Empowerment durch Recht

Ange­sichts von Ent­mäch­ti­gung durch gesell­schaft­li­che Ungleich­heits­ver­hält­nis­se, wie Ras­sis­mus wer­den struk­tu­rel­le Macht­dif­fe­ren­zen geschaf­fen. Empower­ment ist ein eman­zi­pa­to­ri­scher und befrei­en­der Pro­zess, um von unglei­chen Macht­ver­hält­nis­sen in der Gesell­schaft aus­zu­bre­chen und die­se zu verändern.

Die Anwen­dung und Durch­set­zung von Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht ist eine der Mög­lich­kei­ten, die zur Ver­fü­gung ste­hen, wenn es dar­um geht, erleb­tes Unrecht sicht­bar zu machen und indi­vi­du­el­le Schutz­rech­te ein­zu­for­dern. In Deutsch­land gibt es seit 2006 das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG). Hier­bei han­delt es sich um die Umset­zung euro­päi­scher Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en u.a. aus dem Jahr 2000, die für alle euro­päi­schen Län­der ver­pflich­tend sind. Deutsch­land gehört zu den Län­dern, die als Schluss­lich­ter die Richt­li­ni­en in ein natio­na­les Gesetz umge­setzt haben. Dies lag auch am enor­men Wider­stand aus Kir­chen sowie Wirt­schafts- und Immo­bi­li­en­ver­bän­den. Ihr erfolg­rei­cher Ein­fluss ist im AGG in diver­sen Aus­nah­me­re­ge­lun­gen (z.B. die so genann­te «Kir­chen­klau­sel ») und stark ein­schrän­ken­den Rege­lun­gen (z.B. kur­ze Fris­ten) wie­der­zu­fin­den. Von den Gesetzesgegner_innen wur­den vor allem Ängs­te davor geschürt, dass enor­me Kos­ten durch Kla­ge­wel­len und Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ent­ste­hen wür­den.. Eini­ge Jah­re spä­ter ist klar, dass das Gegen­teil ein­ge­tre­ten ist. Die Zahl der Kla­gen ist über­sicht­lich und es müss­te eher gefragt wer­den, war­um die Anwen­dung des AGG bei den Betrof­fe­nen, u.a. bei den Betrof­fe­nen von Ras­sis­mus, so wenig Reso­nanz fin­det. Wor­in lie­gen kon­kret die Hür­den und Barrieren?

Ken­nen Betrof­fe­ne ihre Rechte?

Auch wenn nach 8 Jah­ren AGG inzwi­schen bekannt ist, dass es solch ein Gesetz gibt, bedeu­tet das nicht, dass Betrof­fe­ne tat­säch­lich auch ihre Rech­te zum Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung ken­nen. Der Zugang zu Infor­ma­tio­nen und Wis­sen ist eine der Haupt­auf­ga­ben der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le des Bun­des. Auch eine ers­te juris­ti­sche Bera­tung und Fall­ein­schät­zung gehört zu ihren Ange­bo­ten. Aber die Stel­le hat ihren Sitz in Ber­lin und ist eine staat­li­che Behör­de im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Jugend. Gera­de des­we­gen ist die Arbeit von unab­hän­gi­gen, nicht­staat­li­chen Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­ra­tungs­stel­len unent­behr­lich für das Empower­ment der Betrof­fe­nen in Bera­tung und Beglei­tung. Hier fehlt es aller­dings an einem flä­chen­de­cken­den Netz kom­pe­ten­ter Anlauf­stel­len. Eine Bera­tungs­in­fra­struk­tur in Deutsch­land muss durch staat­li­che Regel­fi­nan­zie­rung gewähr­leis­tet werden.

Gehen Betrof­fe­ne tat­säch­lich den Klageweg?

Vie­le Betrof­fe­ne mei­den den Schritt zur Kla­ge, da aus der Erfah­rung als PoC und Schwar­ze Men­schen in Deutsch­land das Miss­trau­en gegen Geset­ze und das Jus­tiz­sys­tem groß ist. In einem Rea­li­täts­check wird auch deut­lich, dass das AGG kein All­heil­mit­tel ist. Denn es birgt diver­se Hür­den und Bar­rie­ren, in Form von sehr kur­zen Fris­ten, erlaub­ten Diskriminierungen/Ausnahmeregelungen und Beweis­last. Zudem kom­men finan­zi­el­le Hür­den, da nur Ein­zel­per­so­nen kla­gen dür­fen und das Kos­ten­ri­si­ko auf den Schul­tern der Betrof­fe­nen las­tet. Bei der Ent­schei­dung zur Kla­ge könn­te ein unbü­ro­kra­ti­scher Rechts­hil­fe­fonds für Betrof­fe­ne hel­fen. Eine wei­te­re Hür­de, die den Kampf gegen den struk­tu­rel­len Ras­sis­mus erschwert, ist dass es kein Ver­bands­kla­ge­recht für Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bän­de gibt. Ein Ver­bands­kla­ge­recht wür­de es Betrof­fe­nen ermög­li­chen, die Ver­tre­tung ihrer Inter­es­sen an einen Ver­band stell­ver­tre­tend abzu­ge­ben und Ver­bän­den ermög­li­chen, ein­zel­fall­un­ab­hän­gig Kla­gen einzureichen.

Wel­che Erfah­run­gen machen Betrof­fe­ne als Kläger_innen im Gerichtssaal?

Wenn Empower­ment bedeu­tet, dass die Per­spek­ti­ve der Betrof­fe­nen sicht­bar wird, dann müs­sen ihre Stim­men in den Gerichts­sä­len auch hör­bar wer­den und Aner­ken­nung fin­den. Dass dies nicht selbst­ver­ständ­lich ist, zei­gen Erfah­run­gen von Kläger_innen, die sich gegen erleb­te ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung zur Wehr gesetzt haben. Vie­le Richter_innen sind z.B. nicht in aus­rei­chen­dem Maße in Hin­blick auf das AGG und Ras­sis­mus geschult, was sich in den ver­ba­len Äuße­run­gen und Urtei­len nie­der­schlägt. Wei­ße Richter_innen, Staatsanwält_innen und Rechtsanwält_innen sind zu ihrer pri­vi­le­gier­ten Posi­tio­nie­rung in der Gesell­schaft unzu­rei­chend sen­si­bi­li­siert und ach­ten nicht auf kri­ti­sche Spra­che, Domi­nanz­ver­hält­nis­se und Reprä­sen­tanz. Kläger_innen genie­ßen kei­nen Schutz vor Ras­sis­mus­er­fah­run­gen durch das Jus­tiz­sys­tem. Effek­ti­ve Beschwer­de­sys­te­me und Sank­tio­nen gegen Richter_innen oder auch ver­pflich­ten­de Sen­si­bi­li­sie­rungs­work­shops sind nicht vor­ge­se­hen. So ist es oft dem Zufall über­las­sen, ob man auf anti­ras­sis­tisch sen­si­bi­li­sier­te Richter_innen trifft oder nicht.

Was pas­siert mit den Betrof­fe­nen nach dem Urteil?

Natür­lich ist es den Betrof­fe­nen im Ergeb­nis wich­tig, wie die Kla­ge aus­geht, der Fall gewon­nen ist oder nicht. Aber auch ein nicht gewon­ne­ner Fall muss für die Betrof­fe­nen nicht auto­ma­tisch bedeu­ten, dass dies eine Nie­der­la­ge ist. Es ist sehr von der sub­jek­ti­ven Per­spek­ti­ve der Betrof­fe­nen abhän­gig, wie der Aus­gang bewer­tet wird. Ein­fluss dar­auf kön­nen beglei­te­te psy­cho­lo­gi­sche, juris­ti­sche oder jour­na­lis­ti­sche Bera­tun­gen durch Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­len sein

Berich­ten Medi­en im Sin­ne des Diskriminierungsschutzes?

Medi­en berich­ten zu wenig posi­tiv über Kla­gen gegen Dis­kri­mi­nie­rung oder sie berich­ten skan­da­li­sie­rend über posi­ti­ve Urtei­le, was der Ver­brei­tung und Akzep­tanz des Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes und der Gleich­be­hand­lung ins­ge­samt scha­det. Medi­en neh­men eine wich­ti­ge Rol­le ein, wenn es dar­um geht, gesell­schaft­li­che Dis­kur­se zu för­dern. Des­we­gen müs­sen auch Journalist_innen zum AGG sen­si­bi­li­siert und als Ver­bün­de­te gewon­nen werden.

Empower­ment und Recht ist ein wei­tes Feld, der hier nur aus­schnitt­wei­se am AGG betrach­tet wur­de. Es gibt auch ande­re Aspek­te, die es gilt, nicht aus den Augen zu ver­lie­ren, die aber hier zu weit füh­ren wür­den (z.B. Straf­recht in Fäl­len von Gewalt, Belei­di­gung u.a. als Betrof­fe­ne, Ange­klag­te, Zeug_innen usw.). Die­ser kur­ze Ein­blick zeigt, dass Recht als Instru­ment im Empower­ment­pro­zess der Betrof­fe­nen ein Feld mit enor­men Hür­den und Bar­rie­ren ist. Die Fra­ge, ob sich Geset­ze wie das AGG als Instru­men­te zum Empower­ment von Betrof­fe­nen eig­nen und wenn ja, unter wel­chen Rah­men­be­din­gun­gen bzw. Umstän­den, wäre ein Feld für die qua­li­ta­ti­ve For­schung , die es noch zu fül­len gilt. Erfah­run­gen von Kläger_innen und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­len sind wich­ti­ge Quel­len, um Erkennt­nis­se zur Wei­ter­ent­wick­lung zu gewinnen.

 

Nuran Yiğit hat u.a. in Bie­le­feld Diplom-Päd­ago­gik stu­diert. 2003–2013 hat sie im Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­netz­werk Ber­lin des Tür­ki­schen Bun­des in Ber­lin-Bran­den­burg als Bera­te­rin und Pro­jekt­lei­te­rin gear­bei­tet. Sie ist aktu­ell Mit­glied im Vor­stand des Migra­ti­ons­ra­tes Ber­lin-Bran­den­burg. Zudem ist sie als Trai­ne­rin und Refe­ren­tin in der Jugend- und Erwach­se­nen­bil­dung tätig mit den Schwer­punk­ten «Poli­ti­sche Bil­dungs- und Empower­men­tar­beit gegen Ras­sis­mus und Diskriminierung». 

 

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