Ursula Haverbeck: Leugnen bis zum letzten Atemzug

Blu­men für die Holo­caust­leug­ne­rin: Ursu­la Haver­beck ist in der „poli­ti­schen Erwach­se­nen­bil­dung“ tätig. Vor Gericht ver­tritt sie der noto­ri­sche Wolf­ram Nahr­ath.     Foto: Kim Winkler

92 Jah­re und kein biss­chen wei­se: Vor dem Amts­ge­richt Tier­gar­ten begann Mit­te Novem­ber der Pro­zess gegen die noto­ri­sche Holo­caust­leug­ne­rin Ursu­la Haver­beck. Ange­klagt ist die Hoch­be­tag­te wegen Volks­ver­het­zung. Sie muss sich nicht das ers­te Mal wegen eines sol­chen Vor­wurfs ver­ant­wor­ten. Erst Anfang Novem­ber wur­de sie aus einer zwei­jäh­ri­gen Haft ent­las­sen, die sie wegen mehr­ma­li­ger Leug­nung des Holo­caust antre­ten muss­te. Auf­grund ihrer hals­star­ri­gen Ver­herr­li­chung des Natio­nal­so­zia­lis­mus ist Haver­beck eine spek­tren­über­grei­fen­de „Sym­bol­fi­gur“ der bun­des­deut­schen Neo­na­zi­sze­ne. Im Jahr 2018 mar­schier­te die Par­tei „Die Rech­te“ durch Bie­le­feld, um ihre Frei­las­sung zu for­dern. Im glei­chen Jahr tru­gen zahl­rei­che Neo­na­zis beim Auf­marsch zu Ehren des Hit­ler-Stell­ver­tre­ters Rudolf Heß in Ber­lin T‑Shirts mit ihrem Kon­ter­fei und zeig­ten wei­te­re Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen. Auch die NPD sym­pa­thi­siert mit Haver­beck. Die Par­tei kleb­te Pla­ka­te für sie und nahm sie nach der zurück­lie­gen­den Haft­ent­las­sung mit füh­ren­den Mit­glie­dern in Empfang.

In der nun ver­han­del­ten Ankla­ge geht es um ein Video, in dem Haver­beck gemein­sam mit dem selbst­er­nann­ten „Volks­leh­rer“ Niko­lai Ner­ling zu sehen ist. Der Vor­wurf lau­tet „Leug­nung des Holo­causts“, straf­bar nach § 130 Abs. 3 StGB. Ver­tei­digt wird sie dabei vom bekann­ten Neo­na­zi-Anwalt Wolf­ram Nahr­ath, der zuletzt als einer der Ver­tei­di­ger des NSU-Unter­stüt­zers Ralf Wohl­le­ben in Erschei­nung trat. Bis zu ihrem Ver­bot 1994 war er Bun­des­füh­rer der HJ-Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on „Wiking Jugend“. Im Anschluss an den aktu­el­len Pro­zess hebt er in einem wei­te­ren „Volkslehrer“-Video die „inne­re Hal­tung“ der Ange­klag­ten Haver­beck hervor.

Pro­mi­nen­te Unterstützer

Zur Unter­stüt­zung Haver­becks haben sich fast zwan­zig Neo­na­zis aus dem gesam­ten Bun­des­ge­biet vor dem Saal 101 des Amts­ge­richts ein­ge­fun­den. Sie haben der Ange­klag­ten Blu­men mit­ge­bracht. Neben dem Vor­sit­zen­den der Ber­li­ner NPD sind eben­falls Tho­mas Wulff, Uwe Mee­nen und Mar­cel Zech anwe­send. Zech ver­büß­te vor eini­gen Jah­ren selbst eine Frei­heits­stra­fe wegen Volks­ver­het­zung, ver­tre­ten wur­de auch er sei­ner­zeit von Nahrath.

Auch Niko­lai Ner­ling, des­sen Video erst zur Ankla­ge Haver­becks führ­te, fin­det sich im Gericht ein, um den Pro­zess zur Selbst­in­sze­nie­rung zu nut­zen. In bekann­ter Manier filmt er das Gesche­hen vor dem Saal und kom­men­tiert alles um sich her­um. Als die Gerichts­spre­che­rin erscheint, wird er zunächst nach sei­nem Pres­se­aus­weis gefragt. Statt eines bun­des­ein­heit­li­chen Pres­se­aus­wei­ses deu­tet Ner­ling jedoch auf ein Stück Papier mit Namen, Anschrift und dem Titel „Der Volks­leh­rer“, dass er um den Hals hän­gen hat. Im Gegen­satz zu vie­len Polizist*innen auf Demons­tra­tio­nen reicht der Gerichts­spre­che­rin die­ses Fake-Doku­ment nicht aus und sie bit­tet Ner­ling das Fil­men zu unter­las­sen. Als dies nicht pas­siert, ruft sie Justizbeamt*innen hin­zu, um ihn des Gebäu­des zu ver­wei­sen. Als die­se Ner­ling berüh­ren, lässt er sich thea­tra­lisch fal­len und wird unter laut­star­ken Ver­wei­sen auf sein „Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung“ aus dem Gerichts­ge­bäu­de gewor­fen. Ein ähn­li­ches Schick­sal ereil­te ihn auch einen Tag spä­ter, als er bei den ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Pro­tes­ten im Zen­trum Ber­lins gegen die Ände­rung des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes als einer der ers­ten von der Poli­zei mit­ge­nom­men wurde.

Juris­ti­sche Winkelzüge

Die Ver­hand­lung gegen Haver­beck beginnt dann mit einer ähn­li­chen Insze­nie­rung. „Ich ver­steh kein Wort“, sagt die 92-Jäh­ri­ge laut­stark als der Rich­ter zu spre­chen beginnt und zuckt mit den Schul­tern. Ihr Anwalt Wolf­ram Nahr­ath ver­weist auf einen Antrag, der eine ver­meint­li­che Schwer­hö­rig­keit Haver­becks gel­tend macht. Zur Fort­füh­rung der Ver­hand­lung bie­tet der Rich­ter an, dass die grei­se Ange­klag­te näher nach vorn rücken oder Kopf­hö­rer bekom­men kön­ne. Doch Haver­beck, die die­ses Ange­bot auf ein­mal sehr gut ver­steht, erwi­dert nur: „Ich möch­te das nicht, das ist mir alles zu viel.“ Dar­auf­hin drängt Nahr­ath auf eine Aus­set­zung des Ver­fah­rens bis sei­ne Man­dan­tin mög­li­cher­wei­se eine Hör­pro­the­se bekommt, um so dem Ver­fah­ren ordent­lich fol­gen zu kön­nen. Doch der Rich­ter lässt statt­des­sen Kopf­hö­rer für Haver­beck in den Saal brin­gen, womit die Ver­hand­lung begin­nen kann.

Bei der Fest­stel­lung ihrer Per­so­na­li­en betont Haver­beck in der poli­ti­schen Erwach­se­nen­bil­dung tätig gewe­sen zu sein. Was sie dar­un­ter ver­steht, wird spä­ter klar, als sie aus­führt, dass nie­mand der Anwe­sen­den im Natio­nal­so­zia­lis­mus dabei gewe­sen sei und man somit gar nicht dar­über spre­chen kön­ne, um was es sich dabei eigent­lich gehan­delt habe. Des­we­gen sei es seit bei­na­he 30 Jah­re ihr Haupt­an­lie­gen, immer wie­der dar­zu­le­gen, wie das „deut­sche Recht zer­stört wur­de“. Nach der Abfra­ge der Per­so­na­li­en bean­tragt Nahr­ath erneut, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen. Die Ver­hand­lung sei nicht fair, begrün­det er dies­mal, da sich aus der Ankla­ge erge­be, dass Ner­ling mit Haver­beck gemein­schaft­lich beschul­digt sei. Aller­dings lie­fen die Ver­fah­ren nun getrennt von­ein­an­der. Des­halb befürch­te er, dass Ner­ling und Haver­beck gezwun­gen wer­den könn­ten, als Zeug*innen gegen­ein­an­der aus­zu­sa­gen. Die Staats­an­walt­schaft erwi­dert, dass Ner­ling aber in die­sem Ver­fah­ren gar nicht als Zeu­ge geführt wer­de. Doch Nahr­ath sieht die Gefahr einer spä­te­ren Benen­nung. Der Rich­ter lehnt den Antrag ab und es folgt die Ver­le­sung der Ankla­ge­schrift. Dar­auf­hin mel­det sich Haver­beck zu Wort: „Ich habe über­haupt nichts geleug­net und nichts ver­harm­lost, das ist schon falsch“.

Selbst­in­sze­nie­rung der „Über­zeu­gungs­tä­te­rin“

Haver­beck beginnt sich nun zum Gesche­hen zu äußern. Sie nutzt die öffent­li­che Büh­ne der Gerichts­ver­hand­lung für eine lan­ge Pro­pa­gan­da-Rede. Sie tritt wort­ge­wandt und ideo­lo­gisch über­zeugt auf. Sie redet laut und deut­lich fast eine Stun­de lang zu ihren The­sen, die sie in Ner­lings Inter­view kund­ge­tan hat. Die Insze­nie­rung als „Über­zeu­gungs­tä­te­rin“ liegt ihr. „Aus­schwitz ist tat­säch­lich kein Ver­nich­tungs­la­ger“, erklärt sie und holt lan­ge für die Begrün­dung die­ser erneu­ten Holo­caust­leug­nung aus, in der sie sagt, dass der Rich­ter ja auch nicht in Ausch­witz dabei gewe­sen sei und bei­spiels­wei­se Zyklon B gar nicht zum Töten geeig­net gewe­sen sei. Sie stel­le ja nur Fra­gen und wol­le auf­klä­ren: „Des­halb ver­steh‘ ich die­se gan­ze Ver­an­stal­tung heu­te hier nicht.“ Nach der Rede mel­det sich erneut Nahr­ath zu Wort. Er erklärt, dass das Ver­fah­ren ein­ge­stellt wer­den müs­se, da es ihm an Legi­ti­mi­tät man­ge­le. Das begrün­det er damit, dass der § 130 Abs. 3 StGB (Volks­ver­het­zung), des­sent­we­gen Haver­beck ange­klagt sei, ohne­hin ein „Fremd­kör­per in der Rechts­ord­nung“ sei. Er kön­ne nicht ver­ste­hen, dass „das schlich­te Abstrei­ten des Holo­causts oder Zwei­fel oder ange­zwei­fel­te Opfer­zah­len zu Stra­fe füh­ren“. Er bezieht sich damit auf die in der Neo­na­zi­sze­ne gän­gi­ge Argu­men­ta­ti­on, dass die ent­spre­chen­den Äuße­run­gen von der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung gedeckt wür­den. Danach führt er aus, dass Haver­beck noch zwei Beru­fungs­ver­fah­ren offen hat, bei denen sie jeweils in der ers­ten Instanz zu Haft­stra­fen ver­ur­teilt wur­de. Er begrün­det sei­ne erneu­te For­de­rung nach Ein­stel­lung des Ver­fah­rens damit, dass Haver­beck bei einer wei­te­ren Haft­stra­fe ver­mut­lich nicht vor ihrem Tod ent­las­sen wer­den würde.

Kein Urteil in Sicht

Nach meh­re­ren die­ser erfolg­lo­sen Ver­su­che, das Ver­fah­ren ein­zu­stel­len, wird das Video von Haver­beck und Ner­ling gesich­tet. Kurz dar­auf erklärt Nahr­ath im Namen sei­ner Man­dan­tin, dass sie von der spä­te­ren Ver­öf­fent­li­chung des Vide­os nichts gewusst habe. Da Haver­beck kei­ne Auf­nah­me und Ver­brei­tung geplant habe, sei sie dem­zu­fol­ge unschul­dig. Den Hin­weis der Staats­an­walt­schaft, dass es über die Sei­te „ursu​la​-haver​beck​.info“ ver­brei­tet wor­den sei, wischt Nahr­ath mit Hin­weis auf das Alter der Ange­klag­ten und ihrer feh­len­den Ver­traut­heit mit digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on bei­sei­te. Um sei­ne The­se zu bewei­sen, for­dert Nahr­ath nun selbst die Vor­la­dung Ner­lings als Zeu­ge. Trotz der all­ge­mei­nen Ver­wun­de­rung über die­sen Sin­nes­wan­del wird dem Antrag stattgegeben.

Der Fort­set­zungs­ter­min ist für den 4. Dezem­ber im Amts­ge­richt Tier­gar­ten statt.