Die Graphic Novel „Nacht über Brest“ trägt den Untertitel „September 1937 – Der spanische Bürgerkrieg landet in der Bretagne“ und könnte glatt als Spionagethriller unter dem Motto „Geschüttelt, nicht gerührt“ durchgehen. Aber man sagt ja, das die Phantasie nur ein billiger Abklatsch der Realität sei.
Seit Frühjahr 1936 wird Frankreich von der Front Populaire (dt. Volksfront) aus Sozialist*innen, Kommunist*innen und Radikalsozialist*innen regiert. Eine Koalition, die von Seiten der konservativen Parteien, der französischen Rechten und der Katholischen Kirche hart bekämpft wird. Ein Land in dem die von der Firma „L’Oréal“ finanzierte rechte Terrororganisation La Cagoule (dt. die Kapuze) den bewaffneten Umsturz plant, Bombenanschläge und Morde begeht. Wie z.B. an den beiden italienischen Antifaschisten Nello und Carlo Roselli von Giustizia e Libertà (dt. Gerechtigkeit und Freiheit), die in Frankreich Zuflucht beim antifaschistischen Widerstand gesucht haben.
Die Front Populaire regiert ein Land, dessen östliche Nachbarländer Italien und Deutschland von faschistischen bzw. nationalsozialistischen Diktaturen beherrscht werden, die auf Expansion drängen. Und in dessen südöstlichem Nachbarland Spanien ein Bürgerkrieg zwischen der demokratischen gewählten Frente Popular (dt. Volksfront) und rechten Putschist*innen tobt. Putschist*innen, die von Mussolini und Hitler unterstützt werden. In dieser Situation verfolgt die französische Volksfront-Regierung eine Beschwichtigungs-Politik gegenüber dem NS-Regime und handelt nach dem Prinzip der Nichteinmischung in den Spanischen Bürgerkrieg.
Nach einer wahren Geschichte
Da taucht am 29. August 1937 das stark havarierte spanische U‑Boot C2 vor der bretonischen Hafenstadt Brest auf. Es ist eines von zwölf U‑Booten der spanischen Marine, die unter republikanischer Fahne fahren. Zusammen mit dem U‑Boot C4 war das C2 zum Schutz der Atlantikhäfen (Gijon und Bilbao) abgestellt, als sie am 26. August 1937 bei einem Luftangriff auf El Musel, den Hafen von Gijon, stark beschädigt werden. Während sich das C4 nach Bordeaux begibt (dessen Hafen 1944 von dem Dortmunder Deserteur Heinz Stahlschmidt gerettet wird), steuert das C2 den Militärhafen von Brest an. Beide U‑Boot-Kommandanten geben an, die Schiffe reparieren zu wollen, handeln aber ihren Befehlen zuwider. Und beide Kommandanten hegen Sympathien für die faschistischen Aufständischen, die bisher nicht über eigene U‑Boote verfügt hatten. U‑Boote, die zur Kontrolle der Seewege dringend benötigt werden. So ersucht ein republikanisches Kriegsschiff 1937 in einem Militärhafen Frankreichs um Hilfe, dessen Regierung der Vereinigten Linken sich krampfhaft um Neutralität bemüht. Eine Situation, die jede Menge politischen Sprengstoff birgt. -
Hier beginnt die Geschichte der Graphic Novel „Nacht über Brest“. Bei den Geschehnissen um die C2 handelt es sich um reale historische Ereignisse. Ereignisse, die brisanter nicht sein konnten und die bis vor 10 Jahren kaum noch jemanden bekannt waren. Es ist dem bretonischen Historiker Patrick Gourlay zu verdanken, das dieser „Politthriller“ nach 75 Jahren noch einmal in das öffentliche Bewusstsein gerückt wird. Gourlay recherchierte das spannende Geschehen um die C2 anhand zahlreicher Dokumente, Akten und Artikel und veröffentlichte 2013 in der éditions Coop-Breiz das Buch Nuit franquiste sur Brest (dt. Die franquistische Nacht über Brest). Hierin schildert er den Kampf um die Oberhand und die Zukunft des republikanischen U‑Boots C2.

Denn um des U‑Boots C2 habhaft zu werden, entsendet 1937 der franquistische Geheimdienst SISFE ein Kommando von Agenten nach Brest. Unterstützt von französischen Rechtsextremen und Terroristen der La Cagoule versucht es mittels des U‑Boot-Kommandeurs und Teilen der Mannschaft Herr über das Boot zu werden und es zu kapern. Aber die Mannschaft ist gespalten. Während sich der Kommandant insgeheim mit den Franquisten verbündet, widersetzt sich das Gros der Matrosen den finanziellen Angeboten der franquistischen Agenten und plant Widerstand. Unterstützt werden sie dabei von sozialistischen, anarchistischen und kommunistischen Hafenarbeiter*innen, die das Schiff in einer abgesprochenen Aktion bewachen und die Faschist*innen an Land überwachen. Währenddessen hat der anarchistische Geheimdienst der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT ebenfalls Agenten nach Frankreich geschickt und das Kommando der Faschisten unterwandert. Die Anarchisten wissen genau Bescheid über die Infrastruktur und Pläne ihrer Gegner und versorgen die republikanischen Matrosen der C2 mit Schusswaffen. Als die Faschisten das U‑Boot schließlich entern…
Mehr soll hier nicht über den Ausgang der Ereignisse verraten werden. Auch nicht über die politischen Nachwehen, die diese Ereignisse nach sich zogen und das Frankreich im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs erschütterten.
Wie aus einem alten Fotoalbum
Zurück zur Graphic Novel: Die von Patrick Gourlay recherchierten historischen Fakten werden von Bertrand Galic und KRIS bravourös adaptiert und stimmig in Szene gesetzt. Und der junge Comic-Künstler Damien Cuvillier setzte die Szenen exzellent um. Mit viel Liebe zu historischen Details, sei was Mode und Accessoires, die Schiffe, die Fahrzeuge, die Hafenanlagen oder die Stadtsilhouette angeht, werden die Leser*innen in die bretonische Hafenstadt des Jahres 1937 versetzt. Cuvillier atmosphärisch dichte Aquarellzeichnungen in leicht gelb-bräunlichen Sepia-Style erwecken dabei unterschwellig immer ein Gefühl, als schmökere man in Großvaters alten Fotoalben und würde in dessen verflossener Welt versinken. So retro wie es mir gefällt. Für die historische Verortung sorgt hinten ein zehnseitiges Dossier des Historiker Patrick Gourlay mit zahlreichen Originalaufnahmen aus Archiven. Eine spannende Lektüre.
Allein einen kleinen Wermutstropfen enthält die rund um gelungene Graphic Novel. Die Dynamik des Geschehens und die Charaktere, anhand derer die Leser*innen den Ereignissen folgen, wirken etwas hölzern und steif. Aber das ist auch ein besonderes Hindernis bei einer Graphic Novel, die sich allein an alten Dokumenten aus Gerichts- und Zeitungsarchiven orientieren muss. Der biographische Hintergrund der Akteur*innen ist einerseits zu unbekannt und der Handlungsrahmen andererseits zu eng festgelegt, als dass man den historischen Personen und Handlungen mehr Farbe, Dichte und Tiefe verleihen könnte. Dafür haben aber die Szenaristen und der Zeichner das Optimum aus der Vorlage herausgeholt. Ein Lob geht auch an die gelungene Übersetzung aus dem Französischen von Mathias Althaler. Er hat das 2016 erschienene Original Nuit noire sur Brest schon meisterlich übersetzt.
Lektüre für Antifaschist*innen
Mit der Herausgabe der Graphic Novel „Nacht über Brest“ ist dem Wiener Bahoe-Verlag mal wieder ein schöner Coup gelungen. Nicht nur, dass deutsche Comicophile ein weiteres exzellentes Produkt frankophoner Comic-Kultur in übersetzter Form in ihren Händen halten können. Mit der „Nacht über Brest“ wird ein unbekanntes Kapitel antifaschistischen Widerstands ästhetisch ansprechend dargestellt und mit historischer Präzision geschildert. Ein gelungener Beitrag zur antifaschistischen Erinnerungskultur. Es erfolgt eine wichtige Retrospektive auf die Zwischenkriegszeit und die transnationalen Kämpfe gegen den sich europaweit ausbreitenden Faschismus. Eine Retrospektive, die heute wichtiger ist denn je. Denn auch heute breitet sich der Faschismus wieder rasant und weltweit aus. Es gilt im Kampf gegen den Faschismus „aus der Geschichte zu lernen“. Der Comic sei hiermit allen historisch und antifaschistisch Interessierten wärmstens ans Herz gelegt.
Cuvillier / Galic / Kris: Nacht über Brest, bahoe books, 80 Seiten, 19 Euro, ISBN 978−3−903290−36−5, Leseprobe: http://www.bahoebooks.net/leseprobe/Brest_Leseprobe.pdf