Empower-Was?
Als wir vor ziemlich genau elf Jahren in einem der von den Berliner Quartiersräten sogenannten sozialen Brennpunkte ein Projekt ins Leben riefen, bei dem sich Jugendliche aus nicht gerade privilegierten Verhältnissen selbst «ermächtigten» und ihre Anliegen in Form von Theater, Musik und Tanz auf eine Bühne brachten, war der Begriff Empowerment als pädagogischer Ansatz im deutschsprachigen Raum noch kein Modewort, wie es derzeit ist.
Heute erleben wir, dass einige Ansätze aus der Bürgerrechts- und anderen Bewegungen, in der Privatwirtschaft, in den Chefetagen globaler Konzerne und nun auch langsam – oft im Schneckentempo, aber doch zunehmend – Eingang in behäbigere und strukturkonservativere Institutionen finden wie Schulen, den öffentlichen Dienst und staatlich geförderte Kulturinstitutionen in Deutschland. Dies ist zum einen sicherlich der Tatsache geschuldet, dass es mittlerweile endlich auch in Deutschland ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz gibt, auf dessen Umsetzung die EU pocht; zum anderen ist es auch Ausdruck der Krise z.B. der etablierten Kulturbetriebe, die angesichts leerer Zuschauerränge den Druck verspüren, Verjüngungs- und Modernisierungsstrategien zu erproben.
So wird unter dem Stichwort Diversity von Personaler_innen die bahnbrechende Erkenntnis verhandelt, dass interkulturelle Belegschaften und Teams eine Bereicherung darstellen können oder dass qualifizierte Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderungen, nachdem sie jahrzehntelang diskriminiert wurden und immer noch werden, den Institutionen nicht unbedingt von alleine die Bude einrennen, sondern dass es dazu auch Ermutigung und direkter Ansprache, vielleicht sogar spezieller Förderprogramme oder gar Quoten bedarf. Empowerment-Ansätze gelten mittlerweile als Qualitätsmerkmal in Projektanträgen für Fördermittel und mancher Akademiker_in in der Organisationsentwicklung werden mittels des neuen «Fixstern(s) am Himmel der psychosozialen Arbeit» gar neue Jobchancen eröffnet. Ein Grund zur Freude? Wir sehen das mit gemischten Gefühlen und einer ordentlichen Portion Skepsis.
Hurra, wir werden empowert?!
Vieles, was derzeit in der Organisationsentwicklung, im Feld der Pädagogik oder in Kulturinstitutionen unter Empowerment verhandelt wird, hat den Charakter oberflächlicher Korrekturen oder gar Imagekampagnen. Oftmals wird unter dem Label Empowerment weiterhin klassische Sozialarbeit oder soziokulturelle Arbeit betrieben, die im Kern zutiefst bevormundend ist, weil sie nicht auf Augenhöhe mit ihren Klient_innen agiert. Die Adressat_innen dieser Angebote – die zu «Empowernden» – werden als defizitär wahrgenommen, nicht aber die sie umgebenden Bedingungen. Dies zeigt sich in so verräterischen Begriffen/Kategorien wie Gewaltprävention, Integration, niedrigschwellige Kulturvermittlung oder audience development, ohne eine kritische Reflexion,
– warum perspektivlose Jugendliche mit und ohne Sesshaftigkeitshintergrund gewalttätig werden oder wie asymmetrisch z.B. staatliche Gewalt und Repression durch Militäreinsätze, Polizeikontrollen und Disziplinierungsmaßnahmen der Jobcenter ausgeübt und erfahren werden;
– wer worin integriert werden soll und wann man/frau/mensch als gut integriert gilt;
– wer wem wessen Kultur vermittelt und wer darüber entscheidet, welche kulturellen Erzeugnisse und Institutionen überhaupt als «(Hoch-) Kultur» oder Teil des kulturellen Kanons gelten, die es den «Kulturlosen» zu vermitteln gilt;
– warum nur das Publikum «entwickelt» werden muss und nicht auch die Kulturinstitutionen oder Programme oder Eintrittspreise derselben; dass es vielleicht auch berechtigte Gründe geben kann, warum (junge) Menschen nicht gerne in die Oper/das Staatsballett/Theater gehen.
Die grundlegenden Macht- und vor allem Herrschaftsstrukturen bleiben bei dieser Art von Projekten unangetastet. Die kulturelle Hegemonie und Definitionsmacht darüber, was (erstrebenswerte) Kultur, Bildung, Gewalt, Nicht-Gewalt oder Integration ist, liegt fest in den Händen einer politischen Klasse, die Fördertöpfe und ‑kriterien verwaltet und nach der es eben entweder nur Hochkultur oder Soziokultur gibt.
Unser Verständnis von Empowerment läuft dem zuwider. Die Arbeit der Vorläuferprojekte und des JugendtheaterBüros Berlin verstand und versteht sich weder als Therapie «schwieriger Jugendlicher» – nicht umsonst war «Du Opfer!» lange Zeit beliebtes Schimpfwort unter den jugendlichen Teilnehmer_innen, da Opfersein den Inbegriff der Ohnmacht und eben das Gegenteil von Ermächtigung/Empowerment darstellt – noch als Besänftigung aggressiver Potentiale und Gewaltprävention im klassischen Sinn. Die Wut im Bauch, die viele junge Menschen haben, die zum JTB kommen, ist begründet, berechtigt und notwendig angesichts schreiender Ungerechtigkeiten, Krieg, Rassismus, Sexismus und Erfahrungen der Erniedrigung und Ohnmacht. Wir wissen, wie es ist, Wir wissen, wie es sein kann, Wir wissen, welche Gefühle all dies auslöst, in eine U‑Bahn zu steigen und zu sehen, wie Menschen reflexartig ihre Geldbörsen in Sicherheit bringen, weil der eigenen Hautfarbe Kriminalität unterstellt wird, wöchentlich von den immer gleichen Polizisten kontrolliert und durchsucht zu werden oder ohnmächtig mit anzusehen, wie der Heimatort wiederholt von «westlichen» Regierungen bombardiert wird. Diese Wut soll nicht gedeckelt oder besänftigt werden – selbst 93–Jährige rufen dazu auf, sich zu empören – sie kann vielmehr Triebfeder für Veränderung und koordinierten, gemeinsamen Protest und kreativen Widerstand werden. Das JTB betreibt auch keine «niedrigschwellige Kulturvermittlung»; die Mitwirkenden des JTB begreifen sich selber (zurecht!) als Künstler_innen und nehmen sich mittlerweile die Bühne und das Mikrofon selbst.
Empowert, und dann?
Darin liegt auch die Essenz unseres Ansatzes: Wir sehen Empowerment nicht als Selbstzweck, sondern allenfalls als Instrument für die viel weitergehende (Selbst!-) Emanzipation von bedrückenden und unterdrückenden Verhältnissen. Der «Untertitel» des Vereins Grenzen-Los!, der als Träger für unsere Tätigkeiten fungiert und den wir 2007 gründeten, lautet nicht umsonst «Verein für emanzipative Bildung und kulturelle Aktion» und wurde mit Bedacht gewählt. Denn das Ziel derjenigen, die den Anspruch haben, Menschen zu «empowern», kann, wenn sie es wirklich ernst meinen, nur sein, sich selbst überflüssig zu machen. Dort, wo Empowerment als eine Methode unter anderen institutionalisiert wird, gleichzeitig aber die Strukturen, die ein Empowerment überhaupt notwendig machen, unangetastet lässt, bleibt Empowerment bloße ästhetische Korrektur und täuscht eine Gleichberechtigung vor, die real nicht existiert. Was nützt es jungen Menschen, dass sie ein positives Selbstbewusstsein entwickeln, sich nunmehr auf Podien zu Wort melden und nicht mehr jede rassistische und chauvinistische Bemerkung gefallen lassen, wenn sie weiterhin wegen ihres arabischen Nachnamens keine Wohnung erhalten oder ihre Bewerbungen von vornherein ausgesiebt werden? Was nutzen den jungen Menschen aus dem Theaterprojekt Refugee Club Impulse ihre empowernden Erfahrungen als Schauspieler_innen auf den Bühnen Berlins, wenn der deutsche Staat sie dazu zwingt, die besten Jahre ihres Lebens in Abschiebeknästen und desolaten Heimen zu versauern, anstatt zur Schule gehen zu dürfen oder einer Arbeit nachzugehen? Was wird aus dem Theater X, das von jungen Menschen über Monate lang in Eigenregie und mit viel Schweiß aufgebaut wurde, wenn aufgrund der Schuldenbremse und Kürzungen im Kulturetat die Förderung eingestellt wird?
Empowerment, zumindest das, was wir darunter verstehen, war bereits Jahrzehnte bevor deutsche Sozialarbeiter_innen und Personalmanager_innen es als Konzept für sich entdeckten, gelebte Praxis in der (US-) amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Communist Party in den 30er Jahren in Harlem, in den Community Centern und in gewerkschaftlichen Organizing-Kampagnen. Es aus seinem Kontext und seiner Bestimmung zu isolieren und als ästhetische Korrekturmaßnahme zur verbesserten Partizipation resignierter Bürger_innen oder ein pädagogisches Handwerkzeug unter vielen zu institutionalisieren, ohne die Verhältnisse zu überwinden, die Menschen entmündigen, in Armut und Resignation führen oder strukturell benachteiligen, ist scheinheilig und sinnlos. So, wie manche Konservative denken, durch die Einführung einer gendergerechten Sprache sei die Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland erreicht, wird Empowerment ohne weitergehende gesellschaftliche Transformation zum Lebensstil, zur akademisch-theoretischen Spielwiese, erstarrt, ein Fossil.
In Bewegung geraten
Dabei kann Empowerment in einem aktivistischen Kontext beeindruckende Erfolge erzielen und dynamische Prozesse nach sich ziehen, wenn man den Mut hat, die Grenzen in Frage zu stellen, an die Projekte wie das JTB und ähnliche zwangsläufig stoßen, wenn sie die Forderung nach Partizipation ernstnehmen.
Empowerment ist als Praxis in sozialen Bewegungen entstanden, weil Menschen in konkreten gemeinsamen Kämpfen für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Überwindung repressiver Zustände gelernt haben, dass diese Kämpfe nur erfolgreich sein können, wenn sie von (uns) allen, die entrechtet werden, gemeinsam geführt werden. Stellvertreter_innenpolitik, «Kümmerer-Parteien» und Quoten können keine Bewegung ersetzen. Und so muss Empowerment, konsequent gedacht, in einer Bewegung münden, praktisches Element und Methode der neuen Bewegungen gegen Armut, Gentrifizierung, Rassismus und für Klimagerechtigkeit, Gleichberechtigung und Wohlstand für alle sein. Das Aufkommen der rechten PEGIDA-Bewegung macht uns das Fehlen einer übergreifenden emanzipatorischen Bewegung für die genannten Ziele schmerzlich bewusst. Es tut dringend Not, dass sich Linke spätestens jetzt in Bewegung setzen, damit die Verhältnisse endlich in Bewegung geraten.
Marwa Al-Radwany & Ahmed Shah riefen 2004 das Projekt Grenzen-Los! ins Leben, aus dem später der gleichnamige Verein und das JugendtheaterBüro Berlin/das Theater X hervorgingen, dessen künstlerischer Leiter Ahmed Shah heute ist. Sie schrieben und produzierten gemeinsam die Theaterstücke «Du bist Deutschland» (2006) und «Nightmare on Wall Street» (2009). Beide wurden unabhängig voneinander in ihrer Jugend durch schwullesbische Theatermacher_innen empowert sowie durch den Bergarbeiterstreik 1984 in Großbritannien und die G8-Proteste 2007 in Heiligendamm.
Weitere Beiträge im Dossier «Empowerment?!»:
Pasquale Virginie Rotter: We can breathe
Ozan Keskinkılıç: Erinnern ist Empowerment
Isidora Randjelović: Rechte statt Fürsorge
Natascha Salehi-Shahnian: Powersharing: Was machen mit Macht?!
Mona El Omari und Sebastian Fleary: «If you can’t say love…» – Ein Empowerment-Flow zu Individuum, Diaspora-Community und pädagogischer Reflexion
Tuğba Tanyılmaz: Pädagogin 2.0
Dorothea Lindenberg und Elisabeth Ngari: Von persönlichen Problemen zu politischen Forderungen
Tahir Della: Schwarze Menschen zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstbestimmung
Nuran Yiğit: Empowerment durch Recht
Irene Runge: Gemeindezugehörigkeit oder jüdische Identität? Wie Ethnie und Religion sich ergänzen
Žaklina Mamutovič: Empowerment ist ein politischer Begriff
Fatoş Atali-Timmer und Paul Mecheril: Zur Notwendigkeit einer rassismuskritischen Sprache
Songül Bitiș und Nina Borst: Gemeinsam könnten wir das Haus rocken!