Von persönlichen Problemen zu politischen Forderungen

Women in Exi­le ist eine Initia­ti­ve von Flücht­lings­frau­en, die sich 2002 in Bran­den­burg zusam­men­ge­fun­den haben, um für ihre Rech­te zu kämp­fen. Akti­vis­tin­nen aus der Grün­dungs­zeit berich­ten: «Wir haben ent­schie­den, uns als Flücht­lings­frau­en­grup­pe zu orga­ni­sie­ren, weil wir die Erfah­rung gemacht haben, dass Flücht­lings­frau­en dop­pelt Opfer von Dis­kri­mi­nie­rung sind: Sie wer­den als Asyl­be­wer­be­rin­nen durch ras­sis­ti­sche Geset­ze aus­ge­grenzt und als Frau­en dis­kri­mi­niert.» 2011 bau­te Women in Exi­le die Grup­pe Women in Exi­le & Fri­ends auf, in der sich auch Frau­en ohne Flucht­hin­ter­grund enga­gie­ren. Seit­dem tra­gen wir gemein­sam flücht­lings­po­li­ti­sche For­de­run­gen aus femi­nis­ti­scher Per­spek­ti­ve an die Öffent­lich­keit. Außer­dem unter­stüt­zen wir Flücht­lings­frau­en mit Infor­ma­ti­ons­me­di­en und Work­shops dabei, indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve Per­spek­ti­ven zu ent­wi­ckeln, um sich gegen sexua­li­sier­te Gewalt, Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung zu verteidigen.

Ein Grund­prin­zip unse­rer Arbeit ist: Flücht­lings­frau­en ent­schei­den über ihre poli­ti­schen For­de­run­gen auf Basis ihrer All­tags­er­fah­run­gen selbst, weil sie selbst die Exper­tin­nen ihrer Situa­ti­on sind.

Teil­neh­me­rin­nen dis­ku­tie­ren ver­schie­de­ne Auf­ent­halts­ti­tel. Bild: Women in Exile

Vie­le asyl­su­chen­de Frau­en zögern, sich an flücht­lings­po­li­ti­schen Aktio­nen zu betei­li­gen. Dafür haben sie oft nach­voll­zieh­ba­re Grün­de: In den Akti­ons­for­men geschlech­ter­ge­misch­ter Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen wird nicht immer Rück­sicht auf Ver­ant­wort­lich­kei­ten von Müt­tern oder auf Ängs­te von Frau­en vor sexua­li­sier­ter Gewalt genom­men und nicht immer wird in Auf­ru­fen der Bezug zu ihren all­täg­li­chen Pro­ble­men deut­lich gemacht. Des­halb ver­su­chen wir asyl­su­chen­de Frau­en da abzu­ho­len, wo sie sind: In ihren Alltagskämpfen.

Work­shops für Flüchtlingsfrauen

Work­shops, als Grup­pen­an­ge­bo­te für Flücht­lings­frau­en sind ein Herz­stück unse­rer Arbeit. Sie haben das «Empower­ment» von Flücht­lings­frau­en zum Ziel. Gleich­zei­tig sind die Grup­pen­an­ge­bo­te, die sich aus­schließ­lich an Flücht­lings­frau­en richten,eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung, um neue Flücht­lings­frau­en in unse­re Orga­ni­sa­ti­on ein­zu­bin­den. Denn die kol­lek­ti­ve Auf­ar­bei­tung indi­vi­du­el­ler all­täg­li­cher Erfah­run­gen von Ent­rech­tung in einem geschütz­ten Rah­men ist aus unse­rer Sicht die not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für eine soli­da­ri­sche Zusam­men­ar­beit auf Augen­hö­he zwi­schen Akti­vis­tin­nen mit Flucht­hin­ter­grund und Akti­vis­tin­nen ohne Flucht­er­fah­rung. Außer­dem sehen wir die Teil­neh­me­rin­nen als Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen, die Erfah­re­nes aus den Work­shops in ihre Umge­bung und in unse­re Orga­ni­sa­ti­on hineintragen.

«Empower­ment» ist für uns ein Pro­zess der Selbst­er­mäch­ti­gung: ein Pro­zess, in dem Frau­en sich ent­schei­den, sich zu weh­ren. Work­shops oder ande­re Ange­bo­te kön­nen nie­man­den «empowern», son­dern nur einen Rah­men oder Anre­gun­gen für die­sen Pro­zess zur Ver­fü­gung stellen.

Neben dem Raum zum Aus­tausch bie­ten unse­re Work­shops kon­kre­tes Hand­werks­zeug, um sich zu weh­ren: Infor­ma­tio­nen über das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz, das Asyl­ver­fah­rens­ge­setz und ande­re Geset­ze, die für Flücht­lings­frau­en wich­tig sind. Die­se kon­kre­ten Infor­ma­tio­nen sind uns wich­tig, denn in allen Hei­men und Lagern kur­sie­ren «Infor­ma­tio­nen», «Rat­schlä­ge» und «Tipps», die nicht immer auf der aktu­el­len Rechts­la­ge basie­ren. Unse­re Teil­neh­me­rin­nen kön­nen die­se «Infos» nach einem Work­shop anders und bes­ser ein­schät­zen. Auf die­ser Basis erar­bei­ten sich asyl­su­chen­de Frau­en indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve Per­spek­ti­ven des Wider­stands: Wo kann ich einen Wider­spruch ein­le­gen? Wo kann ich mich beschwe­ren? Wie kann ich ande­re Flücht­lings­frau­en effek­tiv unter­stüt­zen? Wo muss ich poli­tisch agie­ren, um die Situa­ti­on zu ver­än­dern? Wie fin­de ich Bündnispartner_innen? An wel­che Adressat_innen muss ich mei­nen Pro­test rich­ten? Wie kann mich die Öffent­lich­keit in mei­nen Belan­gen unterstützen?

In der Regel ent­schei­den die Teil­neh­me­rin­nen in einem Vor­tref­fen oder zu Beginn des Work­shops, wel­cher The­men­schwer­punkt für sie aktu­ell am wich­tigs­ten ist, was von den Teame­rin­nen viel Fle­xi­bi­li­tät ver­langt. Jeder Work­shop-Ter­min wird von allen gemein­sam aus­ge­wer­tet, so dass Erfah­run­gen in die nächs­ten Work­shops ein­flie­ßen können.

Teil­neh­me­rin­nen beim For­mu­lie­ren poli­ti­scher Zie­le. Bild: Women in Exile

Metho­di­sche Fra­gen neh­men dabei einen gro­ßen Raum ein. Denn zu den Infor­ma­ti­ons­in­hal­ten, die wir ver­mit­teln wol­len, gibt es kaum Infor­ma­ti­ons­ma­te­ria­li­en oder Erfah­rungs­be­rich­te aus dem Bereich poli­ti­sche Wei­ter­bil­dung, die wir benut­zen konn­ten. Des­halb muss­ten wir didak­ti­sche Kon­zep­te selbst erar­bei­ten. Unse­re ers­ten Work­shops waren in den Metho­den mit Prä­sen­ta­tio­nen im Ple­num fast wie Wei­ter­bil­dungs­se­mi­na­re für Sozialarbeiter_innen oder wie die übli­chen poli­ti­schen Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen. Spä­ter gestal­te­ten wir die Work­shops viel mehr mit Klein­grup­pen­ar­beit. Wir machen seit­dem Auf­stel­lun­gen im Raum, nut­zen akti­vie­ren­de Metho­den und set­zen Bil­der als Sprech­an­lass und Gedan­ken­an­ker ein. Aber immer noch ist es eine gro­ße Her­aus­for­de­rung unser Wis­sen über Asyl- und Sozi­al­ge­setz­ge­bung auf dem aktu­el­len Stand zu hal­ten und gleich­zei­tig Metho­den zu ent­wi­ckeln, über die­sen kom­pli­zier­ten Geset­zes­dschun­gel ver­ständ­lich mit teil­neh­me­rin­nen­ori­en­tier­ten Metho­den zu informieren.

«Der Weg ist das Ziel»

In Bran­den­burg leben zur­zeit ca. 2000 Frau­en mit Auf­ent­halts­ge­stat­tung oder mit Dul­dung, ver­teilt auf ca. 30 Sam­mel­un­ter­künf­te. Sie haben sehr unter­schied­li­che Chan­cen auf Blei­be­recht und Per­spek­ti­ven in Deutsch­land. Denn das deut­sche Asyl­sys­tem spal­tet Flücht­lin­ge und Migrant_innen: Wo frü­her alle Flücht­lin­ge und Migrant_innen ent­rech­tet waren, gibt es jetzt ein Auf­ent­halts- und Asyl­recht, das nach hier­ar­chi­schen Kate­go­rien in ver­schie­de­ne Schub­la­den sor­tiert. Es unter­schei­det zwi­schen «nütz­li­chen» Migrant_innen, die inte­griert wer­den kön­nen, «rich­ti­gen Flücht­lin­gen», die zumin­dest vor­über­ge­hend Schutz brau­chen, und «Asylbetrüger_innen». Gleich­zei­tig haben zahl­rei­che Ent­rech­tun­gen und Son­der­ge­set­ze für Asyl­su­chen­de auch das Ziel, sie von ande­ren Tei­len der Zivil­ge­sell­schaft abzu­spal­ten. Dem set­zen wir – auch mit unse­ren Work­shops – trans­na­tio­na­le Frau­en­so­li­da­ri­tät entgegen.

 

Eli­sa­beth Nga­ri ist Grün­dungs­mit­glied von Women in Exi­le, hat selbst eine Flucht­bio­gra­phie und ist eine der tra­gen­den Säu­len der Arbeit von Women in Exi­le e.V.. Sie bie­tet damit den Teil­neh­me­rin­nen der Work­shops eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­keit als Flücht­lings­ak­ti­vis­tin. Doro­thea Lin­den­berg bringt als Sprach- und Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin didak­ti­sche Kom­pe­ten­zen und beruf­li­che Erfah­run­gen im Bereich Wei­ter­bil­dung und Bera­tung von Migrant_innen in die Zusam­men­ar­beit ein. Bei­de sind seit vie­len Jah­ren aus femi­nis­ti­scher Per­spek­ti­ve flücht­lings­po­li­tisch aktiv und Mit­ar­bei­te­rin­nen von Women in Exi­le e.V.

 

Wei­te­re Bei­trä­ge im Dos­sier «Empower­ment?!»:

Mar­wa Al-Rad­wany und Ahmed Shah: Mehr als nur ästhe­ti­sche Korrekturen

Pas­qua­le Vir­gi­nie Rot­ter: We can breathe

Ozan Kes­k­in­kılıç: Erin­nern ist Empowerment

Isi­do­ra Rand­jelo­vić: Rech­te statt Fürsorge

Nata­scha Salehi-Shah­ni­an: Power­sha­ring: Was machen mit Macht?!

Mona El Oma­ri und Sebas­ti­an Flea­ry: «If you can’t say love…» – Ein Empower­ment-Flow zu Indi­vi­du­um, Dia­spo­ra-Com­mu­ni­ty und päd­ago­gi­scher Reflexion

Tuğ­ba Tanyıl­maz: Päd­ago­gin 2.0

Tahir Del­la: Schwar­ze Men­schen zwi­schen Fremd­wahr­neh­mung und Selbstbestimmung

Nuran Yiğit: Empower­ment durch Recht

Ire­ne Run­ge: Gemein­de­zu­ge­hö­rig­keit oder jüdi­sche Iden­ti­tät? Wie Eth­nie und Reli­gi­on sich ergänzen

Žakli­na Mam­uto­vič: Empower­ment ist ein poli­ti­scher Begriff

Fatoş Ata­li-Tim­mer und Paul Mecher­il: Zur Not­wen­dig­keit einer ras­sis­mus­kri­ti­schen Sprache

Son­gül Bitiș und Nina Borst: Gemein­sam könn­ten wir das Haus rocken!

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