Die Offenbarung des Johannes M. – weiterer Reichsbürgerprozess vor dem Landgericht München

Das Straf­jus­tiz­zen­trum in Mün­chen ist der­zeit Schau­platz von vier Reichsbürger*innen-Prozessen: Das Land­ge­richt ver­han­delt den Fall von Johan­nes Müller

Dem Reichs­bür­ger Johan­nes M. wer­den unter ande­rem die Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Belei­di­gung und Bedro­hung vorgeworfen.

Pädokriminelle Machenschaften“

Kon­kret heißt das, dass er Behör­den, dar­un­ter Jugend­äm­ter, Poli­zei, Gerich­te, und Ärzt*innen aufs übels­te beschimpf­te und sie durch Anru­fe selbst ter­ro­ri­sier­te oder von sei­nen Anhänger*innen — die er auf Tele­gram gewin­nen konn­te — ter­ro­ri­sie­ren ließ. Er bedroh­te sie mit dem Tod und stell­te ganz in Reichs­bür­ger-Manier ihre Legi­ti­ma­ti­on in Fra­ge. Dabei ver­kün­det er, die Bedroh­ten wür­den bald von US-ame­ri­ka­ni­schen Mili­tärs auf Grund­la­ge eines Dekrets von Donald Trump abge­ur­teilt und hingerichtet.

Sei­ne Ideo­lo­gie fußt dabei auf kru­den Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien, die stark anti­se­mi­tisch durch­setzt sind. Er spricht von „Zio­nis­ten“, die die Welt beherrsch­ten, leug­net die Exis­tenz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und wit­tert in jeder Behör­de „pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten“. Zudem ist er Anhän­ger der QAnon-Ver­schwö­rungs­idee, die besagt, dass „Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­sche Tun­nel­sys­te­me ent­führ­ten und miss­brauch­ten, um ihr Blut für Ver­jün­gungs­se­ra zu nutzen.

Maskenzwang und Sorgerecht

Das könn­te auch der Grund sein, wes­halb er sich für zwei sei­ner Anhän­ge­rin­nen ein­ge­setzt hat. Als Jugend­äm­ter bei den bei­den Müt­tern bei Frank­furt und in Wei­den Kon­trol­len durch­führ­ten, weil sie ihre Kin­der wäh­rend der Pan­de­mie wegen des Mas­ken­zwangs nicht in die Schu­le schick­ten. Sie fürch­te­ten um ihr Sor­ge­recht. Dar­auf­hin kon­tak­tier­ten sie Johan­nes M. Die­ser erteil­te den bei­den Müt­tern tele­fo­nisch kla­re Anwei­sun­gen, was zu tun sei, und begann mit sei­nen „Ter­ror-Tele­fo­na­ten“ bei zustän­di­gen Ämtern und der Polizei.

Er scheint außer­dem ein ziem­lich fana­ti­scher Christ zu sein. Jeden­falls hält er auch im Gerichts­saal aus­ge­druck­te Jesus- und ande­re Hei­li­gen­bil­der in den Hän­den, betet mit ihnen und küsst sie sogar auf thea­tra­li­sche Wei­se wäh­rend der Beweis­auf­nah­me. Dabei kehrt er dem Gericht fast durch­ge­hend den Rücken zu und hält statt­des­sen zwin­kernd Augen­kon­takt mit sei­nen mehr als zwan­zig Anhänger*innen, die regel­mä­ßig im Zuschauer*innenraum sitzen.

Mit dem Rücken zum Gericht

Die­se, sowie alle wei­te­ren Zuschauer*innen und Journalist*innen müs­sen zunächst eine dop­pel­te Durch­su­chung über sich erge­hen las­sen, bevor sie in den in bru­ta­lis­ti­schem Stil gebau­ten Sit­zungs­saal ein­ge­las­sen wer­den, der wie aus der Zeit gefal­len wirkt.

Auf Beobachter*innen wirkt Johan­nes M. selbst­si­cher. Er scherzt mit dem Publi­kum, unter ihnen auf­fäl­lig vie­le Frau­en. Sie spre­chen ihm Mut zu, „bald habe er es geschafft“. Auch sie beten für ihn und rufen ihm Segens­wün­sche zu. Wäh­rend der Ver­hand­lung sucht er immer wie­der den Blick­kon­takt und die Bestä­ti­gung sei­ner „Fans“. Er steht die gesam­te Zeit mit dem Rücken zu den Richter*innen, setzt sich nie hin, bewegt sich fah­rig und grinst in sich hinein.

Zu sei­nen bei­den Pflicht­ver­tei­di­gern sucht er eben­falls kei­nen Kon­takt. Er bezeich­ne­te sie sogar als „ver­mut­lich pädo­kri­mi­nell“, lehnt ihre Unter­stüt­zung kate­go­risch als „ille­gal“ ab. Statt­des­sen fällt der Ange­klag­te stän­dig sämt­li­chen Pro­zess­be­tei­lig­ten ins Wort und brüllt die immer glei­chen Phra­sen. Weil er dabei immer wie­der den Senat, die Staats­an­wäl­tin­nen und anwe­sen­de Poli­zei hef­tig belei­digt, hagelt es regel­mä­ßig Ord­nungs­gel­der bzw. Haft­ta­ge. Das Gericht inklu­si­ve des erfah­re­nen Vor­sit­zen­den Rich­ters wirkt dabei bis­wei­len etwas hilf­los. Der Vor­sit­zen­de ver­sucht die Ver­neh­mun­gen trotz mas­si­ver Stö­run­gen so gut es geht sicher zu stel­len. Viel­leicht setzt M. beim Ord­nungs­geld auf die Unter­stüt­zung sei­ner Fans – sei­ne popu­lä­re Tele­gram-Grup­pe hat­te zwi­schen­zeit­lich über 50.000 Follower*innen und spen­de­te reich­lich. So aber­wit­zig und absurd sei­ne The­sen auch sein mögen, die Zahl sei­ner Anhänger*innen zeigt, dass er und sei­ne Ideo­lo­gie durch­aus Reso­nanz fin­den. Sei­ne „Jünger*innen“ jeden­falls wir­ken wie eine ein­ge­spiel­te, viel­leicht sogar befreun­de­te Grup­pe. Indem sie sich voll und ganz auf sein abstru­ses Den­ken und sei­ne „Fan­ge­mein­de“, wie sie auch der Vor­sit­zen­de nennt, ein­ge­las­sen haben, könn­ten sie sich mög­li­cher­wei­se  sozi­al iso­liert haben und immer wei­ter in den Bann des Gurus gera­ten sein, so jeden­falls wir­ken sie, ihre Welt­sicht ist auf M. fokus­siert und her­me­tisch gegen Ein­wän­de — zum Bei­spiel, dass sei­ne Pro­phe­zei­un­gen noch nie ein­ge­tre­ten sind — abge­schirmt. „Ja, ich glau­be das schon alles, was der Johan­nes sagt“, äußert dann auch eine von ihnen auf kri­ti­sche Nachfragen.

Pandemie als Kipppunkt

Wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie rutsch­ten so gan­ze Bevöl­ke­rungs­grup­pen in Ver­schwö­rungs­glau­ben und damit auch oft in rech­te Ideo­lo­gien ab. Johan­nes M.s Dro­hun­gen gegen­über einer Kinderärzt*innenpraxis, die Coro­na-Imp­fun­gen anbot, sind da nur die Spit­ze des Eisbergs.

Mit den Anhänger*innen von Johan­nes M. kommt man schnell ins Gespräch: In einer Sit­zungs­pau­se – die Kam­mer beschließt gera­de ein wei­te­res Ord­nungs­geld gegen den que­ru­lan­ti­schen Ange­klag­ten– erzählt eine von ihnen, wie sie auf den Kanal des Ange­klag­ten stieß: Zunächst sei sie dar­auf auf­merk­sam gewor­den, wie Bill Gates sei­ne Mitarbeiter*innen behand­le und hät­te dann sei­ne Ver­wick­lung in die WHO und Vor­ha­ben, Impf­stof­fe zu ver­tei­len, kri­ti­siert. Als Trump der WHO Tei­le der Unter­stüt­zung ent­zog, begann sie Ver­trau­en in des­sen Poli­tik zu fas­sen und sah sich Vide­os sei­ner Reden an. Der ihrer Mei­nung nach abschlie­ßen­de Schritt war es dann, eben­falls Vide­os von Reichsbürger*innen zu kon­su­mie­ren, deren Inhal­te sie dann „schlüs­sig“ fand.

Kein klinischer Wahn

Eine foren­sisch-psych­ia­tri­sche Sach­ver­stän­di­ge sag­te vor Gericht aus, dass Johan­nes M. even­tu­ell von Wahn­vor­stel­lun­gen betrof­fen sei, sie ihn aber zur abschlie­ßen­den Beur­tei­lung des­sen nicht aus­rei­chend ken­nen­ge­lernt habe. In zwei Ein­zel­ge­sprä­chen, sprach der offen­bar mehr­mals davon, von Gott aus­er­wählt zu sein, tat­säch­lich die bibli­sche „Offen­ba­rung des Johan­nes“ zu erfül­len. Die­se Behaup­tung stell­te Johan­nes M. vor Gericht hef­tig in Abre­de: Er belei­dig­te die Sach­ver­stän­di­ge und alle wei­te­ren Betei­lig­ten, sodass der Sit­zungs­tag deut­lich in die Län­ge gezo­gen wur­de und sei­ne Ord­nungs­gel­der wei­ter in die Höhe schos­sen. Vor allem ein wei­te­rer Sach­ver­stän­di­ger, sowie der vom Gericht bestell­te psych­ia­tri­scher Gut­ach­ter beton­ten aber, dass die Gren­ze zwi­schen Ideo­lo­gie und Wahn meist flie­ßend  ver­lau­fe. Weil er sei­ne The­sen immer mit rea­len Bezugs­punk­ten ver­knüp­fe, gäbe es kei­ne Anhalts­punk­te für einen aus­ge­spro­che­nen kli­ni­schen Wahn. Die­se Ein­schät­zun­gen machen eine Ein­stu­fung des Ange­klag­ten als schuld­un­fä­hig durch das Gericht sehr unrealistisch.

In den zurück­lie­gen­den Pro­zess­ta­gen vor der Som­mer­pau­se wer­den M.s Fans immer unru­hi­ger und auf­müp­fi­ger, wer­den vom Vor­sit­zen­den ermahnt und mit Räu­mung bedroht. Der Pro­zess dau­ert an. Ein Urteil wird zu Ende Sep­tem­ber erwartet.