Mo Asumang wurde 1963 in Kassel als Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers geboren. Sie wuchs bei ihrer Großmutter mütterlicherseits auf und findet später heraus, dass diese im Krieg als Schreiberin bei der Waffen-SS tätig war. Damit beginnt die Erzählung, die Asumang 2014 als persönliche Realität und eine Art auto-ethnographischen Dokumentarfilm auf die Leinwand bringt. Es ist ihre eigene Reise, eine symboltrunkene, die letztendlich mehr Fragen beantwortet als sie sich zu Anfang stellt: Was sind Arier und wo findet man sie?
Geduldig und mutig
Mo Asumangs Film ist mutig. Hin und wieder erwähnt sie die Wunden des alltäglichen Rassismus und der erlebten Gewalt, spaziert durch Neonazi-Proteste in Deutschland und posiert schließlich mit ernster Miene gar mit einem Ku-Klux-Klan-Mitglied.
Spätestens nachdem die heute 96-jährige Auschwitzüberlebende Esther Bejarano sie fragt, was sie in der kamerabegleiteten Begegnung mit Neonazis eigentlich sucht, wird klar, dass sich der Film auch mit der immer aktuellen Frage der Verantwortung von Antirassist*innen beschäftigt: Sind es die Diskriminierten der Gesellschaft, die Strukturen der Ungleichwertigkeit sichtbar machen müssen? Welchen Rahmen setzt man, um Nazis zu verstehen? Und welche Emotionen akzeptiert eine Gesellschaft überhaupt als Reaktion auf alltagsrassistische Äußerungen und menschenfeindliche Gewalt? Mo Asumangs Reaktion ist ernst und geduldig — zumindest auf der Leinwand.
Ein „Fehler“
Auf der Spurensuche nach Wurzeln rassistischer Feindseligkeit in der NS-Zeit reist Asumang zu deutsche Nazihochburgen, in die USA und in den Iran, dort, wo sie tatsächlich Arier trifft. Die Suche nach der Wahrheit über die Arier-Marke spricht dabei eine selten untersuchte Frage an und bricht so mit einem wohl behüteten Tabu. Warum wohl weiß niemand der angesprochenen Passant*innen, was Arier wirklich sind? Asumang findet keine Hinweise auf Arier in Deutschland und stellt dar, wie das NS-Regime sich die Marke des Ariers schlicht als Phantasma angeeignet hat.
Die Idee, rassistischer Hass und Gewalt beruhe damit auf einem – in den Worten des Films – lächerlichen Irrtum, durchzieht den Film auch in einer populären, wiederkehrenden Darstellung des „dummen Nazis“, der (selten: die) seinen Hass nicht hinterfragt und aus purer Dummheit zu handeln scheint. Nazis, die nicht reden wollen oder den „Pressesprecher“ ihrer Organisation vorschicken.
Es macht den Eindruck, als gäbe es keine andere Erklärung des heutigen Rassismus als die „Dummheit“ – dabei ist auch dieses Narrativ problematisch: Es spielt rassistische Gewalt und Alltagsrassismus als alltägliches „Fehlverhalten“ herunter. Solch eine banale Erklärung für den Hass der Nazis verhindert entschieden eine Auseinandersetzung mit der menschenfeindlichen gelebten Theorie der vernetzten völkischen und nationalsozialistischen Gruppen.
Anderthalbstündiges Kofferpacken
Wer meint, rechte und neonazistische Einstellungen stünden im direkten Zusammenhang mit dem Bildungsniveau, verneint, dass rechtsextreme Ideologien in Bildungseliten stetig weiterentwickelt werden. Während Asumangs Dokumentation auf der einen Seite Bilder von „dummen“ Nazis zeigt, sucht sie auf der anderen Seite auch einen früheren Ku-Klux-Klan-Führer bei seiner täglichen ideologiegeladenen Radiosendung auf. Dabei macht sie einen wichtigen Widerspruch deutlich: Die Auseinandersetzung mit Nazis läuft immer Gefahr, ihnen auch dann eine Bühne zu verschaffen, wo sie sich ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt.
„Die Arier“ – ein empfehlenswerter, mutiger Dokumentarfilm, der nicht nur von Nazis und Rassismus handelt – sondern eine ganze Reihe von Ideen und Fragen über den politischen, gesellschaftlichen und medialen Umgang mit Neonazis greifbar macht und auch Kritik daran ermöglicht. Asumangs Dokumentation wirkt daher eher wie ein anderthalbstündiges Kofferpacken vor einer unabsehbar langen Reise, die es bedeutet, Nazis überhaupt verstehen zu wollen.
Mehr Infos zu Die Arier auf der Filmwebsite Mo Asumangs.
Der Film wird im Rahmen der Reihe „Film ab gegen Rechtsextremismus“ im Februar im ZDF gezeigt und ist dann in der Mediathek abrufbar. Im Laufe des Februar zeigt die Nachwuchsredaktion Das kleine Fernsespiel vier Spielfime wieder, „die sich auf unterschiedliche Art mit Rechtsextremismus und Rassismus auseinander setzen“, heißt es in der Pressinfo. Und: „Damit wollen wir auf diese sehr wichtigen Themen aufmerksam machen, die in diesen Zeiten nicht vergessen werden dürfen“.
Seit 7. Februar 2021 können folgende Filme in der ZDF-Mediathek angeschaut werden:
Wir sind jung. Wir sind stark., Spielfilm, Deutschland 2014
Leroy, Spielfilm, Deutschland 2007
Die Arier, Dokumentarfilm, Deutschland/USA/Iran 2013
Kriegerin, Spielfilm, Deutschland 2011