Rund 5.000 Mitglieder und Anhänger_innen der faschistischen Partei „CasaPound Italia“ zogen am Sonntag, 7. Januar 2018, in einem Gedenkmarsch von der Piazza San Giovanni zur Via Acca Larentia. Anlass des Gedenkmarsches durch den römischen Stadtteil Tuscolano war der Jahrestag eines Attentats aus den 1970er Jahren, aus den „Anni di Piombo“ — der „bleiernen Zeit“ — wie man auch in Italien die Zeit der politisch sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern der 1970er nennt. Bei dem Attentat handelte es sich um den Mord an zwei bzw. drei rechten Jugendlichen vor dem Sitz der faschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) in der Via Acca Larentia am 7. Januar 1978.
Italien/Rom in den 1970er Jahre
Die Vorgeschichte: Am Abend des 7. Januar 1978 hatten fünf Jugendliche der „Fronte della Gioventù“, der Jugendorganisation der 1946 gegründeten faschistischen Traditionspartei MSI, den Parteisitz in der Via Acca Larentia verlassen, um Flugblätter für ein Konzert der rechten Musikgruppe „Amici del Vento“ zu verteilen, als sie von einer etwa gleich großen Gruppe mit automatischen Waffen unter Beschuss genommen wurden. Dabei kamen der neunzehngjährige Franco Bigonzetti und der achtzehnjährige Francesco Ciavatta ums Leben. Die Angreifer auf den MSI-Sitz in der Acca Larentia wurden später einer Gruppe Namens „Nuclei Armati per il Contropotere Territoriale“ (deutsch: „Bewaffneter Kern der territorialen Gegenmacht“) zugeordnet. Eine der vielen Gruppen der italienischen Linken jener Zeit, die sich entweder im Zuge bewaffneter Revolutionsvorstellungen und/oder als Reaktion auf die zahlreichen Anschläge und Morde der extremen Rechten bewaffneten und Gleiches mit Gleichen vergalten. Über einen solchen Prozess gegenseitiger Angriffe hinaus wurde in den 1970er Jahren das politische Klima in Italien gezielt von Strategen aus den Geheimdiensten und Militärs, in Verbund mit ausführenden Rechtsterroristen, angeheizt. Mit Bombenanschlägen auf Banken, Plätze und Züge wurde in einer „Strategie der Spannung“ Angst und Unruhe in der Bevölkerung geschaffen.
Als Beispiele seien hier die Bombenanschläge auf die Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana vom 12. Dezember 1969 mit siebzehn Toten, auf den Fernzug Rom-Messina am 22. Juli 1970 mit sechs Todesopfern, auf die 1.-Mai-Demonstration 1974 in Brescia mit acht Toten und der Anschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna am 2. August 1980 mit fünfundachtzig Todesopfern genannt. Teile der Behörden und der Presse ordneten diese Terroranschläge auf beliebige Menschenansammlungen der politischen Linken zu und wollten so den Ruf nach einem autoritären Staat und gegen die starke parlamentarische wie außerparlamentarisch Linke in der Bevölkerung hervorrufen. Diese Strategie wurde von Teilen der NATO in einem geheimen, europaweiten „Stay Behind“-Programm gestützt. In Italien trug das Programm bzw. die ausführende Struktur den Namen „Gladio“ und kostete rund 200 willkürlich ausgesuchte Italiener_innen das Leben und verletzte mehr als 600 schwer.
Unter diesen Umständen war politische Gewalt und sogar Schusswaffeneinsatz der Polizei gegen Demonstrant_innen im Italien jener Jahre alltäglich – auch gegen rechte Demonstrant_innen. Als mehrere Stunden nach dem Attentat auf den MSI-Sitz ein Sit-In jugendlicher Faschist_innen aus bis heute ungeklärten Gründen eskalierte und es ihrerseits zu Gewalttätigkeiten gegenüber Journalist_innen und der einschreitenden Polizei kam, setzten die Carabinieri Schlagstöcke, Tränengas und Feuerwaffen gegen die Jugendlichen ein. Dabei schoss ein Hauptmann dieser paramilitärischen Polizeikräfte auf den zwanzigjährigen Stefano Recchioni. Das Mitglied der rechten Musikgruppe „Janus“ starb zwei Tage später an den Folgen der Schussverletzung.
Italien heute
Vierzig Jahre später. Die Zeiten haben sich geändert. Die einstmals größte und einflussreichste kommunistische Partei Westeuropas, die Partito Comunista Italiana (PCI), existiert nicht mehr. Und selbst die 1991 gegründete Nachfolgeorganisation, die „Partito della Rifondazione Comunista” sitzt seit 10 Jahren in keiner der beiden Parlamentskammern — weder im Abgeordnetenhaus, noch im Senat. Auch auf den Straßen, in den Betrieben und an den Universitäten Italiens ist es sehr ruhig geworden. Die einstmals so starke italienische Linke ist ein Schatten ihrer selbst. Das vom Westbündnis in den 1970er Jahren befürchtete Ausscheren Italiens aus der NATO ist ausgeblieben und steht für niemanden mehr zur Diskussion. Für ein „Stay behind”-Programm scheint es vorerst keine Notwendigkeit mehr zu geben.
Die Faschist_innen hingegen gibt es weiterhin – auf den Straßen und in den Parlamenten. Auf den Straßen, Plätzen und in den Fußballstadien, wo sie immer mehr Raum für sich einnehmen. Sie sind der aggressivste und gewalttätigste Part in der rassistischen Mobilisierung gegen Flüchtlingsunterkünfte, Romasiedlungen und das „Ius Soli“ (Geburtsrecht = Kinder, die auf italienischem Boden geboren werden, sind automatisch Italiener_innen), die von Jahr zu Jahr in Italien zunimmt. Pogrome und Gewaltexzesse gegen Flüchtlinge und Roma sind mittlerweile Alltag und normative Realität im Bel Paese (deutsch: schönes Land). Die Zeitung “Il Giornale” veröffentlichte Anfang September 2017 eine kurze Auflistung rassistischer Auseinandersetzungen, Angriffe und Pogrome der letzten Jahre: Tor Sapienza, Roma (2014); Casale San Nicola, Roma (2015); Quinto di Treviso (2015); Acerra, Napoli (2015); Goro, Ferrara (2016); Ex Moi, Torino (2016); San Basilio, Roma (2016); Vitulano, Benevento (2017); Castell‘Umberto, Messina (2017); Bagnoli di Sopra, Padova (2017); Borgonovo Val Tidone, Piacenza (2017); Tiburtino Terzo, Roma (2017).
Und die Faschist_innen morden. Nicht im großen Stil wie in den 1970er Jahren, sondern immer wieder mal – so ermordeten sie z.B. Davide Cesare am 26.03.2003 in Mailand, Renato Biagetti am 27.08.2006 in Roma, Nicola Tommasoli am 30.04.2008 in Verona, Samb Modou und Diop Mor am 13.12.2011 in Florenz, Ciro Esposito am 03.05.2014 in Rom und Emmanuel Namdi am 06.07.2016. Kaum zu zählen sind die zahlreichen leicht und schwer Verletzten von kleinen und großen Angriffen und Brandstiftungen durch die Faschist_innen.
Und sie sitzen in den Parlamenten. Hier haben sie ihren Namen gewechselt und heißen nicht mehr „Movimento Soziale Italiano”, sondern seit 1995 „Alleanza Nazionale” (AN). Seit 1994 bildeten sie zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen Konstellationen und unter diversen Bündnisnamen als drittstärkster Partner mit der rassistischen „Lega Nord“ und der neoliberalen „Forza Italia“ die so genannten Mitte-Rechts-Regierungen, besetzten dabei lokal, regional und national Posten und Positionen – bis hin zu Bürgermeister- und Ministerämtern. So gestalteten sich in dem vergangenen Viertel-Jahrhundert fast zweidrittel der Regierungszeit Italiens. An der Spitze dieses Mitte-Rechts-Bündnisses und des italienischen Staates stand dabei Silvio Berlusconi – einer der reichsten Männer Italiens und in den 1970er Jahren Mitglied der Geheimloge „Propaganda Due“ (P2). Die P2-Loge war eine jener klandestinen Strukturen, die hinter den zahlreichen rechten Bombenanschlägen und Attentaten zur Destabilisierung Italiens in den 1960er- und 1970er Jahre die Fäden zog. In den Jahren der Mitte-Rechts-Regierungen seit 1994 wurden diverse arbeitnehmerfeindliche und repressive Verordnungen, sowie rassistische Gesetze erlassen. Frauenfeindlichkeit und Sexismus, anti-egalitäre Rhetorik und den Faschismus relativierende Tabubrüche kamen von den höchsten Würdenträgern des Staates und standen auf der medialen Tagesordnung. Italien bewegte sich gesellschaftlich — sozial wie politisch — nach rechts.
Auf der Parteienebene hatte die Politik Silvio Berlusconis die Folge, dass ein Teil der „Alleanza Nazionale” über den Umweg des Parteibündnisses „Il Popolo della Libertà” von 2009 bis 2013 in die „Forza Italia” absorbiert wurde. Während ein anderer Teil der „Alleanza Nazionale” 2012 eine neue Partei mit dem Namen „Fratelli d’Italia” gründete und heute unter dem ehemaligen MSI-Mitglied Giorgia Meloni zur Wahl antritt. Generell enttabuisierte die Politik Silvio Berlusconis den (historischen) Faschismus und machte dessen Ideen honorabel. Heute stellt sich für viele Italiener_innen die faschistische Diktatur unter Benito Mussolini als eine Epoche unter vielen und die faschistische Ideologie als gleichwertig zu demokratischen oder linken Ideologemen dar. Unter diesen Bedingungen konnte die extreme Rechte Italiens in den letzten 25 Jahren ungestört agieren und ungehemmt wachsen. Seien es die diversen Skinhead-Gruppierungen, die Rechtsrockszene oder die rechten Ultragruppen auf den Rängen der Fußballstadien. Aber auch Parteien wie die „Forza Nuova” unter Roberto Fiore, die 1997 gegründet wurde. Oder „CasaPound Italia“ unter Gianluca Ianonne, die 2003 entstand und seit 2013 als Partei zu Wahlen antritt.
Acca Larentia – 7. Januar 2018
Und aktuell: Bis heute gehört die „Strage di Acca Larentia” — der „Anschlag von Acca Larentia” — zum Gedenkkanon der Rechten in Italien. Die drei Jugendlichen wurden zu Märtyrern verklärt und jährlich wird von den verschiedenen rechten Fraktionen mit Demonstrationen, Kundgebungen und Konzerten ihrer gedacht. Dabei kommt es obligatorisch jeden Januar zu Kundgebungen und Kranzniederlegungen vor dem ehemaligen Sitz der MSI in der Via Acca Larentia. Der diesjährige Aufmarsch von „CasaPound“ mit rund 5.000 Anhänger_innen gehört unbestritten zu den größten Demonstrationen, den die extreme Rechte in vierzig Jahren zu diesem Anlass organisieren konnte. Bemerkenswert ist, dass „CasaPound Italia“ diesen Aufmarsch allein organisierte. Zwar waren diverse Skinhead-Gruppen aus ganz Italien angereist. Darunter auch die offen neo-nazistische „Comunità militante dei dodici raggi” aus der Provinz Varese, gegen die erst im Dezember die politische Polizei Digos eine Razzia und Beschlagnahmungen anstrengte. (Die „Gemeinschaft der zwölf Strahlen” benennt sich nach den zwölf Strahlen der so genannten „Schwarzen Sonne” aus dem „Obergruppenführersaal der SS” der Wewelsburg). Dennoch riefen zu dem Gedenkmarsch „Acca Larentia 2018” weder die Partei „Forza Nuova”, noch andere extrem rechte Kleinstparteien auf. Und auch die Partei „Fratelli di Italia” beteiligte sich nicht. Der Marsch stand allein in der Verantwortung von „Casapound“, die 80 Prozent der Teilnehmer_innen stellte.
So zogen 5.000 Faschist_innen — „CasaPound“ gibt 6.000 Personen an – schweigend und militärisch geordnet durch den Stadtteil Tuscolano. Dem Marsch wurde ein Kranzgebinde für die „gefallenen Kameraden” und eine mit Keltenkreuz verzierte schwarze Standarte mit dem silbernen Schriftzug „Acca Larentia” vorweg getragen. Gefolgt von einer großen italienischen Tricolore und elf unterschiedlichen Länderfahnen Argentiniens, Portugals, Spaniens, Frankreichs, Schottlands, Irlands, Finnlands, Polens, Rumäniens, Russlands und Syriens, die von Mitgliedern verschiedener ausländischer Delegationen getragen wurden. Dem anschließenden riesigen Transparent mit der Aufschrift „Onore ai camerati caduti„ — „Ehre den gefallenen Kameraden” folgten die Reihen der Marschierenden. Organisationsfahnen, Banner und Transparente fanden sich ebenso wenig wieder, wie auf Parolen, Gesänge und Musik verzichtet wurde. Die Menge zog schweigend zu dem jetzt „Autonomen Sitz” an der Via Acca Larentia. Dieser faschistische Treff befindet sich unweit des 104ten Parteisitzes, den „CasaPound“ in der Via Evandro 12 im letzten November eröffnete. Der „Autonomen Sitz” Acca Larentia selbst befindet sich an einem kleinen, von einer Treppe und mehreren Mietshäusern eingefassten Platz und ist mit einem riesigen Keltenkreuz versehen. An der Wand befindet sich eine Tafel mit den Namen der ermordeten Jugendlichen und dem Zusatz “Assassinati dall‚odio comunista e dai servi dello stato — i camerati” — “Ermordet vom kommunistischen Hass und den Schergen des Staats — die Kameraden”.
Bevor die Versammlung auf dem Platz aufgelöst wurde nahm der Präsident von „CasaPound Italia“, Gianluca Ianonne, in einer militärischen Zeremonie von den Anwesenden die faschistische Ehrenbezeugung für die Toten, den Ruf „Presente” samt römischem Gruß entgegen. Ordner hatte zuvor versucht die Jounalist_innen abzudrängen, um diese an der Dokumentation des Geschehens zu hindern. Ist doch der faschistische Gruß auch in Italien verboten. Erst Mitte des letzten Jahres gab es den Versuch seitens des Abgeordneten Emanuele Fiano und der „Partido Democratico” eine neues, ein drittes Gesetz neben dem „Legge Scelba” aus dem Jahr 1952 und „Legge Mancino” aus dem Jahr 1993 gegen die Apologie des Faschismus und die ausufernde Praxis der faschistischen Propaganda in Italien der letzten Jahren im Parlament zu beschließen. Am Abend des Aufmarsches fand an einem unbekannten Ort noch ein Konzert mit dem Titel „Onore al sangue dei martiri“ — „Ehre dem Blut der Märtyrer“ — zu Ehren der „gefallenen Kameraden“ statt. Neben der bekannten CasaPound Band „ZetaZeroAlfa“ um den Frontmann und „CasaPound“-Präsidenten Gianluca Ianonne und den römischen Bands „Bronson“ und „SPQR“ traten die Band „Fantasmi del Passato“ aus Lecce auf, die seit 2016 revitalisierte NS-Hardcore-Band „Hate for Breakfast“ aus Viterbo und die französische Band „In Memoriam“. Kamerad_innen aus den verschiedenen extrem rechten Fraktionen und Gruppierungen waren auf dem Konzert anwesend. Sie kamen aus den schon genannten Ländern wie auch aus Kanada, der Ukraine, Bulgarien und Griechenland. Die Angereisten feierten ihre „internazionale nera“ — ihre „schwarze Internationale“.
In den rechten Medien wurde der Aufmarsch zu Acca Larentia am 7. Januar breit präsentiert und dokumentiert, in anderen Medien verhalten. Das ganze letzte Jahr waren die Medien voll gewesen von Berichten und Hintergrundartikeln über Propagandadelikte und Aufmärsche der extremen Rechten. So etwa über den Marsch von „CasaPound“ am 25. März in L’Aquila mit 5.000 Faschist_innen unter dem Motto „Italia Sovrana” — „Souveränes Italien”. Über den Aufmarsch von 2.000 Faschist_innen in Mailand am 29. April 2017 zu Ehren von Sergio Ramelli, Carlo Borsani und Enrico Pedenovi. „CasaPound“ demonstrierte zusammen mit den Hammerskinheads von „Lealtà e Azione” zum Mailänder Hauptfriedhof, wo ungefähr 1.000 von ihnen den römischen Gruß entrichteten. Über den „CasaPound“-Aufmarsch vom 24. Juni 2017 unter dem Motto „Marcia per i diritti degli italiani“ — „Marsch für die Rechte der Italiener“ — gegen ein „Ius Soli“, mit rund 5.000 Anhänger_innen. Oder die Demonstration an Mussolinis Geburtsort zu dem 95sten Jahrestag des „Marsches auf Rom” von Mussolinis Schwarzhemden im Oktober 1922. Der Aufmarsch am 28. Oktober letzten Jahres mutierte zu dem bisher größten Gedenken, den der kleine Ort Predappio zu diesem Anlass bisher erlebt hat. Aus dem gleichen Anlass demonstrierten Roberto Fiore und einige tausend Anhänger_innen und Mitglieder seiner Partei „Forza Nuova” ein Woche später am 4. November 2017 durch den 1938 für die Weltausstellung erbauten Stadtteil „Esposizione Universale di Roma” (EUR).
Zudem häuften sich in den letzten Monaten die Berichte über rechte Übergriffe und Bedrohungen aus ganz Italien. So beispielsweise die Bedrohung der antirassistischen Gruppe „Como senza Frontiere” — „Como ohne Grenzen”, die in der italienischen Grenzstadt zur Schweiz gestrandete Geflüchtete unterstützt. Am Abend des 28. November waren ein gutes Dutzend Nazi-Skinheads der „Veneto Fronte Skinhead“ in deren Versammlungsraum eingedrungen und verlasen dort vor den eingeschüchterten Mitgliedern der Initiative eine an sie adressierte Feinderklärung. Diese und andere Aktionen wurden landesweit verglichen mit der Gewalt und dem Terror von Mussolinis Schwarzhemden der 1920iger Jahre, dem so genannten Squadrismus, und führte dazu, dass sich im Nachgang neben der politischen Polizei auch die Anti-Terror-Einheit der rechten Skinheads aus Como, Brescia, Mantova und Vicenza annahm.
Wie „um einen drauf zu legen“ demonstrierte kurz darauf am 6. Dezember eine Gruppe maskierter Mitglieder von Forza Nuova mit Bengalos vor dem römischen Verlagshaus, das „L‘ Espresso“ und „La Repubblica“ herausgibt. Sie forderten den Boykott der beiden Zeitungen, die für viele kritische Hintergrundberichte, Recherchen und Analysen über die extreme Rechte in Italien bekannt sind. Als Reaktion zu all diesen Ereignissen riefen Parteien, Gewerkschaften und Vereinigungen zu einer Demonstration am 9. Dezember in Como auf. Es kamen einige tausend Antifaschist_innen in die Grenzstadt. Selbst die Minister_innen Marianna Madia, Valeria Fedeli, Graziano Delrio, Maurizio Martina, Roberta Pinotti und Andrea Orlando erschienen. Ebenfalls waren die Kammerpräsidentin des Parlaments, Laura Boldrini, die nationale Sekretärin der Gewerkschaft Cgil, Susanna Camusso, und der Parteisekretär der Partito Democratico (Pd), Matteo Renzi, gekommen.
Das Jahr 2017 beendete die Zeitung „L‘ Espresso“ mit einem sehr kritischen Blick auf die politische Situation bezüglich der extremen Rechten in Italien und titelte „Un anno di violenza fascista“ — „Ein Jahr der faschistischen Gewalt“. Es liegt die Vermutung nahe, dass sich die nicht-rechten Medien mit einer Berichterstattung über den Aufmarsch am 7. Januar zurückhielten, um der extremen Rechten nicht über Gebühr medialen Beachtung einzuräumen.
Wahlkampfauftakt
Für „CasaPound“ war der Aufmarsch eine Machtdemonstration und ein gelungener Auftakt zu den anstehenden Parlamentswahlen auf Regional- und Landesebene im kommenden März. Sie erhofft sich den Einzug in das italienische Parlament. Dabei tritt „CasaPound Italia“ erst seit fünf Jahren als Partei an. 2003 entstand „CasaPound“ mit der Besetzung der Via Napoleone III Nr. 8 als Bewegung. Bis 2008 war sie eng verbunden mit der „Movimento Sociale — Fiamma Tricolore“, die 1995 die Umbenennung der „Movimento Sociale Italiano“ in „Alleanza Nazionale“ nicht hatte mitmachen wollen, sondern dem Traditionsfaschismus verhaftet blieb. So trat auch der Präsident von „CasaPound“, Gianluca Ianonne, im Jahr 2008 für das Wahlbündnis „Fiamma Tricolore“ und „La Destra“ als Kandidat an. Ianonne wurde den Führern der „Fiamma Tricolore“ zu mächtig und sie katapultierten ihn aus der Parteiführung heraus. Darauf gründete Ianonne mit den Seinen einen Sozialverband für die Bewegung „CasaPound“. Ende 2012 erhielt „CasaPound“ den Parteienstatus und gab sich in der Namensnennung den Zusatz Italia. Seit 2013 nimmt „CasaPound Italia“ an Wahlen teil.
(Kurze Anmerkung des Autors: Hätte sich damals Ianonne in der „Fiamma Tricolore“ durchgesetzt, würden man heute bei „CasaPound“ bzw. der „Fiamma Tricolore“ von einem Modernisierungsschub des Neo-Faschismus unter Zuhilfenahme der theoretischen Grundannahmen, anvisierten Taktiken und Diskursstrategien der so genannten „Neuen Rechten“ sprechen und nicht auf die irreführende und unhistorische Idee kommen und „CasaPound“ in den Kanon der so genannten „Identitären Bewegungen“ einbauen wollen. „CasaPound Italia“ ist eine faschistische Bewegungspartei.)
Wie gesagt erhofft sich „CasaPound Italia“ den Einzug in das italienische Parlament. Aus ihrer Sicht scheinen die Chancen nicht schlecht zu stehen. Eine Möglichkeit bietet dabei die Senkung der Sperrklausel von 4 Prozent auf 3 Prozent hinsichtlich des Einzugs kleiner Parteien in das italienische Parlament. Diese Wahlreform, „Italicum“ genannt, war auf Initiative des Sozialdemokraten Matteo Renzi im Jahr 2015 beschlossen worden. Am 12. Dezember 2017 veröffentlichte „L‚Espresso“ die Ergebnisse einer eigenen Umfrage bei 1.500 achtzehnjährigen Erstwähler_innen. Laut dieser Befragung würden 4,7 Prozent der Jugendlichen „CasaPound Italia“ wählen. Und am 10. Januar dieses Jahres meldete das Online-Portal „Libero Quotidiano“, dass nach neueren Umfragen „CasaPound“ knapp über 2 Prozent liegen würde. Dies schürt Hoffnungen bei den Faschist_innen. Aber auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen seit 2015 lassen „CasaPound“ hoffen.
Der im letzten Jahr aus der Partei geworfene Mimmo Gianturco war schon 2015 für „CasaPound“ über das Bündnis „Sovranità“ in den Stadtrat von Lamezia Terme gewählt worden. Im Mai 2016 zogen Andrea Bonazza, Maurizio Puglisi Ghizzi und Sandro Trigolo mit 6,7 % der Stimmen für „CasaPound“ in den Stadtrat von Bolzano. Einen Monat später erreichten die „CasaPound“-Kandidat_innen Gino Tornusciolo in Grosseto, Francesca Bruno in Isernia und Andrea Miscia in Sant‘Oreste/Provincia Roma je ein Mandat in den dortigen Kommunalparlamenten. Bei den Kommunalwahlen in Lucca im Juni letzten Jahres erzielte CasaPound 8 % und schickte Fabio Barsanti und Lorenzo del Barga in den Stadtrat. In Todi brachte es die Partei auf 4,8 % und entsandte Andrea Nulli als „Consigliere“ in das kommunale Gremium und im römischen Stadtteil Ostia wählten im letzten November 9% der Wahlberechtigten „CasaPound“ und schickten Luca Marsella als Abgeordneter in das Kommunalparlament.
Zudem „rutschte“ Anfang August 2017 in der Kommune Trepuzzi (Le) das „CasaPound“-Mitglied Francesco Pezzuto von der Liste „On-Accendi Trepuzzi“ auf einen Stadtratsposten nach. Mitte September 2017 wechselte der Vize-Bürgermeister der kleinen Gemeinde Montelibretti, Giuseppe Gioia, und Anfang November der Bürgermeister von Trenzano, Andrea Bianchi, zu „CasaPound Italia“. Und Mitte November verließ das gewählte Ratsmitglied Alessandro Signorato aus Villanova di San Bonifacio (Verona) die „Lega Nord“ und wechselte ebenfalls zu „CasaPound Italia“. So verfügt „CasaPound“ über mehr als ein gutes Dutzend Kommunalsitze und über jede Menge „guter, alter Freunde“ in den vielen lokalen und regionalen Parlamenten, die Mitte des letzten Jahres in die Hände der „Mitte-Rechts-Bündnisse“ gefallen sind. So etwa in Genova, wo nach 42 Jahren nun eine rechte Kommunalverwaltung unter dem Bürgermeister Marco Bucci im Rathaus das Sagen hat. In der ligurische Hafenstadt explodiert derzeit die faschistische Gewalt – ohne das sich der Bürgermeister dazu kritisch äußert. Oder die Autonome Region Sizilien, die seit Anfang November 2017 von einem Bündnis aus „Forza Italia“, „Lega Nord“ und „Fratelli d’Italia“ unter Sebastiano Nello Musumeci regiert wird.
Wahlen 2018
In diesen Tagen sammelt „CasaPound Italia“ Unterschriften für die Wahlzulassung für die Wahlen am 4. März. Allein in den ersten zwei Tagen schaffte sie es 30.000 Unterschriften beizubringen. Was nicht weiter verwunderlich ist, hat „CasaPound“ seine Infrastruktur in den letzten Jahren doch kontinuierlich ausgebaut. So eröffnete „CasaPound Italia“ seit 2013 fast jeden Monat einen neuen Parteisitz. Allein im letzten Jahr waren es 17 lokale Sitze, die die Partei eröffnete. In Siena, Gaeta, Grosseto, Reggio Calabria, Pesaro, Pescia, Riva del Garda, Versilia, Pietrasanta, Cagliari, Carbonia, Val Vibrata, Genova, Fermo, Roma/Sud, La Spezia und Frosinone. Dabei liegen außer Roma/Sud, Genova, Verona, Reggio Calabria und Cagliari alle Städte unter der 100.000 Einwohner_innenzahl. Grosseto, Pesaro und La Spezia bringen es annähernd auf die 100.000er-Marke. Alle anderen Städte aber liegen zwischen 12.000 und 54.000 Einwohner_innen. „CasaPound“ ist alles andere als ein „Großstadtphänomen“. Die Partei breitet sich italienweit und gezielt in strukturschwachen und ländlichen Regionen aus.
Nicht anders verläuft die Entwicklung beim „Blocco Studentesco“, der Schüler- und Studierendenorganisation von „CasaPound“. Schon im Dezember 2015 konnte der „Blocco“ bei den Wahlen zur Schülervertretung landesweit 27.000 Stimmen an den Schulen auf sich vereinen. Allein in Rom und der angrenzenden Provinz 11.000 Stimmen. Im November 2017 verdoppelte die faschistische Schüler_innenorganisation ihre Stimmen und der „Blocco Studentesco“ erzielte landesweit 56.000 Stimmen und konnte diverse Positionen in den Schüler_innengremien von Ascoli, Fermo und Viterbo übernehmen. In der Stadt Ascoli Piceno (Region Marken) mit rund 49.000 Einwohner_iInnen konnte der „Blocco Studentesco“ bei den Wahlen 58,3 Prozent der abgegebenen Stimmen erringen. Und in dem römischen Stadtteil Ostia erzielte er 85 Prozent der Stimmen an dem „Istituto Faraday“. Schon im September 2017 hatte die Liste 45 % der abgegebenen Stimmen an dem „Liceo scientifico Vincenzo Pallotti“ in Ostia bekommen. Insgesamt konnte der „Blocco Studentesco“ an Ostias Schulen ungefähr 2.000 Stimmen auf sich vereinen.
Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass Mitte des vergangenen Jahres „CasaPound“ angab, dass sich seine Mitgliederanzahl verdreifacht habe. Ein Umstand, der wohl auch dazu führte, das „CasaPound“ im Oktober mit der Herausgabe einer Monatszeitung startete. Seit zwei Jahren fungierte das Online-Portal „Il Primato Nazionale“ als digitale Tageszeitung der „CasaPound“. Seit Oktober 2017 gibt es die Zeitung auch in einer Auflage von 20.000 als Papierausgabe an den Kiosken zu kaufen. Derart gewappnet geht „CasaPound Italia“ in den Wahlkampf. Trotzdem wagen zur Zeit nicht einmal altgediente Expert_innen und Kenner_innen der extremen Rechten Italiens eine Prognose abzugeben, ob „CasaPound“ im kommenden März in das italienische Parlament einzieht oder nicht.
Quellen:
Bücher
Senior Service, Das Leben meines Vaters Giangiacomo Feltrinelli; Carlo Feltrinelli, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2003
Die goldene Horde; Nanni Balestrini und Primo Moroni, Assoziation A, 1994
Bomben und Geheimnisse. Geschichte des Massakers von der Piazza Fontana; Luciano Lanza und Egon Günther, Edition Nautilus GmbH, 1999
Gladio, Die geheime Terrororganisation der Nato; Hrsg.: Jens Mecklenburg, Elefantenpress, 1997
Der zufällige Tod eines Anarchisten; Dario Fo, Rotbuch Verlag, 1997
Genua. Italien Geschichte Perspektiven; Dario Azzellini, Assoziation A, 2002
Es muss nicht immer Gladio sein; Zoom, 1996
»Viva Mussolini«: Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis; Aram Mattioli, Verlag Schöningh, 2010
Internet-Artikel
Strategie der Spannung (Italien): https://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung_(Italien)
Der Taschen-Mussolini — Die Rückkehr des Duce in Italiens Gesellschaft (3Sat, 01.03.2010): http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/142364/index.html
Tutte le rivolte dei migranti e gli scontri con gli italiani (Il Giornale, 01.09.2017): http://www.ilgiornale.it/news/cronache/tutte-rivolte-dei-migranti-e-scontri-italiani-1436203.html
Svastiche e materiale propagandistico nazista, sequestrata la sede di Do.Ra.
Varese, sigilli alla sede dei neonazisti di Do.ra: sequestrate asce, pugnali e svastiche: http://milano.repubblica.it/cronaca/2017/12/12/news/naziskin_varese_polizia_perquisizioni-183856761/#gallery-slider=183889195
Italien: Renzi drückt neues Wahlrecht gegen Parteidissidenten durch (Die Presse, 05.05.2015): https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4724466/Italien_Renzi-drueckt-neues-Wahlrecht-durch
56 mila voti al Blocco Studentesco, così Casa Pound avanza nelle scuole (Corriere della Sera, 04.12.2017): http://www.corriere.it/scuola/secondaria/17_dicembre_04/56-mila-voti-blocco-studentesco-cosi-casa-pound-avanza-scuole-d583967a-d914-11e7-a3a8-44c429ca235a.shtml
Sondaggi, Giorgia Meloni al 5% e CasaPound vicina al 3%: possono entrare in Parlamento: http://www.liberoquotidiano.it/news/politica/13297586/sondaggio-giorgia-meloni-casapound-pd-forza-italia.html
Per chi voteranno i neomaggiorenni nel 2018? Inchiesta esclusiva sulla generazione zero („L‘ Espresso“, 12.12.2017): http://espresso.repubblica.it/attualita/2017/12/11/news/per-chi-voteranno-i-neomaggiorenni-nel-2018-inchiesta-esclusiva-sulla-generazione-zero‑1.315770?ref=HEF_RULLO
Präsident Mattarella löst Parlament auf (Die Zeit, 28.12.2017): http://www.zeit.de/politik/ausland/2017–12/italien-neuwahl-sergio-mattarella
Un anno di violenza fascista („L‘ Espresso“, 29.12.2017): http://espresso.repubblica.it/attualita/2017/12/01/news/un-anno-di-violenza-fascista‑1.315334
Aggressione agli antifascisti, un attivista: “Erano giovanissimi. Urlavano ‘daje’ e avevano cinghie e bottiglie” (Genova 24, 15.01.2018): http://www.genova24.it/2018/01/aggressione-agli-antifascisti-un-attivista-racconta-tutti-giovanissimi-urlavano-daje-ci-corsi-dietro-cinghie-bottiglie-192077
Mozione su spazi pubblici ai neofascisti, bagarre in aula: la maggioranza fa mancare il numero legale (Genova 24, 16.01.2018): http://www.genova24.it/2018/01/mozione-spazi-pubblici-ai-neofascisti-bagarre-aula-la-maggioranza-mancare-numero-legale-192135
Videos
Corteo in ricordo della strage di Acca Larentia — 7 gennaio 2018: https://www.youtube.com/watch?v=j3Nzk1EnN0w
Acca Larentia, a Roma il corteo Casapound: https://www.youtube.com/watch?v=Onq6fdQzWho
2 Gedanken zu “„CasaPound Italia“ on the rise: „Faschisten des Dritten Jahrtausends“ marschieren mit 5.000 Leuten durch Rom”
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