„Die Bundesregierung will ein neues Ermächtigungsgesetz verabschieden, mit weitreichenden Folgen und Einschränkungen von demokratischen Freiheitsrechten und Menschenrechten!“ Darauf folgen noch ein paar Fakten, die das Geschriebene beweisen sollen, und ein wirrer Vergleich mit den Montagsdemonstrationen 1989. So und ähnlich, teilweise sogar mit Aufforderung zu Bewaffnung, wird vor allem im Internet für die Corona-Demonstration am 18. November in Berlin geworben.
Schon auf dem Weg zur Demo wimmelt es in der S‑Bahn von sogenannten Querdenkern. Diese wirken allerdings auf den ersten Blick alle recht harmlos. So etwa eine Gruppe aufgeregter Ehepaare mittleren Alters, die sich schnell noch ein kleines Plakat für die Demo bastelt und mit Sicherheitsnadeln ein Stück Stoff mit der Aufschrift „Fördert O2 Mangel“ an der Maske befestigt. Die Träger*innen jedenfalls leiden offensichtlich nicht an Sauerstoffmangel. Lauscht man ihren Gesprächen für einen Moment möchte einem übel werden: So geht es im ersten Satz noch um die mitgebrachten Brötchen, wenn man jedoch länger zuhört, dreht sich ihre Unterhaltung aber auch darum, dass die gesamte Menschheit eingesperrt wird und die Würde des Menschen abgeschafft wird durch diesen „Maulkorb“, der im gemeinen Sprachgebrauch Maske genannt wird. Harmlos klingt anders.
Auf der Demo angekommen ist der erst Eindruck auch nicht gerade ein harmloser. Zwischen diversen Deutschlandfahnen sieht man auch mehrere AfD-Banner und sogar zwei bis drei Reichsflaggen. Auf die Panzer-Statuen vor dem sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni sind mehrere Leute geklettert. Einer brüllt laut „FRIEDEN!“ in sein Megaphon, die Menge davor antwortet mit „FREIHEIT!“. Viel mehr Parolen haben sie aber auch nicht, vereinzelt werden bereits bekannte wie „This is what democracy looks like“ [„Das soll Demokratie sein“] und „Schämt euch!“ skandiert, das war es dann aber auch. Hören tut man die Demo trotzdem, mit allerlei Gerät von Trillerpfeifen bis Töpfen wird eine Menge Lärm gemacht. Die Stimmung ist, je weiter man zum Brandenburger Tor kommt, immer aufgeladener. Während weiter hinten vor allem Lärm gemacht wird, hört man am Platz des 18. März auch viele wütende Zwischenrufe, die sich vor allem gegen die aktuellen Hygienemaßnahmen, aber auch gegen eine angeblich in Aufbau befindliche Diktatur richten, und sieht auch deutlich mehr Leute, die man auf den ersten Blick als Nazis einstufen würde.
Hygienevorschriften? I wo!
Im Umfeld der Demo, vor allem im Tiergarten, sind eine Menge Leute unterwegs, die versuchen andere Menschen für ihre spezielle Verschwörungstheorie zu begeistern. Vor allem, wenn man eine Maske trägt, wird man auch von Menschen angequatscht, die meinen, sie müssten einen von irgendetwas überzeugen, und die teilweise nur schwer abzuwimmeln sind. Irgendein Rüdiger wirbt für seinen Telegram-Kanal, wo es immer die „offiziellen“ Top-Infos gibt. Ein Stück weiter bekommt man Flyer in die Hand gedrückt, die einem weismachen wollen, dass es den deutschen Staat gar nicht gibt und man unbedingt mithilfe von Russland jetzt Friedensverträge schließen müsse, denn der Zweite Weltkrieg sei nie beendet worden usw. usf. Interessant allerdings deshalb, weil zumindest dieser Flyer sich gegen Faschismus positioniert. Trotzdem laufen die Leute, die ihn verteilen, an der Seite von Nazis. Auch von diesen kann man auf der Demo ohne große Mühe einige an Fahnen oder Kleidung erkennen. Wenn man etwas weitergeht, findet man auch noch weitere kleinere Kundgebungen, z.B. an der Spree in der Nähe vom Reichstag auf der Marschallbrücke . Dort wird dann von ein paar Leuten mit Deutschlandfahnen auch einfach mal die Nationalhymne angestimmt. Das nimmt zwar jetzt nicht die ganze Menge mit, viele singen jedoch trotzdem recht begeistert mit.
Masken? Fehlanzeige. Auf 500 Leute kommt vielleicht ein Mund-Nasen-Schutz – und den tragen Journalist*innen, denen Presseausweise um den Hals baumeln. Auf Abstände wird auch nicht geachtet. Auf der Straße des 17. Juni werden diese zwar eingehalten, weiter vorne in der Demo am Platz des 18.März, wo sich die Menge zu stauen beginnt, stehen die Leute ungeachtet der aktuellen Situation und der entsprechenden Demo-Auflagen dicht an dicht. Trägt man eine Maske, wird man zwar in Ruhe gelassen, die Blicke, die man abbekommt, sind allerdings auf das gesamte Spektrum von kopfschüttelnd über skeptisch bis offen aggressiv verteilt. Polizeipräsenz gibt es zumindest bei Beginn der Demo kaum, nur am und in der Nähe des Brandenburger Tors und des Pariser Platzes sind wirklich viele Polizist*innen zu sehen. Es wird aber wohl fürs Erste auf Deeskalation gesetzt. Dass die Demonstration ein wahres Paradies für die Verbreitung des Covid-19-Erregers ist und offensichtlich gegen die Hygienevorschriften verstößt, scheint erst einmal nebensächlich zu sein.
Neues Wort gelernt: „Beregnen“
Fast wirkt es als fielen den Behörden die Verstöße gegen die Hygienerichtlinien erst nach einer Weile auf, aber um etwa 12 Uhr wird die Demonstration von der Polizei über Lautsprecher für beendet erklärt. Nachdem das, wie erwartet, nicht ausreicht, um die Veranstaltung wirklich aufzulösen, werden auch Wasserwerfer herbeigeschafft. Einerseits etwas Besonderes, dass diese auch mal gegen Demos aus dem eher rechten bis sehr rechten Spektrum eingesetzt werden, andererseits werden die „Querdenker“ dann nur etwas von oben „beregnet“ – eine Woche vorher in Frankfurt oder Leipzig war der Wasserstrahl gegen linke Demonstrant*innen noch direkt auf die Demo gerichtet worden. Dieses Vorgehen begründet die Polizei damit, dass sich auch Kinder in den vorderen Reihen befunden hätten. Verständlich zwar, aber auch wieder ein komischer Widerspruch: Dieselben Leute, die meinen, ihre Kinder vor dem Tragen von Masken wie vor dem Teufel schützen zu müssen, setzen genau diese Kinder in gewisser Weise als Schutzschilder vor Wasserwerfern ein. Die Stimmung hat sich mittlerweile stark verändert. Die Menge ist wütender geworden, immer wenn die Wasserwerfer anfangen die Demo zu wässern, hört man überall Pfiffe und wütende Ausrufe. In den vorderen Reihen sind keine Herzen und Ballons mehr zu sehen, Deutschland- und AfD-Fahnen wehen aber weiter – auch wenn es ihnen durch die Nässe nicht leichtgemacht wird.
Die Polizei braucht noch mehrere Stunden bis die Demo am Brandenburger Tor komplett aufgelöst ist, viel Neues passiert nicht mehr. Ein bisschen Regen reicht nicht aus, um die Menge schnell zu vertreiben. Am Ende werden 365 Demonstrant*innen vorübergehend festgenommen, die meisten wegen Verdachts auf Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz. Und eine Impfdiktatur gibt´s immer noch nicht.