Das Münchener Strafjustizzentrum ist weit mehr als ein funktionaler Ort für juristische Abläufe. Derzeit steht es im Mittelpunkt einer Debatte über seine Zukunft: Sollte es abgerissen oder einer neuen Nutzung zugeführt werden? Noch ist das Gebäude in Betrieb, aber seine symbolische und historische Bedeutung wirft die Frage auf, ob und wie man diesen Ort bewahren sollte, wenn die Gerichte wie geplant umziehen.
Es ist ein Ort, der in der Geschichte der deutschen Justiz und ihrer Auseinandersetzung mit rechtem Terror und neonazistischen Netzwerken eine symbolische und tiefgreifende Bedeutung erlangt hat. Über Jahrzehnte hinweg war es Schauplatz bedeutender Verfahren, die nicht nur juristisch, sondern auch politisch und gesellschaftlich von größter Relevanz waren. Dazu zählen unter anderem der Prozess, der die rassistisch motivierte Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) verhandelte, sowie der gegen den Waffenlieferanten des Attentäters vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ), der im Juli 2016 neun Menschen ebenfalls aus rassistischen Motiven dort ermordet hat.
In einer Zeit, in der rechte Gewalt und rechter Terror immer wieder und immer mehr auf erschreckende Weise in Deutschland zutage treten, rückt die Diskussion um das Strafjustizzentrum in ein neues Licht. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion, organisiert von der Initiative „JustizzentrumErhalten / AbbrechenAbbrechen“, gingen die Podiumsgäste der Frage nach, ob das Justizzentrum als Ort des Gedenkens an die hier verhandelten Gewaltverbrechen erhalten bleiben sollte, um Raum zu bieten für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, diesen Geschichten.
Auf dem Panel saßen Gisela Kollmann, die ihren Enkel Giuliano Kollmann bei dem rechten Anschlag im OEZ verlor, Patrycja Kowalska, eine Unterstützerin der Initiative „München OEZ Erinnern“, Friedrich Burschel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung & NSU Watch sowie der Journalist Robert Andreasch, der für die Antifaschistische Informations‑, Dokumentations- und Archivstelle München arbeitet. Sie alle verbindet das Anliegen, dass die Opfer rechter Gewalt nicht vergessen werden und dass der Staat endlich Verantwortung übernimmt – sowohl für die lückenlose Aufklärung solcher Taten als auch für die Anerkennung des rechten Terrors als systemisches Problem.
Der OEZ-Anschlag und die Kämpfe der Angehörigen
Im Jahr 2016 ereignete sich der rechtsterroristischer Anschlag im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Neun Menschen, überwiegend mit familiärer Migrationsgeschichte, fielen dem Anschlag zum Opfer, darunter auch Giuliano Kollmann, der damals 19-jährige Enkel von Gisela Kollmann. Der Täter, mit tief verwurzelten rassistischen und völkisch-nationalen Überzeugungen, plante die Tat systematisch und fand dabei Unterstützung von einem Waffenhändler, der ihn mit der Mordwaffe sowie „ausreichend“ Munition versorgte. Trotz offensichtlicher Hinweise auf die rechte Motivation, verharmoste man die Hintergründe des Anschlags lange. Die Behörden sprachen von einem „Amoklauf“, nicht von rechtem Terror.
Gisela Kollmann berichtet in der Diskussion von den Erfahrungen, die sie während des Prozesses gegen den Waffenhändler im Strafjustizzentrum in der Nymphenburgerstraße machte. „Ich wollte nur, dass er mir einmal in die Augen sieht, aber er konnte es nicht“, erzählt sie. Kollmanns Erlebnisse im Gerichtssaal sind symptomatisch für die Art und Weise, wie staatliche Institutionen mit den Betroffenen umgehen: Ohne Empathie, ohne wirkliches Verständnis für den Schmerz und das Trauma, das solche Taten hinterlassen. Floskeln wie „Sie müssen keine Angst haben, dass er ihre anderen Kinder tötet“ hätten diese Mißachtung sehr deutlich gemacht, sagt Gisela Kollmann. Die Hinterblieben werden durch den Prozess weiter traumatisiert – diesmal durch den Staat, der sie hätte schützen und unterstützen sollen.
Diese Erfahrungen sind keine Einzelfälle. Die Initiative „München OEZ Erinnern“, der auch andere Angehörige und Überlebende des Anschlags angehören, kämpft seit Jahren dafür, dass der Anschlag als das anerkannt wird, was er war: ein rechtsterroristischer Angriff. Patrycja Kowalska, die die Initiative unterstützt, betont, dass dieser Kampf nicht nur ein persönlicher ist. Es geht um das politische und gesellschaftliche Bewusstsein, dass rechter Terror ein systematischer Angriff auf das Leben und die Würde von Menschen ist – motiviert durch gruppenbezogenen Hass und getragen von rechter Ideologie.
Parallelen zum NSU-Prozess
Auch im gigantischen, 438 Tage dauernden NSU-Verfahren dort wurden die Angehörigen der Opfer oft ignoriert und ihre Interessen aktiv missachtet. Der NSU, eine neonazistische Terrorzelle, war für die Morde an zehn Menschen, überwiegend Migranten, verantwortlich. Doch ähnlich wie im OEZ-Fall wurde auch hier lange an einem Narrativ festgehalten, das die Verantwortung des Staates und die Rolle eines hinter dem Kern-Trio stehenden, umfangreichen rechten Netzwerks kleinredete. Die jahrelangen Ermittlungen und der anschließende Gerichtsprozess zeigten, wie tief strukturelle Ignoranz und institutionelles Rassismus verankert sind, wenn es um die Aufklärung und Verfolgung rechten Terrors geht.
Der NSU-Prozess offenbarte zudem, dass der NSU keineswegs isoliert agierte. Ein breites Netzwerk von Unterstützern half der Terrorgruppe, sich jahrelang dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Beobachter des Prozesses betonen, dass weit über 100 Personen in dieses Netzwerk involviert waren, viele von ihnen als aktive Mittäter oder Unterstützer. Trotz dieser klaren Beweise wurde im Prozess versucht, die Verantwortung des Staates und der Verfassungsschutzbehörden herunterzuspielen, die den NSU über zahlreiche Informant*innen in unmittelbarer Nähe der Täter*innen und über das Geld für deren Dienste erst überhaupt mit aufgebaut und unter Beobachtung gehabt hätten, aber dann eben nicht gestoppt hätten.
Auch im NSU-Prozess war der Gerichtssaal geprägt von einer bedrückenden Hierarchie. Die 93 Nebenkläger*innen, die Familien der Opfer, die im Verfahren von mehr als 60 Rechtsanwält*innen vertreten wurden, saßen im Saal A101 unter der Tribüne, auf der die Presse und die Öffentlichkeit über ihnen thronten. Diese räumliche Anordnung spiegelte die reale Marginalisierung der Opfer und ihrer Angehörigen wider, die um Gehör und Anerkennung kämpften, während die staatlichen Institutionen versuchten die eigenen Versäumnisse zu verdecken.
Die Bedeutung der Räume des Justizzentrums
Angesichts dieser Geschichte wird die historische Bedeutung der Räume des Justizzentrums besonders deutlich. Diese Wände haben Zeugenberichte von Menschen gehört, deren Familien durch rechten Terror zerstört wurden. Sie haben die Bemühungen gesehen, den Staat zur Verantwortung zu ziehen, und zugleich das Scheitern staatlicher Institutionen, sich der vollen Wahrheit über diese Verbrechen zu stellen. Die Prozesse, die hier stattfanden, sind Zeugnisse eines fortwährenden Kampfes – nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen eine Gesellschaft, die allzu oft wegschaut.
Das Justizzentrum könnte, wenn es mit einem Ort des Gedenkens — etwa im A101 — erhalten bliebe, all diese Geschichten bewahren. Es wäre ein Mahnmal, das nicht nur an die Opfer erinnerte, sondern auch daran, wie institutionelles Versagen rechten Terror ermöglicht und begünstigt hat.
„Reichsbürger“-Prozesse und die Kontinuität rechten Terrors
Nicht nur vergangene Prozesse sind hier von Bedeutung: In den gleichen Hallen finden heute die „Reichsbürger“-Prozesse statt.
Die „Reichsbürger“, eine Bewegung, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und sich oft durch rechte, antisemitische und verschwörungstheoretische Überzeugungen auszeichnet, stehen derzeit im Zentrum zahlreicher Gerichtsverfahren. Diese Prozesse, die ebenfalls im Justizzentrum geführt werden, knüpfen direkt an die Tradition der Auseinandersetzung mit rechtem Terror an. Wie schon bei den NSU-Morden und dem OEZ-Anschlag zeigt sich auch hier, dass rechte Ideologien nicht isoliert, sondern in Netzwerken agieren – unterstützt werden die Akteur*innen von Gleichgesinnten, teils mit weitreichenden Verbindungen in gesellschaftliche und staatliche Strukturen.
Diese Kontinuität rechter Gewalt und ihre bedrohliche Präsenz in der Gegenwart verdeutlichen, wie notwendig eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Justizzentrums ist. Der Abriss dieses symbolträchtigen Ortes wäre ein Verlust, der weit über das rein Architektonische hinausgeht.