Wahlerfolg für CasaPound Italia: Neun Prozent für die „fascisti del terzo millennio“ in römischem Stadtteil
Von Heiko Koch
Im Municipio X, dem römischen Stadtbezirk Ostia, war am 5. November 2017 Wahl. Zwei Jahre lang war der Stadtbezirk auf Grund von Verstrickungen der örtlichen Verwaltung mit der Mafia kommissarisch verwaltet worden. Nun standen erneut Wahlen für den 150 Quadratkilometer großen und ungefähr 230.000 Einwohner_innen zählenden Bezirk am Tyrrhenischen Meer an.
Bei der Wahl erlangte die Partei „Movimento 5 Stelle“ (M5S) 30,21 Prozent, das Bündnis Centrodestra (d: rechte Mitte), bestehend aus den rechten Parteien „Forza Italia“, „Fratelli d’Italia“ und „Noi Con Salvini“, 26,68 Prozent und die sozialdemokratische „Partito Democratico“ (PD) 13,61 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die vierte politische Kraft im Municipio X stellt seit dem vorletzten Wochenende die faschistische Bewegungs-Partei „CasaPound Italia“ mit 9,08 Prozent der abgegebenen Stimmen dar.
Diese Stimmenabgabe ist bisher das beste Wahlergebnis für die seit 2003 existierende faschistische Bewegung, die seit 2013 auch als Partei zu Wahlen antritt. In den letzten beiden Jahren entsandte „CasaPound Italia“ in Bolzano (Bozen) drei, in Lucca zwei und in der Städten Grosseto, Isernia, Lamezia Terme, Cologno Monzese, Sant‘Oreste und Todi jeweils eine/n MandatsträgerIn in die Kommunalparlamente. Dementsprechend groß ist zur Zeit der Jubel bei den FaschistIinnen und sie kündigen an, im nächsten Frühjahr bei den anstehenden Wahlen in das italienische Parlament einziehen zu wollen.
Zunächst aber wird die Ballottaggio, die Stichwahl, zwischen den beiden Kandidierenden Giuliana Di Pillo von der M5S und Monica Picca von Centrodestra in Ostia stattfinden. Luca Marsella, der frisch gewählte Kommunalabgeordnete von CasaPound, hat bisher noch nicht verkündet, ob sich CasaPound als Mehrheitsbeschafferin für das Centrodestra-Bündnis der Neoliberalen, PostfaschistInnen und RassistInnen bereitfindet. Inszeniert sich CasaPound doch allzugerne als die wahre Rechte Italiens und verortet sich weit rechts von Centrodestra.
Wie aber auch in anderen Kommunen könnte sich ein Centrodestra-Destra Bündnis bzw. eine temporäre Zusammenarbeit abzeichnen und somit ein Trend, eine noch weitere Verschiebung der italienischen Gesellschaft nach Rechts, fortsetzen. Denn bei den Kommunalwahlen in über 1000 Gemeinden, Kommunen und Städten, bei denen 9,2 Millionen Italiener_innen Mitte dieses Jahres zur Wahl aufgerufen waren, sind nicht wenige Kommunen und Städte in die Hände von Centrodestra gefallen. So z.B. Verona, L‚Aquila, La Spezia, Monza, etc.. Selbst das auf Grund seiner Partisanengeschichte als „Stalingrado d’Italia“ bezeichnete Sesto San Giovanni vor den Toren Mailands wird seit Mitte des Jahres von der Rechten regiert. Und nach 42 Jahren hat auch zum ersten Mal die lingurische Hafenstadt Genova (Genua) eine rechte Kommunalverwaltung unter dem Bürgermeister Marco Bucci.
Der aufhaltbare Aufstieg der CasaPound
Was eine Centrodestra-Regierung in einer italienischen Kommune bedeutet, erkennt man beispielhaft an zwei Ereignissen von Anfang November 2017. Als am 5. November auf dem Monumetalfriedhof Staglieno in Genova rund 50 Hammerskins von „Lealtà Azione“ den Gefallenen der „Republik von Salò“ (italienische Rumpfrepublik mit wieder eingesetztem Duce Mussolini von Nazi-Deutschlands Gnaden ab 1943) gedachte, beteiligte sich der Abgeordnete Sergio Gambino von „Fratelli d’Italia“ bei der Kranzniederlegung zu Ehren der FaschistInnen von Salò. Er legte dort ein Gebinde stellvertretend für den Bürgermeister Bucci und im Namen der Kommune von Genova ab. Ein unerhörter Vorgang, eine Ehrung der Soldaten Mussolinis, den es so in Genova seit 72 Jahren nicht gegeben hat.
Eine weitere Geschichte dieser Art spielte sich am 4. November in der umbrischen Stadt Todi ab. Erst im Juni war Antonio Ruggiano zum Centrodestra-Bürgermeister der 16.000 Einwohner_innen zählenden Gemeinde gewählt worden. Zu Ruggianos Wahlbündnis zählte auch CasaPound, deren Mitglieder Ruggiano als „bravi ragazzi“ (d: gute Leute) bezeichnete. Am vorletzten Wochenende lud Ruggiano Simone di Stefano, einen der beiden Vizechefs von CasaPound, zur Debatte ein. Thema des Abends war der Gesetzesvorschlag des „Reddito nazionale di natalità“, des „Nationalen Geburteneinkommens“ von CasaPound Italia. Dieser Vorschlag sieht ein Kindergeld von 500 Euro pro „rein italienischem“ Kind bis zum 16. Lebensjahr vor. Die Finanzierbarkeit dafür soll gewährleistet werden, indem u.a. für Migrant_innen keinerlei Gelder mehr bereitgestellt werden sollen. Blanker Staatsrassismus: Ethnische Geburtenpolitik bei gleichzeitiger Exklusion aller „Fremden“ aus den Sozialsystemen.
Angesichts solcher Töne von Centrodestra verwundert es nicht, dass Genovas neuer Bürgermeister Marco Bucci keine Einwände gegen die Eröffnung der Hammerskin-Sektion „La Superba“ (d: die Stolze) vor kurzem in der Via Serra und der Eröffnung eines CasaPound-Sitzes am letzten Wochenende in seiner Stadt erhob. So veranstaltete am vergangenen Samstag CasaPound Italia ungestört einen Konvent mit 400 Personen in Genova. Und auf einer Pressekonferenz in dem Hotel Astor verkündete der Vizepräsident Simone di Stefano, begleitet von den diversen Kommunalpolitikern CasaPounds aus Bolzano (Andrea Bonazza), Ostia (Luca Marsella), Lucca (Fabio Barsanti) und Todi (Andrea Nulli), seine Kandidatur für die italienischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2018. Da die Sperrklausel für den Einzug in das Parlament seit 2015 von 4 % auf 3 % gesenkt wurde, rechnet sich CasaPound gute Chancen aus in den Palazzo Montecitorio, die Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments in Rom, einzuziehen. Am gleichen Abend wurde in Genua der neue CasaPound Sitz in der Via Montevideo eingeweiht — unweit der Piazza Gaetano Alimonda, auf der am 20. Juli 2001 der 22jährige Carlo Giuliani von einem Carabinieri während der G8-Proteste erschossen wurde.
Dem Faschismus eine mediale Gasse
Das die Wahlergebnisse aus Ostia nun in den in- und ausländischen Medien Erwähnung finden liegt vor allem an dem Umstand, dass CasaPound von der Mafiafamilie Spada aus Ostia Wahlkampf-Unterstützung erhalten haben soll. Als der Reporter Daniele Piervincenzi vom Fernsehprogramm Rai 2 nach der Wahl ein Mitglied des Spada Clans zu der Unterstützung CasaPounds befragen wollte, wurde dem Journalisten vor laufender Kamera die Nase gebrochen und er und sein Kameramann mit einem Schlagstock traktiert. Seitdem ereifern sich die JournalistInnen in ihrer Berichterstattung vor allem über die Mafia und den angeblich rechtsfreien Raum in Ostia. Das warum und wieso des Aufstieg der „fascisti del terzo millennio“ (d: Faschisten des 3. Jahrtausends) interessiert sie weniger. Und auch nicht der Umstand, dass es in den letzten Monaten vor allem Vorzeige-Journalist_innen ihrer Zunft waren, die CasaPound hofierten, sich in deren Hauptsitz in der via Napoleone III einladen ließen und dort vor laufenden Kameras CasaPound mit einer Art demokratischer Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstatteten. Diesen medialen Kuscheljournalismus mit den Faschisten legten Enrico Mentana von „TeleGiornale La7“, Corrado Formigli von der Politiksendung „Piazzapulita“ und Nicola Porro vom „Canale 5“ an den Tag. Sie wollten sich von den Anti-DemokratInnen von CasaPound nicht das Etikett des Anti-Demokraten verpassen lassen und Toleranz gegenüber der Intoleranz beweisen.
Der Journalist Gianluigi Paragone sagte rechtzeitig die Debatte in der Via Napoleone III ab und David Parenzo verschob seine Debatte mit Simone di Stefano, die für den 9. November anberaumt war. Wenn vor laufender Kamera Berufskollegen vom Umfeld der FaschistInnen bei kritischen Nachfragen die Nase gebrochen wird, lässt sich ein jovialer Diskurs über den Euro und das „Ius Soli“ (Geburtsrecht) mit den faschistischen Führern schlecht rechtfertigen. Und dennoch wurde Simone di Stefano erneut in die Sendung „Piazzapulita“ eingeladen. Ebenso in die Sendung „½ h in più“ bei Rai 3, die von der „Huffington Post Italia“-Chefin Lucia Annunziata moderiert wird. Hier war sich der gewiefte CasaPound-Kandidat ein weiteres Mal des großen Public-Relations-Effekts sicher und konnte die Klaviatur der „bravi ragazzi“ bespielen. Die medialen Diskursstrategien CasaPounds gehen auf und zeigen ihre schwarzen Blüten. Auch in der Modebranche. So erschien Anfang November auf dem Blog des italienischen Ablegers des Modemagazins „Marieclaire“ ein komplett unreflektierter Beitrag des Vizechefs Davide Burchiellaro über die Frauen CasaPounds, in dem diese sich über Mode, Literatur, Musik und Tattoos auslassen konnten. Völlig ungefiltert und unhinterfragt konnten sich in dem Artikel „Che cosa sai veramente delle donne di CasaPound?“ die fünf Hardcore-Faschistinnen selbst darstellen und den Faschismus als Stil, als „un stile de vita“ (d: Lebensstil) darstellen.
Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen und politischen Normalisierung und Verharmlosung darf man auf das nächste halbe Jahr und die anstehenden Parlamentswahlen im Frühjahr wohl gespannt sein.
Heiko Koch ist Sozialarbeiter (M.A.). Er lebt und arbeitet in NRW, ist Mitbegründer und Autor diverser Antifaschistischer Zeitungen, Verfasser von Internetrecherchen, Teamer und Dozent gegen ›Rechtsextremismus‹.
One thought on “Italien: Neun Prozent für CasaPound in Ostia”
Comments are closed.