
„Kontinuitäten rechter Gewalt. Ideologien – Praktiken – Wirkungen“ wollte eine Tagung Mitte Februar am Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam abschreiten. Der Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte hatte dazu eingeladen, ausgerichtet wurde sie vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, dem Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam, dem Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung Dresden und dem Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main. In der Einladung wiesen die Organisator*innen darauf hin, dass „extrem rechtes Denken stets Teil der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert“ war und gewaltförmiges Handeln seit jeher zur politischen Praxis der „nationalen Opposition“ gehört.
Mit dieser zutreffenden Ansage schob der Inhalt dieser Tagung die nach 1945 von den westdeutschen Sicherheitsbehörden erfundene Matrix eines „Rechstextremismus“ souverän beiseite. Nicht zuletzt der aus einem „Netzwerk von Kameraden“ bestehende NSU hat in dem Anfang November 2011 verschickten Selbstenttarnungsvideo mit der Eigenbezeichnung „Nationalsozialistischer Untergrund“ unmissverständlich deutlich gemacht, dass er seine Verbindungslinien bis in die Zeit der 1930er Jahre des 20. Jahrhundert zurückreichen sieht.
Gewalt ist keine Anomalie
Der Verlauf der Tagung schloss mit einer Reihe von Panels unterschiedliche Zugänge zur Thematik auf. Im Eröffnungsvortrag „Gewaltsoziologie und rechte Gewalt“ plädierte Teresa Koloma Beck unter Bezug auf Forschungen zu der Neueren Gewaltsoziologie dafür, Gewalt nicht als Anomalie, sondern als Teil der conditio humana zu verstehen. Das bedeute, dass es als Phänomen aus menschlichen Gesellschaften nie verschwindet, sondern nur zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten auf verschiedene Weise bearbeitet wird. Hier gelte es der „Eigenlogik der Gewalt auf die Spur“ zu kommen. Ihre Position, dass „Rechte Gewalt“ deshalb für den von ihr vertretenen Forschungsansatz kein Gegenstand sein könne, da das Attribut „rechts“ auf ideologische Kategorien verweise, die sich in der Gewalt selbst nicht widerspiegelten, stieß aber in der anschließenden Diskussion auf Widerspruch: Spätestens aus Opfersicht, so hieß es, spiele es sehr wohl eine Rolle, aus welchen auch ideologischen Gründen jemand von den Täter*innen angegriffen werde.
In ihren Beiträgen stellten Johanna Langenbrinck und Markus End auf die Interaktion rassistischer Gewalt von Teilen der Bevölkerung mit den Sicherheitsbehörden ab. Langenbrinck zeigte, wie die Berliner Polizei durch entprechende Einsätze im Scheunenviertel den Boden für das dann am 5. November 1923 dort verübte Pogrom bereitete. Markus End erinnerte an die heute wenig beachtete antiziganistische Dimension des tagelangen Wütens eines Mobs Ende August 1992 am „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen. Dabei sei die Funktion des Antiziganismus in den Debatten um Migration und Asyl bis jetzt kaum systematisch untersucht worden. Dabei stünden Roma in diesen Debatten regelmäßig symbolisch für die „unerwünschten Flüchtlinge“, die ‚„unerwünschten Migranten“, von denen die „Erwünschten“ unterschieden würden, womit die – in sich bereits sozialrassistische – Unterscheidung zwischen erwünscht und unerwünscht nochmals ethnisiert werde.
Manuela Bojadzijev verwies in ihrem Vortrag auf die aktive Rolle der Arbeitsmigrant*innen in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren im Kampf gegen den Rassismus. Eben dieser sei in Reaktion auf deren Ansprüche nach einem besseren Leben sowohl durch Diskurse als auch durch Institutionen entstanden. Aufgrund der gedrängten Zeit konnte hier die Frage nicht diskutiert werden, ob im Vergleich zu den von den Rassist*innen als „überflüssig“ angesehenen Opfergruppen der Jüdinnen und Juden und Sinti die Arbeitsmigrant*innen in der BRD ab den 1960er Jahren deshalb über bessere Kampfbedingungen verfügten, weil immer auch über ihre konkrete Stellung im Arbeitsmarkt verhandelt werden konnte.
In einem Panel zur „Organisierten Gewalt“ rückten Strukturen und Protagnist*innen nazistischer Gewalt in den Fokus der Beiträge. Gideon Botsch stellte dabei die Vita des Nationalsozialisten Arthur Ehrhardt (1896−1971) vor, der als Herausgeber der Monatsschrift „Nation Europa” bis zu seinem Tod als einer der einflussreichsten Publizisten und Netzwerker des Nazismus in der Bundesrepublik gelten kann. Dessen Ende 1944 ausgearbeitetes sogenanntes „Werwolf“-Konzept diene auch heute noch Neo-Nationalsozialist*innen als Blaupause für Terrorkonzepte. Barbara Manthe beschrieb die Konjunkturen rechtsterroristischer Gewalt in der Bundesrepublik in den 1970er und 1980er Jahren. Im Zentrum stand dabei die Darstellung eines der ersten großen Strafverfahrens gegen sechs Nazis, darunter Michael Kühnen, in Bückeburg 1979 wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Rassistische Morde im Blick
Johannes Morelli widmete sich am Beispiel der Region Nürnberg/Erlangen in den frühen 1980er Jahren der Selbstermächtigung (Empowerment) der Opfer nazistischer Gewalt, die aus seiner Sicht eine Zäsur in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Neonazismus darstellte. Dabei sei in dem „vergessenen Jahr des Terrors 1980“ (Anschläge der deutschen Aktionsgruppen auf Flüchtlingswohnheime, Anschlag auf das Oktoberfest, insgesamt 18 Tote) in der Reaktion auf die Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke im Dezember 1980 durch ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann ein überdurchschnittliches Selbstorganisationspotential von Angehörigen und der jüdischen Kultusgemeinde Nürnberg-Erlangen sichtbar geworden.
Ein weiteres Panel widmte sich der rechten Gewalt im Übergang von der DDR zur BRD. Besonders eindrücklich schilderte Claudia Pawlowitsch in ihrem Vortrag „Todesursache: Schwarz“ die Ermittlungen und die Debatten zum Tod des ehemaligen Vertragsarbeiters Jorge João Gomondai im April 1991 in Dresden, der von Skinheads aus einer Strassenbahn gestoßen worden war. Der Tod Gomondais stehe dabei symptomatisch für die rassistische Gewalt in der Transformationsgesellschaft. Anhand der Aussagen der elf Beschuldigten vor den Ermittlungsbehörden rekonstruierte Pawlowitsch deren Motive zur Tat. Niemals sei von den Befragten Gomondais Namen erwähnt worden, stattdessen wurden rassistische Bezeichnungen benutzt. Der aus Dresden stammende und seit Kurzem in der BRD wohnende Beschuldigte R., lehnte, wie auch andere, für sich nicht nur die Bezeichnung Neonazi ab: Er „habe nur gegenüber einer bestimmten Gruppe von Ausländern Vorbehalte und das sind die aus Kreuzberg“, erklärte er bei seiner Vernehmung. In den Autonomen und Punks sah hingegen der Beschuldigte B., der aus Westdeutschland stammte, deshalb ein weiteres Feindbild, „weil diese Leute meiner Meinung nach überhaupt kein Rechtsbewusstsein haben. Ich bin der Meinung, dass man in unserem Staat nicht kostenlos leben kann, was diese Leute aber denken, indem sie Häuser besetzen“.
Aus der Sicht der Skinheads, so Pawlowitsch, gehörte Gomondai, wie die „Kreuzberger“, die Punks oder Autonomen zu den Fremden, die ihre Normalität störten und derer man sich zu entledigen suchte. Die Diskussion war bestimmt von der Frage, ob sich in der Phase der Transformation der DDR zur BRD ab Ende der 1980er Jahre nicht so etwas wie ein nachgeholtes blutiges „Nationbuilding“ vollzogen habe, in dem von der politischen Rechten mit zum Teil barbarischen Mitteln versucht worden sei, zu bestimmen, wer nicht mehr dazu gehören soll.
Die Tagung war mit etwa 130 TeilnehmerInnen außerordentlich gut frequentiert. Aufgrund des begrenzten Raumangebotes und der großen Nachfrage musste leider noch einer erheblichen Zahl von Interessenten abgesagt werden. Auch das unterstreicht die Aktualität der behandelten Themenstellung. Jenseits der durch die Sicherheitsbehörden in der BRD stets vielgestaltig durchgeführten politischen Bewirtschaftung des „Rechtsextremismus“ — inklusive der hier immer mal wieder zu skandalisierenden „Versäumnisse“ — löste diese Tagung ihren Anspruch ein, einen mit historischer Tiefenschärfe profilierten Blick auf ein überraschend unterforschtes Thema zu lenken.