Sie wollten den Staat stürzen und bauten einen militärischen Arm für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag auf: So lässt sich die Anklage der Bundesanwaltschaft (BAW) gegen die acht in München vor dem Oberlandesgericht (OLG) angeklagten Mitglieder der Reichsbürgergruppe um Prinz Heinrich XIII Reuß zusammenfassen.
Hochverrat und Staatsgefährdung
In Frankfurt und Stuttgart wird schon seit einigen Wochen der Prozess gegen 18 weitere Mitglieder dieser Gruppe – in Frankfurt Prinz Reuß auch persönlich – eröffnet. Unter den Angeklagten große Teile der politischen Führungsriege der Verschwörer*innen und des militärischen Arms, den so genannten Heimatschutzkompanien (HSK). Neben hochverräterischen Absichten und der Vorbereitung staatsgefährdender schwerer Straftaten wird ihnen die Gründung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
Als nun in München die 8 Angeklagten vorgeführt wurden, hielt sich allerdings das öffentliche und mediale Interesse in Grenzen – verglichen zumal mit dem Promi-Verfahren in Frankfurt, wo Reuß selbst, aber auch die einstige AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Richterin Malsack-Winkemann und die beiden ehemaligen hohen Bundeswehr-Offiziere von Pescatore und Eder vor Gericht stehen.
Der erwartete Andrang wie zu Zeiten des NSU-Prozesses blieb in München aus. Dieser hatte damals im selben Gerichtssaal A 101 stattgefunden und zumindest einige der Gesichter unter den Journalist*innen und Verteidiger*innen von damals waren wieder dabei.
Die Besucher*innen wurden nicht nur durch ein großes Polizeiaufgebot im Saal, inklusive Absperrungen und gründlicher Durchsuchungen eingeschüchtert. Sie mussten außerdem sämtliche Taschen, technischen Geräte und Trinkflaschen abgeben. Auch die kahlen Betonwände des großen Saales wirkten durchaus erdrückend.
Croissants und Handyverbot
„Ich werde selbstverständlich jeden Tag Croissants mitbringen“ scherzte der Pressesprecher des Oberlandesgerichts, Laurent Lafleur, zwei Wochen vor Prozessbeginn gegenüber den Journalist*innen bei einer Führung durch den Gerichtssaal. Trotz dieser bemühten Freundlichkeiten blieben die Auflagen des Gerichts für Pressevertreter*innen dennoch hart: Sie mussten am Zugang zum Pressebereich einem Justizbeamten vorweisen, dass ihre Handys ausgeschaltet waren, und konnten ihre Laptops nur ohne Internetverbindung nutzen.
Der gesamte Vormittag war nach den Eröffnungsformalia der mehrstündigen Verlesung der Anklageschrift gewidmet. Die Sitzungsvertreter*innen des Generalbundesanwaltes im Verfahren fächerten darin die Planungen der Gruppe in den Jahren 20 – 22 auf: Die Angeklagten in München seien demnach unter anderem auch für Ämter in der Putschist*innen-Regierung vorgesehen und in Waffengeschäfte verwickelt gewesen. Außerdem werde einigen von ihnen vorgeworfen, für den Aufbau der insgesamt über 280 geplanten HSK-Truppen, die Rekrutierung und Vernetzung mit Unterstützer*innen, sowie die Gewährleistung einer abhörsicheren Kommunikation etwa über Satellitentelefone zuständig gewesen zu sein.
Außerdem schilderte die Bundesanwaltschaft im Detail das Weltbild der Reichsbürger*innen: So würden die Anhänger*innen an die krude Verschwörungserzählung Q‑Anon glauben, die im Kern besagt, dass „die Eliten“ Kinder in unterirdischen Tunnelsystemen gefangen hielten, um sie zu misshandeln und aus ihrem Blut Verjüngungsserum zu gewinnen.
Eine der Angeklagten habe sich in der Schweiz auch mehrmals mit den Eltern eines vermeintlich in diese Unterwelt entführten Kindes getroffen.
Irre Narrative und realer Terrorismus
Außerdem habe die Gruppe für ihr Vorhaben immer wieder Kontakt und Unterstützung bei offiziellen Vertreter*innen der russischen Föderation etwa im Generalkonsulat in Frankfurt und in Bratislava gesucht.
Vor allem die ablehnende Haltung zu Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 hätte die Gruppe radikalisiert und geeint. Die in München angeklagte und als Gesundheitsministerin der Putschist*innen vorgesehene Ärztin, Melanie R., habe laut Anklage beispielsweise immer wieder Vorträge zu den Auswirkungen von Impfungen mit dem während der Pandemie neu entwickelten MRNA-Serum gehalten.
Prozessbeobachter*innen diskutierten in der Mittagspause, ob die Umsturzpläne wohl ohne die Pandemie zustande gekommen wären. Außerdem stellten sie sich die Frage, ob die „Gruppe Reuß“ nur ein Beispiel für das Umkippen ganzer Bevölkerungsgruppen in verschwörungsideologisches Denken darstelle. Immerhin seien sie nicht die einzigen, die im Laufe der Zeit aufgeflogen und jetzt peu-á-peu angeklagt würden. Neben den „Reuß-Prozessen“ laufen derzeit auch Prozesse gegen die „Kaiserreichgruppe“/„Patriotische Vereinigung, die vorhatte, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen, sowie gegen den „Reichsbürger-Star“ Johannes M..
Der verlesene Anklagesatz im Reuß-Verfahren verdeutlicht durchaus die Absurdität der Gesinnung der Angeklagten. Jenseits der zum Teil irrwitzigen Verschwörungserzählungen konnte die Bundesanwaltschaft vor allem durch die Aufzählung der von der Gruppe gehorteten Waffen samt Munition, Waffenteilen und weiterer Militärausstattung den Ernst der Absichten der Gruppe veranschaulichen. Unter anderem habe die Gruppe, der auch hochrangige KSK-Offiziere angehörten, versucht, Soldat*innen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) zu rekrutierten, um die „Heimatschutzkompanien“ aufzubauen.
Antisemitisch, rassistisch und faschistisch
Dennoch mag manchen in der Anklage eine Einordnung der völkisch-nationalistischen und in Teilen faschistischen Ideologie der angeklagten Reichsbürger*innen gefehlt haben. Nur nebenbei erwähnt die BAW die rassistischen Ansichten zur Migrationspolitik – eine Einstufung der Verschwörungserzählungen rund um Q‑Anon als antisemitisch blieb gänzlich aus.
Diese Aussparungen könnten auf einige vor allem deshalb fatal wirken, da sie einen großen Teil der Gefahr verkennen, die von der „Gruppe Reuß“ ausging. Wäre es zu dem, mit Hilfe der AfD-Abgeordneten geplanten Angriff auf den Bundestag und einer Machtübernahme gekommen, lässt sich ahnen, wie die neuen Machthaber*innen mit migrantischen und geflüchteten Personen verfahren wären. Der Begriff der „Re-Migration“ und die Pläne für Massendeportationen von Millionen sind ja derzeit in aller Munde.
Obwohl sich zwischenzeitlich fast doppelt so viele Justiz- und Polizeibeamt*innen wie Zuschauer*innen auf den Tribünen aufhielten, konnten dort auch einige vermutliche Unterstützer*innen der Angeklagten ausgemacht werden. Ein protestierender Schreihals, warf noch vor Verlesung des Anklagesatzes der Bundesanwaltschaft vor „die Falschen anzuklagen“ und spielte damit vermutlich auf die Verschwörung rund um Q‑Anon an. Er wurde allerdings sehr schnell abgeführt. Etwas moderater verhielten sich zwei Frauen, die mit ausgebreiteten Armen von unterschiedlichen Seiten der Zuschauer*innentribüne offenbar Energie in den Gerichtssaal zu schicken versuchten — bis ihre Hände nach einigen Stunden müde wurden. Ob ihre Aura das Gericht und die Vorsitzende Richterin Dagmar Illini milde stimmen wird, muss sich noch zeigen.
Sterndeuterin im Dienste der AfD-Abgeordneten
An diesem Phänomen wurde aber auch deutlich, wie wichtig den Reichsbürger*innen um Reuß diese Art der Spiritualität ist: So war eine der Münchner Angeklagten, Hildegard L., als astrologische Mitarbeiterin der in Frankfurt mitangeklagten AfD-MdB Malsack-Winkemann angestellt.
Außerdem war sie spirituelle Beraterin von Reuß und seiner politischen Führungsriege.
Ein Ende nicht abzusehen
Ein 36-seitiges, längliches Opening–Statement des ehemaligen Verteidigers der NSU-Terroristin Beate Zschäpe, Wolfgang Heer, und jede Menge angekündigter Anträge verschiedener weiterer Verteidiger*innen gaben bereits am ersten Tag einen Vorgeschmack darauf, wie sich der Prozess bis zum geplanten Ende im Januar 2025 oder darüber hinaus in die Länge ziehen könnte. Es bleibt spannend, wie die Dreiteilung des Prozesses sich auf das Verfahren auswirken wird und welche Strategien die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen anwenden werden. Vor allem das Spannungsfeld zwischen Verschwörungserzählungen und rechtem Terror könnte das Verfahren prägen. Wie die Richter*innen dieses beurteilen werden, sowie der Ausgang des Prozesses bleiben zunächst offen.