Bombendroher André M.: Die Stimme eines Psychopathen

Bom­ben­dro­hung: Fast erwar­tungs­ge­mäß muss­te am ers­ten Pro­zess­tag des Ver­fah­rens gegen André M. am 21. April das Gerichts­ge­bäu­de für eine Stun­de geräumt wer­den. Foto: Burschel

Mord, schwe­re Kör­per­ver­let­zung und das Her­bei­füh­ren von Spreng­stoff­ex­plo­sio­nen — es sind schwe­re Ver­bre­chen, für deren Andro­hung André M. sich vor Gericht ver­ant­wor­ten muss. In mehr als hun­dert Droh­mails an Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens und Behör­den soll M. sei­ner Wut auf die Welt Luft gemacht haben. Von dem Plan, die in den Droh­bot­schaf­ten beschrie­be­nen Ver­bre­chen auch in die Tat umzu­set­zen, ist auf­grund der Sach­la­ge aus­zu­ge­hen. Aus­ge­sagt dazu hat  M. bis­her nicht, der Ange­klag­te strei­tet alle Vor­wür­fe ab.

Seit Ende April kann man im Land­ge­richt Ber­lin in Moa­bit das Auf­rol­len der Ermitt­lungs­er­geb­nis­se in der Straf­sa­che mit­ver­fol­gen und sich selbst ein Bild machen von einer, von natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gien befeu­er­ten, kran­ken See­le.  Ende Juni gibt es zum ers­ten Mal auch einen pri­va­ten Ein­blick in das Gedan­ken­le­ben von André M.: An zwei Ver­hand­lungs­ta­gen wer­den zahl­lo­se ver­stö­ren­de Sprach­nach­rich­ten von ihm an eine Chat­part­ne­rin abgespielt.

Der 32-jäh­ri­ge spricht über sei­nen Medi­ka­men­ten­miss­brauch, Tötungs­phan­ta­sien, die Beschaf­fung von Waf­fen. Belast­ba­re Aus­sa­gen, bei denen man sich unwei­ger­lich fragt, wie­so er sie über die ver­gleich­bar unsi­che­re Chat­platt­form Whats­App ver­sand­te. Das bis­he­ri­ge Ver­fah­ren hat gezeigt, dass sich M. durch­aus mit Ver­schlüs­se­lungs­tech­no­lo­gien aus­kennt, die es der Poli­zei schwer machen auf bestimm­te Daten zuzu­grei­fen. Die Droh­mails ver­sen­de­te er ver­mut­lich über einen soge­nann­ten Tor-Brow­ser, über den sich der Absen­der nicht direkt zurück­ver­fol­gen lässt. Mit sei­ner Chat­part­ne­rin sprach er über Whats­App im Novem­ber 2018 jedoch recht frei her­aus. War er ein­fach nur unvor­sich­tig oder war es ihm schlicht egal, dass sol­che Infor­ma­tio­nen ans Licht kom­men könn­ten? Oder lag es dar­an, dass sei­ner „Gesprächs­part­ne­rin“ schlicht kein ande­res Medi­um zur Ver­fü­gung stand?

Sie wer­den sich noch wün­schen, sie hät­ten therapiert“

Vor Gericht lauscht der Ange­klag­te sei­ner eige­nen Stim­me mit nord­deut­schem Dia­lekt kon­zen­triert. An eini­gen weni­gen Stel­len muss er lächeln. Wit­ze, die schein­bar nur er ver­steht. Es ent­steht das Pro­fil eines Men­schen mit psy­cho­pa­thi­schen Zügen. Wenn ande­ren Leid zuge­fügt wer­de, dann sei ihm das egal, sagt M.. In meh­re­ren Nach­rich­ten spricht er auch über sei­ne mani­pu­la­ti­ven Fähig­kei­ten. Er berich­tet stolz, wie er die Ärzt*innen im Maß­re­gel­voll­zug, in dem er meh­re­re Jah­re ein­saß, bewusst getäuscht habe, um ent­las­sen zu wer­den. „Die kann man rich­tig ein­fach ver­ar­schen“, sagt er, obwohl sie doch eigent­lich geschult sein müss­ten, „sol­che Leu­te“ wie ihn zu erkennen.

Der dür­re Mann im schwar­zen Kapu­zen-Pul­li ist ein „Lonely Wolf“. Ein als Kind dia­gnos­ti­zier­ter Herz­feh­ler — ein­her­ge­hend mit lan­gen Kran­ken­haus­auf­ent­hal­ten und star­ken Ein­schrän­kun­gen einer Lebens­qua­li­tät — hät­ten die bei ihm dia­gnos­ti­zier­te „schwe­re Per­sön­lich­keits­pa­tho­lo­gie“ aus­ge­löst, sagt er. Die letz­ten Jah­re leb­te er ohne vie­le zwi­schen­mensch­li­che Kon­tak­te in einem mit Nazi-Fah­nen tape­zier­ten Zim­mer bei sei­nen Eltern. Der mehr­fach vor­be­straf­te Mann ver­ließ das Haus so gut wie nie und flüch­te­te sich statt­des­sen in die tie­fen Abgrün­de des Inter­nets. Auch besag­te Adres­sa­tin der Sprach­nach­rich­ten, mit der sich im Jahr vor sei­ner jüngs­ten Ver­haf­tung inten­siv über sozia­le Medi­en aus­tausch­te, hat­te er übers Netz ken­nen­ge­lernt, in einer Face­book-Grup­pe für Men­schen mit psy­chi­schen Erkrankungen.

Im locke­ren Small-Talk-Ton berich­tet er sei­ner Ver­trau­ten via Voice­mes­sa­ge von sei­nen bis­he­ri­gen Straf­ta­ten, sei­nem aggres­si­ven Ver­hal­ten als Kind und von sei­nen Gewalt­phan­ta­sien. Ein Selbst­mord­at­ten­tat mit mög­lichst vie­len Opfern sei auf jeden Fall eine Opti­on für die Zukunft, sagt M. und deu­tet an, dass er nicht mehr lan­ge war­ten kön­ne, bis zum „gro­ßen Fina­le“. Eine kla­re Bot­schaft, die den Schluss erlaubt, dass das Land mit M.s Ver­haf­tung haar­scharf an einer wei­te­ren blu­ti­gen Tat aus der Sze­ne einer dif­fu­sen ter­ror-affi­nen Rech­ten vor­bei­ge­schlit­tert ist.

Eben kein „ver­wirr­ter Einzeltäter“

Vor allem unter dem Namen „Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Offen­si­ve“ soll der Ange­klag­te sei­ne gewalt­vol­len Droh­bot­schaf­ten an Poli­zei, Politiker*innen, lin­ke Akteur*innen und „Reprä­sen­tan­ten des Kapi­ta­lis­mus“ ver­sen­det haben. Doch auch Mit­tä­ter­schaft für Nach­rich­ten eines noch unbe­kann­ten, unter dem Pseud­onym „Wehr­macht“ agie­ren­den Droh­brief­schrei­bers wer­den ihm zur Last gelegt. Ana­ly­sen von M.s Com­pu­ter durch Polizeispezialist*innen hat­ten erge­ben, dass der Ange­klag­te sich über das soge­nann­te Dark­net mit „Wehr­macht“ und ande­ren Per­so­nen sei­ner Gesin­nung ver­brü­der­te. Der Fall macht damit auf­merk­sam auf eine Welt von Men­schen abseits der ein­schlä­gi­gen Nazi-Sze­ne, die in den gehei­men Foren des Inter­nets eine Platt­form für ihre rech­ten Ideo­lo­gien und bedroh­li­chen Trie­be fin­den. Ein nicht min­der gefähr­li­cher Aus­wuchs einer Sze­ne, die immer wie­der auch durch bru­ta­le Taten bis hin zu Anschlä­gen und Mor­den für Angst und Schre­cken sorgt. Zuletzt gezeigt hat­te das auch der ras­sis­ti­sche Mas­sen­mord in Hanau im Febru­ar, wo sich der Täter eben­falls über das Inter­net radikalisierte.

Dar­auf macht auch die LIN­KE-Poli­ti­ke­rin Mar­ti­na Ren­ner auf­merk­sam, die in dem Pro­zess die Neben­kla­ge inne­hat. Gegen­über kon­kret sagt sie: „Ich möch­te, dass klar wird, dass sol­che Dro­hun­gen nicht harm­los, die Täter digi­tal ver­netzt und teil­wei­se seit Jah­ren aktiv sind. Wir müs­sen von Struk­tu­ren und von Zugang zu Waf­fen und Spreng­stoff aus­ge­hen. Es soll­te dar­über gespro­chen wer­den, und nicht zuerst über den psy­chi­schen Knacks des Ange­klag­ten.“ Mit­te Juni macht auch Ren­ner eine Aus­sa­ge vor Gericht. Sie berich­tet von den vie­len bru­ta­len Mord­dro­hun­gen, die sie in ihrer Funk­ti­on als Per­son des öffent­li­chen Lebens im Bereich der anti­fa­schis­ti­schen Arbeit seit Jah­ren errei­chen. Dar­un­ter auch sol­che von M..

Die Ver­tei­di­gung M.s bringt eine Lis­te von wei­te­ren Sprach­nach­rich­ten ein, die im Gericht gehört wer­den sol­len. Dar­in tau­schen sich M. und sei­ne Netz-Freun­din unter ande­rem für­sorg­lich über den Hund des Ange­klag­ten aus und die Chat­part­ne­rin spricht über ihre eige­nen psy­chi­schen Stö­run­gen.  Ein fast ver­zwei­fel­ter Ver­such, die Schwe­re der Aus­sa­gen zu rela­ti­vie­ren, deren gan­zer Umfang hier auf­zu­zäh­len noch meh­re­re Sei­ten fül­len könnte.

Das Gericht ist bis Mit­te Juli in Som­mer­pau­se, danach sind noch wei­te­re 16 Ver­hand­lungs­ta­ge bis zur geplan­ten Urteils­ver­kün­dung Anfang Okto­ber ange­setzt. Das Anhö­ren von wei­te­ren Sprach­nach­rich­ten ist geplant. ange­setz­te Ter­mi­ne: 17.07., 20.07., 21.07., 23.07., 11.08., 13.08., 18.08., 20.08., 25.08., 27.08., 01.09., 03.09., 04.09., 28.09., 29.09., 01.10., jeweils um 09:15 im Land­ge­richt Ber­lin in der Turm­stra­ße in Moabit.