Reichsbürger vor LG München: „Grüß Gott an die Kinder Satans“

Stets sei­ner Fan-Gemein­de zuge­wandt: Reichs­bür­ger Johan­nes M. vor dem Land­ge­richt München

Von Tab­itha Potthoff

Der Pro­zess gegen den Reichs­bür­ger Johan­nes M., der unter ande­rem wegen der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, Volks­ver­het­zung, Nach­stel­lung sowie Anstif­tung zu Straf­ta­ten ange­klagt war, ende­te vor dem Staats­schutz­se­nat des Land­ge­richts Mün­chen mit einer Ver­ur­tei­lung zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Freiheitsentzug.

Bereits beim Betre­ten des Saals wird M. von sei­nen etwa 20 Anhänger*innen emp­fan­gen, die ihn mit freu­di­gen Ges­ten und war­men Wor­ten begrü­ßen. Der Ange­klag­te, der in sei­ner Erschei­nung an einen cha­ris­ma­ti­schen Pre­di­ger erin­nert, wen­det sich durch­weg sei­ner Fan­ge­mein­de zu. Mit einer Dar­stel­lung von Jesus in den Hän­den ver­teilt er Küs­se und Grü­ße in die Men­ge – das Gericht igno­riert er dabei demons­tra­tiv und wen­det ihm den Rücken zu. Im Plä­doy­er der Ver­tre­te­rin der Gene­ral­staats­an­walt­schaft Mün­chen, Staats­an­wäl­tin Ste­fa­nie Ruf, wird die vol­le Trag­wei­te von M. Taten und deren Kon­se­quen­zen unmiss­ver­ständ­lich dargestellt.

Die BRD-Firmen

Johan­nes M. hat sich in den letz­ten Jah­ren als Kopf einer über Tele­gram orga­ni­sier­ten Grup­pe eta­bliert. Auf dem unter­des­sen gesperr­ten Account ver­brei­te­te er Ver­schwö­rungs­fan­ta­sien, die zu einer Melan­ge aus anti­se­mi­ti­schen Ideo­lo­gien, staats­feind­li­chen Posi­tio­nen wie der aus den USA stam­men­den QAnon-Erzäh­lung und Pan­de­mie­leug­nun­gen mit Christ­li­chen Ver­satz­stü­cken ver­rührt wer­den. Zen­tral ist M.s Über­zeu­gung, dass ein „zio­nis­ti­scher Plan“ auf die Ver­nich­tung des „deut­schen Vol­kes“ abzie­le und Deutsch­land seit über einem Jahr­hun­dert im Krieg lebe. Er bestrei­tet kon­se­quent die Exis­tenz der BRD und sieht damit Behör­den und staat­li­che Insti­tu­tio­nen als ille­gal an und beschul­digt sie, in pädo­kri­mi­nel­le Machen­schaf­ten ver­wi­ckelt zu sein. Auch er selbst sieht sich als Opfer und wirft dem Gericht Nöti­gung und Ver­schlep­pung durch Scher­gen der in Dela­ware (USA) regis­trier­ten aus 47.000 Pri­vat­fir­men bestehen­den BRD vor.

Institutionen als Hassobjekte

M.s Atta­cken rich­te­ten sich gegen eine Viel­zahl von Insti­tu­tio­nen. Beson­ders betrof­fen waren Arzt­pra­xen und Schu­len, die nach sei­ner Ansicht über Imp­fun­gen und Coro­na-Schutz­maß­nah­men das Wohl der Kin­der gefähr­de­ten. Aber auch Jugend­äm­ter, Polizeibeamt*innen und Mitarbeiter*innen des Gerichts, die er als kri­mi­nell und pädo­phil beschimpft, wer­den nicht ver­schont. Der Ablauf der von M. los­ge­tre­te­nen Aktio­nen war stets ähn­lich: Zunächst rief er per­sön­lich in den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen an, hielt einen wir­ren Mono­log über die angeb­lich dort statt­fin­den­den kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten und stieß teils direk­te Gewalt­an­dro­hun­gen und Tötungs­vor­her­sa­gen aus. Er geht davon aus, dass in naher Zeit „das Mili­tär“ unter Füh­rung des Com­man­ders in Chief, Donald J. Trump, über sei­ne Wider­sa­cher „rich­ten“ und die­se exe­ku­tie­ren wer­de — das teil­te er den zum Teil tief geschock­ten Betrof­fe­nen am Tele­fon auch so mit.

Doch bei einem ein­zi­gen Anruf bleibt es nicht. Mül­ler for­der­te anschlie­ßend stets sei­ne Anhänger*innen auf Tele­gram auf, eben­falls bei den betref­fen­den Insti­tu­tio­nen anzu­ru­fen, um dort täti­ge Per­so­nen sys­te­ma­tisch zu ter­ro­ri­sie­ren. Kon­takt­da­ten und Fotos der Opfer ver­brei­te­te er viel­fach in der Chat­grup­pe und die Auf­ru­fe zur Gewalt häuf­ten sich – wobei sich Mül­ler selbst wider­sprüch­lich stets als Pazi­fist bezeich­net hatte.

Die Herren in Schwarz“

Die lang­an­hal­ten­de Ein­schüch­te­rung durch Mül­lers Grup­pe hin­ter­ließ bei den Betrof­fe­nen tie­fe Spu­ren. Die Staats­an­wäl­tin berich­tet von trau­ma­ti­sier­ten Mit­ar­bei­ten­den in Jugend­äm­tern, die Poli­zei­schutz benö­ti­gen und kurz­zei­tig schlie­ßen muß­ten. Beschäf­tig­te trau­ten sich nicht mehr allei­ne nach Hau­se, Polizist*innen über­leg­ten, ob sie ihre Dienst­waf­fen mit­neh­men soll­ten, Ärzt*innen sahen sich gezwun­gen, ihre Pra­xen zu schlie­ßen und sich krank­schrei­ben zu las­sen. Die Angst und der psy­chi­sche Druck sind all­ge­gen­wär­tig – vie­le Opfer lei­den bis heu­te unter Schlaf­lo­sig­keit und schwe­ren Belas­tungs­re­ak­tio­nen. Nicht alle schaff­ten es, vor Gericht auszusagen.

Nach dem Plä­doy­er der Staats­an­walt­schaft, lässt der Ange­klag­te kei­ne Gele­gen­heit aus, das Gericht zu ver­un­glimp­fen. Die Staats­an­wäl­tin wird von ihm in her­ab­wür­di­gen­der Wei­se als „blon­de Tus­se“ bezeich­net, wäh­rend er das gesam­te Gericht als „pädo­kri­mi­nell“ und „ille­gi­tim“ beschimpft.

In der anschlie­ßen­den kur­zen Pau­se sam­meln sich M.s Anhän­ger, um unter­ein­an­der kol­lek­tiv ihr Unver­ständ­nis gegen­über dem Gericht kund­zu­tun. Die tie­fe Ableh­nung gegen­über der Insti­tu­ti­on Gericht und die Glo­ri­fi­zie­rung des Ange­klag­ten wer­den in die­ser Grup­pe deut­lich. Als der Pro­zess fort­ge­setzt wird, wen­det sich das Gesche­hen der Ver­tei­di­gung M.s zu.

Doch bevor sein Ver­tei­di­ger über­haupt zu spre­chen beginnt, wird die­ser von M. selbst unter­bro­chen. In einem bizar­ren Akt der Selbst­in­sze­nie­rung beschul­digt M. sei­nen Anwalt, Teil kri­mi­nel­ler Machen­schaf­ten zu sein, und erklärt offen, dass er sich von den bei­den Ver­tei­di­gern unter kei­nen Umstän­den ver­tre­ten las­sen wol­le. Er bezeich­net die Mit­glie­der des Gerichts ledig­lich als „Her­ren in Schwarz“ und ver­wei­gert jeg­li­che Aner­ken­nung der juris­ti­schen Auto­ri­tät. Statt­des­sen inter­agiert er mit Ges­ten mit sei­nen Anhänger*innen oder ver­sinkt in Gebeten.

Anwalt schweigt zur Verteidigung

Trotz Mül­lers auf­ge­brach­ter Inter­ven­ti­on ver­sucht sein Anwalt, die Ver­tei­di­gung in mil­dern­der Absicht  fort­zu­set­zen, beschränkt sich jedoch auf eini­ge Wor­te, die sich vor allem auf die juris­ti­sche Fra­ge der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung kon­zen­trie­ren, deren Bil­dung der Jurist nicht zu erken­nen ver­moch­te. Jede wei­te­re inhalt­li­che Ver­tei­di­gung unter­bleibt unter die­sen Umstän­den jedoch.

Erlösungsfantasien

Im wei­te­ren Ver­lauf for­dert der Vor­sit­zen­de Rich­ter M. zu sei­nem letz­ten Wort vor der Urteils­ver­kün­dung auf. Er nutzt die­se Gele­gen­heit, um ein wei­te­res Mal sei­ne umfas­sen­de Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gie in epi­scher Brei­te dar­zu­le­gen. Er spricht davon, dass nur ein Drit­tel der Mensch­heit, die­je­ni­gen, die „auf dem rich­ti­gen Weg“ sei­en, geret­tet wer­den könn­ten, wäh­rend die übri­gen zwei Drit­tel, dar­un­ter auch der Senat, dem Gericht Got­tes anheim­fal­len wür­den. Er wen­det sich pro­vo­ka­tiv an die Pro­zess­be­tei­lig­ten: „Grüß Gott an die Kin­der Satans“.

M.s Rede mün­det schließ­lich in einem Schwall bizar­rer Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen, die ver­schie­de­ne his­to­ri­sche und aktu­el­le The­men und Per­sön­lich­kei­ten mit­ein­an­der ver­we­ben. Der „Tag des Herrn“, so pro­phe­zeit er, stün­de unmit­tel­bar bevor, eine Art End­zeit­mo­ment, der das Schick­sal der Mensch­heit besie­geln wer­de. Dabei ver­knüpft er aktu­el­le poli­ti­sche Akteu­re wie Donald Trump mit fan­tas­ti­schen Nar­ra­ti­ven über elek­tro­ma­gne­ti­sche Strah­len und gehei­me Knöp­fe. Auch Anna­le­na Baer­bock taucht in sei­nen Theo­rien auf– angeb­lich mas­kiert mit einer Sili­kon­haut. Wäh­rend die­ser ver­stö­ren­den Aus­füh­run­gen hält M. durch­ge­hend eine Bibel in der Hand, aus der er stel­len­wei­se Pas­sa­gen zitiert, um sei­ne wir­ren Theo­rien mit reli­giö­ser Beglau­bi­gung zu unter­mau­ern. M.s Rede endet, wie sie begon­nen hat: mit einem Mix aus reli­giö­sem Pathos, Bedro­hungs­sze­na­ri­en und wil­den Ver­schwö­rungs­ge­schich­ten, die das Bild eines radi­ka­li­sier­ten und unbe­re­chen­ba­ren Indi­vi­du­ums zeichnen.

Das Urteil

Als tags dar­auf das Urteil gegen M. ver­kün­det wer­den soll, rich­tet er einen wis­sen­den Blick in die Men­ge und sagt zu sei­nen Anhän­ge­rin­nen: „Man müs­se nur Gott ver­trau­en.“ Noch wäh­rend der Rich­ter das Urteil ver­liest, unter­bricht Mül­ler ihn und erklärt, der Rich­ter besie­ge­le gera­de „sein eige­nes Todesurteil“.

M. wird schließ­lich zu 2 Jah­ren und 10 Mona­ten Haft ver­ur­teilt — 14 Mona­te weni­ger als die Staats­an­walt­schaft gefor­dert hat­te. Dar­auf­hin beginnt die ver­zück­te Men­ge einen Cho­ral für und mit ihrem Hel­den anzu­stim­men. Alle Zuschauer*innen wer­den des Saa­les ver­wie­sen. Kein Publi­kum – kei­ne Büh­ne mehr — nun ging der Pro­zess, den Mül­ler bis­lang immer wie­der in die Län­ge gezo­gen hat­te, nun zügig zu Ende.

Es bleibt unklar, wie und ob sich Mül­lers Anhänger*innen in sei­ner Abwe­sen­heit wei­ter orga­ni­sie­ren wer­den. Die Fra­ge, ob die Grup­pe ohne ihren Anfüh­rer wei­ter­be­steht und mög­li­cher­wei­se auch wei­ter radi­ka­li­siert, bleibt offen.