Schwarze Menschen zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstbestimmung

Nach dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges und dem Ende des deut­schen Kai­ser­rei­ches hat es die Wei­ma­rer Repu­blik nicht ver­mocht, die Ver­ant­wor­tung, die aus der deut­schen kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit ent­stan­den war, zu über­neh­men. Sie tat sich schwer, sich gegen­über den star­ken natio­na­len Kräf­ten und deren Welt­macht­an­sprü­chen zu distanzieren.

Wäh­rend der NS-Herr­schaft wur­de alles getan, um die kolo­nia­le Ver­gan­gen­heit zu glo­ri­fi­zie­ren und die ehe­ma­li­gen Kolo­nien «zurück­zu­ho­len». Nur dem Kriegs­ver­lauf und der bedin­gungs­lo­sen Nie­der­la­ge des faschis­ti­schen NS-Regimes ist es zu ver­dan­ken, dass dies nicht zustan­de kam. Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges schrie­ben sich sowohl die DDR als auch die BRD auf die Agen­da, den Erfah­run­gen der zurück­lie­gen­den Geschich­te Rech­nung zu tra­gen, indem sie allen Ver­su­chen, Deutsch­land erneut als Welt­macht zu eta­blie­ren, eine Absa­ge erteilten.

Die nicht statt­ge­fun­de­ne Auf­ar­bei­tung der kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit präg­te im Wesent­li­chen auch das Selbst­bild Deutsch­lands als Nati­on, die sich aus­schließ­lich aus wei­ßen Men­schen zusam­men­setzt und in der Schwar­ze Men­schen bes­ten­falls als vor­über­ge­hen­des «Phä­no­men» in Erschei­nung tre­ten. Die Bei­trä­ge und die Lebens­er­fah­rung Schwar­zer Men­schen wur­den somit unkennt­lich gemacht und führ­ten zu einer bis zum heu­ti­gen Tag andau­ern­den Stig­ma­ti­sie­rung und Aus­gren­zung – bis hin zu einem von ras­sis­ti­schen Erfah­run­gen gepräg­ten Alltag.

Mit dem Ent­ste­hen der jün­ge­ren Schwar­zen Bewe­gung in Deutsch­land Mit­te der acht­zi­ger Jah­re ent­wi­ckel­te sich ein Pro­zess der Eman­zi­pa­ti­on, Selbst­be­stim­mung und Sicht­bar­ma­chung. Wenn wir heu­te von der jün­ge­ren Schwar­zen Bewe­gung spre­chen, dann des­we­gen, weil es auch schon lan­ge vor­her gesell­schafts­re­le­van­te Akti­vi­tä­ten Schwar­zer Men­schen in Deutsch­land gab: In den 1920er Jah­ren schlos­sen sich Schwar­ze Arbeiter_innen, Gewerkschafter_innen und Künstler_innen zusam­men, um für ihre Rech­te und Lebens­ent­wür­fe einzutreten.

Die Aus­stel­lung «Home­sto­ry Deutschland»

Als einer der wich­tigs­ten Pro­jek­te der Initia­ti­ve Schwar­ze Men­schen in Deutsch­land (ISD) , einer der tra­gen­den Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen Schwar­zer Men­schen, ist des­halb die Aus­stel­lung «Home­sto­ry Deutsch­land – Schwar­ze Bio­gra­phien in Geschich­te und Gegen­wart» zu erwäh­nen. Anhand von 27 visu­ell auf­be­rei­te­ten Bio­gra­phien von Schwar­zen Män­nern und Frau­en wird in der Aus­stel­lung das Schaf­fen Schwar­zer Men­schen in diver­sen gesell­schaft­li­chen Berei­chen exem­pla­risch dar­ge­stellt. Die Aus­stel­lung doku­men­tiert mit einem aus­ge­wo­ge­nen Ver­hält­nis zwi­schen Ange­hö­ri­gen unter­schied­li­cher Gene­ra­tio­nen, zwi­schen öffent­li­chen und nicht­öf­fent­li­chen Wir­kungs­sphä­ren, zwi­schen Schwar­zen Men­schen mit und ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund, aus Ost und West, wodurch die Hete­ro­ge­ni­tät Schwar­zer Anwe­sen­hei­ten bekräf­tigt und die Wirk­wei­se von Mehr­fa­ch­un­ter­drü­ckun­gen offen­ge­legt werden.

Die indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Erfah­run­gen von All­tags­ras­sis­mus stel­len für Men­schen afri­ka­ni­scher Her­kunft einen Erfah­rungs­zu­sam­men­hang dar, inner­halb des­sen sie in Geschich­te und Gegenwart

  1. eigen­stän­di­ge Selbst­de­fi­ni­tio­nen ent­wi­ckeln, die ihre jewei­li­ge his­to­ri­sche Aus­gangs­si­tua­ti­on reflektieren;
  2. mit häu­fig wider­stän­di­gem Eigen-Sinn nach indi­vi­du­el­len und gemein­schaft­li­chen Alter­na­ti­ven suchen und poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Netz­wer­ke eta­blie­ren, die trans­na­tio­nal ange­legt sind;
  3. intel­lek­tu­el­le Tra­di­tio­nen begrün­den, die – aus­ge­hend von der geleb­ten Erfah­rung – auf ein spe­zi­fi­sches dia­spo­ri­sches Den­ken verweisen;
  4. die mehr­heits­ge­sell­schaft­li­chen Vor­stel­lun­gen einer bis heu­te auch ras­si­fi­zier­ten «Leit­kul­tur» auf unter­schied­li­che Wei­se verhandeln.

Neben die­sen Effek­ten ist aber vor allem die Ermäch­ti­gung der Schwar­zen Gemein­schaft im Umgang mit ihrer eige­nen Geschich­te und ihrer Erfah­run­gen von gro­ßer Bedeu­tung. Sie ver­setzt nicht nur die ein­zel­nen Men­schen in die Lage, selbst­re­fle­xiv zu einem selbst­be­stimm­ten Eman­zi­pie­rungs­pro­zess zu gelan­gen, son­dern ermäch­tigt sie, ihre Kon­zep­te, Vor­stel­lun­gen und Lebens­ent­wür­fe umzu­set­zen. Wie sehr dies in den letz­ten drei­ßig Jah­ren statt­ge­fun­den hat, zei­gen die zahl­rei­chen Initia­ti­ven, Pro­jek­te, Kam­pa­gnen und Inter­ven­tio­nen, die zu einem immer stär­ker wer­den­den kol­lek­ti­ven Bewusst­sein Schwar­zer Men­schen beitragen.

Über die his­to­ri­schen Ein­bli­cke hin­aus eröff­net die Aus­stel­lung nicht nur der Schwar­zen Gemein­schaft einen bestär­ken­den und posi­ti­ven Blick auf ihre Geschich­te, Bei­trä­ge und Leis­tun­gen, sie gibt auch der wei­ßen Mehr­heits­ge­sell­schaft die Mög­lich­keit, eine oft unbe­kann­te Per­spek­ti­ve auf deut­sche Geschich­te zu eröff­nen. In den letz­ten zehn Jah­ren, in denen die Aus­stel­lung zu sehen war, wur­de deut­lich, wel­che gro­ße Bedeu­tung die Selbst­in­sze­nie­rung Schwar­zer Geschich­te hat und wel­chen wich­ti­gen Bei­trag sie lie­fert bei dem längst not­wen­di­gen Perspektivwechsel.

Die neu­ge­won­ne­ne Erkennt­nis über die Mög­lich­keit eines selbst­be­stimm­ten Han­delns und Den­kens ver­setzt Schwar­ze Men­schen in die Lage, nicht nur für ihre im deut­schen Kon­text ver­brief­ten Rech­te ein­zu­ste­hen, son­dern auch die uni­ver­sel­len Men­sch­rech­te ein­zu­for­dern. Die­se Erkennt­nis­se füh­ren zu einem Pro­zess der Ermäch­ti­gung bei Schwar­zen Men­schen, der gera­de in Deutsch­land noch in den Anfän­gen steckt. Als Ergeb­nis die­ses Empower­ment-Pro­zes­ses wer­den sie in die Lage ver­setzt, die immer wie­der­keh­ren­de Fremd­be­stim­mung und der nach wie vor statt­fin­den Ent­rech­tung ent­ge­gen­zu­tre­ten. Zu die­sem Pro­zess zählt im Übri­gen auch die Schaf­fung «siche­rer Räu­me», in denen Schwar­ze Men­schen selbst­be­stimmt Pro­jek­te, Kam­pa­gnen und Kon­zep­te ent­wi­ckeln und umsetzen.

Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung #Fer­gu­so­nIs­E­ver­y­whe­re Bild: Boillot

Uni­ver­sel­le Men­schen­rech­te müs­sen immer wie­der aufs Neue ein­ge­for­dert wer­den. Sie sind Teil eines glo­ba­len Kamp­fes, denn sie ste­hen aus Sicht der wei­ßen Mehr­heits­ge­sell­schaft immer wie­der zur Dis­po­si­ti­on. Sie betref­fen nicht nur die indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen, son­dern auch die Erfah­run­gen mit dem in den Insti­tu­tio­nen ver­haf­te­ten Ras­sis­mus. Wie not­wen­dig dies ist, zeigt uns die Kam­pa­gne der ISD gegen die poli­zei­li­che Pra­xis des «Racial Pro­fil­ing» – eine Poli­zei­ar­beit, die ras­sis­tisch begrün­det ist und die die Lebens­rea­li­tät Schwar­zer Men­schen bestimmt. Racial Pro­fil­ing beschreibt die dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­wen­dung von Zuschrei­bun­gen wie eth­ni­sche Zuge­hö­rig­keit, phä­no­ty­pi­sche Merk­ma­le, natio­na­le Her­kunft u.a. als Grund­la­ge für poli­zei­li­che Iden­ti­täts­kon­trol­len, Durch­su­chun­gen oder gewalt­vol­le Maß­nah­men ohne kon­kre­tes Indiz.

Ein ein­schnei­den­des Ereig­nis in der jün­ge­ren Geschich­te Deutsch­lands hat den Blick auf die­se der Schwar­zen Com­mu­ni­ty schon lan­ge bekann­te Pro­ble­ma­tik auch einer grö­ße­ren Öffent­lich­keit ermög­licht. Im Dezem­ber 2010 wur­de ein Schwar­zer Deut­scher auf der Stre­cke Kas­sel – Frank­furt am Main im Rah­men einer ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Per­so­nen­kon­trol­le von der Bun­des­po­li­zei auf­ge­for­dert, sich aus­zu­wei­sen. Er war bereits mehr­fach selbst Ziel sol­cher Kon­trol­len. Zudem hat­te er immer wie­der mit­er­lebt, wie Schwar­ze bzw. Peo­p­le of Color grund­los kon­trol­liert wur­den, wäh­rend ande­re Fahr­gäs­te sich nicht aus­wei­sen muss­ten. Daher wei­ger­te er sich, sei­ne Papie­re vor­zu­zei­gen und wur­de dar­auf­hin durch­sucht und abge­führt. Im Anschluss die­ser Erfah­rung klag­te der Stu­dent gegen die Bun­des­po­li­zei bzw. gegen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Das zustän­di­ge Ver­wal­tungs­ge­richt Koblenz hat­te nichts zu bean­stan­den an die­ser Poli­zei­pra­xis und wies die Kla­ge ab – und bestä­tig­te damit die Ein­schät­zung der Poli­zei, dass der­ar­ti­ge Kon­trol­len rech­tens seien.

Nicht nur wur­de bei der Ent­schei­dung außer Acht gelas­sen, dass das Grund­ge­setz (Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz in Arti­kel 3 Absatz 2 und 3) den Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung vor­sieht, es wur­den auch sämt­li­che von Deutsch­land unter­zeich­ne­ten men­schen­recht­li­chen Abkom­men igno­riert, die eine sol­che Pra­xis ver­bie­ten.

Dar­auf­hin ging der Stu­dent in Beru­fung vor das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Rhein­land-Pfalz in die nächs­te Instanz, das fest­stell­te, dass die­se Maß­nah­me der Poli­zei rechts­wid­rig ist. Die Bun­des­po­li­zei muss­te dies aner­ken­nen und sich bei dem Stu­den­ten ent­schul­di­gen. Die­se Ent­schei­dung, wenn­gleich kei­ne Grund­satz­ent­schei­dung, erkann­te zum ers­ten Mal juris­tisch an, dass Racial Pro­fil­ing in Deutsch­land durch­ge­führt wird, obwohl es von Poli­tik und Behör­den bis heu­te geleug­net wird. Wie weit­rei­chend die­se zum Teil rechts­wid­ri­gen poli­zei­li­chen Maß­nah­men sein kön­nen, zei­gen Fäl­le wie die des bis heu­te unge­klär­ten Todes von Oury Jal­loh und die Mord­se­rie der rechts­ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung aus Jena, die zwi­schen den Jah­ren 2000 und 2007 zehn Men­schen das Leben kos­te­te. Im letz­te­ren Fall hat die ras­sis­ti­sche Ein­schät­zung der Ermitt­lungs­be­hör­den dazu geführt, dass die Ermitt­lun­gen nur im Umfeld der Opfer geführt wur­den – und dies, obwohl Hin­wei­se vor­la­gen, dass die Mör­der der rechts­extre­men Sze­ne zuzu­rech­nen sei­en –, und es wur­den zusätz­lich in uner­träg­li­cher Wei­se ras­sis­ti­sche Ste­reo­ty­pe und Kli­schees bedient, die eine Auf­klä­rung gera­de­zu unmög­lich machten.

Als die bei­den Täter Mund­los und Böhn­hardt durch ihren Selbst­mord den wah­ren Hin­ter­grund ans Licht brach­ten, wur­de im Anschluss viel vom Ver­sa­gen der Sicher­heits- und Ermitt­lungs­be­hör­den gespro­chen – und nicht davon, dass es viel­mehr ras­sis­tisch begrün­de­te Hal­tun­gen in deren Struk­tu­ren waren, die den Mör­dern in die Hän­de spiel­ten. Zusätz­lich zu die­ser Tat­sa­che wird und wur­de das Vor­han­den­sein von insti­tu­tio­na­li­sier­tem Ras­sis­mus geleug­net, und dies obwohl alle bis­he­ri­gen Erkennt­nis­se, die durch Unter­su­chungs­aus­schüs­se in Bund und Län­dern bekannt wur­den, genau das bestätigen.

Ent­wick­lun­gen, wie die oben beschrie­be­nen, füh­ren aus Sicht der ISD zu wach­sen­dem Miss­trau­en Schwar­zer Men­schen nicht nur den Sicher­heits­be­hör­den gegen­über, son­dern zu einen Ver­trau­ens­schwund gegen­über der Mehr­heits­ge­sell­schaft und ihrer Bereit­schaft, sie als Teil die­ser Gesell­schaft zu wahr­zu­neh­men. Es ist des­halb das obers­te Ziel der ISD, eine stär­ke­re Par­ti­zi­pa­ti­on der Schwar­zen Gemein­schaft an den gesell­schafts­po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen in Deutsch­land zu errei­chen, mit dem Ziel einer nicht-ras­sis­ti­schen Gesell­schaft, die auf einem gleich­be­rech­tig­ten Mit­ein­an­der beruht.

 

Tahir Del­la ist seit 1986 in der Initia­ti­ve Schwar­ze Men­schen in ver­schie­de­nen Funk­tio­nen aktiv. Aktu­ell ist der Mün­chen gebo­ren und auf­ge­wach­se­ne Akti­vist Teil des fünf­köp­fi­gen Vor­stan­des von ISD Bund und ist in die­ser Rol­le für die Kam­pa­gne gegen Racial Pro­fil­ing ver­ant­wort­lich und koor­di­niert und orga­ni­siert alles rund um die Aus­stel­lung «Home­sto­ry Deutsch­land». Dar­über hin­aus ist er für die Ver­net­zung der ISD in der Schwar­zen Com­mu­ni­ty zustän­dig und die Unter­stüt­zung diver­ser Pro­jek­te die außer­halb der ISD ange­sie­delt sind.

 

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