OEZ-Anschlag: An ihre Namen und ihre Leben erinnern

Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon gab einen Soli-Gig im Rah­men des „Mün­chen erinnern!“-Gedenkens auf der klei­nen Büh­ne im Mün­che­ner „Import-Export“

We will shi­ne for the­se nine“ — So lau­tet das Mot­to des Bünd­nis­ses „Mün­chen erin­nern!“ zum dies­jäh­ri­gen Geden­ken an das rechts­ter­ro­ris­ti­sche Atten­tat im Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) vor genau acht Jah­ren, am 22. Juli 2016. Acht Jugend­li­che und eine Erwach­se­ne, ihre Namen ste­hen im Zen­trum des Erin­nerns: Arme­la, Can, Dija­mant, Gui­lia­no, Hüsey­in, Rober­to, Sabi­ne, Sel­çuk und Sev­da, ver­lo­ren ihr Leben bei dem Anschlag im Juli 2016 im OEZ. Erst vie­le Jah­re und etli­che Gut­ach­ten spä­ter war es offi­zi­ell: Es war kein „Amok­lauf“, wie die Medi­en die Tat all die Jah­re fram­ten, son­dern ein rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlag. Seit­dem kämp­fen Ange­hö­ri­ge dar­um gehört zu werden.

Apsilon zollt Respekt

Am Wochen­en­de gedach­ten etli­che Hun­dert Men­schen der Ermor­de­ten bereits bei einem Kon­zert, einem Podi­um und einer Lesung. Vie­le Bei­trä­ge auf den Büh­nen beton­ten, dass Ras­sis­mus ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem sei. Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon zeig­te sich berührt davon, zum Geden­ken ein­ge­la­den wor­den zu sein, und erzähl­te auf der klei­nen Musik­büh­ne und in sei­nen Song­tex­ten von Ras­sis­mus-Erfah­run­gen seit sei­ner Kindheit.

Dring­li­cher Tenor der Ver­an­stal­tung war es, dass sich eben auch und vor allem Nicht-Betrof­fe­ne von Ras­sis­mus soli­da­risch ver­hal­ten soll­ten. Es sei auch ihre Auf­ga­be, auf die Gefahr ras­sis­ti­scher Ideo­lo­gie und Gewalt hin­zu­wei­sen und die Opfer nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu lassen.

Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24

Am eigent­li­chen Gedenk­tag, dem Mon­tag, 22. Juli, ver­sam­mel­ten sich abends Ange­hö­ri­ge der Opfer, vie­le Unterstützer*innen und Trau­ern­de am Ort des Anschlags vor dem OEZ. Es waren Lie­der zu hören, die die Getö­te­ten ger­ne gehört haben oder sol­che, mit denen Freund*innen und die Fami­li­en an sie erinnerten.
Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24/caption]

Schmerz des Vermissens

Ober­bür­ger­meis­ter Die­ter Rei­ter ver­wies dar­auf, dass Mün­chen die Stadt mit den meis­ten rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen in Nach­kriegs­deutsch­land sei. Auch er beton­te die Wich­tig­keit, auf die Wün­sche der Ange­hö­ri­gen ein­zu­ge­hen und sprach von Mün­chen als „bun­ter und demo­kra­ti­scher Stadt“.

Nach dem Stadt­ober­haupt spra­chen die Ange­hö­ri­ge der Getö­te­ten: Dabei erzähl­ten sie nicht nur von dem Leben ihrer ver­lo­re­nen Kin­der und Geschwis­ter und der ermor­de­ten Mut­ter und Ehe­frau, son­dern vom Gefühl des Ver­mis­sens. Eine der Ange­hö­ri­gen for­der­te zudem mehr Auf­klä­rung über das Vor­ge­hen der Poli­zei und Behör­den zum Tat­zeit­punkt. Sie äußer­te deut­li­che Kri­tik am Umgang mit dem Anschlag und sei­ner Ein­stu­fung als Amok­lauf durch den baye­ri­schen Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann. Eine wei­te­re Ange­hö­ri­ge äußer­te ihre tie­fe Sor­ge über die zuneh­men­de Macht der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Par­tei AfD.

Zum Zeit­punkt des Atten­tats ver­sam­mel­ten sich Freund*innen und Fami­li­en an dem für die Ver­stor­be­nen errich­te­ten Denk­mal und lie­ßen Luft­bal­lons auf­stei­gen. In einer Schwei­ge­mi­nu­te gedach­ten alle Anwe­sen­den der getö­te­ten Menschen.

Der Täter mag allei­ne geschos­sen haben – den­noch steht der Anschlag in Mün­chen nicht ver­ein­zelt im Raum, son­dern ist nur ein Bei­spiel für ras­sis­ti­sche Mor­de in Deutsch­land. Das Atten­tat in Hanau, der anti­se­mi­ti­sche Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le, die Ermor­dung des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Walt­her Lüb­cke, aber auch der jüngs­te Brand­an­schlag auf eine Fami­lie in Solin­gen, zahl­rei­che bren­nen­de Unter­künf­te für Geflüch­te­te oder der von der Poli­zei getö­te­te Mou­ha­med Lami­ne Dra­mé sind nur eini­ge Bei­spie­le, bei denen Men­schen auf­grund einer ras­sis­tisch-natio­na­lis­ti­schen Ideo­lo­gie der Täter ihr Leben verloren.

Netzwerk der Betroffenen

Die­se schreck­li­chen Taten zu ver­knüp­fen und zusam­men zu sehen, ist für die Ange­hö­ri­gen wich­tig. Die Ver­wand­ten und Freund*innen der Opfer ras­sis­ti­scher Mor­de in ver­schie­de­nen Städ­ten Deutsch­lands sind inzwi­schen gut ver­netzt und besu­chen sich gegen­sei­tig bei Gedenk­ver­an­stal­tun­gen, war wäh­rend der Gedenk­ver­an­stal­tung zu hören. Die Ange­hö­ri­gen aus Mün­chen ver­si­cher­ten, dass ihnen das Gefühl, mit ihrer Trau­er und Wut nicht allei­ne zu sein, Kraft gebe.

Tell their stories

Unter den Anwe­sen­den wur­de das Heft­chen „Tell their Sto­ries“ ver­teilt. In dem berüh­ren­den Book­let ver­öf­fent­li­chen Ange­hö­ri­ge etli­cher der Ermor­de­ten Bil­der, Gedich­te, Erin­ne­run­gen und Geschich­ten aus dem Leben der Opfer. Die Bot­schaft auch hier: Nicht nur die Namen der Getö­te­ten dür­fen nie­mals in Ver­ges­sen­heit gera­ten – auch ihre Geschich­ten müs­sen gehört werden!

Mölln, NSU, Halle, Hanau

Rechtsterror, Kontinuität und deutsche (Nicht-) Erinnerung

Rech­te Gewalt hat eine lan­ge Geschich­te in Deutsch­land. Nicht zuletzt haben die Anschlä­ge von Hanau und Hal­le und der Mord an Wal­ter Lüb­cke die Kon­ti­nui­tät rech­ter Gewalt erneut schmerz­lich sicht­bar gemacht. Eben­so besteht jedoch auch eine lan­ge Geschich­te der Nicht-Erin­ne­rung rech­ter Taten, des Nicht-Zuhö­rens, wenn es um die Geschich­ten Betrof­fe­ner geht und der Nicht-Auf­klä­rung von Anschlä­gen. Eine umfas­sen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit struk­tu­rel­lem Ras­sis­mus und sei­nen poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Impli­ka­tio­nen ist wei­ter­hin aus­ste­hend, glei­cher­ma­ßen die Rol­le von Poli­tik und Behör­den. Ras­sis­mus und rech­te Gewalt wer­den auch heu­te noch weit­ge­hend aus der all­ge­mei­nen deut­schen Geschichts­schrei­bung aus­ge­klam­mert, eben­falls die Aus­wir­kun­gen die­ser Taten auf Betrof­fe­ne rech­ter Gewalt. Doch wie kann eine Erin­ne­rungs­po­li­tik aus­se­hen, die die­se Geschich­ten erzählt, sie doku­men­tiert und dadurch sicht­bar macht?

Zahl­rei­che Ange­hö­ri­ge und Initia­ti­ven leis­ten seit Jahr­zehn­ten uner­müd­li­che Arbeit, damit die Geschich­ten Betrof­fe­ner gehört und Teil des deut­schen Erin­ne­rungs­nar­ra­tivs wer­den. Sie for­dern, wie die Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau es immer wie­der betont «Erin­ne­rung, Gerech­tig­keit, Auf­klä­rung und Kon­se­quen­zen.»[2] Der fol­gen­de Bei­trag setzt sich mit der Kon­ti­nui­tät rech­ter Gewalt und der Nicht-Erin­ne­rung im offi­zi­el­len Nar­ra­tiv aus­ein­an­der, weist aber auch auf die Arbeit der­je­ni­gen hin, die ver­su­chen die­se Geschichts­schrei­bung zu verändern.

Den voll­stän­di­gen Arti­kel fin­det ihr auf der Web­site der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung.

Er erscheint außer­dem als Teil des Sam­mel­ban­des: Erin­ne­rungs­kämp­fe. Neue deut­sche Identität(en), neu­es deut­sches Geschichts­be­wusst­sein, Her­aus­ge­ge­ben von Jür­gen Zim­me­rer
Das Buch erscheint am 5. Sep­tem­ber 2023 im Reclam Verlag.

Bericht eines russischen Genossen: „Wie ich Antifa wurde“

Van­ja „Kno­chen­bre­cher“ Chu­t­or­skij und allen getö­te­ten Antifaschist*innen gewidmet

Im Jahr 2020 wur­de das Wort „Anti­fa“ zu einem hei­ßen The­ma. Im Som­mer ver­sprach US-Prä­si­dent Donald Trump, die Anti­fa zu ver­bie­ten, die er beschul­dig­te, Unru­hen im Land zu orga­ni­sie­ren. Die inter­na­tio­na­len Medi­en beeil­ten sich, den in Ver­ges­sen­heit gera­te­nen Begriff zu erklä­ren. Im Herbst erin­ner­te man sich in Russ­land an die Antifaschist*innen. Am 1. Sep­tem­ber ver­starb Alek­sej „Sokra­tes“ Sutu­ga in Mos­kau nach einem Kampf. Am 16. Novem­ber jähr­te sich die Ermor­dung von Van­ja Kno­chen­bre­cher zum elf­ten Mal. Ich habe nie über ihn geschrie­ben, obwohl wir der­sel­ben Gang angehörten.

Mit die­sem Text möch­te ich unse­ren getö­te­ten Genoss*innen Tri­but zol­len und ihr Andenken ehren. Es ist an der Zeit, die Gespens­ter der Ver­gan­gen­heit wie­der auf­er­ste­hen zu las­sen. Es ist an der Zeit, sich an die Anti­fa zu erin­nern. Wei­ter­le­sen „Bericht eines rus­si­schen Genos­sen: „Wie ich Anti­fa wurde““

Oury Jalloh — Das war Mord!

«Wir fordern nicht, wir klären selbst auf.»

State­ment der Initia­ti­ve in Geden­ken an Oury Jal­loh über die Not­wen­dig­keit unab­hän­gi­ger Aufklärungsarbeit

Mit die­sem Text möch­ten wir erklä­ren, war­um wir staat­li­chen Behör­den nicht ver­trau­en kön­nen und war­um kon­ti­nu­ier­li­che, selbst­or­ga­ni­sier­te Auf­klä­rungs­ar­beit nicht nur sinn­voll, son­dern abso­lut not­wen­dig ist. Unse­re Hal­tung resul­tiert aus unse­ren jah­re­lan­gen Erfah­run­gen mit der Poli­zei, diver­sen Staats­an­walt­schaf­ten und Gerich­ten aber auch mit Sach­ver­stän­di­gen und ande­ren Expert*innen, die den Mord an Oury Jal­loh mit allen Mit­teln ver­tu­schen und ver­schlei­ern woll­ten. Unse­re Auf­ga­be sehen wir unter ande­rem dar­in, durch Gedenk- und Auf­klä­rungs­ar­beit Ourys Wür­de wie­der­her­zu­stel­len, indem wir die staat­li­che Deu­tungs­ho­heit durch­bre­chen und die wah­ren Täter ent­lar­ven. Zum einen hat Ourys Fami­lie ein Recht auf die Wahr­heit. Zum ande­ren steht die­ser Fall stell­ver­tre­tend für den juris­ti­schen Umgang mit Poli­zei­ge­walt, wel­cher dar­auf aus­ge­rich­tet ist, die Täter*innen in Poli­zei­uni­form zu schüt­zen und die Opfer zu kri­mi­na­li­sie­ren. Wei­ter­le­sen „Oury Jal­loh — Das war Mord!“

Baseballschlägerjahre in der Uckermark

Überfall BusBase­ball­schlä­ger­jah­re — mitt­ler­wei­le ein Epo­chen­be­griff für Anti­fa, wenn sie an die frü­hen 1990er Jah­re denkt. Dazu gibts in Groß eine Dokuse­r­ie beim rbb — und noch viel bes­ser: in Klein und von Unten in der Online-Serie „Gegen uns. Betrof­fe­ne im Gespräch über rech­te Gewalt nach 1990 und die Ver­tei­di­gung der soli­da­ri­schen Gesell­schaft“ die Abtei­lung „Base­ball­schlä­ger­jah­re in der Ucker­mark: Rech­te Gewalt und Gegen­wehr“.