Im Gegenteil, die bis vor kurzem noch bürgerlich-konservativen Parteien und selbst Sozialdemokratien sticht der Hafer, wenn sie sehen, wie schnell und gründlich man eine grundsätzliche humane Orientierung und die sozialen Errungenschaften (vor allem im Bereich sexueller und reproduktiver Rechte) der zurückliegenden 80 Jahre abräumen und der Barbarei preisgeben kann.
Niemöller revisited
Irre ich mich, oder sind ernsthafte Berichterstattung und internationaler Protest zu diesem Höllensturz in den USA überschaubar? Beschränkt sich die (internationale) Kritik auf die völlig frei drehende Außenpolitik und die oft wirklich gefährlich dummen Verlautbarungen aus der Trump-Administration nicht auf halb belustigte, halb ungläubige Reaktionen. Nur wenn es um die eigenen wirtschaftlichen Interessen geht – etwa durch die wild wuchernde Zöllepolitik Trumps – oder um ungestörte Urlaubsreisen, die neuerdings gerne mal im US-Knast enden, fängt das übliche larmoyante Gezeter an. Wie Menschen- und Minderheitenrechte, Grund- und Freiheitsrechte mit Füssen getreten werden, lockt in Niemöller’scher Manier offenbar niemanden hinter dem Ofen hervor. Oder nur die paar Millionen, die sich dem Horror dieser Social-media-Clips aussetzen wie ich.
Kein Plan
Und dann? Ich hab‘ keinen Plan? Hilfsprogramme und Fluchthilfe für verfolgte Schwangere aus den US? Für von Abschiebung und illegaler Inhaftierung Bedrohte? Für die LGBTQIA+-Community? Für verfolgte Wissenschaftler*innen und Journalist*innen? Schmuggel von Schriftgut aufklärerischen Inhalts und zensierten Werken über die grüne Grenze mit Canada?
Der Faschismus ist wieder da. Und wir wissen wieder nicht, was zu tun ist.
Vielfalt und Homogenität – Aspekte und Inkonsistenzen des Ethnopluralismusdiskurses
Mit der europaweiten Aktion Defend Europe wollte die Identitäre Bewegung 2017 die NGOs, welche im Mittelmeerraum Menschenleben retten, diffamieren und deren Arbeit als „Schlepperaktivitäten“[1] darstellen. Sieben Jahre später mietet sie im Rahmen der aktuellen Kampagne No Way – Do Not Come To Europe Werbeflächen in afrikanischen Ländern. Die Identitäre Bewegung meint, dadurch die lokale Bevölkerung aufklären (oder auch ermahnen) zu können, dass sich die gefährliche Reise nach Europa nicht lohnt.[2] Den Vorwurf des Rassismus weist die Identitäre Bewegung zurück: „Wir stehen anderen Kulturen und Völkern nicht ablehnend gegenüber. Wir verstehen die Welt als plurales Gebilde vielfältiger kultureller Entwürfe und Lebensausdrücke mit einer konkreten örtlichen Bestimmtheit und geschichtlichen Entwicklung“[3].
Dieser und ähnlichen Erklärungen der Identitären Bewegung liegt eine bestimmte Weltanschauung zu Grunde. Explizit bezieht sie sich an anderer Stelle positiv auf den Ethnopluralismus im Sinne Alain de Benoists, den Intellektuellen der Nouvelle Droite in Frankreich.[4] Im Allgemeinen bezeichnet die Idee des Ethnopluralismus Vorstellungen, die davon ausgehen, dass Menschen hinsichtlich ihrer ‚ethnisch-kulturellen‘ Gruppenzugehörigkeit ungleich sind. Im Sinne Benoists ist damit zunächst keine Ungleichwertigkeit im Sinne eines eugenischen Rassenbegriffs gemeint, sondern eine Anerkennung verschiedener Kulturen.[5] Es entsteht sogar der Eindruck, dass die Vielfalt der Kulturen im ethnopluralistischen Denken geschätzt werde.
Im Folgenden werden Aspekte und Inkonsistenzen der positiven Bezugnahme auf den Begriff des Ethnopluralismus aufgezeigt, um schließlich die Frage zu beantworten, welche politischen und praktischen Implikationen aus dem Begriff abgeleitet werden können.
Die substanzialisierte Kultur
Die Ethnie trägt nach Benoist sowohl die „Idee der Rasse als auch […] der Kultur“[6] in sich. Die Beziehung zwischen der vermeintlichen ‚Rasse‘ und der Kultur bezeichnet Benoist als eine der Potentialität.[7] Diesem Gedanken nach bildet eine ‚Rasse‘ den Boden für die (Schicksals-)Geschichte und Kultur.[8] So führt der französische Rechtsintellektuelle die verschiedenen Kulturen auf ein jeweils unterschiedliches biologistisches Fundament zurück. Die Kultur bildet somit in gewisser Weise den Überbau der Biologie.
Henning Eichberg gilt als derjenige, der den Begriff des Ethnopluralismus popularisiert und im deutschen Diskurs maßgeblich geprägt hat. In den 70er Jahren veröffentlichte der Soziologie und Historiker in der neurechten Zeitschrift Junges Forum einen Aufsatz, in dem er wie Benoist die Überzeugung vertritt, dass substanzielle Unterschiede zwischen den Kulturen hinsichtlich ihres „Verhaltens, Wahrnehmens und Denkens“[9] bestehen. Eichberg unternimmt eine Kritik an den westlichen Entwicklungshilfen, die einen „[naiv-ethnozentrisch linearen] Maßstab von hoch- bzw. unterentwickelt“[10] voraussetzen und rät dazu „auf alle Interventionen in andere Kulturen hinein zu verzichten“[11]. Jede Kultur solle seiner Ansicht nach selbstbestimmt entscheiden, wie und ob diese sich entwickeln möchte. Einem universellen Begriff der Entwicklung setzt der Ethnopluralismus dem eigenen Anspruch nach die Anerkennung jener unterschiedlichen Vorstellungen entgegen, wie die Gesellschaft organisiert werden soll.
Ebenso entsteht der Eindruck, dass es sich bei den ‚Kulturen‘ um ein abgeschlossenes Ganzes handelt. Der Mensch wird nach Benoist in einen Kulturkreis hineingeboren und findet eine bereits existierende Kultur vor. Er habe diese anzunehmen, „weil es seine Kultur ist und weil er ihr Erbe ist“[12]. Von Außenstehenden könne diese Kultur nie verstanden werden, weil diese nicht über den Zugang verfügen, wie Kulturangehörige dies tun.[13] Die Kultur ist folglich ein rigides Gebilde, das den klaren Blick nach außen nicht ermöglicht. Von Hajo Funke wird dieses Verständnis als eine „Substanzialisierung von Kultur“[14] bezeichnet. Anders als Benoist meint, existieren Kulturen aber nicht als Monolithen im luftleeren Raum. Kulturen sind im stetigen Wandel begriffen. Ihnen liegt eine Dynamik zugrunde, weil diese im Verlaufe der Zeit von unterschiedlichen Menschen, sowohl von innerhalb, als auch von außerhalb, geprägt worden sind und geprägt werden. Ebenso erleben Menschen in multikulturellen Kontexten, wie etwa im bilingualen Aufwachsen unterschiedliche Kulturen, die sich vermischen können. Insofern lassen sich diese auch nicht fein säuberlich voneinander trennen, kategorisieren und den einzelnen Menschen zuordnen. Benoist jedoch behauptet eine natürlich Verbindung des einzelnen Menschen zu seiner Kultur. Menschen sollen sich für die Kultur entscheiden und für diese einstehen, die ihrer ‚ethnischen‘ Herkunft, ihrem Aussehen nach entspricht.
In seinem 2023 erschienenen Werk Wir und die Anderen operiert Benoist eher mit dem Begriff der Identität als dem der Ethnie. Die deutsche Identitäre Bewegung beruft sich explizit auf dieses Werk und bezeichnet Identität als Resultat von unterschiedlichen kollektiven und individuellen Faktoren, wobei letzteres auch die „Marker der ethnokulturellen Identität enthalten“[15]. Ziel der Bewegung sei es, die Identität des deutschen Volkes zu bewahren, ohne die Existenz anderer Völker zu negieren. Benoist meint ebenfalls, dass die eigene Kultur gefördert und verteidigt werden könne, ohne dass andere Menschen verachtet werden müssen.[16] Wieso muss aber die eigene Kultur verteidigt werden und was ist damit gemeint?
Der Universalismus als Bedrohung
Der ethische Universalismus vereint alles Menschliche unter allgemeingültigen Prinzipien. Eine solche Vorstellung liegt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zugrunde. Artikel 2 besagt, dass allen Menschen die in der Erklärung enthaltenen Rechte und Freiheiten unabhängig von den ihnen zugeschriebenen oder angeborenen Merkmalen zustehen.[17] Benoist erkennt den einzelnen Menschen als Individuum jedoch nicht an, sondern subsumiert diesen unter seine ‚Kultur‘. Es gebe „nur Kulturen [gibt], die alle ihre eigenen Merkmale und ihre eigenen Gesetze haben“[18]. An die Stelle eines Universalismus setzt Benoist einen allgemeinen Relativismus. Diese Besonderheiten der unterschiedlichen Kulturen seien durch den universellen Anspruch allgemeingültiger Prinzipien bedroht. Dagegen formuliert Benoist die These, dass „das Pflegen des kollektiven Ichs vielleicht das beste Mittel ist, einen Beitrag zum Universellen zu leisten“[19]. Hier verwickelt sich Benoist in einen Selbstwiderspruch: entgegen seiner Ablehnung eines jeden Universalismus vertritt er einen neuen, wenn er die Unterwerfung unter die Kultur als ein allgemeingültiges Prinzip fordert. Doch es bleibt nicht bei einer nüchternen Ablehnung: der Universalismus kommt dem Rassismus gleich, da beide totalisierend sind und so jegliche Unterschiede zwischen Völkern bestreiten.[20] Dass der Rassismus Andersartigkeiten erst produziert und potenziert, negiert er.
Die deutsche Identitäre Bewegung schließt sich ebenfalls der Kritik Benoists an, dass der Universalismus eine Unterdrückungsideologie ist.[21] Sie sieht den „Globalismus“[22] als den Hauptgrund dafür an, dass die Verschiedenheiten zwischen den Völkern und Kulturen aufgehoben werden.[23] Dieser verdränge die Bedeutung der regionalen Identität zugunsten der Vorstellung einer universellen Menschheit. Benoist betont ebenfalls, dass der Universalismus „häufig lediglich die Maske für uneingestandene Beherrschungspraktiken war“[24].
Henning Eichberg hingegen formuliert eine merkwürdige Kapitalismuskritik. Seiner Ansicht nach ist die Xenophobie Resultat des Kapitalismus, welcher durch seine leistungszentrierten Anforderungen die Arbeitenden in existenzieller Angst zurücklässt. Diese Angst wird zur Projektionsfläche für den Hass gegen ihnen fremde Menschen. Gleichzeitig behauptet er, dass die Deutschen sich selbst nicht als ‚Volk‘ anerkennen würden.[25] Eichberg scheint es nicht in den Sinn zu kommen, dass der Fremdenhass die eigene Anerkennung als ‚Volk‘ voraussetzt. Der Hass auf fremde Menschen kann gerade als die Folge der Auffassung eines ‚deutschen Volkes‘ verstanden werden. In diesem Falle existiert ein deutsches Volksverständnis – es ist jedoch ein rassistisches.
Vielfalt und Homogenität
„Die Vielfalt [der Kulturen] ist etwas Gutes, denn jeder wahre Reichtum beruht auf ihr“[26]. Mit diesen Worten möchte Benoist betonen, dass die Verschiedenheiten zwischen den Kulturen zu wertschätzen sind und suggeriert Toleranz. Gleichzeitig schreibt er in Kulturrevolution von rechts, dass bei zunehmender Einwanderung Gruppen mit unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Identitäten „Kulturverlust“[27], Ausgrenzung sowie einen Anstieg an Kriminalität erfahren. Ebenfalls könne „Rassenvermischung“[28] zu einem Verlust der Kultur führen, kritisiert Benoist. Der französische Rechtsintellektuelle konstatier, dass die Vielfalt der Kulturen anzuerkennen und wertzuschätzen ist, diese sollten möglichst getrennt voneinander existieren. Er spricht gar von einer „wechselseitigen Entkolonisation“[29]. Benoist relativiert damit das historische Verbrechen des Kolonialismus durch das vemeintlich vergleichbare Übel einer mulitkulturellen Gesellschaft. Diese Relativierung liegt eine rassistische Vorstellung von gesellschaftlicher Homogenität zu Grunde. Kulturen gehören voneinander entzerrt und segregiert, da sich diese andernfalls gegenseitig schaden und jeweils von der eigenen Identität entfremden können. Die Vielfalt wird von Benoist nur aus der Ferne gewürdigt – im besten Falle interagiert man gar nicht mit dieser und verbleibt in der eigenen Homogenität.
Zugunsten der Homogenität sprach sich auch Carl Schmitt aus. Das Fremde wird als Bedrohung beschrieben, welche durch die Demokratie als homogene Entität ausgelöscht werden soll.[30] Schmitt meint, dass sich auch dann noch von einer Demokratie sprechen lässt, wenn eine Gruppe ausgeschlossen ist.[31] Diese Homogenität wird innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens angestrebt. In Rückbesinnung auf die Kernidee des Ethnopluralismus gibt es dann nach Schmitt auch keine universalistische Staatenwelt, sondern ein „Pluriversum“[32]. Im Gegensatz zu Schmitts Bezugnahme auf den neuzeitlichen Nationalstaat bezeichnet Benoist die Idee von innerstaatlicher Homogenität hinsichtlich ‚ethno-kultureller‘ Aspekte als eine illusorische Vorstellung. Ihm zufolge solle sich die kollektive Identität regional beschränken, da sich auf dieser Ebene Menschen finden, die tatsächlich mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.[33]
Die Vorstellung, Homogenität auf nationalstaatlicher Ebene herzustellen, lehnt Eichberg ebenfalls ab und plädiert für die Akzeptanz von unterschiedlichen ‚Stämmen‘ innerhalb eines Staatengebildes.[34] Benoist und Eichberg stellen sich gegen die Idee eines völkischen Nationalismus, betrachten aber Kulturen als voneinander getrennt existierende Entitäten – wenn auch innerhalb gleicher Staatsgrenzen.
Pierre Krebs ist der Leiter des sogenannten Thule-Seminars, welches nach eigener Aussage eine „Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indo-europäische Kultur“[35]ist. Er verknüpft die Identität ebenfalls nicht mit dem Nationalstaat, sondern weitet diese auf ganz Europa aus. Sich dieser Identität anzunehmen, bedeutet für ihn auch „die Bewahrung der Unterschiede und die kulturelle Autonomie der europäischen Minderheiten“[36] ernst zu nehmen. Krebs bezieht sich allerdings dezidiert nicht auf den Begriff des Ethnopluralismus, den er als veraltet betrachtet. Eher verwendet er den Begriff des „europäischen Ethnobewusstseins“[37]. Nach Krebs‘ Vorstellung bedeutet dies die Überwindung der „[zerstörenden] Assimilation fremder Ethnien […] und die ganz natürliche und überall verständliche Rückkehr der Immigranten in das Land ihrer Vorfahren“[38]. Was Krebs als eine Natürlichkeit darstellt, bedeutet in praktischer Konsequenz die Zwangsumsiedlung von Millionen von Menschen, die nicht dem pseudowissenschaftlichen Bild eines Europäers entsprechen.
Remigration als eine Konsequenz des Ethnopluralismus
Während rechtsintellektuelle Vordenker wie Benoist und Eichberg die Idee einer Massenausweisung ablehnen, wird diese etwa von Pierre Krebs oder Martin Sellner, dem bekanntesten Gesicht der Identitären Bewegung Deutschlands und Österreichs, gefordert. Sellner bezieht sich in einem Interview positiv auf den Begriff des Ethnopluralismus und betont dabei das Selbstbestimmungsrecht der ‚Völker‘ und Kulturen. Sellner tritt für „Massenrückführungen“[39] als Teil einer durch Selbstbestimmung gerechtfertigten Migrationspolitik ein. So können seiner Ansicht nach Menschen anderer Herkunft außer Landes verwiesen werden, wenn das ‚einheimische‘ Volk befindet, dass „die wirtschaftlichen und kulturellen Kapazitätsgrenzen unserer Aufnahme- und Assimilationsfähigkeit“[40] ausgeschöpft seien. Dies bedeutet, dass Migrant_innen und Menschen mit Migrationshintergrund der reinen Willkür einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ausgeliefert sind.
Der Staat solle Sellner zufolge die ‚ethnisch-kulturelle‘ Identität schützen, da diese für eine Demokratie unabdingbar sei. Er spricht selbst von einem „monokulturellen [Staat]“[41]. Damit knüpft Sellner an Carl Schmitts Demokratieverständnis an, welcher, wie zuvor erwähnt, ebenfalls auf innerstaatliche Homogenität abzielt – auch unter Anwendung von Gewalt. In einem Beitrag für Sezession im Netz, dessen verantwortlicher Redakteur Götz Kubitschek ist, führt Sellner mehrere historische Beispiele für „Remigration“[42] an, offenbar mit der Absicht, dieses Vorhaben zu normalisieren. Er bestreitet, dass die Deportation von zahlreichen Menschen mit den Menschenrechten oder der Verfassung konfligieren würden.[43] Zur Gruppe der auszuweisenden Menschen zählt Sellner ‚Asylbetrüger‘ und Menschen ohne deutscher Staatsbürgerschaft, „die eine kulturelle, wirtschaftliche und kriminologische Belastung darstellen“[44]. Ebenfalls ausgewiesen werden sollen jene Menschen, die sich auf Dauer nicht einer ‚Leitkultur‘ im Land anpassen. Diese Leitkultur sei Ausdruck der ‚ethnisch-kulturellen‘ Identität innerhalb nationalstaatlicher Grenzen. Wer gut assimiliert ist, das entscheidet derjenige, der ein ‚Erbe‘ der ‚Ethnie‘ sei. Die deutsche Identitäre Bewegung fordert, dass das Staatsbürgerschaftsrecht an die Herkunft geknüpft werden sollte.[45]
Im Januar 2024 berichtete das Investigativportal Correctiv von einem geheimen Treffen zwischen Rechtsextremen — unter den Anwesenden waren unter anderem Politiker_innen der Werteunion sowie der AfD und Martin Sellner. Zentraler Inhalt dieses Treffen waren Pläne zur „Remigration“. Diese Reportage löste einen öffentlichen Aufschrei aus, gefolgt von zahlreichen Demonstrationen in ganz Deutschland. Martin Sellner zieht daraus andere Schlüsse: „Mit dieser symbolischen und theoretischen Schwungmasse kann die Vision der Remigration den Graben überspringen und in der Mitte der Gesellschaft landen“[46].
Schluss
Der Begriff des Ethnopluralismus beruft sich in einem basalen Sinne auf die Anerkennung der Ungleichheit der Kulturen, ohne diese abzuwerten. Die Kultur wird essentialisiert und biologisiert, indem sie an den Begriff der ‚Ethnie‘ oder gar der ‚Rasse‘ geknüpft wird. Die Vorstellung, dass jede Kultur ihrer eigenen Logik folgt und demnach keine Vergleichbarkeit möglich ist, verunmöglicht jedes universalistische Prinzip. Der Universalismus erkenne die Unterschiede der Kulturen nicht an und sei durch diese Negation der Vielfalt unterdrückerisch. Ebenso bestehe die Gefahr, dass sich die Kulturen gegenseitig überfremden, weshalb diese möglichst getrennt voneinander existieren müssen. Obwohl Alain de Benoist und Henning Eichberg die Massenausweisung von Menschen anderer Herkunft ablehnen, streben Pierre Krebs und Martin Sellner mit der Identitären Bewegung die Zwangsdeportation zahlreicher Menschen zugunsten einer „monokulturellen“[47] Gesellschaft an. Der Ethnopluralismus ist anschlussfähige für völkisch-nationalistisches Gedankengut und wird als relativ loses theoretisches Konzept von rechtsradikalen Akteuren als Grundlage herangezogen, um die Deutungshoheit darüber auszuüben, wie und welche Menschen zusammenleben sollen. In diesem Sinne ist die Kultur als Bezugspunkt anstelle der ‚Rasse‘ „ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch“[48].
Vielen Dank an das antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) für die Bereitstellung der Materialien.
Literaturverzeichnis:
Adorno, Theodor W.: Schuld und Abwehr, in: Gesammelte Schriften (Bd. 9.2). Soziologische Schriften II.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Benoist, Alain d.: Gleichheitslehre, Weltanschauung und Moral; die Auseinandersetzung von Nominalismus und Universalismus, in: Pierre Krebs (Hrsg.), Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleicheit, Tübingen: Grabert, 1981, S. 75–105.
Benoist, Alain d.: Kulturrevolution von rechts, Krefeld: Sinus, 1985.
Benoist, Alain d.: Wir und die anderen, Berlin: Junge Freiheit, 2008.
Eichberg, Henning: Ethnopluralismus. Eine Kritik des naiven Ethnozentrismus und der Entwicklungshilfe, in: Junges Forum, Nr. 5, 1973, S. 3–12.
Eichberg, Henning: Das gute Volk: Über multikulturelles Miteinander, in: Ästhetik & Kommunikation, Jg. 23, Nr. 84, 1994,S. 76–82.
Funke, Hajo: Rechtsextreme Ideologien, strategische Orientierungen und Gewalt, in: Martin Gerster (Hrsg.), Strategien der extremen Rechten, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, S. 21–44.
Identitäre Bewegung: Skandalisierung ohne Skandal, in: Identitäre Bewegung, 2016, https://www.identitaere-bewegung.de/neuigkeiten/skandalisierung-ohne-skandal/ (abgerufen am 29.11.2024).
Identitäre Bewegung: Unsere Mission. Die patriotische Wende, in: Identitäre Bewegung, https://www.identitaere-bewegung.de/mission/ (abgerufen am 29.11.2024).
Identitäre Bewegung: „No Way – Do not come to Europe“ – Identitäre Aufklärungskampagne in Afrika gestartet, in: Identitäre Bewegung, https://www.identitaere-bewegung.de/neuigkeiten/no-way-do-not-come-to-europe-identitaere-aufklaerungskampagne-in-afrika-gestartet/ (abgerufen am 29.11.2024).
Identitäre Bewegung: Themen, in: Identitäre Bewegung, o.D., https://www.identitaere-bewegung.de/themen/#globalismus (abgerufen am 30.11.2024).
Krause, Peter: Einwanderung bedroht unsere kollektive Identität nicht. Alain de Benoist, Vordenker der Neuen Rechten in Frankreich, über Rassismus und Antirassismus, Ideologien und Fremdenfeindlichkeit, Berlin: Junge Freiheit, 1998.
Krebs, Pierre: Wofür wir kämpfen, In: ahnenrad.org – Die Geistesgegenwart der Zukunft, 2020, https://ahnenrad.org/2020/05/16/wofuer-wir-kaempfen/ (abgerufen am 30.11.2024).
Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen, 9. korrigierte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 2015.
Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 2017.
Sellner, Martin: Wiedervorlage: Remigration ist keine Erfindung unserer Zeit, in: Sezession, 2024, https://sezession.de/68602/remigration-ist-keine-erfindung-unserer-zeit (abgerufen am 30.11.2024).
Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in: Vereinte Nationen, 1948, https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/ (abgerufen am 30.11.2024).
Wagener, Martin: Über die Identitäre Bewegung – Ein Gespräch mit Martin Sellner, Berlin: Kindle Direct Publishing, 2021, S. 15.
[1] Identitäre Bewegung: Unsere Mission. Die patriotische Wende, in: Identitäre Bewegung, o.D., https://www.identitaere-bewegung.de/mission/ (abgerufen am 29.11.2024).
[2] Vgl. Identitäre Bewegung: „No Way – Do not come to Europe“ – Identitäre Aufklärungskampagne in Afrika gestartet, in: Identitäre Bewegung, o.D., https://www.identitaere-bewegung.de/neuigkeiten/no-way-do-not-come-to-europe-identitaere-aufklaerungskampagne-in-afrika-gestartet/ (abgerufen am 29.11.2024).
[3] Identitäre Bewegung.
[4] Vgl. Identitäre Bewegung: Skandalisierung ohne Skandal, in: Identitäre Bewegung, 2016, https://www.identitaere-bewegung.de/neuigkeiten/skandalisierung-ohne-skandal/ (abgerufen am 29.11.2024).
[5] Vgl. Benoist, Alain d.: Wir und die anderen, Berlin: Junge Freiheit, 2008, S.60.
[6] Benoist, Alain d.: Kulturrevolution von rechts, Krefeld: Sinus, 1985, S. 57.
[7] Vgl. Ebd.
[8] Vgl. Ebd. S. 55.
[9] Eichberg, Henning: Ethnopluralismus. Eine Kritik des naiven Ethnozentrismus und der Entwicklungshilfe, in: Junges Forum, Nr. 5, 1973, S. 6.
[10] Ebd. S. 4.
[11] Ebd. S. 10.
[12] Benoist, 1985, S. 61.
[13] Vgl. Ebd. S. 55.
[14] Funke, Hajo: Rechtsextreme Ideologien, strategische Orientierungen und Gewalt, in: Martin Gerster (Hrsg.), Strategien der extremen Rechten, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, S. 25.
[15] Identitäre Bewegung: Mission.
[16] Vgl. Benoist, 1985, S. 61.
[17] Vgl. Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in: Vereinte Nationen, 1948, https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/ (abgerufen am 30.11.2024).
[18] Benoist, Alain d.: Gleichheitslehre, Weltanschauung und Moral; die Auseinandersetzung von Nominalismus und Universalismus, in: Pierre Krebs (Hrsg.), Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleicheit, Tübingen: Grabert, 1981, S. 87.
[19] Benoist, 1985, S. 61.
[20] Krause, Peter: Einwanderung bedroht unsere kollektive Identität nicht. Alain de Benoist, Vordenker der Neuen Rechten in Frankreich, über Rassismus und Antirassismus, Ideologien und Fremdenfeindlichkeit, Berlin: Junge Freiheit, 1998, S. 3.
[21] Vgl. Identitäre Bewegung: Themen, in: Identitäre Bewegung, o.D., https://www.identitaere-bewegung.de/themen/#globalismus (abgerufen am 30.11.2024).
[22] Ebd.
[23] Vgl. Identitäre Bewegung: Mission.
[24] Benoist, 2008, S. 63.
[25] Vgl. Eichberg, Henning: Das gute Volk: Über multikulturelles Miteinander, in: Ästhetik & Kommunikation, Jg. 23, Nr. 84, 1994,S. 79–82.
[26] Benoist, 1981, S.87.
[27] Benoist, 1985, S. 65.
[28] Ebd., S.64.
[29] Ebd., S. 67.
[30] Vgl. Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 2017, S. 14.
[31] Ebd., S. 15.
[32] Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen, 9. korrigierte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 2015, S.50.
[33] Vgl. Krause, 1998, S. 4.
[34] Vgl. Eichberg, 1994, S. 81.
[35] Krebs, Pierre: Wofür wir kämpfen, In: ahnenrad.org – Die Geistesgegenwart der Zukunft, 2020, https://ahnenrad.org/2020/05/16/wofuer-wir-kaempfen/ (abgerufen am 30.11.2024).
[36] Ebd.
[37] Ebd.
[38] Ebd.
[39] Sellner, Martin: Wiedervorlage: Remigration ist keine Erfindung unserer Zeit, in: Sezession, 2024, https://sezession.de/68602/remigration-ist-keine-erfindung-unserer-zeit (abgerufen am 30.11.2024).
[40] Wagener, Martin: Über die Identitäre Bewegung – Ein Gespräch mit Martin Sellner, Berlin: Kindle Direct Publishing, 2021, S. 15.
[41] Ebd., S. 14.
[42] Sellner, 2024.
[43] Vgl. Ebd.
[44] Ebd.
[45] Vgl. Identitäre Bewegung: Themen.
[46] Sellner, 2024.
[47] Wagener, 2021, S. 14.
[48] Adorno, Theodor W.: Schuld und Abwehr, in: Gesammelte Schriften (Bd. 9.2). Soziologische Schriften II.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 276.
Radikale Substruktur – Wie die AfD ihre neonazistische Basis reorganisiert

Die vom Bundesam für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Jugendorganisation der AfD steht vor einem grundlegenden Wandel. Verfassungsschutz-Chef Jörg Müller bezeichnete sie in einer Pressemitteilung als „Straßentruppe der AfD“ und als eine Gefahr für die Demokratie. Sie gilt als noch radikalisierter als die Mutterpartei selbst – eine Einschätzung, die zunehmend auch innerhalb der AfD für Spannungen sorgt.[1] Als Lösungsansatz steht eine Umstrukturierung nach dem Vorbild der sozialdemokratischen Jungsozialist*innen (Jusos) zur Debatte. Diese Jugendorganisation der SPD ist eng in die Parteistruktur eingebunden, was eine einfachere Kontrolle und Überprüfung einzelner Mitglieder ermöglicht. Durch diese Änderungen würden alle AfD-Mitglieder unter 36 Jahren automatisch Mitglieder der JA werden. Die JA, eine Jugendorganisation, die sich durch dezidiert nationalistische und rassistische Rhetorik auszeichnet, hat wiederholt Aufmerksamkeit durch ihre Radikalität erregt. Kritiker*innen wie die Linken-Abgeordnete Martina Renner argumentieren, dass die geplante Eingliederung nicht primär auf organisatorische Effizienz abzielt, sondern vielmehr den Zweck verfolgt, die JA-Mitglieder vor staatlichen Maßnahmen und einem potenziellen Verbot zu schützen.
Ideologische Verankerung der Jungen Alternative
Die Junge Alternative für Deutschland (JA) zählt rund 2.500 Mitglieder und wurde 2013 als völkische Jugendorganisation gegründet, die von Anfang an rechtspopulistisch in Erscheinung trat und als Scharnier zur neonazistischen Rechten agierte. Wie viele Bewegungen der Neuen Rechten übernimmt auch die JA die Inhalte der AfD und spitzt diese häufig zu. Trotz einem auf dem Bundeskongress 2016 gefassten Beschluss, sich von rechtsextremistischen Gruppierungen zu distanzieren, bestehen weiterhin enge Verbindungen etwa zur „Identitären Bewegung“ (IB). Trotz der sogenannten „Unvereinbarkeitsliste“, nach der die AfD keine Rechtsextremen aufnehmen dürfte, wurde Jannis George aufgrund einer Aktion der IB, deretwegen er sich vor Gericht verantworten musste, in den Landesvorstand der JA gewählt.[2]
Auch mit der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung der „Sächsischen Separatisten“, welche eine rassistische, antisemitische und apokalyptische Ideologie propagieren, gab es seitens der JA bereits Überschneidungen. Die „Sächsischen Separatisten“ haben die Vorstellung eines „freien Sachsens“, das sich von der Bundesrepublik abspalten soll. Anfang November 2024 wurden ein AfD-Stadtrat und weitere AfD-Mitglieder unter dem Verdacht, Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ zu sein und sich an deren gewaltbereiten Aktionen zu beteiligen, festgenommen. Die Mitglieder wurden mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen.
Die Programmatik der JA lässt sich durch eine starke Orientierung an ethno-nationalistischen und anti-pluralistischen Idealen charakterisieren. Auf ihrer Website werden Aussagen wie „Deutsche Jugend ist rechts und geht aufrecht“ und „Unser Volk zuerst“ prominent platziert. Dies offenbart eine völkisch geprägte Weltanschauung, die mit der Idee einer offenen Gesellschaft nichts zu tun hat. Solche Äußerungen und die enge ideologische Nähe zu anderen faschistischen Strömungen zeigen, dass die JA ein Sammelbecken für radikale Positionen geworden ist. Die Verweigerung, sich dem „woken, linken Zeitgeist“ zu beugen, wird von der JA hochgehalten und ist im Grundsatzpapier der JA verankert.
Die Verstrickung prominenter Mitglieder wie etwa des Bundesvorsitzenden der JA und AfD-Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck, der bereits vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als „Verdachtsfall Rechtsextremismus“ eingestuft wurde, unterstreicht die ideologische Grundausrichtung der Organisation.
Kontrolle und Schutz
Die AfD argumentiert, die Eingliederung der JA diene der besseren Kontrolle und Integration ihrer Jugendorganisation. Doch diese Argumentation wirft einige Widersprüche auf: Ist es tatsächlich Kontrolle, wenn eine Partei ihre Struktur so erweitert, dass radikale Elemente institutionellen Schutz genießen? Oder handelt es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung, die den Zweck verfolgt, ein Verbot der JA unmöglich zu machen?
Der Schritt der Eingliederung, der auf dem bevorstehenden Parteitag im Januar 2025 in Riesa beschlossen werden soll, zeigt, dass die AfD ihre Verantwortung nicht in der Distanzierung von extremistischen Tendenzen sieht, sondern vielmehr im institutionellen Schutz ihrer Jugendorganisation. Durch diese Entscheidung liegt nun der Verdacht eher noch näher, dass die AfD die Strukturen demokratischer Rechtsstaatlichkeit nicht als normativen Rahmen anerkennt, sondern als lästiges Hindernis, das es strategisch zu überwinden gilt.
Die geplante Integration der Jungen Alternative in die AfD ist also mehr als ein bloß organisatorischer Vorgang. Sie ist auch ein Signal: Die AfD stellt den Schutz ihrer radikalen Substruktur über die Verantwortung für die inakzeptablen Inhalte, die durch diese propagiert werden. Damit entsteht ein geschlossenes System, das sowohl gegen Kritik von außen als auch Selbstreflexion von innen abschirmt.
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[1] SWR Kultur. (Jahr, Monat Tag). Junge Alternative: Ein Treiber für die Radikalisierung der AfD [Audio]. Abgerufen von https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/junge-alternative-ein-treiber-fuer-die-radikalisierung-der-afd-100.html
[2] „Vom Gerichtssaal in den Vorstand: AfD-Nachwuchs wählt rechtsextremen Aktivisten.“ Zugriff am [Datum], https://www.zvw.de/stuttgart-region/vom-gerichtssaal-in-den-vorstand-afd-nachwuchs‑w%C3%A4hlt-rechtsextremen-aktivisten_arid-883946.