Buchpräsentation: Mutmacher Semsrott

Es gibt kei­ne Ent­schul­di­gung dafür, die AfD zu wäh­len!“ So ant­wor­te­te Arne Sems­rott bei der Pre­mie­ren­prä­sen­ta­ti­on sei­nes Buches „Macht­über­nah­me“ in Nürn­berg Anfang Juni auf die Fra­ge eines Zuschau­ers, der wis­se woll­te, ob es nicht viel­leicht mehr Ver­ständ­nis für AfD-Wähler*innen bräuchte.

Vor etwa 100 Zuschauer*innen las Sems­rott in der Vil­la Leon in Nürn­berg und koket­tier­te auf char­man­te Art mit die­ser Pre­mie­ren­si­tua­ti­on. In dem Buch geht es dar­um, was pas­siert, wenn die AfD auf Bun­des­ebe­ne an der Regie­rung betei­ligt wird. Und vor allem dar­um, wie die Tei­le der Gesell­schaft, die noch an demo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen inte­re­siert sind, sich dage­gen weh­ren können.

Bröckelnde Brandmauer

Sems­rott ist der Mei­nung, dass eine Regie­rungs­be­tei­li­gung der AfD durch­aus rea­lis­tisch ist und dass die „Brand­mau­er“ fal­len kann, die bis­her die bür­ger­li­chen Par­tei­en von einer Zusam­men­ar­beit mit der AfD abhält. Auf regio­na­ler und kom­mu­na­ler Ebe­ne ist die­se Brand­mau­er vie­ler­orts bereits weit­ge­hend abgetragen.

Das Sze­na­rio im Buch macht außer­dem deut­lich, wel­che Mög­lich­kei­ten die AfD bereits hat, wenn sie sich im Rah­men der bereits bestehen­den Geset­ze bewegt, um ihre völ­kisch-natio­na­lis­ti­sche Ideo­lo­gie durch­zu­set­zen. Auch ohne eine Ände­rung des Grund­ge­set­zes oder ande­rer weit­rei­chen­der Rechts­stan­dards kann die AfD reich­lich Scha­den anrich­ten. In Ost­deutsch­land, wo sie in Umfra­gen bereits zwi­schen 25 und 40 Pro­zent ran­giert, tut sie das schon. Etwa indem sie auf bestimm­ten Pos­ten in Ver­wal­tung, Medi­en, Poli­zei und Behör­den nur „gesin­nungs­treue“ Anhänger*innen durch­zu­set­zen ver­sucht. Die reak­tio­nä­re Poli­tik tref­fe, so Sems­rott, vor allem mar­gi­na­li­sier­te Grup­pen wie migran­ti­sche oder que­e­re Men­schen. Mas­sen­haf­te Abschie­bun­gen nach völ­ki­schen Kri­te­ri­en – Stich­wort „Remi­gra­ti­on“ – könn­ten bald schon an der Tages­ord­nung sein. Die bür­ger­li­chen Par­tei­en, so möch­te man Sems­rott bei­pflich­ten, über­schla­gen sich ja der­zeit in vor­aus­ei­len­dem Gehorsam.

Sondervermögen Demokratie

Aller­dings sagt er auch: „Es ist nie zu spät!“ Selbst wenn die AfD regiert, gibt es jede Men­ge For­men des Wider­stands. Dabei dis­ku­tiert er bei­spiels­wei­se ein Son­der­ver­mö­gen für Demo­kra­tie, was ähn­lich wie das für die Bun­des­wehr auf­ge­baut sein könn­te. Sems­rott pro­pa­giert, was er „soli­da­ri­sches Prep­ping“ nennt – also die akti­ve Vor­be­rei­tung von Gemein­schaf­ten auf schlech­te (poli­ti­sche) Zei­ten, in denen die Men­schen im Ernst­fall für­ein­an­der ein­ste­hen oder sich in Selbst­ver­tei­di­gung üben kön­nen. Ziel kann es dabei auch sein, sagt Sems­rott, „safe spaces“ für beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Grup­pen zu schaffen.

Der Mit­grün­der der Infor­ma­ti­ons­frei­heits-NGO „#Frag­den­staat“ tritt außer­dem aktiv für ein AfD-Ver­bot ein und erklärt, es sei sinn­voll zu pro­tes­tie­ren, zu stö­ren und – zum Bei­spiel in Behör­den durch „Dienst nach Vor­schrift“ zu strei­ken und men­schen­ver­ach­ten­de Poli­tik zu blo­ckie­ren. Politiker*innen der Par­tei soll­ten sei­ner Ansicht nach auch deut­lich sel­te­ner eine Büh­ne in Talk­shows und öffent­li­chen Events gebo­ten wer­den. Statt­des­sen setzt er auf inves­ti­ga­ti­ve Recher­chen zu rech­ten Struk­tu­ren bis hin zu Hack­ing-Angrif­fen, um bri­san­te Infor­ma­tio­nen zugäng­lich zu machen.

AfD: Unbedeutende Splitterpartei?

Der 36-jäh­ri­ge Ber­li­ner berich­tet außer­dem von der Platt­form „Frag den Staat“, die es Bürger*innen leich­ter machen soll, Anfra­gen an Regie­rung, Ver­wal­tung und Behör­den, kurz: den Staat, zu rich­ten. So konn­te sein Team bei­spiels­wei­se die Her­aus­ga­be von Tei­len der NSU-Akten gericht­lich erzwin­gen. Außer­dem schuf die NGO mit dem „Frei­heits­fond“ eine Mög­lich­keit, sozi­al schwä­che­re Betrof­fe­ne aus dem Gefäng­nis frei­zu­kau­fen, wenn sie Ersatz­haft wegen Fah­rens ohne Fahr­kar­te absit­zen müs­sen. Auf gera­de­zu gro­tes­ke Wei­se ent­las­tet die­se Initia­ti­ve sogar Gefäng­nis­se und spart Steu­er­gel­der ein.

Auch das Publi­kums­ge­spräch im Anschluss geriet zu einem span­nen­den Mei­nungs­aus­tausch. Sems­rott hat eine leicht selbst­iro­ni­sche, ruhi­ge und bedach­te Art auf sein Publi­kum ein­zu­ge­hen. Das kommt gut an und auch kri­ti­sche Anmer­kun­gen zum Gesag­ten oder kur­ze abschwei­fen­de State­ments sind willkommen.

Aus einem Neben­saal hat­ten sich auch eini­ge weni­ge „Freidenker*innen“ in die Buch­vor­stel­lung ver­irrt und woll­ten lie­ber über die ver­meint­li­che Dis­kri­mi­nie­rung Russ­lands spre­chen. Ein wei­te­rer Mit­dis­ku­tant bezeich­ne­te die AfD als „unbe­deu­ten­de Split­ter­par­tei“, um die mit dem Buch viel zu gro­ßes Auf­he­bens gemacht wer­de: Die Men­schen hät­ten ande­re Sor­gen. Sems­rott wies das zurück und beschrieb ein­mal mehr, wie schnell die AfD noch gefähr­li­cher und mäch­ti­ger wer­den kön­ne. Die Euro­pa­wahl­er­geb­nis­se, bei der die AfD 15,9 Pro­zent erziel­te, bezeich­ne­te er als Alarmzeichen.

Dienst nach Vorschrift“ als Streikform

Meh­re­re Wort­mel­dun­gen mach­ten deut­lich, dass die Angst vor einer Macht­über­nah­me von rechts vie­le Men­schen umtreibt und in die Lesung zog. Eini­ge Per­so­nen frag­ten, was sie jetzt per­sön­lich tun könn­ten. Der Autor erzählt, wie er nach den Euro­pa-Wahl­er­geb­nis­sen nie­der­ge­schla­gen war, dem aller­dings nicht nach­ge­ben woll­te. Am sel­ben Abend noch kon­tak­tier­te er Bekann­te, die von einer Zuspit­zung rech­ter Poli­tik am stärks­ten betrof­fen sein wür­den, um zu zei­gen, dass er an sie den­ke und für sie ein­ste­hen werde.

Einer Leh­re­rin im Publi­kum war die Sor­ge anzu­se­hen, dass sie in Zukunft dazu gezwun­gen wer­den könn­te, Inhal­te zu unter­rich­ten, die sie für mora­lisch ver­werf­lich hält. Sie und eine wei­te­re Beam­tin fühl­ten sich vor allem von den Tei­len von Sems­rotts Vor­trag ange­spro­chen, in dem die beson­de­re Rol­le und Ver­ant­wor­tung von Staats­be­diens­te­ten her­vor­ge­ho­ben wur­de. Hier sieht Sems­rott einen wirk­mäch­ti­gen Ansatz, Miss­stän­de in Behör­den anzu­spre­chen und ein Kip­pen der jewei­li­gen Insti­tu­ti­on nach rechts zu verhindern.

In den Kampf gegen Rechts einsteigen

Das Fazit vie­ler Besucher*innen war, dass das Buch eine Rea­li­tät skiz­ziert, die beun­ru­hi­gend nah scheint. Gera­de nach den Groß­de­mos im Janu­ar, bei denen teils Hun­dert­tau­sen­de Men­schen gegen Plä­ne der extre­men Rech­ten für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen auf die Stra­ße gegan­gen waren, mache das Buch Mut wei­ter­zu­ma­chen, in den Kampf gegen rechts ein­zu­stei­gen und nicht nachzulassen.

Münchener Reuß-Prozess: Zwischen Astrologie und Waffendepots

Die Akus­tik-Ele­men­te im alten NSU-Gerichts­saal A 101 im Straf­jus­tiz­zen­trum Mün­chen, in dem das drit­te Reuß-Ver­fah­ren nun ver­han­delt wird

Sie woll­ten den Staat stür­zen und bau­ten einen mili­tä­ri­schen Arm für einen gewalt­sa­men Sturm auf den Bun­des­tag auf: So lässt sich die Ankla­ge der Bun­des­an­walt­schaft (BAW) gegen die acht in Mün­chen vor dem Ober­lan­des­ge­richt (OLG) ange­klag­ten Mit­glie­der der Reichs­bür­ger­grup­pe um Prinz Hein­rich XIII Reuß zusammenfassen.

Hochverrat und Staatsgefährdung

In Frank­furt und Stutt­gart wird schon seit eini­gen Wochen der Pro­zess gegen 18 wei­te­re Mit­glie­der die­ser Grup­pe – in Frank­furt Prinz Reuß auch per­sön­lich – eröff­net. Unter den Ange­klag­ten gro­ße Tei­le der poli­ti­schen Füh­rungs­rie­ge der Verschwörer*innen und des mili­tä­ri­schen Arms, den so genann­ten Hei­mat­schutz­kom­pa­nien (HSK). Neben hoch­ver­rä­te­ri­schen Absich­ten und der Vor­be­rei­tung staats­ge­fähr­den­der schwe­rer Straf­ta­ten wird ihnen die Grün­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung vorgeworfen.

Als nun in Mün­chen die 8 Ange­klag­ten vor­ge­führt wur­den, hielt sich aller­dings das öffent­li­che und media­le Inter­es­se in Gren­zen – ver­gli­chen zumal mit dem Pro­mi-Ver­fah­ren in Frank­furt, wo Reuß selbst, aber auch die eins­ti­ge AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Ex-Rich­te­rin Mal­sack-Win­ke­mann und die bei­den ehe­ma­li­gen hohen Bun­des­wehr-Offi­zie­re von Pes­ca­to­re und Eder vor Gericht stehen.
Der erwar­te­te Andrang wie zu Zei­ten des NSU-Pro­zes­ses blieb in Mün­chen aus. Die­ser hat­te damals im sel­ben Gerichts­saal A 101 statt­ge­fun­den und zumin­dest eini­ge der Gesich­ter unter den Journalist*innen und Verteidiger*innen von damals waren wie­der dabei.

Die Besucher*innen wur­den nicht nur durch ein gro­ßes Poli­zei­auf­ge­bot im Saal, inklu­si­ve Absper­run­gen und gründ­li­cher Durch­su­chun­gen ein­ge­schüch­tert. Sie muss­ten außer­dem sämt­li­che Taschen, tech­ni­schen Gerä­te und Trink­fla­schen abge­ben. Auch die kah­len Beton­wän­de des gro­ßen Saa­les wirk­ten durch­aus erdrückend.

Croissants und Handyverbot

Ich wer­de selbst­ver­ständ­lich jeden Tag Crois­sants mit­brin­gen“ scherz­te der Pres­se­spre­cher des Ober­lan­des­ge­richts, Lau­rent Laf­leur, zwei Wochen vor Pro­zess­be­ginn gegen­über den Journalist*innen bei einer Füh­rung durch den Gerichts­saal. Trotz die­ser bemüh­ten Freund­lich­kei­ten blie­ben die Auf­la­gen des Gerichts für Pressevertreter*innen den­noch hart: Sie muss­ten am Zugang zum Pres­se­be­reich einem Jus­tiz­be­am­ten vor­wei­sen, dass ihre Han­dys aus­ge­schal­tet waren, und konn­ten ihre Lap­tops nur ohne Inter­net­ver­bin­dung nutzen.

Der gesam­te Vor­mit­tag war nach den Eröff­nungs­for­ma­lia der mehr­stün­di­gen Ver­le­sung der Ankla­ge­schrift gewid­met. Die Sitzungsvertreter*innen des Gene­ral­bun­des­an­wal­tes im Ver­fah­ren fächer­ten dar­in die Pla­nun­gen der Grup­pe in den Jah­ren 20 – 22 auf: Die Ange­klag­ten in Mün­chen sei­en dem­nach unter ande­rem auch für Ämter in der Putschist*innen-Regierung vor­ge­se­hen und in Waf­fen­ge­schäf­te ver­wi­ckelt gewe­sen. Außer­dem wer­de eini­gen von ihnen vor­ge­wor­fen, für den Auf­bau der ins­ge­samt über 280 geplan­ten HSK-Trup­pen, die Rekru­tie­rung und Ver­net­zung mit Unterstützer*innen, sowie die Gewähr­leis­tung einer abhör­si­che­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on etwa über Satel­li­ten­te­le­fo­ne zustän­dig gewe­sen zu sein.
Außer­dem schil­der­te die Bun­des­an­walt­schaft im Detail das Welt­bild der Reichsbürger*innen: So wür­den die Anhänger*innen an die kru­de Ver­schwö­rungs­er­zäh­lung Q‑Anon glau­ben, die im Kern besagt, dass „die Eli­ten“ Kin­der in unter­ir­di­schen Tun­nel­sys­te­men gefan­gen hiel­ten, um sie zu miss­han­deln und aus ihrem Blut Ver­jün­gungs­se­rum zu gewinnen.
Eine der Ange­klag­ten habe sich in der Schweiz auch mehr­mals mit den Eltern eines ver­meint­lich in die­se Unter­welt ent­führ­ten Kin­des getroffen.

Irre Narrative und realer Terrorismus

Außer­dem habe die Grup­pe für ihr Vor­ha­ben immer wie­der Kon­takt und Unter­stüt­zung bei offi­zi­el­len Vertreter*innen der rus­si­schen Föde­ra­ti­on etwa im Gene­ral­kon­su­lat in Frank­furt und in Bra­tis­la­va gesucht.

Vor allem die ableh­nen­de Hal­tung zu Maß­nah­men zur Ein­däm­mung von Covid-19 hät­te die Grup­pe radi­ka­li­siert und geeint. Die in Mün­chen ange­klag­te und als Gesund­heits­mi­nis­te­rin der Putschist*innen vor­ge­se­he­ne Ärz­tin, Mela­nie R., habe laut Ankla­ge bei­spiels­wei­se immer wie­der Vor­trä­ge zu den Aus­wir­kun­gen von Imp­fun­gen mit dem wäh­rend der Pan­de­mie neu ent­wi­ckel­ten MRNA-Serum gehalten.

Prozessbeobachter*innen dis­ku­tier­ten in der Mit­tags­pau­se, ob die Umsturz­plä­ne wohl ohne die Pan­de­mie zustan­de gekom­men wären. Außer­dem stell­ten sie sich die Fra­ge, ob die „Grup­pe Reuß“ nur ein Bei­spiel für das Umkip­pen gan­zer Bevöl­ke­rungs­grup­pen in ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sches Den­ken dar­stel­le. Immer­hin sei­en sie nicht die ein­zi­gen, die im Lau­fe der Zeit auf­ge­flo­gen und jetzt peu-á-peu ange­klagt wür­den. Neben den „Reuß-Pro­zes­sen“ lau­fen der­zeit auch Pro­zes­se gegen die „Kaiserreichgruppe“/„Patriotische Ver­ei­ni­gung, die vor­hat­te, Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach zu ent­füh­ren, sowie gegen den „Reichs­bür­ger-Star“ Johan­nes M..

Der ver­le­se­ne Ankla­ge­satz im Reuß-Ver­fah­ren ver­deut­licht durch­aus die Absur­di­tät der Gesin­nung der Ange­klag­ten. Jen­seits der zum Teil irr­wit­zi­gen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen konn­te die Bun­des­an­walt­schaft vor allem durch die Auf­zäh­lung der von der Grup­pe gehor­te­ten Waf­fen samt Muni­ti­on, Waf­fen­tei­len und wei­te­rer Mili­tär­aus­stat­tung den Ernst der Absich­ten der Grup­pe ver­an­schau­li­chen. Unter ande­rem habe die Grup­pe, der auch hoch­ran­gi­ge KSK-Offi­zie­re ange­hör­ten, ver­sucht, Soldat*innen des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK) zu rekru­tier­ten, um die „Hei­mat­schutz­kom­pa­nien“ aufzubauen.

Antisemitisch, rassistisch und faschistisch

Den­noch mag man­chen in der Ankla­ge eine Ein­ord­nung der völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen und in Tei­len faschis­ti­schen Ideo­lo­gie der ange­klag­ten Reichsbürger*innen gefehlt haben. Nur neben­bei erwähnt die BAW die ras­sis­ti­schen Ansich­ten zur Migra­ti­ons­po­li­tik – eine Ein­stu­fung der Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen rund um Q‑Anon als anti­se­mi­tisch blieb gänz­lich aus.
Die­se Aus­spa­run­gen könn­ten auf eini­ge vor allem des­halb fatal wir­ken, da sie einen gro­ßen Teil der Gefahr ver­ken­nen, die von der „Grup­pe Reuß“ aus­ging. Wäre es zu dem, mit Hil­fe der AfD-Abge­ord­ne­ten geplan­ten Angriff auf den Bun­des­tag und einer Macht­über­nah­me gekom­men, lässt sich ahnen, wie die neu­en Machthaber*innen mit migran­ti­schen und geflüch­te­ten Per­so­nen ver­fah­ren wären. Der Begriff der „Re-Migra­ti­on“ und die Plä­ne für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen von Mil­lio­nen sind ja der­zeit in aller Munde.

Obwohl sich zwi­schen­zeit­lich fast dop­pelt so vie­le Jus­tiz- und Polizeibeamt*innen wie Zuschauer*innen auf den Tri­bü­nen auf­hiel­ten, konn­ten dort auch eini­ge ver­mut­li­che Unterstützer*innen der Ange­klag­ten aus­ge­macht wer­den. Ein pro­tes­tie­ren­der Schrei­hals, warf noch vor Ver­le­sung des Ankla­ge­sat­zes der Bun­des­an­walt­schaft vor „die Fal­schen anzu­kla­gen“ und spiel­te damit ver­mut­lich auf die Ver­schwö­rung rund um Q‑Anon an. Er wur­de aller­dings sehr schnell abge­führt. Etwas mode­ra­ter ver­hiel­ten sich zwei Frau­en, die mit aus­ge­brei­te­ten Armen von unter­schied­li­chen Sei­ten der Zuschauer*innentribüne offen­bar Ener­gie in den Gerichts­saal zu schi­cken ver­such­ten —  bis ihre Hän­de nach eini­gen Stun­den müde wur­den. Ob ihre Aura das Gericht und die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Dag­mar Illi­ni mil­de stim­men wird, muss sich noch zeigen.

Sterndeuterin im Dienste der AfD-Abgeordneten

An die­sem Phä­no­men wur­de aber auch deut­lich, wie wich­tig den Reichsbürger*innen um Reuß die­se Art der Spi­ri­tua­li­tät ist: So war eine der Münch­ner Ange­klag­ten, Hil­de­gard L., als astro­lo­gi­sche Mit­ar­bei­te­rin der in Frank­furt mit­an­ge­klag­ten AfD-MdB Mal­sack-Win­ke­mann angestellt.
Außer­dem war sie spi­ri­tu­el­le Bera­te­rin von Reuß und sei­ner poli­ti­schen Führungsriege.

Ein Ende nicht abzusehen

Ein 36-sei­ti­ges, läng­li­ches Opening–Statement des ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gers der NSU-Ter­ro­ris­tin Bea­te Zsch­ä­pe, Wolf­gang Heer, und jede Men­ge ange­kün­dig­ter Anträ­ge ver­schie­de­ner wei­te­rer Verteidiger*innen gaben bereits am ers­ten Tag einen Vor­ge­schmack dar­auf, wie sich der Pro­zess bis zum geplan­ten Ende im Janu­ar 2025 oder dar­über hin­aus in die Län­ge zie­hen könn­te. Es bleibt span­nend, wie die Drei­tei­lung des Pro­zes­ses sich auf das Ver­fah­ren aus­wir­ken wird und wel­che Stra­te­gien die Ange­klag­ten und ihre Verteidiger*innen anwen­den wer­den. Vor allem das Span­nungs­feld zwi­schen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und rech­tem Ter­ror könn­te das Ver­fah­ren prä­gen. Wie die Richter*innen die­ses beur­tei­len wer­den, sowie der Aus­gang des Pro­zes­ses blei­ben zunächst offen.