AfD-Verbotsverfahren und gesellschaftlicher Druck

Pro­test gegen Kanz­ler Merz‘ ras­sis­ti­sche Stadt­bild-Äuße­rung am 19.10.2025 am Bran­den­bur­ger Tor

Lang­ver­si­on der Eröff­nungs­re­de zum VVN-BdA-Bun­des­kon­gress am 4.10.2025 in Stuttgart

Eine Vor­be­mer­kung zu unse­rer Verpflichtung

Wir alle, die wir heu­te hier sind, haben im Lau­fe unse­rer anti­fa­schis­ti­schen Arbeit Men­schen ken­nen­ge­lernt, die den Holo­caust über­lebt und uns mit Blick auf Geden­ken, Erin­nern und unse­re Ver­pflich­tung gegen Faschis­mus und Nazis­mus auf­zu­ste­hen, zu kämp­fen, uns anti­fa­schis­tisch ein­zu­set­zen, geprägt haben. Die meis­ten von ihnen sind nicht mehr unter uns. Ich bin im Zusam­men­hang mit den Pro­tes­ten gegen die jähr­li­chen Tra­di­ti­ons­tref­fen der Gebirgs­jä­ger in Mit­ten­wald 2005 noch dem legen­dä­ren Wider­stands­kämp­fer und Über­le­ben­den Peter Gin­gold und der Ausch­witz­über­le­ben­den Esther Bejer­ano begeg­net, in mei­ner Mün­che­ner Jugend­zeit natür­lich noch den uner­müd­li­chen Zeit­zeu­gen Max Mann­hei­mer, Mar­tin Löwen­berg und Ernst Gru­be – der jetzt in sei­nen 90ern ist -, Hanuš Hron in Wul­kow und zuletzt 2024 in Łódź und Chełm­no, Leon Weint­raub, der im Janu­ar 99 Jah­re alt gewor­den ist.

In ihnen – ihr habt sicher vie­le ande­re getrof­fen und ken­nen­ge­lernt – trat uns die Geschich­te ent­ge­gen, ihr Kampf und ihr Über­le­ben und ihre Über­lie­fe­rung ist für mich und vie­le von uns hier das Ver­mächt­nis gewor­den, was aus uns Antifaschist*innen ohne Wenn und Aber gemacht hat. Wir nah­men als nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen den Staf­fel­stab des Wider­stands und des Kamp­fes auf, um an die Mil­lio­nen Ermor­de­ten, Ver­folg­ten und Ver­schlepp­ten zu erin­nern und ihr Gedächt­nis zu ver­tei­di­gen: Die Jüdin­nen und Juden, die Rom*nja und Sint*ezze, die Kran­ken, die Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen, ande­ren Oppo­si­tio­nel­len, reli­gi­ös Ver­folg­ten, Rotarmist*innen, que­e­re Men­schen und die zivi­len Opfer der deut­schen Ver­nich­tungs­krie­ge und der Besat­zung Europas. 

Kapi­tel 1: High­way to hell

Was redet er da so pathe­tisch, wer­det Ihr euch fra­gen, aber das hat einen Grund. Ich den­ke, nie­mand von uns hät­te erwar­tet, noch ein­mal, noch ein­mal in Deutsch­land, mit der Rück­kehr des Faschis­mus kon­fron­tiert zu wer­den und zwar in einer Geschwin­dig­keit, die uns tau­meln lässt.

Es ist wirk­lich ein Trep­pen­witz der Geschich­te, dass Leu­te wie wir, Lin­ke, Links­ra­di­ka­le, Antifaschist*innen den bür­ger­li­cher Staat und den demo­kra­ti­schen Rechts­staat ver­tei­di­gen, die wir unser Leben lang kri­ti­siert, bekämpft und gegen die wir uns zur Wehr gesetzt haben. Weil der Rechts­staat bestimmt ist von poli­ti­scher und Klas­sen­jus­tiz, weil die­se Demo­kra­tie untrenn­bar mit einem eis­kal­ten Kapi­ta­lis­mus ver­knüpft ist, der unse­re Gesell­schaft, uns mit­schul­dig macht an der glo­ba­len Aus­beu­tung und Zer­stö­rung, an Exter­na­li­sie­rung und unse­rer impe­ria­len Lebens­wei­se, an Umwelt­zer­stö­rung, Kli­ma­kol­laps, Arten­ster­ben, Müll, Krieg usw.

Wie kam das? Mann könn­te als einen der Kipp­punk­te viel­leicht das Buch des eins­ti­gen sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Finanz­se­na­tors von Ber­lin, Tilo Sar­ra­zin, „Deutsch­land schafft sich ab“ aus­ma­chen. Über 1,5 Mil­lio­nen Exem­pla­re des popu­lis­ti­schen, ras­sis­ti­schen, und natio­na­lis­ti­schen Mach­werks gin­gen damals, 2010, über den Laden­tisch. Der Ruf nach einer Sar­ra­zin-Par­tei wur­de laut. 2013 dann wur­de die Par­tei gegrün­det, die es inner­halb der fol­gen­den 12 Jah­re geschafft hat, das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik auf­zu­rol­len und jetzt kurz vor der Macht­über­ga­be zu ste­hen. In Ost­deutsch­land wer­den Betei­li­gun­gen an oder die Über­ga­be der Regie­rung an die AfD kaum noch zu ver­hin­dern sein – in Sach­sen-Anhalt steht Ulrich Sieg­mund mit um die 40 Pro­zent ante por­tas. Die Meu­te skan­diert „Sieg!“ – „Mund!“.

Die Ent­frem­dung der Wähler*innenschaft von ihrem poli­ti­schen Sys­tem hat­te sich rasch auf­ge­baut über die damals so genann­te Flücht­lings­kri­se mit der Ankunft Zehn­tau­sen­der Geflüch­te­ter aus Syri­en und Afgha­ni­stan, wo eine „Will­kom­mens­kul­tur“ des Mer­kel­schen „Wir schaf­fen das“ schon bald dem blan­ken Hass der ras­sis­ti­schen Rech­ten und ihren Pegi­das etc. wich. Die AfD mar­schier­te der­weil in alle Lan­des­par­la­men­te und schließ­lich 2017 in den Bun­des­tag durch. Die per­so­nel­len und ideo­lo­gi­schen Häu­tun­gen der Par­tei sahen eine Füh­rungs­rie­ge nach der ande­ren von noch radi­ka­le­ren ver­jagt wer­den. Lucke, Petry, Meu­then mach­ten Platz für die aggres­si­ve­ren Wei­del, Chrup­al­la und Höcke, die heu­te selbst der Ver­fas­sungs­schutz genann­te Inlands­ge­heim­dienst als „gesi­chert rechts­extrem“ ein­stu­fen wür­de. Die Klam­mer bil­de­te der aus dem rech­ten Flü­gel der hes­si­schen CDU stam­men­de Alex­an­der Gau­land, was ihm zuletzt den Ehren­vor­sitz eintrug.

Anti­fa­schis­ti­sche Recher­che hat­te seit lan­gem gewarnt und auf einen wei­te­ren Kipp­punkt hin­ge­wie­sen, den 1. Sep­tem­ber 2018 in Chem­nitz: unter den Zehn­tau­send Rech­ten, die dort einen „Trau­er­zug“ absol­vier­ten, war nicht nur die Par­tei­pro­mi­nenz der Län­der­ebe­ne um Björn Höcke (Thü­rin­gen), Uwe Jun­ge (Rhein­land-Pfalz) und damals noch Andre­as Kal­bitz (Bran­den­burg), son­dern auch alles was Rang und Namen rechts und weit rechts davon hat­te: Mar­tin Sell­ner von Iden­ti­tä­ren Bewe­gung, Mar­tin Kohl­mann, damals Pro Chem­nitz, Vor­den­ker und Ein­peit­scher Götz Kubit­schek vom Insti­tut für Staats­po­li­tik und die Pegi­da-Initia­to­ren Lutz Bach­mann und Sieg­fried Däbritz. Aber eben auch der Rechts­ter­ro­rist Ste­phan Ernst mit sei­nen Spieß­ge­sel­len, der wenig spä­ter den Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke ermor­den soll­te. Das war die Geburts­stun­de der neu­en faschis­ti­schen Bewe­gung, die uns gera­de über den Kopf wächst. 

Sehr bald schon konn­te man mer­ken, dass die Skan­da­li­sie­rung der all­fäl­li­gen Kon­tak­te von AfD-Leu­ten in den orga­ni­sier­ten Neo­na­zis­mus hin­ein und zum rech­ten Ter­ro­ris­mus kei­ner­lei Wir­kung mehr ent­fal­te­te und eine Gewöh­nung an die neu­en Faschist*innen, eine Nor­ma­li­sie­rung sich breit mach­te. Muss­ten Leu­te wie Andre­as Kal­bitz und der Sach­sen-Anhal­ti­ner Rüpel André Pog­gen­burg noch irgend­wann gehen, muss heu­te kaum noch jemand sei­nen oder ihren Hut neh­men, wenn ein Skan­dal dräut: nicht Maxi­mi­li­an Krah mit sei­ner Ver­harm­lo­sung der SS, den Betrugs­vor­wür­fen und der Spio­na­ge-Affä­re; und schon gar nicht etwa Ste­phan Kotré und sei­ne Frau Lena mit ihren sehr unmit­tel­ba­ren Bezü­gen zu bri­ti­schen Nazis z.B. der „Home­land Par­ty“, mit denen Ste­fan Kotré erst im Febru­ar auf dem Dach des Reichs­ta­ges posier­te; oder der Ham­bur­ger Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­te Robert Risch, der erst am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de an einem inter­na­tio­na­len Faschist*innentreffen aus­ge­rech­net in St. Peters­burg teil­nahm. [Nach­trag 20.10.25: immer­hin soll er jetzt aus­ge­schlos­sen wer­den] Die­se Din­ge sind kaum noch eine Mel­dung wert. Nor­mal. Selbst das Auf­flie­gen der rechts­ter­ro­ris­ti­schen Grup­pe „Säch­si­sche Sepa­ra­tis­ten“ und der Verschwörer*innen um „Prinz Reuß“ sind Gegen­stand von Ver­harm­lo­sung und Ver­ächt­lich­ma­chung der Straf­ver­fol­gung. Noch in jeder die­ser zahl­rei­chen Grup­pen sind AfD-Mit­glie­der und – wo es einem kalt den Buckel run­ter­läuft — Polizist*innen, Soldat*innen und ande­re „wohl­an­stän­di­ge“ Leute. 

Dann kam 2020 die Pan­de­mie, dann kam der anhal­ten­de, Men­schen ver­schlin­gen­de Angriffs­krieg Russ­lands auf die Ukrai­ne, die Ener­gie­kri­se, Infla­ti­on und die Ent­ste­hung eines rie­si­gen Reser­voirs an wahl­be­rech­tig­ten Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen und Pandemieleugner*innen. Eine Art bräun­li­che „Zivil­ge­sell­schaft von rechts“ ent­stand und die Bin­de­kraft des unter Druck ste­hen­den Staa­tes und sei­ner Insti­tu­tio­nen nahm rapi­de ab, ins­be­son­de­re Ost­deutsch­land ist für den bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei­en­staat weit­ge­hend verloren. 

Unter­des­sen ahnen füh­ren­de Politiker*innen im Osten das auch all­mäh­lich: etwa wenn der Noch-Minis­ter­prä­si­dent von Sach­sen-Anhalt, Rei­ner Hasel­hoff (CDU), ankün­digt, aus sei­nem Bun­des­land weg­zu­zie­hen, falls die AfD an die Macht kommt.1 Und auch Die­ter Woid­ke, der SPD-Minis­ter­prä­si­dent von Bran­den­burg fin­det die­ser Tage deut­li­che Wor­te (Zitat): „Es ist ja so, dass wir gera­de wie­der Atta­cken auf Anders­den­ken­de, Min­der­hei­ten, auf Jugend­ein­rich­tun­gen und Demo­kra­tie­fes­te erle­ben. Da kom­men Erin­ne­run­gen an die 90er hoch, an die Base­ball­schlä­ger-Jah­re.“ Und wei­ter: „Wir dach­ten, igno­rie­ren reicht. Aus­gren­zen, tabui­sie­ren, durch­ste­hen. Und mög­lichst gute Poli­tik machen. Nun, das hat nicht funk­tio­niert.“2

War­um er sich so wenig wie Hasel­hoff zur Unter­stüt­zung eines Ver­bots­ver­fah­rens gegen die AfD ver­ste­hen will, wird sein Geheim­nis bleiben. 

Anti-AfD-Pro­test in Ber­lin am bun­des­wei­ten Akti­ons­tag am 11. Mai 2025

Kapi­tel 2: Der Osten ist verloren

Ich habe 4 ½ Jah­re in Wei­mar gelebt und gear­bei­tet und und wür­de mir doch nicht anma­ßen, für den Osten zu spre­chen. Dafür habe ich dort einen Gewährs­mann, er ist Theo­lo­ge und kom­mu­na­ler Bera­ter gegen rechts. Er heißt David Beg­rich und ich habe mich aus­führ­lich mit ihm über die Lage in Ost­deutsch­land unter­hal­ten, weil ich es für fatal hal­te, wie sehr der Osten nach wie vor auch in unse­rer poli­ti­schen Wahr­neh­mung ver­nach­läs­sigt und igno­riert wird. Das ist ein Grund dafür, dass uns die Wucht der Din­ge, die dort auf uns zukom­men, auch wie­der unvor­be­rei­tet tref­fen wer­den. Und Beg­richs Ein­schät­zung zeigt auch, dass wir alle mit der schie­ren Geschwin­dig­keit der Ent­wick­lun­gen nicht mit­kom­men: der gesell­schaft­li­che, der zivil­ge­sell­schaft­li­che – auch unser – Dis­kurs hinkt den Ent­wick­lun­gen hoff­nungs­los hinterher. 

Hier kom­men die Gesprächsnotizen:

- Die Nor­ma­li­sie­rung der extre­men Rech­ten in Ost­deutsch­land ist irrever­si­bel. In eini­gen Land­krei­sen in Sach­sen ist eine Ver­fes­ti­gung in den Insti­tu­tio­nen zu kon­sta­tie­ren, die in der nächs­ten Legis­la­tur in eine Macht­über­nah­me über­ge­hen wird.

- Ein Aspekt des Erfolgs der extre­men Rech­ten, neben der Bereit­schaft so vie­ler ihren Ein­stel­lun­gen und Pra­xen zuzu­stim­men, ist die schie­re Anwe­sen­heit und damit Plau­si­bi­li­tät ihrer Deu­tungs­an­ge­bo­te. Die jah­re­lan­ge (Selbst-)Verharmlosung ver­fehlt ihre Wir­kung nicht.

- In den länd­li­chen und klein­städ­ti­schen Regio­nen Ost­deutsch­lands sind demo­kra­ti­sche Kipp­punk­te erreicht, die das Ver­hält­nis, wer sich wofür recht­fer­ti­gen muss, umkeh­ren. Recht­fer­ti­gen müs­sen sich jetzt alle, die der AfD und ihrem poli­ti­schen Vor­feld geg­ne­risch geson­nen sind oder sie auch nur lebens­welt­lich und habi­tu­ell nicht unterstützen.

- Die Gegen­kräf­te – also unse­re Bezugs­punk­te im Osten – sind poli­tisch, sozi­al und kul­tu­rell frag­men­tiert. Ihre Moti­ve, sich der AfD und ihrem Vor­feld zu ver­wei­gern, dif­fe­rie­ren so stark, dass es nur punk­tu­ell zu einem gemein­sa­men poli­ti­schen Han­deln kommt. Die katho­li­sche Frau­en­ar­beit ist in Ost­deutsch­land eben­so mar­gi­nal wie Men­schen, die sich als Lin­ke beschreiben. 

- Es fin­det kein Auf­bau resi­li­en­ter Struk­tu­ren und Netz­wer­ke statt. Grund dafür ist: Erschöp­fung. Allein die Bewäl­ti­gung des ope­ra­ti­ven Geschäfts, des All­täg­li­chen frisst alle Kräf­te, der Erfolg der extre­men Rech­ten lähmt, es fehlt zuneh­mend an der Erfah­rung von Wirk­sam­keit und Orten der Soli­da­ri­tät usw. Kam­pa­gnen und Demos ver­schlin­gen ein­fach zu viel Kraft.

- Par­tei­en und Ver­bän­de ver­fü­gen in Ost­deutsch­land in den Regio­nen nicht oder nicht mehr über Mit­glie­der und Struk­tu­ren, um erkenn­bar stra­te­gisch zu kom­mu­ni­zie­ren und Prä­senz zu zeigen.

- Ent­ge­gen allen Bekun­dun­gen ste­hen Men­schen in den Regio­nen in der Gefahr,  Opfer von extrem rech­ten Zer­set­zungs­maß­nah­men zu wer­den. Die­sen Sta­si-Begriff wählt Beg­rich mit Bedacht, weil ersicht­lich ist, dass sich eini­ge rechts­extre­me Struk­tu­ren in loka­len Kon­tex­ten die­ser Metho­den bedienen.

- Ein wei­te­rer unter­schätz­ter Bereich, sind die kom­men­den juris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, wenn es um Ver­fah­ren rund um Gemein­nütz­keit, Nut­zungs­rech­te, Ver­eins­recht usw. geht. Es fehlt Trä­gern in Ost­deutsch­land schlicht an Geld, juris­ti­schem Know­how und Anwält*innen. Glei­ches gilt für pres­se­recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen, Ein­schüch­te­run­gen, Dro­hun­gen usw. 

Hier sei nur an Wur­zen erin­nert, wo AfD und CDU gemein­sam dem Netz­werk Demo­kra­ti­sche Kul­tur das Was­ser abgra­ben. Von wegen Brand­mau­er. Und das ist nur das aktu­ells­te Bei­spiel. Die Aus­trock­nung der Zivil­ge­sell­schaft ist dort längst in vol­lem Gange. 

Die­se sehr klu­gen und zutref­fen­den, aber auch alar­mie­ren­den Beob­ach­tun­gen mei­nes geschätz­ten Gewährs­man­nes, die jeder und jede bestä­ti­gen kann, der*die auch nur gele­gent­lich im Osten unter­wegs und aktiv ist, las­se ich jetzt mal im Raum ste­hen und kom­me dar­auf zurück, wenn wir noch auf unse­re Hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu spre­chen kom­men. Und es ist wich­tig, nicht zu ver­ges­sen, dass der­ar­ti­ge Ent­wick­lun­gen und Ten­den­zen auch in West­deutsch­land zu grei­fen begin­nen. Und auch wenn sich die AfD in Nord­rhein-West­fa­len in den kom­mu­na­len Stich­wah­len nicht durch­set­zen konn­te, ist sie auch dort auf dem Vor­marsch. Die bil­li­ge Erleich­te­rung über die­se jüngs­ten Miss­erfol­ge füh­ren auf den Holzweg. 

Kapi­tel 3: Der Kli­ma­wan­del und die Fes­tung Europa

Der Kli­ma­wan­del ist eine Rea­li­tät, die ihren alles bestim­men­den exis­ten­zi­el­len Cha­rak­ter in den kom­men­den Jah­ren und Jahr­zehn­ten unwei­ger­lich ent­fal­ten wird. Dar­an wird auch die Tat­sa­che nichts ändern, dass die Kli­ma­be­we­gung ver­schwun­den zu sein scheint, der Kli­ma­kol­laps kaum noch ein The­ma im gesell­schaft­li­chen Dis­kurs ist. 

(Unse­re zuse­hends grau­haa­ri­ge anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung „pro­fi­tiert“ davon gera­de sehr, denn die tol­len jun­gen Aktivist*innen der Kli­ma­pro­tes­te tra­gen mit ihrer Blo­cka­de- und Kampf­erfah­rung gera­de sehr zu unse­rer Schlag­kraft bei, wie man in Essen und Rie­sa gese­hen hat – aber das nur am Rande.)

Die Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­kri­se, die von so empö­rend dum­men Leu­ten wie Donald Trump und hier­zu­lan­de etwa Bea­trix von Storch als Fake und Hoax bezeich­net wer­den, wer­den inner­halb sehr kur­zer Zeit alle öko­lo­gi­schen, poli­ti­schen und vor allem auch sozia­len Fra­gen eska­lie­ren und zu einer wei­te­ren Ver­ro­hung des Den­kens füh­ren. Die Rekar­bo­ni­sie­rung und die Rück­kehr der fos­si­len Ener­gien nicht nur in den Län­dern unter auto­ri­tä­rer Herr­schaft ist im vol­len Gan­ge und wen erstaunt es, dass auch in Deutsch­land alter­na­ti­ve Ener­gie­ge­win­nung geschmäht wird und ein Ver­bot von Ver­bren­ner­mo­to­ren wie­der zur Dis­po­si­ti­on steht. Ali­ce Wei­dels völ­lig hirn­ver­brann­tes Wort von den „Wind­müh­len der Schan­de“ wird nur noch vom völ­lig schwach­sin­ni­gen Gebrab­bel Trumps zu Wind­ener­gie überboten…

Die Ver­un­si­che­rung vie­ler Men­schen durch die immer dras­ti­scher wer­den­den Kli­ma­fol­gen führt sie Popu­lis­mus und auto­ri­tä­ren Ver­su­chun­gen zu: Es zeich­net sich ab, dass sie in der gegen­wär­ti­gen Pha­se der gesell­schaft­li­chen Ver­ro­hung bereit sein wer­den, den­je­ni­gen ihre Stim­me zu geben, die mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit und Dreis­tig­keit den Sta­tus Quo zu sichern ver­spre­chen – zur Not mit Krieg, Grenz­ter­ror, Gewalt und Pogrom.

Und ich wer­de jetzt nicht die euro­päi­sche Umge­bung abschrei­ten — Ungarn, UK, Nie­der­lan­de, Ita­li­en, Tür­kei, Polen, Öster­reich — um den kon­ti­nen­ta­len Rechts­ruck zu doku­men­tie­ren, obwohl es mir wirk­lich wich­tig erscheint, Deutsch­land nicht wie aus­ge­stanzt zu betrach­ten: wir haben es mit einem euro­päi­schen und glo­ba­len Rechts­ruck zu tun. Das zeig­te sich zuletzt etwa in Groß­bri­tan­ni­en sehr dras­tisch, wo 110.000 Men­schen sich zu einer durch und durch ras­sis­ti­schen Demons­tra­ti­on des noto­ri­schen Neo­na­zis Tom­my Robin­son ver­sam­mel­ten. Auf der Sei­te der Gegendemonstrant*innen waren nur 5000 Leu­te, genau­so wenig übri­gens wie bei den Pro­tes­ten gegen den Besuch Donald Trumps in Lon­don ein paar Tage spä­ter – das ist defi­ni­tiv zu wenig Gegen­wehr gegen die dro­hen­den Gefah­ren. Auf der Robin­son-Demo war übri­gens Elon Musk zuge­schal­tet, der die bri­ti­schen Mas­sen zu Gewalt auf­rief. Und das bringt uns zum nächs­ten Kapitel. 

Kapi­tel 4: Das Ende der „west­li­chen Demo­kra­tie“, wie wir sie kannten

Infan­ti­li­sie­rung der faschis­ti­schen Diktatur

Wir erle­ben seit dem Wahl­kampf und der Inau­gu­ra­ti­on des 47. US-Prä­si­den­ten Donald Trump in Echt­zeit den Blitz­um­bau der „ältes­ten Demo­kra­tie der Welt“ in einen auto­ri­tä­ren Füh­rer­staat und ein faschis­ti­sches Regime. Die Par­al­le­len zum Jahr 1933 – auch was die unge­heue­re Geschwin­dig­keit angeht – sind ver­stö­rend. Nach dem Skript „Pro­ject 2025“ aus der Heri­ta­ge Foun­da­ti­on wird gera­de der rechts- und ver­fas­sungs­s­staat­li­che Auf­bau der US-Demo­kra­tie ein­ge­ris­sen und über ein prä­si­dia­les Dekret-Regime eine faschis­ti­sche Dik­ta­tur durch­ge­setzt – ganz nach Plan, das war der Lern­ef­fekt der chao­ti­schen ers­ten Amts­zeit Trumps und sei­ner Abwahl Ende 2020.

Dreh- und Angel­punkt, ich will das nur kurz skiz­zie­ren, war die „Ein­wan­de­rung“, die Migra­ti­on. Mit der Ermäch­ti­gung der „Immi­gra­ti­on Con­trol and Cus­toms Enforce­ment“ (ICE) hat sich die Trump-Regie­rung ein Instru­ment des inner­staat­li­chen Ter­rors geschaf­fen. Mas­kier­te Roll­kom­man­dos über­fal­len über­all im Land am hell­lich­ten Tag mit­ten in Städ­ten und Gemein­we­sen, vor Dut­zen­den fil­men­den Han­dy­ka­me­ras mit scho­ckie­ren­der Bru­ta­li­tät „Ver­däch­ti­ge“3, ver­schlep­pen sie ohne Legi­ti­ma­ti­on, Anspra­che, Haft­be­fehl und Wider­spruchs­mög­lich­kei­ten in eines der aus dem Boden schie­ßen­den Lager auf US- oder aus­län­di­schem Boden, etwa in das Sal­va­do­ria­ni­sche Hor­ror-Gefäng­nis CeCot. Men­schen wer­den wochen­lang unter unhalt­ba­ren Bedin­gun­gen fest­ge­hal­ten und zuse­hends auch US-Staatsbürger*innen fest­ge­setzt. Der Ver­gleich mit dem frü­hen NS-Ter­ror und den ers­ten KZs drängt sich auch hier auf. Die ers­ten Men­schen sind aus einem Lager bereits unauf­find­bar verschwunden. 

Was der geschätz­te Georg Seeß­len in sei­nem Trump-Buch4 als Infan­ti­li­sie­rung, affek­ti­ve Pola­ri­sie­rung und Hys­te­ri­sie­rung, aber auch als Dis­rup­ti­on bezeich­net, wirkt sich für Mil­lio­nen US-Bürger*innen exis­ten­zi­ell nega­tiv aus und wird in Kür­ze Wir­kung ent­fal­ten. Das Gesund­heits­we­sen wird eben­so zer­schla­gen wie das Rechts- und Jus­tiz­sys­tem. Seeß­len schreibt über Trump: „Die Hälf­te aller Ame­ri­ka­ner und Ame­ri­ka­ne­rin­nen, und nicht weni­ge Men­schen im Rest der Welt, wol­len genau so einen wie ihn als mäch­tigs­ten Mann. Kol­lek­ti­ve Ver­blö­dung? Ver­blen­dung? Kor­rup­ti­on? (…) Die­ser Mensch ist ein ego­man­er Kri­mi­nel­ler und sein Gespenst lau­tet auf den Namen: Ame­ri­ka­ni­scher Faschis­mus.“ (S. 19)

Die Mas­sen­fest­nah­men erfol­gen nach den ras­sis­ti­schen Anhalts­punk­ten des „racial pro­fil­ing“ und ori­en­tie­ren sich an Aus­se­hen, Spra­che und Ver­hal­ten. Ihr Aus­maß lässt sich kaum ein­schät­zen, dürf­te aber wohl schon jetzt in die 100.000de gehen. Und wei­ter: die Eröff­nung rie­si­ger Gefäng­nis­se und Lager – man den­ke nur an den irren Popanz, der um „Alli­ga­tor Alca­traz“ ver­an­stal­tet wur­de –; das Umschrei­ben der Geschich­te, das Schön­re­den oder Leug­nen des Geno­zids an den indi­ge­nen Ureinwohner*innen Nord­ame­ri­kas, die Rela­ti­vie­rung des Mensch­heits­ver­bre­chens der Skla­ve­rei, die Umdeu­tung des Putsch­ver­suchs vom 6. Janu­ar 2021 in Washing­ton zu einem patrio­ti­schen Akt; Biblio­the­ken wer­den „gesäu­bert“, freie Medi­en und freie Uni­ver­si­tä­ten mas­siv ange­grif­fen, unter Druck gesetzt oder von För­de­run­gen abge­schnit­ten: Die Macht hat, wer über die Geschichts­deu­tung verfügt.

Und wei­ter: Der Zugriff auf die Rech­te und die Kör­per von Frau­en und ihre repro­duk­ti­ven Rech­te und ent­spre­chen­de medi­zi­ni­sche Gesund­heits­ver­sor­gung – in eini­gen Bun­des­staa­ten ist bereits eine Fehl­ge­burt ein Grund für Kri­mi­na­li­sie­rung bis hin zur Dro­hung mit der Todes­stra­fe wegen Kinds­mords; Die Mar­kie­rung der Grup­pen, denen die kom­men­de Repres­si­on gel­ten wird: Obdach­lo­se, Trans­men­schen und die Que­er-Com­mu­ni­ty als sol­che und Leu­te wie wir: Anti­fa! Sie wer­den ohne jeden Rea­li­täts­be­zug zu Feind*innen, Invasor*innen, Vaterlandsverräter*innen erklärt und gegen sie ICE, Poli­zei, FBI, Natio­nal­gar­de und die US-Armee auf­ge­bo­ten. Die beschwo­re­ne Gefahr, das „kriegs­ver­wüs­te­te Port­land“, die „Inva­si­on kri­mi­nel­ler Aus­län­der“, der „Ter­ror der woken Kul­tur“, der „Ter­ro­ris­mus der Anti­fa“, der Lin­ken und Kommunist*innen — das alles gibt es nicht, ist aber maß­ge­ben­de Grund­la­ge des Trump­schen Ter­rors gehen sein eige­nes Land. Die dämo­ni­sche Über­hö­hung des Ras­sis­ten, Holo­caust­ver­harm­lo­sers, Befür­wor­ters öffent­li­cher, grau­sa­mer Hin­rich­tun­gen, Frau­en­has­sers und Faschis­ten Char­lie Kirk zum Natio­nal­hei­li­gen zei­gen das Aus­maß der Mas­sen­ver­blö­dung: bei einer obs­zö­nen Mas­sen­an­dacht sprach eine KI-gene­rier­te Stim­me des Getö­te­ten und feu­er­te die ver­zück­ten Zuhörer*innen qua­si aus dem Jen­seits zu noch grö­ße­ren Anstren­gung bei der Umset­zung sei­ner Agen­da an. Ste­hen­de Ovationen.

Und wir müs­sen die Ohren spit­zen, wenn die­se Ver­herr­li­chung des Halun­ken Kirk in Deutsch­land außer von AfD-Anhänger*innen und etli­chen rech­ten Medi­en wie Nius, vor allem auch von der Jun­ge Uni­on, Caro­li­ne Bos­bach und Jens Spahn mit­ge­tra­gen wird.

Die Zer­stö­rung des Rechts­staa­tes, der Habe­as Cor­pus Garan­tien, des Gesund­heits­we­sens, des Wahl­rechts – vor allem von Frau­en – und die Ein­schüch­te­rung und Ver­fol­gung aller, die dem Wahn von Trump und sei­ner Spei­chel­le­cker nicht fol­gen wol­len, ist fast schon gelau­fen und wird in Kür­ze zu einer Mas­sen­ver­elen­dung, Mas­sen­ver­haf­tun­gen und ‑Psych­ia­tri­sie­rung von Kran­ken, Obdach­lo­sen, Trans­per­so­nen und Autist*innen, die als „unnüt­ze Esser“ stig­ma­ti­siert wer­den, führen. 

Vie­le US-Amerikaner*innen der „ande­ren Sei­te“, also demo­kra­tisch gesinn­te Bürger*innen, hof­fen und schwö­ren trotz deren fort­ge­schrit­te­ner Zer­set­zung auf die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge und rechts­staat­li­che Ord­nung und Tra­di­ti­on und deren Selbst­hei­lungs­kräf­te des poli­ti­schen Sys­tems: das scheint zuneh­mend naiv und hält mög­li­chen Wider­stand in einer fata­len Warteposition!

Und auch Trumps Außen­po­li­tik betreibt er als Bul­ly, als unge­ho­bel­ter, bru­ta­ler Rüpel, der abstraft, wer nicht in sei­ne „Frie­dens­plä­ne“ passt und sei­ne Busi­ness­plä­ne nicht mit­ma­chen will. Elon Musk taucht immer wie­der, unter ande­rem eben auch beim AfD-Par­tei­tag in Hal­le per Video­call, auf und befeu­ert Faschis­mus welt­weit, wäh­rend er gera­de noch die US-Ver­wal­tung mit einer eigens für ihn geschaf­fe­nen Behör­de (Wie aus einer Orwell-Par­odie: „Depart­ment of Govern­ment Effi­ci­en­cy“ (DOGE)) „säu­ber­te“ und zertrümmerte. 

Kaum aus­zu­hal­ten: media­le Omni­prä­senz der Hor­ror­clowns des US-Faschismus

Mei­ne The­se: Die Mid­terms, die Wah­len zur Mit­te der Amts­zeit, wer­den nicht statt­fin­den. In Kür­ze wird in den Stra­ßen der US-Städ­te Blut flie­ßen, Donald Trump eska­liert ohne Zögern, wenn er jetzt neu­er­dings von „full force“ beim Ein­satz von Trup­pen im Inne­ren spricht, also der Frei­ga­be leta­len Schuss­waf­fen­ge­brauchs. Er wird sich – um den dies­be­züg­li­chen Vor­den­ker Carl Schmitt zu zitie­ren — den Aus­nah­me­zu­stand sichern, um sei­ne Herr­schaft zu zementieren.

War­um erzählt er uns das in die­ser Aus­führ­lich­keit, wer­det Ihr Euch fra­gen: Natür­lich wird die­ser Wahn­sinn, der von den mäch­tigs­ten Tech-Kon­zer­nen der Welt will­fäh­rig und geld­geil mit­ge­tra­gen wird, nicht ohne Aus­wir­kun­gen auf die gan­ze Welt blei­ben. Ich sehe Krieg, bes­ser: noch mehr Krie­ge, ich sehe einen wei­te­ren Rechts­ruck auch bei uns kom­men und ich sehe die Grund­la­gen eines huma­nen, regel­ba­sier­ten Umgangs mit­ein­an­der schwin­den, inter­na­tio­nal. Denn wenn wir von Trump und den USA reden, haben wir noch nicht vom Ukrai­ne-Krieg, Isra­el-Gaza und schon gar nicht von den lau­fen­den Geno­zi­den des Roh­stoffraubs im Kon­go und im Sudan gespro­chen. Das ist die neue Weltordnung.

Leu­te in der AfD rei­ben sich beim Blick über den gro­ßen Teich die Hän­de, dar­aus hat eine freu­de­trun­ke­ne Bea­trix von Storch nach der exklu­si­ven Ein­la­dung zu Trumps Inau­gu­ra­ti­on kein Hehl gemacht. 

Zusam­men­fas­send noch ein­mal Seeß­len: „Repu­bli­ka­ner in den USA, AfD­ler in Deutsch­land sind nicht in ers­ter Linie in den Par­la­men­ten, um ihre ‚Mei­nun­gen‘ zu ver­tre­ten, son­dern um deren Funk­ti­ons­wei­sen nach­hal­tig zu blo­ckie­ren und schließ­lich zu zer­stö­ren.“ (S. 140) 

Kapi­tel 5: Die AfD im Wind­schat­ten der Union

Man hat es vor­her gewusst: Sti­cker im Ber­li­ner Stadtbild

Ich will hier nun nicht noch das Pan­ora­ma der deut­schen Poli­tik des zurück­lie­gen­den Drei­vier­tel­jah­res auf­fä­chern, die Spren­gung der Brand­mau­er Ende Janu­ar, als die Uni­on mit den Stim­men von AfD, FDP und den anwe­sen­den BSWler*innen den Ent­schlie­ßungs­an­trag für das „Ein­wan­de­rungs­be­schrän­kungs­ge­setz“ in den Bun­des­tag ein­brach­te; die rhe­to­ri­sche und poli­ti­sche Anglei­chung – zumal beim hys­te­ri­sier­ten The­ma Migra­ti­on – von Uni­ons- und AfD-Posi­tio­nen; die Ver­ro­hung der Innen­po­li­tik mit Alex­an­der „Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ Dob­rindt5, der für sei­ne ras­sis­ti­sche Abschie­be­agen­da sogar bereit ist, mit den Tali­ban zu koope­rie­ren; und auch die Angrif­fe auf das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bei der Richter*innenwahl unter Frak­ti­ons­chef Spahn; die Ver­ächt­lich­ma­chung der Pri­de-Bewe­gung hier­zu­lan­de durch Bun­des­tags­prä­si­den­tin Julia Klöck­ner und Bun­des­kanz­ler Merz; gar nicht zu reden von ähn­li­chen Aus­fäl­len nach rechts wei­te­rer Minister*innen wie Prien und Weimer. 

Da muss die AfD gera­de gar nichts machen. (Und hat Zeit ihre Gold­re­ser­ven in einem Mase­r­a­ti durch die Gegend zu gon­deln.6) Die­se Situa­ti­on hat die Schrift­stel­le­rin Özge İnan auf Insta­gram zor­ning auf den Punkt gebracht: „Die schwarz-rote Koali­ti­on hat die Gren­zen geschlos­sen und das Recht auf Asyl abge­schafft. Wir dis­ku­tie­ren über Höchst­quo­ten migran­ti­scher Kin­der an Schu­len und Regis­ter für psy­chisch kran­ke Men­schen. Auf Demos herrscht Deutsch-Pflicht und die Bun­des­tags­po­li­zei durch­sucht Abge­ord­ne­ten­bü­ros nach LGBTQ-Fah­nen. Ich kann die­ses Anti-AfD-Maul­hel­den­tum, wäh­rend hier täg­lich Din­ge pas­sie­ren, die vor weni­gen Jah­ren noch AfD-Maxi­mal­for­de­run­gen waren, nicht mehr ertra­gen!“7

Eine zuneh­mend an Bedeu­tung gewin­nen­de Hetz­pres­se wie Nius, Bild, Tichys Ein­blick, eigen­tüm­lich frei, frei­lich, Com­pact, die Schwei­zer Welt­wo­che und sogar die NZZ, ganz zu schwei­gen natür­lich auch von Social Media, die uns alle mit rech­tem Shit über­flu­ten, flan­kiert die­se pro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, die es der AfD erlaubt sich ent­spannt in War­te­stel­lung zu bege­ben und gemäß ihrem Stra­te­gie­pa­pier zu „mäßi­gen“ und etwa ihre neo­na­zis­ti­sche Par­tei­ju­gend „Jun­ge Alter­na­ti­ve“ in etwas ver­meint­lich weni­ger Gefähr­li­ches umzu­la­beln, näm­lich die „Patrio­ti­sche Jugend“. Sonst muss sie nichts tun. Ihre Umfra­ge­wer­te stel­len unter­des­sen die der Uni­on auch bun­des­weit schon mal in den Schatten.

Das Ver­hal­ten der Uni­on und das Mit­tun der Sozialdemokrat*innen dabei macht die Umset­zung etwa eines Ver­bots­ver­fah­rens gegen die faschis­ti­sche AfD fast unmög­lich: man wäre dafür auf zumin­dest Tei­le der nach rechts abdre­hen­den CDU/CSU angewiesen. 

Das macht die anti­fa­schis­ti­sche Arbeit gegen die AfD nicht gera­de leich­ter. Und nach den Stroh­feu­ern der Mas­sen­pro­tes­te Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res nach dem Pots­dam-Skan­dal und – schon klei­ner – die­ses Jah­res nach der Abstim­mung im Bun­des­tag ist der Pro­test gegen die Faschi­sie­rung auch wie­der schwä­cher gewor­den. Nor­ma­li­sie­rung, wie Özge İnan sie beschreibt, hat ein­ge­setzt und nur die­je­ni­gen zivil­ge­sell­schaft­li­chen und anti­fa­schis­ti­schen Grup­pen wie VVN-BdA oder die Omas gegen rechts, Wider­set­zen, Cam­pact u.a., die im denun­zia­to­ri­schen 551-Fra­gen-Kata­log der CDU gegen eine poli­tisch pro­fi­lier­te Zivil­ge­sell­schaft auf­tau­chen, bemü­hen sich wei­ter, den Pro­test nicht ein­schla­fen zu lassen. 

Kapi­tel 6: End­zeit­fa­schis­mus und die Herr­schaft der Hor­ror Clowns 

Wäh­rend der neue Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Dob­rindt und auch die hie­si­gen grü­nen Landespolitiker*innen [= BaWü] kei­ner­lei Beden­ken gegen­über der poli­zei­li­che Total­über­wa­chung mit der „Palantir“-Software sehen, die aus dem Hau­se des Pay­pal-Grün­ders Peter Thiels kommt, spre­chen eini­ge im Zusam­men­hang gera­de mit die­ser Soft­ware vom kom­men­den End­zeit­fa­schis­mus. Auch die [vor­erst gestopp­te] Ein­füh­rung einer „Chat­kon­trol­le“ auf EU-Ebe­ne ist ein Schritt in die­se Total­über­wa­chung, für die wir Smartphone-User*innen uns seit Jah­ren selbst hin­ge­ben mit unse­ren Nach­rich­ten, Bil­dern, poli­ti­schen Bemer­kun­gen und Scher­zen.8

Erst im Juni ver­ei­dig­te die US-Armee vier Füh­rungs­kräf­te aus dem Sili­con Val­ley als Oberst­leut­nants der Army Reser­ve, dar­un­ter füh­ren­de Mana­ger etwa von Meta, Ope­nAI (also ChatGBT ) und eben Palan­tir: ein gewal­ti­ger zivil-mili­tä­risch-tech­no­lo­gi­scher Über­wa­chungs­an­griff soll hier die­se End­zeit ein­läu­ten.9

Ein sehr lesens­wer­ter Arti­kel von Nao­mi Klein und Astra Tay­lor im bri­ti­schen Guar­di­an mit dem Titel „Der Auf­stieg des End­zeit­fa­schis­mus“10 schil­dert den apo­ka­lyp­ti­schen Ama­ged­don-Kom­plex, der vie­le Super­rei­che und Tech-Mil­li­ar­dä­re zu inspi­rie­ren scheint. Sie schrei­ben: „Die herr­schen­de Ideo­lo­gie der extre­men Rech­ten hat sich in unse­rem Zeit­al­ter eska­lie­ren­der Kata­stro­phen zu einem mons­trö­sen, ras­sis­ti­schen Über­le­bens­kampf ent­wi­ckelt.“ Es sei klar, so heißt es wei­ter, „dass sich die künst­li­che Spie­gel­welt, die KI zu erschaf­fen ver­spricht, nicht errich­ten lässt, ohne die­se Welt zu opfern – die­se Tech­no­lo­gien ver­brau­chen zu viel Ener­gie, zu vie­le wich­ti­ge Mine­ra­li­en und zu viel Was­ser, als dass bei­des in irgend­ei­ner Art von Gleich­ge­wicht koexis­tie­ren könn­te.“ Die Schaf­fung von exklu­si­ven Schutz­räu­men des Über­le­bens der Aus­er­wähl­ten und der Auf­stieg eines gott­glei­chen KI-Gebil­des, das sich „aus der Asche der auf­ge­ge­be­nen Welt“ empor­schwingt, wird mit reli­giö­ser Ver­zü­ckung und Inbrunst ver­brämt zur End­zeit­er­zäh­lung der bibli­schen Weni­gen, die dem Unter­gang entgegen. 

Man mag das als düs­te­ren Sci­ence Fic­tion abtun und über­trie­ben fin­den, und doch bie­ten die gera­de­zu absur­de Nie­der­tracht und boden­lo­se Dumm­heit des der­zei­ti­gen US-Prä­si­den­ten und sei­ner Anhänger*innen durch­aus Anhalts­punk­te für der­ar­ti­ge Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en. Wir befin­den uns doch jetzt schon in einer Situa­ti­on, die wir noch vor zehn Jah­ren für völ­lig unmög­lich gehal­ten hät­ten. Die Geschwin­dig­keit der Ver­än­de­rung über­for­dert – zumin­dest was mich betrifft – das Fas­sungs­ver­mö­gen des Gemüts. Ob wir uns im End­zeit­fa­schis­mus schon befin­den, ob er zunächst nur in den USA zu beob­ach­ten ist, wie wir ihn defi­nie­ren und was wir gegen ihn zu tun geden­ken, bringt mich jetzt zum Schluss mei­ner Anmerkungen. 

Kapi­tel 7: Am eige­nen Zopf aus dem Sumpf

Blo­cka­den und Pro­tes­te gegen den AfD-Par­tei­tag in Rie­sa am 11, Janu­ar 2025

Und dazu gibt es noch ein Zitat von Klein und Tay­lor, weil die bei­den dem End­zeit­fa­schis­mus auch etwas ent­ge­gen­set­zen wol­len, eine Art uni­ver­sa­lis­ti­sche huma­ne Beru­fung auf die Mensch­lich­keit: Wir stel­len „ihren apo­ka­lyp­ti­schen Erzäh­lun­gen eine weit­aus bes­se­re Geschich­te ent­ge­gen: Wie wir die kom­men­den schwe­ren Zei­ten über­ste­hen, ohne jeman­den zurück­zu­las­sen. Eine Geschich­te, die dem End­zeit­fa­schis­mus sei­ne düs­te­re Kraft ent­zie­hen und eine Bewe­gung in Gang set­zen kann, die bereit ist, alles für unser gemein­sa­mes Über­le­ben aufs Spiel zu set­zen. Eine Geschich­te nicht vom Ende der Zei­ten, son­dern von bes­se­ren Zei­ten; nicht von Tren­nung und Vor­herr­schaft, son­dern von gegen­sei­ti­ger Abhän­gig­keit und Zuge­hö­rig­keit; nicht von Flucht, son­dern von Blei­ben und der Treue zur unru­hi­gen irdi­schen Rea­li­tät, in die wir ver­strickt und gefan­gen sind.“

Und in die­sem Sin­ne haben wir genug zu tun und es wäre unschätz­bar, wenn von die­sem Bun­des­kon­gress in die­ser Hin­sicht ein kla­res Signal aus­gin­ge und – mal wie­der – die „Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes – Bund der Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten“ die nöti­gen Impul­se geben wür­de, um der AfD, der Faschi­sie­rung in die­sem Lan­de ent­ge­gen zu tre­ten und den Druck auf die­je­ni­gen zu erhö­hen, die immer noch mei­nen, sie wür­den der AfD am bes­ten ent­ge­gen­wir­ken, indem sie sich ihr anver­wan­deln und zum Bei­spiel auf das unsäg­li­che ras­sis­ti­sche Migra­ti­ons­ti­cket setzen. 

- Wir müs­sen den gesell­schaft­li­chen Druck zum Schut­ze einer ver­fas­sungs­mä­ßi­gen und recht­staat­li­chen und sozia­len Ord­nung erhö­hen und auf ein Ver­bots­ver­fah­ren gegen die AfD drän­gen. „Men­schen­wür­de ver­tei­di­gen – AfD-Ver­bot Jetzt!“ ist die Kam­pa­gne, die das auch mit auf Initia­ti­ve der VVN-BdA ver­folgt, aber bis­her noch kein Momen­tum errei­chen konn­te. Das Zau­dern, das über­heb­li­che Abwin­ken und die super­schlau­en Ein­wän­de gegen Ver­bo­te im All­ge­mei­nen und das der AfD im Beson­de­ren müs­sen über­wun­den wer­den. Das Ver­bot der AfD ist eine gebo­te­ne demo­kra­ti­sche Not­wehr. Wir haben kaum etwas zu ver­lie­ren und im Grun­de kei­ne Wahl, wenn wir uns nach der Macht­über­ga­be noch gegen­sei­tig in die Augen bli­cken wol­len. Aber vor allem haben wir kei­ne Zeit. 

- Wir müs­sen ver­hin­dern, dass die als „gesi­chert rechts­extrem“ zu betrach­ten­de, in Tei­len faschis­ti­sche AfD sich eine neue faschis­ti­sche HJ, die „Höcke Jugend“, die „Patrio­ti­sche Jugend“ als ver­meint­lich harm­lo­sen Ersatz für die „Jun­ge Alter­na­ti­ve“ zulegt. Wir müs­sen, zusam­men mit unse­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Mitstreiter*innen von den „Omas gegen Rechts“ über „Auf­ste­hen gegen Ras­sis­mus“ bis hin zu „Wider­set­zen“ den Grün­dungs­akt in Gie­ßen Ende Novem­ber blockieren. 

Anti­fa heißt mehr als Angriff

 — Wir müs­sen der Kri­mi­na­li­sie­rung anti­fa­schis­ti­scher und lin­ker Struk­tu­ren im Kon­text der Hys­te­ri­sie­rung von Anti­fa nach dem Kirk-Atten­tat ent­ge­gen­tre­ten und uns geschlos­sen hin­ter die Anti­fa stellen.

Anti­fa ist die ein­zig ver­läss­li­che Recher­che zu rech­ten und faschis­ti­schen Umtrie­ben in die­sem Land und ande­ren Län­dern, Anti­fa sind Geden­kinitia­ti­ven und Erin­ne­rungs­kul­tur an Sho­ah, Poraj­mos und deut­sche Ver­nich­tungs­po­li­ti­ken, Anti­fa ist kri­ti­sche Publi­zis­tik zu Nazis und Ideo­lo­gien der Ungleich­wer­tig­keit, Anti­fa ist poli­ti­sche Bil­dung, Anti­fa ist Stra­ßen­prä­senz, Stadt­teil­ar­beit und beherz­te Not­hil­fe für Betrof­fe­ne ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Bedro­hung und Gewalt, Anti­fa ist unab­hän­gi­ge Pro­zess­be­ob­ach­tung und Beglei­tung der Betrof­fe­nen rech­ten Ter­rors usw. – Dan­ke Antifa! 

- Wir müs­sen gegen Nor­ma­li­sie­rung des lau­fen­den Wahn­sinns laut und lau­ter werden.

Und wir müs­sen auch für West­deutsch­land, für Euro­pa und glo­bal beher­zi­gen, was David Beg­rich für Ost­deutsch­land emp­fiehlt (ich zitie­re ihn ger­ne noch ein­mal): „Kata­ly­ti­sche Prä­senz. Es wird dar­auf ankom­men, in den Regio­nen jene zu hal­ten und zu stär­ken, die als Ein­zel­per­so­nen oder als klei­ne Netz­wer­ke eine Erkenn­bar­keit gewähr­leis­ten, an der sich ande­re wie­der­um ori­en­tie­ren kön­nen. Das wird schwer durch­zu­hal­ten und wird in den kom­men­den Jah­ren Här­ten brin­gen, wie wir sie bis­lang nicht kann­ten. Wir wer­den uns im Ernst­fall nicht auf Orga­ni­sa­tio­nen, nur auf Per­so­nen und Netz­wer­ke ver­las­sen kön­nen. An die­sen muss gear­bei­tet wer­den. Sie brau­chen: Prag­ma­tis­mus, einen wei­ten habi­tu­el­len Hori­zont und die Zurück­stel­lung poli­ti­scher Glaubenssätze.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Fuß­no­ten:

1https://​www​.deutsch​land​funk​kul​tur​.de/​m​i​n​i​s​t​e​r​p​r​a​e​s​i​d​e​n​t​-​r​e​i​n​e​r​-​h​a​s​e​l​o​f​f​-​g​e​h​e​n​-​w​e​n​n​-​d​i​e​-​a​f​d​-​g​e​w​i​n​n​t​-​1​0​0​.​h​tml

2https://​www​.tages​spie​gel​.de/​p​o​t​s​d​a​m​/​b​r​a​n​d​e​n​b​u​r​g​/​r​e​c​h​t​s​e​x​t​r​e​m​i​s​m​u​s​-​w​o​i​d​k​e​-​a​u​s​g​r​e​n​z​u​n​g​-​d​e​r​-​a​f​d​-​h​a​t​-​n​i​c​h​t​-​f​u​n​k​t​i​o​n​i​e​r​t​-​1​4​3​8​4​0​9​6​.​h​tml

3Der Schock, den die­se Reels von die­sem empö­rend bru­ta­len Ver­haf­tun­gen auf Social Media (Insta­gram, Tik­tok usw.) aus­lö­sen, ist in das Pro­gramm von Ein­schüch­te­rung, Über­wäl­ti­gung und Abschre­ckung ver­mut­lich mit eingepreist.

4Georg Seeß­len: Trump & Co. Der un/aufhaltsame Weg des Wes­tens in die Anti-Demo­kra­tie, Ber­lin 2025

5Die Kar­rie­re des Alex­an­der Dob­rindt ver­zeich­net ja nicht nur jenen Gast­kom­men­tar in der Welt unter die­sem Rubrum, son­dern ist gespickt von stein­dum­men Zita­ten, die zei­gen, wes’ Klein­geis­tes Kind die­ser gefähr­li­che Mann ist, zum Bei­spiel die­ses: „„Die­je­ni­gen, die ges­tern gegen Kern­ener­gie, heu­te gegen Stutt­gart 21 demons­trie­ren, agi­tie­ren, die müs­sen sich dann auch nicht wun­dern, wenn sie über­mor­gen irgend­wann ein Mina­rett im Gar­ten ste­hen haben.“ — Rede am 29. Okto­ber 2010 in Mün­chen auf dem Par­tei­tag der CSU

7https://​www​.insta​gram​.com/​p​/​D​M​q​L​t​l​N​M​U​1Y/

Graue Erinnerung an den NSU-Prozess in München

Der fol­gen­de Text wur­de von Regis­seu­rin Anna­le­na Maaas Anfang des Jah­res 2025 für ihr Thea­ter­stück Graue Ener­gie ange­for­dert und ein Vor­trag zur Gene­ral­pro­be des Stü­ckes am 23. Mai 2025 ohne vor­he­ri­ge Beschäf­ti­gung damit bestellt: nach der Gene­ral­pro­be ent­schied sie sich, den Text und sei­nen Vor­trag kur­zer­hand aus dem Stück zu wer­fen, weil er ihr doch irgend­wie nicht ins Kon­zept pass­te. Expe­ri­men­tell war an die­sem Vor­gang allen­falls der Umgang mit dem Autor und sei­nem Werk. Hier also just for the record:

Schwar­ze Luft­bal­lons über dem Mün­che­ner Straf­jus­tiz­zen­trum zur Eröff­nung des NSU-Pro­zes­ses am 6. Mai 2013 — Foto: NSU-Watch

Die Zeu­gin Nuran K. kam am 30. Ver­hand­lungs­tag Ende Juli 2013 erst am Nach­mit­tag dran. Wir sahen sie nur von hin­ten oben, von der Tri­bü­ne aus, auf der „die Öffent­lich­keit“ saß. Sie berich­te­te, wie sie am 29. August 2001 das Geschäft von Habil Kılıç betrat, um noch Brot zu besor­gen. Vor dem Laden begeg­ne­te sie ihren 8‑jährigen Sohn mit einem Freund. Sie betrat den Laden und traf dort nie­man­den an, aber sie hör­te aus dem Hin­ter­zim­mer eine Kaf­fee­ma­schi­ne blub­bern und dach­te, Herr Kılıç mache hin­ten Pau­se. Erst als sie zum Tre­sen trat, sah sie Habil Kılıç hin­ter dem Tre­sen lie­gen, in einer rie­si­gen Blut­la­che. Was Nuran K. für eine Kaf­fee­ma­schi­ne gehal­ten hat­te, war das Röcheln des an sei­nem Blut ersti­cken­den Ster­ben­den, der von zwei Kugeln, eine davon in den Kopf, getrof­fen wor­den war.
Nuran K. konn­te sich nicht dar­an erin­nern, dass ihr Sohn mit im Laden gewe­sen war. Auch nicht, dass er nach dem, was er dort gese­hen hat­te, in kin­der­psych­ia­tri­sche Behand­lung muss­te. Auch auf mehr­fa­che Nach­fra­ge des Vor­sit­zen­den konn­te sie sich dar­an nicht erin­nern. Woll­te es nicht.

Störrischer Zeuge

Ende Juli 2015 sag­te der bizarr aus­staf­fier­ter V‑Mann-Füh­rer Rei­ner Gör­litz als Zeu­ge aus. Der Mit­ar­bei­ter des Bran­den­bur­gi­schen Ver­fas­sungs­schut­zes, der einen der wich­tigs­ten Zeu­gen des Pro­zes­ses, Cars­ten Szc­ze­pan­ski, Deck­na­me „Piat­to“, geführt hat­te, trug eine Perü­cke, Son­nen­bril­le und hat­te sei­ne Klei­dung mit Stoff aus­ge­stopft, um kor­pu­len­ter zu wirken.
Die Unter­la­gen des stör­ri­schen Zeu­gen ließ das Gericht vor­läu­fig beschlag­nah­men. Wohl­ge­merkt, die Unter­la­gen eines Geheim­dienst-Mit­ar­bei­ters, einer staat­li­chen Behörde.

Es gibt poli­ti­sche Grup­pen, die nur 9 vom NSU Ermor­de­te zäh­len, weil Mic­hè­le Kie­se­wet­ter Poli­zis­tin war.

Am 9. Dezem­ber 2015 ließ die Haupt­an­ge­klag­te Bea­te Zsch­ä­pe ihre Aus­sa­ge von ihrem Anwalt Mat­thi­as Gras­el ver­le­sen. Vor dem Gerichts­ge­bäu­de bil­de­ten sich von früh mor­gens an Schlan­gen von „Schau­lus­ti­gen“, die zum grü­nen Ein­gang des Straf­jus­tiz­zen­trums dräng­ten, weil sie dach­ten, Bea­te Zsch­ä­pe wer­de selbst sprechen.
In der Nacht zu die­sem Tage war die Neben­kla­ge­an­wäl­tin im NSU-Pro­zess und unse­re Freun­din Ange­li­ka Lex ihrem Krebs­lei­den erlegen.
Der Vor­sit­zen­de Rich­ter Man­fred Götzl und eini­ge ande­re Mit­glie­der des erken­nen­den Senats kamen spä­ter zu ihrer Beer­di­gung am Mün­che­ner Ostfriedhof.

Manch­mal ist einem der Kopf nach vor­ne gekippt — im Som­mer — wenn es drau­ßen fast 30 Grad hatte.

Gesunde Ernährung

Auf dem Trep­pen­ab­satz, wo einer der Ein­gän­ge zum A 101 ist, war mit mobi­len höl­zer­nen Tafeln eine Art Gehe­ge abge­trennt wor­den mit einem Pau­sen­raum für Zuschauer*innen und einem innen noch ein­mal abge­grenz­ten Bereich für Journalist*innen. Irgend­wann kam das Gericht der drin­gen­den Anfor­de­rung „der Öffent­lich­keit“ nach, in den Pau­sen Ver­pfle­gung anzu­bie­ten. Dar­un­ter waren auch Plas­tik­scha­len mit Salat und ekli­gem Dres­sing, um das Spei­sen­an­ge­bot „gesün­der“ zu machen und weni­ger koh­le­hy­drat­las­tig. Ob wir das ein­ge­for­dert hat­ten, weil wir bemerk­ten, dass die ewi­gen But­ter­bre­zen uns im Lau­fe der Zeit auf­ge­hen lie­ßen wie Hefe­knö­del, weiß ich nicht mehr genau. Zah­len muss­te man in eine „Kas­se des Ver­trau­ens“. Die­ses Ver­trau­en hat­ten offen­bar durch­aus nicht alle ver­dient. Irgend­wann hieß es, es fehl­ten mehr als 1000 Euro in die­ser Kas­se. Das ging durch die Pres­se. Aus­ge­rech­net die Süd­deut­sche Zei­tung, die sich so viel auf ihre angeb­lich exklu­si­ve Mit­schrift des Pro­zes­ses zugu­te hielt, erweck­te in ihrem Arti­kel zu die­sem „Skan­dal“ den Ein­druck, dass aus­ge­rech­net die Betrof­fe­nen des NSU-Ter­rors und Ange­hö­ri­gen der Ermor­de­ten sich hier ohne zu zah­len bedient hätten.

Am 99. Pro­zess­tag wur­de über das Spiel gespro­chen, dass der NSU im Unter­grund kon­zi­pier­te, um es zur Siche­rung des Unter­halts im Unter­grund zu ver­kau­fen. Eines die­ser Spie­le tauch­te spä­ter im Besitz des bri­ti­schen Holo­caust­leug­ners David Irving auf. Das Spiel hieß „Pogrom­ly“. Eine der „Ereig­nis­kar­ten“ des Spiels lau­te­te: „Du hat­test auf ein Juden­grab gekackt. Lei­der hat­test Du Dir hier­bei eine Infek­ti­on zuge­zo­gen. Arzt­kos­ten 1000 RM“.

Wis­sen Sie, was ein „Split­ter­gar­ten“ ist? Was für ein poe­ti­sches Wort. Es kommt aus der Kri­mi­nal­tech­nik, der Spu­ren­si­che­rung. Wenn es um eine Bom­ben­ex­plo­si­on geht, wird die gezün­de­te Bom­be iden­tisch nach­ge­baut und in gesi­cher­tem Gelän­de zur Explo­si­on gebracht, um die Wucht und Zer­stö­rungs­kraft der Bom­be zu mes­sen. Dafür wer­den um die Bom­be in bestimm­ten Abstän­den Metall­wän­de auf­ge­baut, auf die die Split­ter der Bom­be auf­tref­fen, wodurch man ihre kine­ti­sche Ener­gie bestim­men kann. Im NSU-Pro­zess ging es dabei um den Nagel­bom­ben­an­schlag auf die migran­tisch gepräg­te Keup­stra­ße in Köln am 9. Juni 2004. Die Bom­be in einer Cam­ping-Gas­fla­sche bestand aus 5,5 kg Schwarz­pul­ver und 800 10 Zen­ti­me­ter lan­gen Nägeln. Ein Schwer­ver­letz­ter hat­te 9 die­ser Nägel in sei­nen Ober­schen­keln. Er kam gera­de zum Zeit­punkt der Explo­si­on an der auf einem Fahr­rad depo­nier­ten Bom­be vor­bei. Trotz mas­si­ver phy­si­scher und psy­chi­scher Beein­träch­ti­gun­gen muss­te er über Jah­re um eine Opfer­ent­schä­di­gung gegen den Land­schafts­ver­band Rhein­land prozessieren.

Die Gesinnung des Mandanten

Bei einer Haus­durch­su­chung beim Ange­klag­ten Ralf Wohl­le­ben wird sein „Schlaf-Shirt“ beschlag­nahmt. Zu sehen ist dar­auf das Ein­gangs­tor des Ver­nich­tungs­la­gers Ausch­witz-Bir­ken­au. Dar­über steht in Frak­tur: „Eisen­bahn­ro­man­tik“. Einer der ein­schlä­gig rech­ten Sze­ne-Ver­tei­di­ger erklärt, von einem sol­chen Tshirt las­se sich nicht auf die Gesin­nung sei­nes Man­dan­ten schließen.

Das Scharz­pul­ver des „Stol­len­do­sen­an­schlags“ in der Köl­ner Prob­stei­gas­se hat sich in die Gesichts­haut der betrof­fe­nen 19-jäh­ri­gen Medi­zin­stu­den­tin Maja M., die schwer ver­letzt wur­de, ein­ge­brannt. Die schwar­zen Spu­ren im ihrem Gesicht nennt man „Schmutz­tä­to­wie­run­gen“.

Der Frei­bur­ger Psych­ia­trie­pro­fes­sor Joa­chim Bau­er war von der „Neu-Ver­tei­di­gung Zsch­ä­pe“ in den Pro­zess geholt wor­den, um als psych­ia­tri­scher Gut­ach­ter die Ange­klag­te zu ent­las­ten. Das geriet zum Desas­ter, als bekannt wird, dass Bau­er den Pro­zess eine „Hexen­jagd“ genannt und er ver­sucht hat­te, sei­ner „Pro­ban­din“ eine Schach­tel Pra­li­nen in die JVA zu schmug­geln. Die­ser „unschul­di­ge Akt von Huma­ni­tät“, wie er es bezeich­ne­te, trägt ihm einen Befan­gen­heits­an­trag ein. Den ein­zi­gen Befan­gen­heits­an­trag, dem in den über 5 Jah­ren Pro­zess statt­ge­ge­ben wurde.

Ivan, der Schreckliche“ im A 101

Im Ver­fah­ren gegen den eins­ti­gen Gebirgs­jä­ger-Leut­nant Josef Scheun­gra­ber erör­ter­te sein Ver­tei­di­ger Rai­ner The­sen, ob Gei­sel­er­schie­ßun­gen zu jener Zeit nicht üblich waren und inso­weit kei­ner Ver­fol­gung Jahr­zehn­te spä­ter erheisch­ten. Der 90-jäh­ri­ge Scheun­gra­ber war ange­klagt, als Kom­man­dant eines Gebirgs­jä­ger­zu­ges der „Wehr­macht“ am 26. Juni 1944 für die Ermor­dung von 14 Men­schen ver­ant­wort­lich gewe­sen zu sein, die im Rah­men einer Süh­ne­ak­ti­on getö­tet wur­den. 11 von ihnen waren in Fal­ca­no di Cor­to­na in ein Haus gesperrt wor­den, dass die deut­schen Sol­da­ten dann in die Luft spreng­ten. Nur ein damals 15-Jäh­ri­ger über­leb­te das Mas­sa­ker schwer ver­letzt in den Trüm­mern. Gino M. sag­te 64 Jah­re nach der Gräu­el­tat gegen Scheun­gra­ber aus. Sei­ne trau­ri­ges Gesicht ist mir in Erin­ne­rung geblieben.

Zwei Jah­re spä­ter wur­de noch „Ivan, der Schreck­li­che“ in einem Kran­ken­bett in den A 101 gerollt. Der eins­ti­ge KZ-Auf­se­her im Ver­nich­tungs­la­ger Sobi­bor, Ivan Dem­ja­ni­uk, wur­de wegen „Bei­hil­fe zum Mord“ an 28.060 Men­schen zu einer Frei­heits­stra­fe von 5 Jah­ren ver­ur­teilt. Der Tod des 92-Jäh­ri­gen ver­hin­der­te, dass das Urteil rechts­kräf­tig wur­de. In Sobi­bor sind in den Jah­ren 1942 und 1943 etwa 250.000 Jüdin­nen und Juden ver­gast worden.“

Erinnern heißt kämpfen“: Die Zukunft des Strafjustizzentrums in München

Das früh­mor­gend­lich erleuch­te­te Straf­jus­tiz­zen­trum am 9. Dezem­ber 2015, dem Tag, als die NSU-Ter­ro­ris­tin erst­mals aus­sa­gen woll­te — der „Gla­mour“ der Haupt­an­ge­klag­ten trieb viel Publi­kum in den Saal A101 (Foto: Burschel)

Das Mün­che­ner Straf­jus­tiz­zen­trum ist weit mehr als ein funk­tio­na­ler Ort für juris­ti­sche Abläu­fe. Der­zeit steht es im Mit­tel­punkt einer Debat­te über sei­ne Zukunft: Soll­te es abge­ris­sen oder einer neu­en Nut­zung zuge­führt wer­den? Noch ist das Gebäu­de in Betrieb, aber sei­ne sym­bo­li­sche und his­to­ri­sche Bedeu­tung wirft die Fra­ge auf, ob und wie man die­sen Ort bewah­ren soll­te, wenn die Gerich­te wie geplant umziehen.

Es ist ein Ort, der in der Geschich­te der deut­schen Jus­tiz und ihrer Aus­ein­an­der­set­zung mit rech­tem Ter­ror und neo­na­zis­ti­schen Netz­wer­ken eine sym­bo­li­sche und tief­grei­fen­de Bedeu­tung erlangt hat. Über Jahr­zehn­te hin­weg war es Schau­platz bedeu­ten­der Ver­fah­ren, die nicht nur juris­tisch, son­dern auch poli­tisch und gesell­schaft­lich von größ­ter Rele­vanz waren. Dazu zäh­len unter ande­rem der Pro­zess, der die ras­sis­tisch moti­vier­te Mord­se­rie des „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds“ (NSU) ver­han­del­te, sowie der gegen den Waf­fen­lie­fe­ran­ten des Atten­tä­ters vom Olym­pia-Ein­kaufs­zen­trum (OEZ), der im Juli 2016 neun Men­schen eben­falls aus ras­sis­ti­schen Moti­ven dort ermor­det hat.

In einer Zeit, in der rech­te Gewalt und rech­ter Ter­ror immer wie­der und immer mehr auf erschre­cken­de Wei­se in Deutsch­land zuta­ge tre­ten, rückt die Dis­kus­si­on um das Straf­jus­tiz­zen­trum in ein neu­es Licht. Im Rah­men einer Podi­ums­dis­kus­si­on, orga­ni­siert von der Initia­ti­ve „Jus­tiz­zen­trum­Er­hal­ten / Abbre­chen­Ab­bre­chen“, gin­gen die Podi­ums­gäs­te der Fra­ge nach, ob das Jus­tiz­zen­trum als Ort des Geden­kens an die hier ver­han­del­ten Gewalt­ver­bre­chen erhal­ten blei­ben soll­te, um Raum zu bie­ten für eine gesell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit die­ser Geschich­te, die­sen Geschichten.

Auf dem Panel saßen Gise­la Koll­mann, die ihren Enkel Giu­lia­no Koll­mann bei dem rech­ten Anschlag im OEZ ver­lor, Patryc­ja Kowals­ka, eine Unter­stüt­ze­rin der Initia­ti­ve „Mün­chen OEZ Erin­nern“, Fried­rich Bur­schel von der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung & NSU Watch sowie der Jour­na­list Robert Andre­asch, der für die Anti­fa­schis­ti­sche Informations‑, Doku­men­ta­ti­ons- und Archiv­stel­le Mün­chen arbei­tet. Sie alle ver­bin­det das Anlie­gen, dass die Opfer rech­ter Gewalt nicht ver­ges­sen wer­den und dass der Staat end­lich Ver­ant­wor­tung über­nimmt – sowohl für die lücken­lo­se Auf­klä­rung sol­cher Taten als auch für die Aner­ken­nung des rech­ten Ter­rors als sys­te­mi­sches Problem.

Der OEZ-Anschlag und die Kämp­fe der Angehörigen

Im Jahr 2016 ereig­ne­te sich der rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlag im Mün­che­ner Olym­pia-Ein­kaufs­zen­trum. Neun Men­schen, über­wie­gend mit fami­liä­rer Migra­ti­ons­ge­schich­te, fie­len dem Anschlag zum Opfer, dar­un­ter auch Giu­lia­no Koll­mann, der damals 19-jäh­ri­ge Enkel von Gise­la Koll­mann. Der Täter, mit tief ver­wur­zel­ten ras­sis­ti­schen und völ­kisch-natio­na­len Über­zeu­gun­gen, plan­te die Tat sys­te­ma­tisch und fand dabei Unter­stüt­zung von einem Waf­fen­händ­ler, der ihn mit der Mord­waf­fe sowie „aus­rei­chend“ Muni­ti­on ver­sorg­te. Trotz offen­sicht­li­cher Hin­wei­se auf die rech­te Moti­va­ti­on, ver­har­mos­te man die Hin­ter­grün­de des Anschlags lan­ge. Die Behör­den spra­chen von einem „Amok­lauf“, nicht von rech­tem Terror.

Gise­la Koll­mann berich­tet in der Dis­kus­si­on von den Erfah­run­gen, die sie wäh­rend des Pro­zes­ses gegen den Waf­fen­händ­ler im Straf­jus­tiz­zen­trum in der Nym­phen­bur­ger­stra­ße mach­te. „Ich woll­te nur, dass er mir ein­mal in die Augen sieht, aber er konn­te es nicht“, erzählt sie. Koll­manns Erleb­nis­se im Gerichts­saal sind sym­pto­ma­tisch für die Art und Wei­se, wie staat­li­che Insti­tu­tio­nen mit den Betrof­fe­nen umge­hen: Ohne Empa­thie, ohne wirk­li­ches Ver­ständ­nis für den Schmerz und das Trau­ma, das sol­che Taten hin­ter­las­sen.  Flos­keln wie „Sie müs­sen kei­ne Angst haben, dass er ihre ande­ren Kin­der tötet“ hät­ten die­se Miß­ach­tung sehr deut­lich gemacht, sagt Gise­la Koll­mann. Die Hin­ter­blie­ben wer­den durch den Pro­zess wei­ter trau­ma­ti­siert – dies­mal durch den Staat, der sie hät­te schüt­zen und unter­stüt­zen sollen.

Die­se Erfah­run­gen sind kei­ne Ein­zel­fäl­le. Die Initia­ti­ve „Mün­chen OEZ Erin­nern“, der auch ande­re Ange­hö­ri­ge und Über­le­ben­de des Anschlags ange­hö­ren, kämpft seit Jah­ren dafür, dass der Anschlag als das aner­kannt wird, was er war: ein rechts­ter­ro­ris­ti­scher Angriff. Patryc­ja Kowals­ka, die die Initia­ti­ve unter­stützt, betont, dass die­ser Kampf nicht nur ein per­sön­li­cher ist. Es geht um das poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Bewusst­sein, dass rech­ter Ter­ror ein sys­te­ma­ti­scher Angriff auf das Leben und die Wür­de von Men­schen ist – moti­viert  durch grup­pen­be­zo­ge­nen Hass und getra­gen von rech­ter Ideologie.

Par­al­le­len zum NSU-Prozess

Auch im gigan­ti­schen, 438 Tage dau­ern­den NSU-Ver­fah­ren dort wur­den die Ange­hö­ri­gen der Opfer oft igno­riert und ihre Inter­es­sen aktiv miss­ach­tet. Der NSU, eine neo­na­zis­ti­sche Ter­ror­zel­le, war für die Mor­de an zehn Men­schen, über­wie­gend Migran­ten, ver­ant­wort­lich. Doch ähn­lich wie im OEZ-Fall wur­de auch hier lan­ge an einem Nar­ra­tiv fest­ge­hal­ten, das die Ver­ant­wor­tung des Staa­tes und die Rol­le eines hin­ter dem Kern-Trio ste­hen­den, umfang­rei­chen rech­ten Netz­werks klein­re­de­te. Die jah­re­lan­gen Ermitt­lun­gen und der anschlie­ßen­de Gerichts­pro­zess zeig­ten, wie tief struk­tu­rel­le Igno­ranz und insti­tu­tio­nel­les Ras­sis­mus ver­an­kert sind, wenn es um die Auf­klä­rung und Ver­fol­gung rech­ten Ter­rors geht.

Der NSU-Pro­zess offen­bar­te zudem, dass der NSU kei­nes­wegs iso­liert agier­te. Ein brei­tes Netz­werk von Unter­stüt­zern half der Ter­ror­grup­pe, sich jah­re­lang dem Zugriff der Behör­den zu ent­zie­hen. Beob­ach­ter des Pro­zes­ses beto­nen, dass weit über 100 Per­so­nen in die­ses Netz­werk invol­viert waren, vie­le von ihnen als akti­ve Mit­tä­ter oder Unter­stüt­zer. Trotz die­ser kla­ren Bewei­se wur­de im Pro­zess ver­sucht, die Ver­ant­wor­tung des Staa­tes und der Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den her­un­ter­zu­spie­len, die den NSU über zahl­rei­che Informant*innen in unmit­tel­ba­rer Nähe der Täter*innen und über das Geld für deren Diens­te erst über­haupt mit auf­ge­baut und unter Beob­ach­tung gehabt hät­ten, aber dann eben nicht gestoppt hätten.

Auch im NSU-Pro­zess war der Gerichts­saal geprägt von einer bedrü­cken­den Hier­ar­chie. Die 93 Nebenkläger*innen, die Fami­li­en der Opfer, die im Ver­fah­ren von mehr als 60 Rechtsanwält*innen ver­tre­ten wur­den, saßen im Saal A101 unter der Tri­bü­ne, auf der die Pres­se und die Öffent­lich­keit über ihnen thron­ten. Die­se räum­li­che Anord­nung spie­gel­te die rea­le Mar­gi­na­li­sie­rung der Opfer und ihrer Ange­hö­ri­gen wider, die um Gehör und Aner­ken­nung kämpf­ten, wäh­rend die staat­li­chen Insti­tu­tio­nen ver­such­ten die eige­nen Ver­säum­nis­se zu verdecken.

Die Bedeu­tung der Räu­me des Justizzentrums

Ange­sichts die­ser Geschich­te wird die his­to­ri­sche Bedeu­tung der Räu­me des Jus­tiz­zen­trums beson­ders deut­lich. Die­se Wän­de haben Zeu­gen­be­rich­te von Men­schen gehört, deren Fami­li­en durch rech­ten Ter­ror zer­stört wur­den. Sie haben die Bemü­hun­gen gese­hen, den Staat zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen, und zugleich das Schei­tern staat­li­cher Insti­tu­tio­nen, sich der vol­len Wahr­heit über die­se Ver­bre­chen zu stel­len. Die Pro­zes­se, die hier statt­fan­den, sind Zeug­nis­se eines fort­wäh­ren­den Kamp­fes – nicht nur gegen die Täter, son­dern auch gegen eine Gesell­schaft, die all­zu oft wegschaut.

Das Jus­tiz­zen­trum könn­te, wenn es mit einem Ort des Geden­kens — etwa im A101 — erhal­ten blie­be, all die­se Geschich­ten bewah­ren. Es wäre ein Mahn­mal, das nicht nur an die Opfer erin­ner­te, son­dern auch dar­an, wie insti­tu­tio­nel­les Ver­sa­gen rech­ten Ter­ror ermög­licht und begüns­tigt hat.

Reichsbürger“-Prozesse und die Kon­ti­nui­tät rech­ten Terrors

Nicht nur ver­gan­ge­ne Pro­zes­se sind hier von Bedeu­tung: In den glei­chen Hal­len fin­den heu­te die „Reichsbürger“-Prozesse statt.

Die „Reichs­bür­ger“, eine Bewe­gung, die die Legi­ti­mi­tät der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ablehnt und sich oft durch rech­te, anti­se­mi­ti­sche und ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche Über­zeu­gun­gen aus­zeich­net, ste­hen der­zeit im Zen­trum zahl­rei­cher Gerichts­ver­fah­ren. Die­se Pro­zes­se, die eben­falls im Jus­tiz­zen­trum geführt wer­den, knüp­fen direkt an die Tra­di­ti­on der Aus­ein­an­der­set­zung mit rech­tem Ter­ror an. Wie schon bei den NSU-Mor­den und dem OEZ-Anschlag zeigt sich auch hier, dass rech­te Ideo­lo­gien nicht iso­liert, son­dern in Netz­wer­ken agie­ren – unter­stützt wer­den die Akteur*innen von Gleich­ge­sinn­ten, teils mit weit­rei­chen­den Ver­bin­dun­gen in gesell­schaft­li­che und staat­li­che Strukturen.

Die­se Kon­ti­nui­tät rech­ter Gewalt und ihre bedroh­li­che Prä­senz in der Gegen­wart ver­deut­li­chen, wie not­wen­dig eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschich­te des Jus­tiz­zen­trums ist. Der Abriss die­ses sym­bol­träch­ti­gen Ortes wäre ein Ver­lust, der weit über das rein Archi­tek­to­ni­sche hinausgeht.

Kulturen des Verdrängens und Erinnerns — Rezension

Die­se neue Publi­ka­ti­on reiht sich in die Viel­zahl derer ein, die in den letz­ten Jah­ren zum The­ma der Nicht_Erinnerungen an die ras­sis­ti­sche Gewalt der 1990 er Jah­re erschie­nen sind. Sie fragt danach, wie die ras­sis­ti­sche Gewalt erin­nert wird, und von wem und in wel­cher Form?

«Kul­tu­ren des Ver­drän­gens und Erin­nerns» legt den Fokus auf den August 1992, als in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen ein Heim für Geflüch­te­te bela­gert und ange­grif­fen wird, eine Men­schen­men­ge zuschaut, und die Angrei­fe­rIn­nen anfeu­ert. Es geht also, und selbst das ist heu­te kaum öffent­lich sag­bar, um Gewalt, Schmerz, Leid und Trau­ma­ta, und den indi­vi­du­el­len wie den gesell­schaft­li­chen Umgang damit.

Das Buch ent­hält eine Ein­lei­tung und 14 Arti­kel, Anga­ben zu den Autor*innen des Ban­des, die Infor­ma­tio­nen zu deren Per­spek­ti­ve oder Sprech­po­si­ti­on hät­ten bie­ten kön­nen, feh­len bedau­er­li­cher­wei­se. Die His­to­ri­ke­rin Fran­ka Mau­bach plä­diert vehe­ment dafür, ras­sis­ti­sche Gewalt auch in die spe­zi­fi­sche loka­le und regio­na­le Situa­ti­on ein­zu­bet­ten und sie nicht nur als Aus­druck gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Stim­mun­gen zu ver­ste­hen. Die Tübin­ger Rechts­extre­mis­mus­for­sche­rin Tan­ja Tho­mas und Fabi­an Virch­ow wei­sen gut begrün­det dar­auf hin, dass die Erin­ne­rungs­kul­tur wei­ter­hin von der Mehr­heits­ge­sell­schaft geprägt, wenn nicht domi­niert sei. Dies füh­re unter ande­rem dazu, dass die Stim­men und Per­spek­ti­ven von Betrof­fe­nen, Opfern und Über­le­ben­den beharr­lich über­gan­gen wer­den. Oli­ver Ples­sow, Geschichts­di­dak­ti­ker und die Demo­kra­tie­päd­ago­gin Gud­run Hein­rich, bei­de von der Uni­ver­si­tät Ros­tock  skiz­zie­ren in ihren Tex­ten jeweils die Situa­ti­on in Ros­tock selbst, hin­ter­fra­gen den auch von akti­vis­ti­schen Krei­sen ange­nom­me­nen Wir­kungs­op­ti­mis­mus öffent­li­chen Geden­kens und öffent­li­cher Gedenk­zei­chen, und benen­nen die wich­ti­ge Rol­le, die loka­le und über­re­gio­na­le zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven im Feld der Erin­ne­rungs­po­li­tik, und so war es auch in Ros­tock, haben. Kien Nghi Ha begreift Ros­tock als Sym­bol für insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus von Medi­en, Poli­zei, Stadt­ver­wal­tung und ande­ren, kol­lek­ti­ven Akteur*innen. Von ihnen wird lan­ge Zeit, von vie­len bis heu­te, der Begriff «Pogrom» ver­mie­den. Die anti­zi­ga­nis­ti­sche Dimen­si­on des Pogroms wird im Bei­trag von Ste­fa­nie Oster und Johann Hen­ningsen vom Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum «Lich­ten­ha­gen im Gedächt­nis» deut­lich. Sie haben betrof­fe­ne Rom*nja des Pogroms recher­chiert und so 2022 eini­ge Inter­views füh­ren (las­sen) kön­nen, vier sind hier online.

Im letz­ten Kapi­tel wer­den noch drei ande­re, wich­ti­ge Ereig­nis­se, und die damit zusam­men­hän­gen­de Erin­ne­rung, the­ma­ti­siert: Die Pogro­me in Hoyers­wer­da 1991 und in Mann­heim-Schön­au 1992 und der Brand­an­schlag auf ein Wohn­haus in Solin­gen 1993, bei dem fünf Men­schen ermor­det wer­den. Der Anschlag in Solin­gen fand am 29. Mai statt, drei Tage nach­dem im Bun­des­tag mit gro­ßer Mehr­heit die bis dahin bestehen­de Asyl­rechts­re­ge­lung abge­schafft wurde.

Die Tex­te zei­gen, dass Erin­ne­rung umkämpft ist und immer wie­der um Erin­ne­rung gerun­gen wird. Die Publi­ka­ti­on doku­men­tiert auch, dass durch das jahr­zehn­te­lan­ge, müh­sa­me Enga­ge­ment von vie­len sich etwas ver­än­dert hat, wenn auch zu lang­sam und zu wenig. Wer sich noch nicht so grund­le­gend oder umfang­reich mit der His­to­ri­sie­rung ras­sis­ti­scher Gewalt beschäf­tigt hat, wird in dem Buch viel Lesens- und Beden­kens­wer­tes fin­den. Die Spra­che ist auch nicht zu aka­de­misch. Wer sich bes­ser aus­kennt, wird jedoch auch viel Bekann­tes lesen. Die Publi­ka­ti­on ent­stand aus Akti­vi­tä­ten an der Uni­ver­si­tät Ros­tock im Som­mer 2022, sie ist hier auch open access  verfügbar.

 

Infor­ma­tio­nen zum Buch:

Gud­run Hein­rich / David Jün­ger / Oli­ver Ples­sow / Cor­ne­lia Syl­la (Hrsg.): Kul­tu­ren des Ver­drän­gens und Erin­nerns. Per­spek­ti­ven auf die ras­sis­ti­sche Gewalt in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen 1992; Neo­fe­lis Ver­lag, Ber­lin 2024, 226 Sei­ten, 23 Euro

 

 

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OEZ-Anschlag: An ihre Namen und ihre Leben erinnern

Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon gab einen Soli-Gig im Rah­men des „Mün­chen erinnern!“-Gedenkens auf der klei­nen Büh­ne im Mün­che­ner „Import-Export“

We will shi­ne for the­se nine“ — So lau­tet das Mot­to des Bünd­nis­ses „Mün­chen erin­nern!“ zum dies­jäh­ri­gen Geden­ken an das rechts­ter­ro­ris­ti­sche Atten­tat im Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) vor genau acht Jah­ren, am 22. Juli 2016. Acht Jugend­li­che und eine Erwach­se­ne, ihre Namen ste­hen im Zen­trum des Erin­nerns: Arme­la, Can, Dija­mant, Gui­lia­no, Hüsey­in, Rober­to, Sabi­ne, Sel­çuk und Sev­da, ver­lo­ren ihr Leben bei dem Anschlag im Juli 2016 im OEZ. Erst vie­le Jah­re und etli­che Gut­ach­ten spä­ter war es offi­zi­ell: Es war kein „Amok­lauf“, wie die Medi­en die Tat all die Jah­re fram­ten, son­dern ein rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlag. Seit­dem kämp­fen Ange­hö­ri­ge dar­um gehört zu werden.

Apsilon zollt Respekt

Am Wochen­en­de gedach­ten etli­che Hun­dert Men­schen der Ermor­de­ten bereits bei einem Kon­zert, einem Podi­um und einer Lesung. Vie­le Bei­trä­ge auf den Büh­nen beton­ten, dass Ras­sis­mus ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem sei. Der Ber­li­ner Rap­per Apsi­lon zeig­te sich berührt davon, zum Geden­ken ein­ge­la­den wor­den zu sein, und erzähl­te auf der klei­nen Musik­büh­ne und in sei­nen Song­tex­ten von Ras­sis­mus-Erfah­run­gen seit sei­ner Kindheit.

Dring­li­cher Tenor der Ver­an­stal­tung war es, dass sich eben auch und vor allem Nicht-Betrof­fe­ne von Ras­sis­mus soli­da­risch ver­hal­ten soll­ten. Es sei auch ihre Auf­ga­be, auf die Gefahr ras­sis­ti­scher Ideo­lo­gie und Gewalt hin­zu­wei­sen und die Opfer nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu lassen.

Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24

Am eigent­li­chen Gedenk­tag, dem Mon­tag, 22. Juli, ver­sam­mel­ten sich abends Ange­hö­ri­ge der Opfer, vie­le Unterstützer*innen und Trau­ern­de am Ort des Anschlags vor dem OEZ. Es waren Lie­der zu hören, die die Getö­te­ten ger­ne gehört haben oder sol­che, mit denen Freund*innen und die Fami­li­en an sie erinnerten.
Geden­ken nach 8 Jah­ren am Tat­ort selbst, dem Olym­pia Ein­kaufs­zen­trum (OEZ) in Mün­chen, am 22.7.24/caption]

Schmerz des Vermissens

Ober­bür­ger­meis­ter Die­ter Rei­ter ver­wies dar­auf, dass Mün­chen die Stadt mit den meis­ten rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­gen in Nach­kriegs­deutsch­land sei. Auch er beton­te die Wich­tig­keit, auf die Wün­sche der Ange­hö­ri­gen ein­zu­ge­hen und sprach von Mün­chen als „bun­ter und demo­kra­ti­scher Stadt“.

Nach dem Stadt­ober­haupt spra­chen die Ange­hö­ri­ge der Getö­te­ten: Dabei erzähl­ten sie nicht nur von dem Leben ihrer ver­lo­re­nen Kin­der und Geschwis­ter und der ermor­de­ten Mut­ter und Ehe­frau, son­dern vom Gefühl des Ver­mis­sens. Eine der Ange­hö­ri­gen for­der­te zudem mehr Auf­klä­rung über das Vor­ge­hen der Poli­zei und Behör­den zum Tat­zeit­punkt. Sie äußer­te deut­li­che Kri­tik am Umgang mit dem Anschlag und sei­ner Ein­stu­fung als Amok­lauf durch den baye­ri­schen Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann. Eine wei­te­re Ange­hö­ri­ge äußer­te ihre tie­fe Sor­ge über die zuneh­men­de Macht der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Par­tei AfD.

Zum Zeit­punkt des Atten­tats ver­sam­mel­ten sich Freund*innen und Fami­li­en an dem für die Ver­stor­be­nen errich­te­ten Denk­mal und lie­ßen Luft­bal­lons auf­stei­gen. In einer Schwei­ge­mi­nu­te gedach­ten alle Anwe­sen­den der getö­te­ten Menschen.

Der Täter mag allei­ne geschos­sen haben – den­noch steht der Anschlag in Mün­chen nicht ver­ein­zelt im Raum, son­dern ist nur ein Bei­spiel für ras­sis­ti­sche Mor­de in Deutsch­land. Das Atten­tat in Hanau, der anti­se­mi­ti­sche Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le, die Ermor­dung des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Walt­her Lüb­cke, aber auch der jüngs­te Brand­an­schlag auf eine Fami­lie in Solin­gen, zahl­rei­che bren­nen­de Unter­künf­te für Geflüch­te­te oder der von der Poli­zei getö­te­te Mou­ha­med Lami­ne Dra­mé sind nur eini­ge Bei­spie­le, bei denen Men­schen auf­grund einer ras­sis­tisch-natio­na­lis­ti­schen Ideo­lo­gie der Täter ihr Leben verloren.

Netzwerk der Betroffenen

Die­se schreck­li­chen Taten zu ver­knüp­fen und zusam­men zu sehen, ist für die Ange­hö­ri­gen wich­tig. Die Ver­wand­ten und Freund*innen der Opfer ras­sis­ti­scher Mor­de in ver­schie­de­nen Städ­ten Deutsch­lands sind inzwi­schen gut ver­netzt und besu­chen sich gegen­sei­tig bei Gedenk­ver­an­stal­tun­gen, war wäh­rend der Gedenk­ver­an­stal­tung zu hören. Die Ange­hö­ri­gen aus Mün­chen ver­si­cher­ten, dass ihnen das Gefühl, mit ihrer Trau­er und Wut nicht allei­ne zu sein, Kraft gebe.

Tell their stories

Unter den Anwe­sen­den wur­de das Heft­chen „Tell their Sto­ries“ ver­teilt. In dem berüh­ren­den Book­let ver­öf­fent­li­chen Ange­hö­ri­ge etli­cher der Ermor­de­ten Bil­der, Gedich­te, Erin­ne­run­gen und Geschich­ten aus dem Leben der Opfer. Die Bot­schaft auch hier: Nicht nur die Namen der Getö­te­ten dür­fen nie­mals in Ver­ges­sen­heit gera­ten – auch ihre Geschich­ten müs­sen gehört werden!