Die Berichte aus und über Unterkünften für Geflüchtete aus verschiedenen Teilen Deutschlands zeichnen alle ein ähnliches Bild: In vielen Sammellagern ist die Situation für die Menschen vor Ort nach wie vor katastrophal. Wir berichteten bereits Mitte April darüber: Mindestabstände können aufgrund der Enge, mangelhafter Gemeinschaftstoilletten und geteilter Wohnräume nicht eingehalten werden und führen zu rasanten Ausbreitungsketten mit dem SARS-CoV-2-Virus. Fehlende und vorenthaltene Informationen bzw. deren Übersetzung bedeuten außerdem eine enorme psychische Belastung für viele Bewohner*innen. Ihnen wird dabei regelmäßig jegliche Handlungsmöglichkeit und Entscheidungsfreiheit entzogen.
Ansu Janneh berichtet aus einer Unterkunft bei Bremen. Der junge Mann aus Gambia wurde verlegt, nachdem er sich keinem neuen Infektionstest unterziehen wollte. Der einzige Akt des Widerstands, der ihm möglich erschien, nachdem auf die vielfältigen Protestforderungen der Geflüchteten in der Landesaufnahmestelle für Asylbewerber und Flüchtlinge (LAST) Lindenstraße nicht reagiert worden war. Am Telefon hört man seine Resignation: „Wir wissen nichts über unser Schicksal. Dabei wollen wir nur wissen, was nach der Quaratäne mit uns geschieht…“.
„Interessant für Virologen“
In der Lindenstraße in Bremen hatten Geflüchtete schon im März gegen die fehlenden Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung des Virus demonstriert. Mitte April fand eine Demonstration durch die Stadt mit 50 angemeldeten Teilnehmenden statt, zu der Geflüchtete und Unterstützer*innen kamen. Die Forderungen: Schließung der Einrichtung und dezentrale Unterbringung für die Bewohner*innen. Aktuell herrscht Quarantäne in der Lindenstraße. Von den 374 Bewohner*innen des Lagers (Stand 1. Mai) sollen sich bereits 146 mit Covid-19 angesteckt haben. Dorette Führer vom Netzwerk Afrique-europe-interact berichtet: Die öffentlichen Informationen zur Lage vor Ort würden sich nicht mit dem decken, was Bewohner*innen aus dem Innern des Lagers berichteten. So würden positiv und negativ getestete Menschen nicht getrennt untergebracht. Die Schlafräume hätten zum Teil keine Fenster, die einzige Frischluft komme von den Fluren — mit von Security-Personal überwachten Fenstern.
Schlagzeilen im Kontext der LAST Lindenstraße machten auch die Aussagen der Sozialsenatorin Anja Stehlmann. Laut Berichten der taz äußerte sich die Grünen-Politikerin im Zuge der rasanten Ausbreitung des Virus‘ in der Unterkunft schockiert. Sie erklärte weiter, die Infektionen seien ja zumeist mild verlaufen und die hohe Zahl von Ansteckungen sei ja äußerst interessant in Bezug auf das „hohe Dunkelfeld“ des Virus‘. Wörtlich: „Für Virologen ist das interessant“. Für Ansu Janneh liegt da der Gedanke nahe, die zuständigen Stellen würden die Geflüchteten für Ansteckungsexperimente missbrauchen. Das Netzwerk Europe-Afrique-Interact fordert nun den Rücktritt der Sozialministerin.
Iso-Haft in „Absonderungseinrichtung“
Entmutigende Nachrichten kommen auch aus Nordrhein-Westfalen. Vor etwa zwei Wochen waren mindestens sechs Personen wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz (IfSG) in die Abschiebehaftanstalt Büren gebracht worden. Eine Inhaftierung laut des IfSG sei zwar nicht unüblich und rechtlich auch möglich, erläutert Frank Gockel vom Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft in Büren e.V.“. Die Menschen, die vorher in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Bielefeld untergebracht gewesen seien, seien die ersten (bekannten) Fälle überhaupt, die für diese Zwangsquarantäne nicht, wie üblich, in ein Krankenhaus, sondern in einer „Absonderungseinrichtung“ – wie die Abschiebehaftanstalt in diesem Kontext juristisch bezeichnet wird — untergebracht worden seien.
Und genau das sei das Gefährliche, so Gockel. In den Krankenhäusern gebe es Kontrollmechanismen über die Bedingungen. In der Abschiebehaft Büren „gibt es hingegen keine Spielregeln“. Die Menschen unterlägen der Willkür der Anstaltsleitung. Gockels Verein bemüht sich um Kontakt zu den Inhaftierten, aber es gibt keine Informationen, die Namen der Betroffenen sind nicht bekannt. Wegen des Infektionsschutzes darf niemand in die Einrichtung und die Menschen, teils Neuankömmlinge in Deutschland, verstehen vermutlich nicht, was mit ihnen passiert. Sie haben keine rechtliche Vertretung, keinen Beirat, keinen Kontakt nach draußen. Zwei Menschen sollen wohl bis Ende April schon aus der Haft entlassen worden sein. Wo sie jetzt sind, ist nicht bekannt — sie sind zumindest nicht zurück in der EAE Bielefeld:. „Dieses ‚Verschwindenlassen‘ der Leute“, Frank Gockel hält kurz inne, bevor er eindringlich weiterredet: „… mir als Mensch macht das eine totale Angst, weil es allem, was wir aus dem Nationalsozialismus gelernt haben, zuwiderläuft.“
Erster Corona-Toter in bayerischem Ankerzentrum
Auch Alexander Thal vom bayrischen Flüchtlingsrat macht seine Fassungslosigkeit über die Lage deutlich. Die Situation in Bayern sei sehr chaotisch, über 70.000 Geflüchtete seien unter verschiedenen Verwaltungsebenen in diversen Lagern in Bayern untergebracht. Dabei gebe es längst nicht zu all diesen Unterbringungen Informationen darüber, wie die Situation der Menschen vor Ort sei. In Schweinfurt hatte es vor zwei Wochen in einem der sieben bayrischen Ankerzentren, wie bestimmte Geflüchtetenunterkünfte in Bayern genannt werden, den ersten Corona-Toten gegeben. Der 60-jährige Mann mit Vorerkrankungen war zwar Mitte März in ein „speziell für Corona-anfällige Personen eingerichtetes Gebäude“ (Regierungserklärung) gebracht worden, dieses befand sich jedoch, so Thal, noch immer auf dem Gelände des Ankerzentrums und die Unterbringung sei trotz Ansteckung weiter in Doppelzimmern erfolgt. Dass sich der Mann, für den die Infektion tödlich endete, und viele weitere Menschen in Schweinfurt dennoch mit dem Virus anstecken konnten, zeige, so Thal, dass diese Maßnahmen offenkundig nicht ausgereicht hätten. Die Forderung nach einer dezentralen Unterbringung und Einzelunterkünften in Bayern bleibt weiter laut, eine Anzeige des Bayerischen Flüchtlingsrates wegen Verstoßes der Bayerischen Staatsregierung gegen ihr eigenes Infektionsschutzgesetz hat bisher nichts bewegt.
Positivere Nachrichten gibt es aus Sachsen. In den letzten zwei Wochen wurde vier Anträgen auf Rechtsschutz stattgegeben, die von Geflüchteten aus Einrichtungen in Leipzig, Dresden und Chemnitz gestellt worden waren. Diese hatten gegen die Bedingungen in den Einrichtungen geklagt, die eine Einhaltung der Empfehlungen zum Infektionsschutz unmöglich machen würden. Es zeichnet sich eine einheitliche Rechtsprechung in Sachsen zu dem Thema ab. Ob als politische Reaktion nun eine dezentrale Unterbringung aller Geflüchteten erfolgen wird, bleibt abzuwarten.
Scheinheiligkeit der Politik
Denn die Zustände in den Unterkünften in Sachsen sind, so berichtet Mark Gärtner vom sächsischen Flüchtlingsrat, wie in den anderen Bundesländern auch, untragbar, und das nicht erst seit der Corona-Krise. Die Unterkunft in der Hamburger Straße in Dresden, aus der sich nun zwei schwangere Frau herausgeklagt hätten, bereite schon länger Probleme, so Gärtner. Der Bau sei abgewrackt, die Zimmer marode, wie Fotos von Bewohner*innen dokumentierten. Sanitäranlagen müssten geteilt werden und Abstandhalten sei so nicht immer möglich. Eine Ausbreitung des Virus könne so auf keinen Fall verhindert werden. So sehr die Gerichtsurteile also einen Erfolg darstellten, so seien sie zugleich skandalös, sagt Gärtner. Denn sie untermauerten rechtlich etwas, was eigentlich schon lange vorher klar gewesen sein sollte, jedoch bisher keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen habe: Die Unterkünfte seien nicht angemessen und nicht geeignet für die massenhafte Unterbringung von Menschen und es sei nicht möglich, dort die hygienischen Standards zum Schutz vor einer Infektion einzuhalten. Gärtner ist entsetzt über die Scheinheiligkeit der Politik und die Ungleichbehandlung von Menschen in sächsischen Unterkünften. „Die Versuche, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, müssen für alle Menschen gelten“.
Auch in Sachsen-Anhalt gibt es weiterhin Proteste gegen die Bedingungen in den Geflüchtetenlagern. Bereits Anfang April hatten Bewohner*innen der ZASt in Halberstadt versucht, sich mit einem Hungerstreik gegen die desolaten Bedingungen vor Ort zur Wehr zu setzen. In der ZASt herrscht mit knapp 600 Menschen momentan eine circa 50-prozentige Auslastung. Das ließe vermuten, dass die Unterbringung immer noch in Mehrbettzimmern erfolge, sagt Georg Schütze vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Ein Zustand, den es laut Arbeitsministerium so gar nicht geben dürfe. Schütze dazu: „Es kann doch nicht sein, dass diese Verordnungen für einige gelten und für andere nicht“. Aus Halberstadt seien in den letzten Wochen zur Entzerrung der Situation positiv auf Covid-19 getestete Menschen in eine Quarantäne-Unterkunft in Quedlinburg gebracht worden. Die Informationsweitergabe über diese Maßnahmen an die Menschen vor Ort sei aber oftmals nicht ausreichend und führe zu einer kompletten Entmündigung der Geflüchteten, schildert das antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt die Lage auf seiner Website.
Lost in Benneckenstein
Nach Aussage einiger Geflüchteter sei ihnen zugesagt worden, nach einer zweiwöchigen Quarantäne in Quedlinburg in dezentrale Unterbringungen in der Region verlegt zu werden. Stattdessen wurden jedoch ungefähr 20 Menschen in eine weitere Sammelunterkunft in Benneckenstein im Harz transportiert. Dagegen regte sich der Protest der Betroffenen. Ein Mann berichtete einer Aktivistin über die desolate Situation vor Ort: „Es ist absolut unkomfortabel, wir fordern, auch in richtigen Unterkünften untergebracht zu werden. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Nacht draußen zu verbringen. Wir sind sehr unzufrieden. Seit einem Monat leiden wir, seit einem Monat rackern wir uns ab, seit zwei Wochen werden uns Versprechen gemacht und jetzt sind wir hier.“
Von der psychischen Belastung für die Geflüchteten in den Aufnahmelagern berichtet auch Rex Osa, Sprecher des Netzwerks „Refugees4refugees“ in Baden-Württemberg. Die Initiative hat sich zur Aufgabe gemacht, der Stimmen der Geflüchteten im Sammellager Ellwangen in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, und steht im engen Kontakt mit den Menschen in den Unterkünften. Die psychische Lage der Menschen sei furchtbar, berichtet Osa. Die Stimmung sei sehr angespannt, da niemand wisse, was als nächstes mit ihnen passieren werde. Am letzten April-Donnerstag sei eine Demonstration gegen die Bedingungen in der ZASt geplant gewesen, berichtet Osa,. Dort hätten sich in den vergangenen Wochen über 400 der 600 Bewohner*innen mit dem Corona-Virus infiziert. Eine räumliche Trennung der positiv und negativ getesteten Menschen habe es zwar gegeben, aber die dennoch rasche Ausbreitung des Virus‘ zeige deutlich, dass diese Maßnahmen allenfalls symbolisch gewesen seien. „Schon als wir unsere zweite Pressemitteilung Mitte April schrieben, wussten wir, dass sich vermutlich alle Menschen in der Unterkunft mit dem Virus infizieren würden. Und die Zahlen zeigen, dass genau das gerade passiert“, sagt Osa.
Wer meckert, wird verlegt
Zehn vor drei Uhr in der ZASt Ellwangen am Donnerstag, 30. April. Die Transparente in der ZASt liegen bereit. Rex Osa ist im Gespräch mit den Menschen, die dort in zehn Minuten eine Kundgebung halten wollen. Dann erreicht eine Nachricht die ZASt: 40 Menschen sollen aus der Unterbringung verlegt werden. Jetzt sofort, der Bus stehe schon bereit, heißt es. Von da an haben die zum Abtransport bestimmten Menschen wenige Minuten Zeit ihre Sachen zu packen, um dann mit einem Bus in eine andere Unterkunft in Giengen gebracht zu werden. Dass dabei die Leitfiguren der Demonstration als erstes verlegt werden, könne wohl kein Zufall sein, so Osa. Die Quarantäne in Ellwangen dauert derweil weiter an. Bis zum 10. Mai, so lassen öffentliche Stellen verlauten. Innerhalb der Einrichtung spreche man wohl eher vom 17. Mai, wie Menschen aus der Unterkunft berichten. Damit wären die Menschen dann über sechs Wochen in Vollisolation von der Außenwelt abgeschnitten. Wie in Sachsen werde es nun auch in Baden-Württemberg Versuche von Geflüchteten geben, juristisch gegen die Situation vorzugehen und Rechtsschutz für die Menschen in den Unterkünften zu erwirken, berichtet Rex Osa.
Während ein Großteil der Menschen in Deutschland also weiter hohe Bußgelder bei der Nicht-Einhaltung von Mindestabständen zahlt, müssen andere sich dieses „Privileg“ des „social distancings“ erst mühsam rechtlich erklagen. Eine der zahlreichen Inkonsistenzen des augenblicklichen Corona-Regimes. Refugees4refugees dazu am 20. April: „Wir fordern den gleichen Schutz für alle Menschen. Leider müssen wir es immer wieder sagen: Auch wir Geflüchteten sind Menschen. Menschenrechte gelten auch für uns.“