Reichsbürger vor LG München: „Grüß Gott an die Kinder Satans“

Stets sei­ner Fan-Gemein­de zuge­wandt: Reichs­bür­ger Johan­nes M. vor dem Land­ge­richt München

Von Tab­itha Potthoff

Der Pro­zess gegen den Reichs­bür­ger Johan­nes M., der unter ande­rem wegen der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Nach­stel­lung sowie Anstif­tung zu Straf­ta­ten ange­klagt war, ende­te vor dem Staats­schutz­se­nat des Land­ge­richts Mün­chen mit einer Ver­ur­tei­lung zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Freiheitsentzug.

Bereits beim Betre­ten des Saals wird M. von sei­nen etwa 20 Anhänger*innen emp­fan­gen, die ihn mit freu­di­gen Ges­ten und war­men Wor­ten begrü­ßen. Der Ange­klag­te, der in sei­ner Erschei­nung an einen cha­ris­ma­ti­schen Pre­di­ger erin­nert, wen­det sich durch­weg sei­ner Fan­ge­mein­de zu. Mit einer Dar­stel­lung von Jesus in den Hän­den ver­teilt er Küs­se und Grü­ße in die Men­ge – das Gericht igno­riert er dabei demons­tra­tiv und wen­det ihm den Rücken zu. Im Plä­doy­er der Ver­tre­te­rin der Gene­ral­staats­an­walt­schaft Mün­chen, Staats­an­wäl­tin Ste­fa­nie Ruf, wird die vol­le Trag­wei­te von M. Taten und deren Kon­se­quen­zen unmiss­ver­ständ­lich dargestellt.

Die BRD-Firmen

Johan­nes M. hat sich in den letz­ten Jah­ren als Kopf einer über Tele­gram orga­ni­sier­ten Grup­pe eta­bliert. Auf dem unter­des­sen gesperr­ten Account ver­brei­te­te er Ver­schwö­rungs­fan­ta­sien, die zu einer Melan­ge aus anti­se­mi­ti­schen Ideo­lo­gien, staats­feind­li­chen Posi­tio­nen wie der aus den USA stam­men­den QAnon-Erzäh­lung und Pan­de­mie­leug­nun­gen mit Christ­li­chen Ver­satz­stü­cken ver­rührt wer­den. Zen­tral ist M.s Über­zeu­gung, dass ein „zio­nis­ti­scher Plan“ auf die Ver­nich­tung des „deut­schen Vol­kes“ abzie­le und Deutsch­land seit über einem Jahr­hun­dert im Krieg lebe. Er bestrei­tet kon­se­quent die Exis­tenz der BRD und sieht damit Behör­den und staat­li­che Insti­tu­tio­nen als ille­gal an und beschul­digt sie, in pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten ver­wi­ckelt zu sein. Auch er selbst sieht sich als Opfer und wirft dem Gericht Nöti­gung und Ver­schlep­pung durch Scher­gen der in Dela­ware (USA) regis­trier­ten aus 47.000 Pri­vat­fir­men bestehen­den BRD vor.

Institutionen als Hassobjekte

M.s Atta­cken rich­te­ten sich gegen eine Viel­zahl von Insti­tu­tio­nen. Beson­ders betrof­fen waren Arzt­pra­xen und Schu­len, die nach sei­ner Ansicht über Imp­fun­gen und Coro­na-Schutz­maß­nah­men das Wohl der Kin­der gefähr­de­ten. Aber auch Jugend­äm­ter, Polizeibeamt*innen und Mitarbeiter*innen des Gerichts, die er als kri­mi­nell und pädo­phil beschimpft, wer­den nicht ver­schont. Der Ablauf der von M. los­ge­tre­te­nen Aktio­nen war stets ähn­lich: Zunächst rief er per­sön­lich in den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen an, hielt einen wir­ren Mono­log über die angeb­lich dort statt­fin­den­den kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten und stieß teils direk­te Gewalt­an­dro­hun­gen und Tötungs­vor­her­sa­gen aus. Er geht davon aus, dass in naher Zeit „das Mili­tär“ unter Füh­rung des Com­man­ders in Chief, Donald J. Trump, über sei­ne Wider­sa­cher „rich­ten“ und die­se exe­ku­tie­ren wer­de — das teil­te er den zum Teil tief geschock­ten Betrof­fe­nen am Tele­fon auch so mit.

Doch bei einem ein­zi­gen Anruf bleibt es nicht. Mül­ler for­der­te anschlie­ßend stets sei­ne Anhänger*innen auf Tele­gram auf, eben­falls bei den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen anzu­ru­fen, um dort täti­ge Per­so­nen sys­te­ma­tisch zu ter­ro­ri­sie­ren. Kon­takt­da­ten und Fotos der Opfer ver­brei­te­te er viel­fach in der Chat­grup­pe und die Auf­ru­fe zur Gewalt häuf­ten sich – wobei sich Mül­ler selbst wider­sprüch­lich stets als Pazi­fist bezeich­net hatte.

Die Herren in Schwarz“

Die lang­an­hal­ten­de Ein­schüch­te­rung durch Mül­lers Grup­pe hin­ter­ließ bei den Betrof­fe­nen tie­fe Spu­ren. Die Staats­an­wäl­tin berich­tet von trau­ma­ti­sier­ten Mit­ar­bei­ten­den in Jugend­äm­tern, die Poli­zei­schutz benö­ti­gen und kurz­zei­tig schlie­ßen muß­ten. Beschäf­tig­te trau­ten sich nicht mehr allei­ne nach Hau­se, Polizist*innen über­leg­ten, ob sie ihre Dienst­waf­fen mit­neh­men soll­ten, Ärzt*innen sahen sich gezwun­gen, ihre Pra­xen zu schlie­ßen und sich krank­schrei­ben zu las­sen. Die Angst und der psy­chi­sche Druck sind all­ge­gen­wär­tig – vie­le Opfer lei­den bis heu­te unter Schlaf­lo­sig­keit und schwe­ren Belas­tungs­re­ak­tio­nen. Nicht alle schaff­ten es, vor Gericht auszusagen.

Nach dem Plä­doy­er der Staats­an­walt­schaft, lässt der Ange­klag­te kei­ne Gele­gen­heit aus, das Gericht zu ver­un­glimp­fen. Die Staats­an­wäl­tin wird von ihm in her­ab­wür­di­gen­der Wei­se als „blon­de Tus­se“ bezeich­net, wäh­rend er das gesam­te Gericht als „pädo­kri­mi­nell“ und „ille­gi­tim“ beschimpft.

In der anschlie­ßen­den kur­zen Pau­se sam­meln sich M.s Anhän­ger, um unter­ein­an­der kol­lek­tiv ihr Unver­ständ­nis gegen­über dem Gericht kund­zu­tun. Die tie­fe Ableh­nung gegen­über der Insti­tu­ti­on Gericht und die Glo­ri­fi­zie­rung des Ange­klag­ten wer­den in die­ser Grup­pe deut­lich. Als der Pro­zess fort­ge­setzt wird, wen­det sich das Gesche­hen der Ver­tei­di­gung M.s zu.

Doch bevor sein Ver­tei­di­ger über­haupt zu spre­chen beginnt, wird die­ser von M. selbst unter­bro­chen. In einem bizar­ren Akt der Selbst­in­sze­nie­rung beschul­digt M. sei­nen Anwalt, Teil kri­mi­nel­ler Machen­schaf­ten zu sein, und erklärt offen, dass er sich von den bei­den Ver­tei­di­gern unter kei­nen Umstän­den ver­tre­ten las­sen wol­le. Er bezeich­net die Mit­glie­der des Gerichts ledig­lich als „Her­ren in Schwarz“ und ver­wei­gert jeg­li­che Aner­ken­nung der juris­ti­schen Auto­ri­tät. Statt­des­sen inter­agiert er mit Ges­ten mit sei­nen Anhänger*innen oder ver­sinkt in Gebeten.

Anwalt schweigt zur Verteidigung

Trotz Mül­lers auf­ge­brach­ter Inter­ven­ti­on ver­sucht sein Anwalt, die Ver­tei­di­gung in mil­dern­der Absicht  fort­zu­set­zen, beschränkt sich jedoch auf eini­ge Wor­te, die sich vor allem auf die juris­ti­sche Fra­ge der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung kon­zen­trie­ren, deren Bil­dung der Jurist nicht zu erken­nen ver­moch­te. Jede wei­te­re inhalt­li­che Ver­tei­di­gung unter­bleibt unter die­sen Umstän­den jedoch.

Erlösungsfantasien

Im wei­te­ren Ver­lauf for­dert der Vor­sit­zen­de Rich­ter M. zu sei­nem letz­ten Wort vor der Urteils­ver­kün­dung auf. Er nutzt die­se Gele­gen­heit, um ein wei­te­res Mal sei­ne umfas­sen­de Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gie in epi­scher Brei­te dar­zu­le­gen. Er spricht davon, dass nur ein Drit­tel der Mensch­heit, die­je­ni­gen, die „auf dem rich­ti­gen Weg“ sei­en, geret­tet wer­den könn­ten, wäh­rend die übri­gen zwei Drit­tel, dar­un­ter auch der Senat, dem Gericht Got­tes anheim­fal­len wür­den. Er wen­det sich pro­vo­ka­tiv an die Pro­zess­be­tei­lig­ten: „Grüß Gott an die Kin­der Satans“.

M.s Rede mün­det schließ­lich in einem Schwall bizar­rer Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen, die ver­schie­de­ne his­to­ri­sche und aktu­el­le The­men und Per­sön­lich­kei­ten mit­ein­an­der ver­we­ben. Der „Tag des Herrn“, so pro­phe­zeit er, stün­de unmit­tel­bar bevor, eine Art End­zeit­mo­ment, der das Schick­sal der Mensch­heit besie­geln wer­de. Dabei ver­knüpft er aktu­el­le poli­ti­sche Akteu­re wie Donald Trump mit fan­tas­ti­schen Nar­ra­ti­ven über elek­tro­ma­gne­ti­sche Strah­len und gehei­me Knöp­fe. Auch Anna­le­na Baer­bock taucht in sei­nen Theo­rien auf– angeb­lich mas­kiert mit einer Sili­kon­haut. Wäh­rend die­ser ver­stö­ren­den Aus­füh­run­gen hält M. durch­ge­hend eine Bibel in der Hand, aus der er stel­len­wei­se Pas­sa­gen zitiert, um sei­ne wir­ren Theo­rien mit reli­giö­ser Beglau­bi­gung zu unter­mau­ern. M.s Rede endet, wie sie begon­nen hat: mit einem Mix aus reli­giö­sem Pathos, Bedro­hungs­sze­na­ri­en und wil­den Ver­schwö­rungs­ge­schich­ten, die das Bild eines radi­ka­li­sier­ten und unbe­re­chen­ba­ren Indi­vi­du­ums zeichnen.

Das Urteil

Als tags dar­auf das Urteil gegen M. ver­kün­det wer­den soll, rich­tet er einen wis­sen­den Blick in die Men­ge und sagt zu sei­nen Anhän­ge­rin­nen: „Man müs­se nur Gott ver­trau­en.“ Noch wäh­rend der Rich­ter das Urteil ver­liest, unter­bricht Mül­ler ihn und erklärt, der Rich­ter besie­ge­le gera­de „sein eige­nes Todesurteil“.

M. wird schließ­lich zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Haft ver­ur­teilt — 14 Mona­te weni­ger als die Staats­an­walt­schaft gefor­dert hat­te. Dar­auf­hin beginnt die ver­zück­te Men­ge einen Cho­ral für und mit ihrem Hel­den anzu­stim­men. Alle Zuschauer*innen wer­den des Saa­les ver­wie­sen. Kein Publi­kum – kei­ne Büh­ne mehr — nun ging der Pro­zess, den Mül­ler bis­lang immer wie­der in die Län­ge gezo­gen hat­te, nun zügig zu Ende.

Es bleibt unklar, wie und ob sich Mül­lers Anhänger*innen in sei­ner Abwe­sen­heit wei­ter orga­ni­sie­ren wer­den. Die Fra­ge, ob die Grup­pe ohne ihren Anfüh­rer wei­ter­be­steht und mög­li­cher­wei­se auch wei­ter radi­ka­li­siert, bleibt offen.

Horoskope für den Umsturz: „Chef-Astrologin“ sagt im Reuß-Verfahren aus

Bun­des­an­walt Loh­se am Eröff­nungs­tag des Pro­zes­ses am 18. Juni vor dem Gerichts­ge­bäu­de in der Nym­phen­bur­ger Str. in München.

Hil­de­gard L. hat schon vie­les erlebt: Sie hat zwei Mal ein Stu­di­um abge­schlos­sen, arbei­te­te als Elek­tro­in­ge­nieu­rin, als Leh­re­rin in einer Berufs­schu­le, Unter­neh­me­rin, Pro­gram­mie­re­rin und zuletzt als Astro­lo­gin und Mit­ar­bei­te­rin einer AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten. Außer­dem hat sie zwei Mal gehei­ra­tet und in zwei­ter Ehe zwei Kin­der bekom­men. Wes­halb sie für den nächs­ten Lebens­ab­schnitt den Weg einer mut­maß­li­chen Rechts­ter­ro­ris­tin wähl­te und in Fol­ge des­sen seit über andert­halb Jah­ren in Unter­su­chungs­haft sitzt, ver­sucht der Staats­schutz­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen aktu­ell herauszufinden.

Eltern waren Impfgegner*innen

Ihr wird vor­ge­wor­fen gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern der Reichsbürger*innengruppe rund um Prinz Hein­rich XIII. Reuß den mili­tä­ri­schen Sturz der Bun­des­re­gie­rung und den Auf­bau eines Rats als Putsch­re­gie­rung geplant zu haben — oder zumin­dest mit­wis­send gewe­sen zu sein. L. ent­schei­det sich als ers­te der acht in Mün­chen ange­klag­ten Per­so­nen aus­zu­sa­gen und legt ein umfang­rei­ches, bis­wei­len lang­at­mi­ges Teil­ge­ständ­nis ab.
Zunächst brei­tet sie im Schne­cken­tem­po, sehr aus­führ­lich und über andert­halb Pro­zess­ta­ge hin­weg, ihren Lebens­lauf aus. Schon zu Beginn stellt L. klar: Ihre Eltern hät­ten kei­nes ihrer Kin­der imp­fen las­sen. Trotz­dem hät­ten sie sich nie mit Kin­der­krank­hei­ten ange­steckt, behaup­tet sie. Ansons­ten klingt ihre Vita zunächst unauf­fäl­lig: L. berich­tet auch über Fami­li­en­zer­würf­nis­se und beruf­li­che Hochs und Tiefs.

Rote Seidenunterwäsche

An einem gewis­sen Punkt der Ver­le­sung ihrer Aus­sa­ge wer­den ihre Erzäh­lun­gen aller­dings eso­te­risch Nach dem Kon­takt zu einer Astro­lo­gin und einem Medi­um, beginnt sie an deren Vor­aus­sa­gen zu glau­ben. Sie arbei­tet ein paar Jah­re spä­ter schließ­lich selbst als Astro­lo­gin und Kar­ten­le­ge­rin, grün­det sogar einen Ver­lag dafür und gibt regel­mä­ßig Semi­na­re. Ihr Inter­es­se, bezie­hungs­wei­se ihre Diens­te bezeich­net sie als „rein wissenschaftlich-mathematisch“.

Zwi­schen­zeit­lich glaubt sie nicht nur, die Erkran­kun­gen von Men­schen sehen, son­dern die­se auch selbst lin­dern zu kön­nen. Auf einem Semi­nar habe sie eine für sie ele­men­ta­re Weis­heit erfah­ren: Um ihre Lebens­en­er­gie zu schüt­zen, wür­de ihr emp­foh­len, möge sie ent­we­der Chak­ren-Stei­ne kau­fen oder Sei­den­un­ter­wä­sche tra­gen. Am bes­ten rote, vier Zen­ti­me­ter unter­halb des Bauch­na­bels anset­zend. Wäh­rend sich im Gericht dar­auf­hin offen­bar eini­ge das Lachen ver­knei­fen müs­sen oder pein­lich berührt sind, erzählt L. von die­sem absur­den Ereig­nis wie von jedem ande­ren. Sie legt den Kopf schief und lächelt Zustim­mung erhei­schend die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Illi­ni an.

Überfall auf Bundestag geplant

In fol­gen­den Pro­zess­ta­gen äußert sich L. aber schließ­lich auch zur Ankla­ge und beant­wor­tet umfas­send Fra­gen zu ihrer Ein­las­sung: Sie habe von dem Mit­an­ge­klag­ten und Freund Tho­mas T. von der Grup­pe gehört, sie hät­ten vor allem über Coro­na-Maß­nah­men für Kin­der gere­det, die­se ver­hin­dern wol­len. Bei anschlie­ßen­den Sit­zun­gen des Rats, der über die Umsturz­re­gie­rung ent­schei­den soll­te, wären sie und T. zwar dabei gewe­sen, hät­ten aller­dings nur als Beobachter*innen tätig wer­den dür­fen. Von Schieß­trai­nings hät­te sie zwar gewusst, von den Plä­nen zum bewaff­ne­ten Über­fall auf den Bun­des­tag durch ehe­ma­li­ge KSK-Sol­da­ten aller­dings erst sehr spät erfahren.

Gera­de das zwei­felt die Bun­des­an­walt­schaft aller­dings an. Die­se kon­fron­tiert L. mit Chat­ver­läu­fen mit der ehe­ma­li­gen AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mal­sack-Win­ke­mann. So schreibt L. nach einem Schieß­trai­ning der Reichsbürger*innen: „Die wür­den doch kein Trai­ning machen, wenn da nix lau­fen wür­de“, und bestä­tigt ihr, dass „es nicht mehr lan­ge dau­ern wür­de“. Es sei laut Bun­des­an­walt­schaft also nahe­lie­gend, dass L. zu die­sem Zeit­punkt durch­aus über den Putsch­plan Bescheid wuss­te. Laut L.s Ein­las­sung sei sie zu die­sem Zeit­punkt aller­dings noch unwis­send gewesen.

Birgit-Beruhigungsaktionen“

Ein wei­te­rer Chat­ver­lauf nach dem ers­ten Rats­tref­fen zei­ge außer­dem, so die BAW, dass L. Mal­sack-Win­ke­mann auf deren Fra­ge, ob sie im Rat dabei sei, „Na klar!“ geant­wor­tet habe. Zuvor beteu­er­te L., dass bei die­sem Tref­fen noch kei­ne per­so­nel­len Ent­schei­dun­gen getrof­fen wor­den sei­en und sie auch nicht in die­se mit­ein­be­zo­gen wor­den sei.

Die Kon­fron­ta­ti­on mit den Chats ver­un­si­chert L. im Gericht: Sie kann die Fra­ge nur aus­wei­chend beant­wor­ten. L. sagt, ihre Auf­ga­be wäre es gewe­sen Mal­sack-Win­ke­mann zu beru­hi­gen, für die sie schon wäh­rend ihres Bun­des­tags- Man­dats gear­bei­tet habe. Sie nennt die­se „typi­sche Birgit-Beruhigungsaktionen“.

Verschwiegenheit bei Strafe des Todes

Die Ver­schwie­gen­heits­er­klä­rung, die L. zum zwei­ten Rats­tref­fen unter­schrei­ben muss­te, nahm L. offen­bar nicht son­der­lich ernst — auch wenn Zuwi­der­hand­lun­gen mit der Todes­stra­fe geahn­det wer­den soll­ten. Kund*innen erzähl­te die Astro­lo­gin von den Tref­fen und Inhal­ten. Das Gespräch mit einer ihrer Kli­en­tin­nen ließ die mit­hö­ren­de Poli­zei beson­ders auf­hor­chen: L. erzähl­te, dass Lis­ten über sys­tem­kon­for­me Per­so­nen ange­legt wer­den müss­ten, und plau­der­te aus, dass eine „Alli­anz“, bestehend aus ver­schie­de­nen Mili­tärs und Geheim­diens­ten bald ein­grei­fen würde.

L.s zwei Ver­tei­di­ger, die sich auf­grund der hohen Anzahl von Ange­klag­ten in die eine Ecke der hin­ters­ten Ankla­ge­bank quet­schen müs­sen, schei­nen teil­wei­se nicht ganz mit ihren Ant­wor­ten zufrie­den zu sein. Sie bit­ten um eine Pau­se, ver­mut­lich um auf Man­dan­tin ein­zu­wir­ken und ihrem Gedächt­nis hin und wie­der auf die Sprün­ge zu helfen.

Ist die Angeklagte L. dement?

Der Anwalt eines wei­te­ren Ange­klag­ten ver­sucht durch die For­de­rung nach einem psych­ia­tri­schen Gut­ach­ten sogar L.s gesam­te Aus­sa­ge anzu­zwei­feln. Er sei der Mei­nung, L. lei­de an einer Demenz und kön­ne nicht wei­ter aus­sa­gen, sag­te er.

Wes­halb L. sich zu der Ankla­ge­schrift äußert, wäh­rend bei­spiels­wei­se Tho­mas T. bereits durch sei­ne Anwält*innen bekannt gege­ben hat, dass er schwei­gen wird, bleibt nur zu ver­mu­ten. Bei der Schwe­re der Vor­wür­fe kann aber ange­nom­men wer­den, dass L. und ihre Ver­tei­di­gung even­tu­ell auf ein mil­de­res Urteil und damit eine kür­ze­re Haft­stra­fe spekulieren.

Terminiert bis Juli 2025

Wei­te­re Fra­gen ver­schie­de­ner Verteidiger*innen und Unter­bre­chun­gen zu ihrer Beant­wor­tung zie­hen das Ver­fah­ren bis­wei­len in die Län­ge. Die Anwäl­te von L. bit­ten im Gericht dar­um, dass die ande­ren Verteidiger*innen ihre Fra­gen bis Ende Juli stel­len mögen, um im August die Ver­neh­mung von L. abschlie­ßen zu können.

Der ursprüng­lich bis Janu­ar 2025 ter­mi­nier­te Pro­zess ist kürz­lich bereits bis Juli 2025 ver­län­gert worden.

OEZ-Anschlag: An ihre Namen und ihre Leben erinnern

Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon gab einen Soli-Gig im Rah­men des „Mün­chen erinnern!“-Gedenkens auf der klei­nen Büh­ne im Mün­che­ner „Import-Export“

We will shi­ne for the­se nine“ — So lau­tet das Mot­to des Bünd­nis­ses „Mün­chen erin­nern!“ zum dies­jäh­ri­gen Geden­ken an das rechts­ter­ro­ris­ti­sche Atten­tat im Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) vor genau acht Jah­ren, am 22. Juli 2016. Acht Jugend­li­che und eine Erwach­se­ne, ihre Namen ste­hen im Zen­trum des Erin­nerns: Arme­la, Can, Dija­mant, Gui­lia­no, Hüsey­in, Rober­to, Sabi­ne, Sel­çuk und Sev­da, ver­lo­ren ihr Leben bei dem Anschlag im Juli 2016 im OEZ. Erst vie­le Jah­re und etli­che Gut­ach­ten spä­ter war es offi­zi­ell: Es war kein „Amok­lauf“, wie die Medi­en die Tat all die Jah­re fram­ten, son­dern ein rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlag. Seit­dem kämp­fen Ange­hö­ri­ge dar­um gehört zu werden.

Apsilon zollt Respekt

Am Wochen­en­de gedach­ten etli­che Hun­dert Men­schen der Ermor­de­ten bereits bei einem Kon­zert, einem Podi­um und einer Lesung. Vie­le Bei­trä­ge auf den Büh­nen beton­ten, dass Ras­sis­mus ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem sei. Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon zeig­te sich berührt davon, zum Geden­ken ein­ge­la­den wor­den zu sein, und erzähl­te auf der klei­nen Musik­büh­ne und in sei­nen Song­tex­ten von Ras­sis­mus-Erfah­run­gen seit sei­ner Kindheit.

Dring­li­cher Tenor der Ver­an­stal­tung war es, dass sich eben auch und vor allem Nicht-Betrof­fe­ne von Ras­sis­mus soli­da­risch ver­hal­ten soll­ten. Es sei auch ihre Auf­ga­be, auf die Gefahr ras­sis­ti­scher Ideo­lo­gie und Gewalt hin­zu­wei­sen und die Opfer nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu lassen.

Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24

Am eigent­li­chen Gedenk­tag, dem Mon­tag, 22. Juli, ver­sam­mel­ten sich abends Ange­hö­ri­ge der Opfer, vie­le Unterstützer*innen und Trau­ern­de am Ort des Anschlags vor dem OEZ. Es waren Lie­der zu hören, die die Getö­te­ten ger­ne gehört haben oder sol­che, mit denen Freund*innen und die Fami­li­en an sie erinnerten.
Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24/caption]

Schmerz des Vermissens

Ober­bür­ger­meis­ter Die­ter Rei­ter ver­wies dar­auf, dass Mün­chen die Stadt mit den meis­ten rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen in Nach­kriegs­deutsch­land sei. Auch er beton­te die Wich­tig­keit, auf die Wün­sche der Ange­hö­ri­gen ein­zu­ge­hen und sprach von Mün­chen als „bun­ter und demo­kra­ti­scher Stadt“.

Nach dem Stadt­ober­haupt spra­chen die Ange­hö­ri­ge der Getö­te­ten: Dabei erzähl­ten sie nicht nur von dem Leben ihrer ver­lo­re­nen Kin­der und Geschwis­ter und der ermor­de­ten Mut­ter und Ehe­frau, son­dern vom Gefühl des Ver­mis­sens. Eine der Ange­hö­ri­gen for­der­te zudem mehr Auf­klä­rung über das Vor­ge­hen der Poli­zei und Behör­den zum Tat­zeit­punkt. Sie äußer­te deut­li­che Kri­tik am Umgang mit dem Anschlag und sei­ner Ein­stu­fung als Amok­lauf durch den baye­ri­schen Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann. Eine wei­te­re Ange­hö­ri­ge äußer­te ihre tie­fe Sor­ge über die zuneh­men­de Macht der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Par­tei AfD.

Zum Zeit­punkt des Atten­tats ver­sam­mel­ten sich Freund*innen und Fami­li­en an dem für die Ver­stor­be­nen errich­te­ten Denk­mal und lie­ßen Luft­bal­lons auf­stei­gen. In einer Schwei­ge­mi­nu­te gedach­ten alle Anwe­sen­den der getö­te­ten Menschen.

Der Täter mag allei­ne geschos­sen haben – den­noch steht der Anschlag in Mün­chen nicht ver­ein­zelt im Raum, son­dern ist nur ein Bei­spiel für ras­sis­ti­sche Mor­de in Deutsch­land. Das Atten­tat in Hanau, der anti­se­mi­ti­sche Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le, die Ermor­dung des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Walt­her Lüb­cke, aber auch der jüngs­te Brand­an­schlag auf eine Fami­lie in Solin­gen, zahl­rei­che bren­nen­de Unter­künf­te für Geflüch­te­te oder der von der Poli­zei getö­te­te Mou­ha­med Lami­ne Dra­mé sind nur eini­ge Bei­spie­le, bei denen Men­schen auf­grund einer ras­sis­tisch-natio­na­lis­ti­schen Ideo­lo­gie der Täter ihr Leben verloren.

Netzwerk der Betroffenen

Die­se schreck­li­chen Taten zu ver­knüp­fen und zusam­men zu sehen, ist für die Ange­hö­ri­gen wich­tig. Die Ver­wand­ten und Freund*innen der Opfer ras­sis­ti­scher Mor­de in ver­schie­de­nen Städ­ten Deutsch­lands sind inzwi­schen gut ver­netzt und besu­chen sich gegen­sei­tig bei Gedenk­ver­an­stal­tun­gen, war wäh­rend der Gedenk­ver­an­stal­tung zu hören. Die Ange­hö­ri­gen aus Mün­chen ver­si­cher­ten, dass ihnen das Gefühl, mit ihrer Trau­er und Wut nicht allei­ne zu sein, Kraft gebe.

Tell their stories

Unter den Anwe­sen­den wur­de das Heft­chen „Tell their Sto­ries“ ver­teilt. In dem berüh­ren­den Book­let ver­öf­fent­li­chen Ange­hö­ri­ge etli­cher der Ermor­de­ten Bil­der, Gedich­te, Erin­ne­run­gen und Geschich­ten aus dem Leben der Opfer. Die Bot­schaft auch hier: Nicht nur die Namen der Getö­te­ten dür­fen nie­mals in Ver­ges­sen­heit gera­ten – auch ihre Geschich­ten müs­sen gehört werden!