Rezension: Antiextremismus und wehrhafte Demokratie

Ich glaub, mich trifft ein Huf­ei­sen: Ist das schon links­extre­mis­tisch? Foto: Burschel

Max Fuhr­mann: Anti­ex­tre­mis­mus und wehr­haf­te Demo­kra­tie. Kri­tik am poli­ti­schen Selbst­ver­ständ­nis der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Nomos, Baden-Baden 2019. 353 S., bro­schiert, ISBN 978−3−8487−5744−2

Wehr­haf­te Demo­kra­tie und Anti­ex­tre­mis­mus, es sind zwei schil­lern­de Begrif­fe, die den Kern des Selbst­ver­ständ­nis­ses der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus­ma­chen. Bei­de gehen davon aus, dass sämt­li­che For­men von ver­meint­li­chem poli­ti­schen Extre­mis­mus mit sei­nen ange­nom­me­nen Unter­for­men ‚Links­extre­mis­mus‘, Rechts­extre­mis­mus und dem spä­ter hin­zu­ge­kom­me­nen Isla­mis­mus, glei­cher­ma­ßen demo­kra­tie­ge­fähr­dend wären. Das erst­ge­nann­te Kon­zept fußt auf den Kon­se­quen­zen, die ver­meint­lich auf dem Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik beru­hen, wäh­rend das zwei­te vor allem durch eine nor­ma­ti­ve Extre­mis­mus­for­schung, die Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung sowie durch den Inlands­ge­heim­dienst ‚Ver­fas­sungs­schutz‘ ver­tre­ten und popu­la­ri­siert wird.Max Fuhr­mann hat sich in sei­nem auf einer Dis­ser­ta­ti­ons­ar­beit beru­hen­dem Buch mit den hin­ter den Begrif­fen ste­hen­den Kon­zep­ten und Akteur*innen und mit der Fra­ge­stel­lung befasst, wie sie in der Bun­des­re­pu­blik eine bis heu­te nahe­zu unbe­strit­te­ne Hege­mo­nie erlan­gen konn­ten. Als theo­re­ti­scher Rah­men dient Fuhr­mann für sei­ne Unter­su­chung das hege­mo­nie­theo­re­ti­sche Kon­zept von Ernes­to Laclau und Chan­tal Mouf­fe sowie dar­an anschlie­ßend Mar­tin Non­hoffs Ansatz zur Rekon­struk­ti­on von hege­mo­nia­len Stra­te­gien mit denen sich bestimm­te dis­kur­si­ve For­ma­tio­nen durch­ge­setzt haben. Dem­entspre­chend bil­det die Rekon­struk­ti­on von poli­ti­schen Dis­kur­sen über die poli­ti­sche Ord­nung anhand von wesent­li­chen Per­so­nen und Insti­tu­tio­nen der Bun­des­re­pu­blik seit 1945 den Aus­gangs­punkt der Unter­su­chung. In zeit­lich geglie­der­ten Ana­ly­se­pha­sen geht die Ana­ly­se der Her­aus­bil­dung und Sta­bi­li­sie­rung des anti­to­ta­li­tä­ren Kon­sens‘ als Grund­la­ge der ‚wehr­haf­ten Demo­kra­tie‘ nach. Die­sem lag die Annah­me einer Struk­tur­gleich­heit von als tota­li­tär bezeich­ne­ten Sys­te­men zugrun­de, die der libe­ra­len Demo­kra­tie glei­cher­ma­ßen als äuße­re Bedro­hung gegen­über­ste­hen. Zugleich bot der Anti­to­ta­li­ta­ris­mus die Mög­lich­keit der West­in­te­gra­ti­on der BRD vor dem Hin­ter­grund des Kal­ten Krie­ges. Bereits in der Grün­dungs­pha­se der BRD hat sich also der Anti­to­ta­li­ta­ris­mus als Maß­stab der Gefah­ren­be­stim­mung für die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie durch­ge­setzt. Er war bereits 1952, gegen einen mög­li­chen anti­fa­schis­ti­schen Grund­kon­sens, hege­mo­ni­al und »fes­tig­te sich in den Fol­ge­jah­ren durch die poli­ti­sche Jus­tiz, den Ein­tritt des Ver­fas­sungs­schut­zes und der Bun­des­zen­tra­le für Hei­mat­diens­te bzw. Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung in die Dis­kurs­for­ma­ti­on« (S. 163) — eine bis heu­te weit­ge­hend sta­bi­le Konstellation.

Fehldeutungen politischer Ereignisse

Fuhr­mann geht im Ver­lauf der Arbeit sei­ner Grund­the­se nach, dass das Deu­tungs­mus­ter des Extre­mis­mus­an­sat­zes »Fehl­deu­tun­gen poli­ti­scher Ereig­nis­se pro­vo­ziert und ein ein­ge­schränk­tes Ver­ständ­nis von Demo­kra­tie impli­ziert« (S.16). Ange­legt sind sol­che  Pro­blem­stel­lun­gen bereits in dem Ver­fas­sungs­grund­satz der soge­nann­ten wehr­haf­ten Demo­kra­tie, der den Demo­kra­tie­schutz bereits prä­ven­tiv in das Vor­feld mög­li­cher oder ange­nom­me­ner Gewalt­ta­ten ver­legt und der damit bereits auf poli­ti­sche Hal­tun­gen abzielt. In der Kon­se­quenz ist die Grenz­set­zung zwi­schen dem, was als legi­ti­me demo­kra­ti­sche Posi­tio­nen ver­stan­den wird, und sol­chen, die bereits als ver­fas­sungs- und damit in der Logik des Extre­mis­mus­kon­zepts auch als demo­kra­tie­feind­lich gel­ten, ein The­ma, das die nor­ma­ti­ve Extre­mis­mus­for­schung immer wie­der aufs Neue bewegt. Die ver­spro­che­nen deut­li­chen Demar­ka­ti­ons­li­ni­en blei­ben eher vage und ori­en­tie­ren sich an der Idee der frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung (fdGO). Damit wird wie Fuhr­mann auf­zeigt Anti­ex­tre­mis­mus zu einem Con­tai­ner­be­griff unter dem sich, wie es auch der Pra­xis des Inlands­ge­heim­diens­tes „Ver­fas­sungs­schutz“ ent­spricht, alle mög­li­chen abwei­chen­den Vor­stel­lun­gen von Demo­kra­tie sub­sum­mie­rend als „extre­mis­tisch“ und damit demo­kra­tie­feind­lich behan­deln lassen.

Der dem bun­des­deut­schen poli­ti­schen Selbst­ver­ständ­nis zugrun­de lie­gen­de Begriff der ‚wehr­haf­ten Demo­kra­tie‘, auch als ‚streit­ba­re Demo­kra­tie‘ bezeich­net, setzt sich aus einer »Tri­as aus Wert­ge­bun­den­heit, Abwehr­be­reit­schaft und Vor­ver­la­ge­rung des Demo­kra­tie­schut­zes« (S.92) zusam­men. Fuhr­mann macht dar­auf auf­merk­sam, dass die Wehr­haf­tig­keit in eine Abwehr­be­reit­schaft nach oben und nach unten aus­dif­fe­ren­ziert wer­den muss. In der Pra­xis spielt die Wehr­haf­tig­keit nach oben in Form von »plebiszitäre(n) Elemente(n) wie die Rich­ter­wahl, Volks­ent­schei­de oder ein ver­an­ker­tes Wider­stands­recht« (S.93) kei­ne Rol­le. An die­ser Stel­le kann dar­auf ver­wie­sen wer­den, dass der radi­ka­le Huma­nist und hes­si­sche Gene­ral­staats­an­walt Fritz Bau­er das Wider­stands­recht aus gewich­ti­gen Grün­den als vor­staat­lich aus dem Natur­recht ablei­te­te. Das grund­ge­setz­lich in Arti­kel 20 Abs. 4 ver­an­ker­te Wider­stands­recht »wenn ande­re Abhil­fe nicht mög­lich ist«, lief für Bau­er vor dem Hin­ter­grund der Macht­fül­le des 1968 gera­de legi­ti­mier­ten Not­stands­staa­tes ins Lee­re. Einen nach­hal­ti­gen Ein­gang in den Dis­kurs fan­den Bau­ers Über­le­gun­gen zu einem weit­ge­hen­den nach oben aus­ge­rich­te­ten Wider­stands­recht nicht. Durch­ge­setzt hat sich viel­mehr die bereits dem Grund­ge­setz ein­ge­schrie­be­ne Wehr­haf­tig­keit nach unten, also gegen rea­le oder ver­meint­li­che »anti­de­mo­kra­ti­sche Ent­wick­lun­gen in der Bevöl­ke­rung« (S.100). Als eigent­li­cher Garant für die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie wird so der Staat betrach­tet. Einen Hin­ter­grund des Kon­zepts der ‚wehr­haf­ten Demo­kra­tie‘ bil­det die Deu­tung der Fra­ge nach der rich­ti­gen Leh­re aus der Wei­ma­rer Repu­blik, die sich die poli­ti­schen Akteu­re in der unmit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit stell­ten. Deren zen­tra­le und zugleich hege­mo­ni­al gewor­de­nen Argu­men­ta­tio­nen, dass der Wei­ma­rer Demo­kra­tie die not­wen­di­gen Schutz­me­cha­nis­men gefehlt hät­ten und die NSDAP legal an die Macht gekom­men sei, sehen davon ab, dass sich die poli­ti­schen und juris­ti­schen Eli­ten wenig mit der Demo­kra­tie iden­ti­fi­zier­ten. Die Grün­de für das Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik waren viel­schich­ti­ger als der hege­mo­nia­le Dis­kurs bis heu­te besagt. Den­noch hält sich hart­nä­ckig die Erzäh­lung Wei­mar sei haupt­säch­lich auf­grund der rech­ten und lin­ken poli­ti­schen Rän­der zugrun­de gegangen.

Radikalenerlass: Hegemoniale Feindbestimmung

Fuhr­mann zeigt die Ver­än­de­rung der hege­mo­nia­len Struk­tur in den frü­hen 1970er-Jah­ren hin zum Kitt des Anti­ex­tre­mis­mus. Eine Ver­än­de­rung, beglei­tet von einer pha­sen­wei­sen Libe­ra­li­sie­rung, vom Autor als »Ver­nähungs­stra­te­gie« bezeich­net, die auf­grund von Ris­sen der Hege­mo­nie als Erschei­nung der 68er-Bewe­gung in Gang kam. Die Neue Lin­ke war, vor ihrer teil­wei­sen Regres­si­on in auto­ri­tä­re, sich mar­xis­tisch-leni­nis­tisch oder auch als mao­is­tisch bezeich­nen­de Grup­pen und Klein­par­tei­en, eine poli­tisch hete­ro­ge­ne Strö­mung in der anar­chis­ti­sche, situa­tio­nis­ti­sche, räte­de­mo­kra­ti­sche und der Kri­ti­schen Theo­rie fol­gen­de Ansät­ze sich vom alten Arbei­ter­be­we­gungs­mar­xis­mus und der DDR abgrenz­ten und füg­te sich nicht in das Mus­ter des Tota­li­ta­ris­mus­kon­zepts ein. Zudem wur­den durch den außen­po­li­ti­schen Wan­del der sozi­al­li­be­ra­len Koali­ti­on seit 1969 gegen­über den Staa­ten des War­schau­er Ver­tra­ges die Feind­bil­der des Kal­ten Krie­ges infra­ge gestellt. Damit pass­te auch »die strik­te Abgren­zung gegen­über der DDR und ihren Sympathisant_innen im Innern nicht mehr.« (S. 165) So stand die bis­he­ri­ge »hege­mo­nia­le Feind­be­stim­mung« (Ebda.) infra­ge. Um sie und die Bestim­mung dar­über, was als demo­kra­tisch legi­tim gilt zu domi­nie­ren, ent­wi­ckel­ten sich zwei Stra­te­gien. Die kon­ser­va­ti­ve Ver­nähungs­stra­te­gie, bei Fuhr­mann reprä­sen­tiert durch den Sozio­lo­gen Hel­mut Schelsky, des­sen aka­de­mi­scher Auf­stieg im Natio­nal­so­zia­lis­mus begann, sowie durch die CDU/CSU, setz­te auf einen repres­si­ve­ren Gebrauch der Instru­men­te der wehr­haf­ten Demo­kra­tie und auf die Ein­schrän­kung von Frei­heits­rech­ten zu deren Siche­rung, um eine befürch­te­te Unter­wan­de­rung der Demo­kra­tie, sprich des Staa­tes, durch radi­ka­le Lin­ke in Form eines Mar­sches durch die Insti­tu­tio­nen zu ver­hin­dern. Kom­pli­zier­ter und ambi­va­len­ter gestal­te­te sich das sozi­al­li­be­ra­le Bestre­ben nach Dis­kurs­he­ge­mo­nie. Wäh­rend die Koali­ti­on aus SPD und FDP im sozia­len und im Bil­dungs­be­reich refor­me­ri­sche Vor­ha­ben anschob, inte­grier­te sie Tei­le der Pro­test­be­we­gun­gen. Gleich­zei­tig stand die Regie­rung von­sei­ten der Oppo­si­ti­on wegen ihrer Ost­po­li­tik unter mas­si­vem Druck. Hin­zu kam die zuneh­men­de Mili­tanz von Seg­men­ten der außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on bis hin zur Grün­dung bewaff­ne­ter Grup­pen als Moti­va­ti­on der sozi­al­li­be­ra­len Abgren­zung nach links. Zwei wesent­li­che Bau­stei­ne bil­de­ten  der Abgren­zungs­be­schluss des SPD-Bun­des­vor­schlags, der Par­tei­mit­glie­dern die Zusam­men­ar­beit mit Mit­glie­dern von DKP und SDAJ ver­bot, sowie der soge­nann­te Radi­ka­len­er­lass, mit dem rea­le oder ver­meint­li­che Gegner*innen der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie aus dem Staats­dienst fern­ge­hal­ten wer­den soll­ten. Mit ihm wird der Demo­kra­tie­schutz wei­ter nach vor­ne ver­legt, indem von Beamt*innen das »Ein­tre­ten für die fdGO als Vor­aus­set­zung zur Ein­stel­lung in den Staats­dienst« (S.181) gefor­dert wird. Der Bezug des Radi­ka­len­er­las­ses auf die Defi­ni­ti­on der fdGO durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Jahr 1952 lässt kei­ne alter­na­ti­ven Demo­kra­tie­vor­stel­lun­gen zu und greift über sei­ne repres­si­ven Ele­men­te stark in die poli­ti­sche Mei­nungs­bil­dung ein. Ver­bun­den mit dem Erlass wur­de eine Regel­an­fra­ge über Bewerber*innen für den öffent­li­chen Dienst beim „Ver­fas­sungs­schutz“. Wäh­rend in der sozi­al­li­be­ra­len Ära zwar Pro­test und poli­ti­sche Kri­tik zuneh­mend als legi­tim gal­ten, wur­den die hete­ro­ge­nen Pro­test­be­we­gun­gen von links unter einen vage gehal­te­nen Extre­mis­mus­be­griff sub­sum­miert. Mit­te der 1970er Jah­re war die anti­ex­tre­mis­ti­sche Abgren­zung bereits hege­mo­ni­al und wur­de durch poli­ti­sche Jus­tiz, den „Ver­fas­sungs­schutz“, des­sen jähr­li­che Berich­te »als Bei­trag zur poli­ti­schen Bil­dung und prä­ven­ti­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit anti­de­mo­kra­ti­schen Strö­mun­gen ver­stan­den« (S. 202) wer­den, und durch Insti­tu­tio­nen staat­li­cher poli­ti­scher Bil­dung sta­bi­li­siert. Dabei zei­gen sich deut­li­che Über­schnei­dun­gen zu einer sich als nor­ma­tiv ver­ste­hen­den Extre­mi­mus­for­schung für die bei­spiel­haft Namen wie Hans-Gerd Jasch­ke, Eck­hardt Jes­se und Uwe Backes ste­hen; Stamm­au­toren auch bei der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung. Von Backes stammt das soge­nann­te Huf­ei­sen-Modell mit dem das poli­ti­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik ver­an­schau­licht wer­den soll. In die­sem Modell ste­hen sich die ange­nom­me­nen lin­ken und rech­ten Extre­mis­men an den Enden des Huf­ei­sens deut­lich nahe, wäh­rend die poli­ti­sche Mit­te in der Run­dung ihnen gegen­über steht. Sie erscheint so als Gegen­satz zu allen „Extre­mis­men“. Allein wegen sei­ner Unter­kom­ple­xi­tät steht die­ser Ansatz immer wie­der in der Kri­tik, wie ins­ge­samt die Extre­mis­mus­for­schung sozi­al­wis­sen­schaft­lich hoch umstrit­ten ist. Ins­be­son­de­re in der Rechts­extre­mis­mus­for­schung – wobei der Begriff Rechts­extre­mis­mus dort nicht nur viel­fach mit kri­ti­scher Distanz betrach­tet wird, son­dern auch unter­schied­lich defi­niert wird – wer­den viel­mehr Ein­stel­lungs­mus­ter und Phä­no­me­ne wie völ­ki­scher Natio­na­lis­mus in ihren Dyna­mi­ken unter­sucht, wäh­rend sich die Extre­mis­mus­for­schung sta­tisch an dem ver­fas­sungs­ge­ben­den Grund­satz der fdGO ori­en­tiert. Im Gegen­satz zur Unter­su­chung der extre­men Rech­ten kann dem ange­nom­men „Links­extre­mis­mus“ allei­ne auf­grund der Hete­ro­ge­ni­tät lin­ker Strö­mun­gen kein »kon­sis­ten­tes sozia­les Phä­no­men zuge­ord­net wer­den« (S.259). Als pro­ble­ma­tisch bezeich­net Fuhr­mann zuvor­derst nicht die Set­zung der fdGO als Zen­trum der Demo­kra­tie, son­dern viel­mehr »ihre Aus­le­gung dahin­ge­hend, dass ande­re Vor­stel­lun­gen von Demo­kra­tie als poten­zi­ell extre­mis­tisch und damit anti­de­mo­kra­tisch ein­ge­stuft wer­den.« (S. 260)

Eingeengtes Diskursfeld

In der drit­ten Ana­ly­se­pha­se zeigt Fuhr­mann den Aus­bau des hege­mo­nia­len Kon­zepts der wehr­haf­ten, anti­ex­tre­mis­ti­schen Demo­kra­tie anhand der Ver­ste­ti­gung von päd­ago­gi­schen Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men seit dem Jahr 2000 auf. Das Datum steht in Ver­bin­dung mit dem durch den dama­li­gen Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der aus­ge­ru­fe­nen „Auf­stand der Anstän­di­gen“, nach­dem bei einem Rohr­bom­ben­an­schlag auf zum Teil jüdi­sche Aussiedler*innen aus der ehe­ma­li­gen Sowjet­uni­on am Bahn­hof Düs­sel­dorf Wehr­hahn am 27. Juli 2000 zehn Men­schen zum Teil lebens­ge­fähr­lich ver­letzt wur­den. Eine Frau ver­lor ihr unge­bo­re­nes Baby. Ent­spre­chend dem Anlass und der Pro­blem­la­ge rich­te­ten sich die ers­ten staat­li­chen För­der­pro­gram­me gegen Rechts­extre­mis­mus. Fuhr­mann hat jene Pro­gram­me unter­sucht, die, finan­zi­ell am stärks­ten aus­ge­stat­tet, dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Jugend zuge­ord­net wur­den. Die »For­de­rung nach Prä­ven­ti­on gegen alle For­men des Extre­mis­mus (…) drang erst spä­ter in den Prä­ven­ti­ons­be­reich vor«. (S.263). Die­se Ver­schie­bung voll­zog sich unter einer Koali­ti­on von CDU und FDP ab 2009, die sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag vor­nahm gegen jeg­li­che »Extre­mis­men, (…) sei­en es Links- oder Rechts­extre­mis­mus, Anti­se­mi­tis­mus oder Isla­mis­mus« (S.277) vor­zu­ge­hen. In die Pra­xis wur­de die­ses Vor­ha­ben mit dem Bun­des­pro­gramm „Initia­ti­ve Demo­kra­tie Stär­ken“ umge­setzt, dass auch Pro­jek­te in den Berei­chen „Links­extre­mis­mus“ und „isla­mi­scher Extre­mis­mus“ för­der­te. Bereits früh stieß die nun auf alle ver­meint­li­chen Extre­mis­men zie­len­de Aus­rich­tung auf Kri­tik aus der Wis­sen­schaft. Auch hier kommt erneut die Vag­heit des Begriffs „Links­extre­mis­mus“ zum Tra­gen. In Maß­nah­men wie der als „Extre­mis­mus­klau­sel“ bezeich­ne­ten „Demo­kra­tie­er­klä­rung“, mit wel­cher Pro­jekt­trä­ger seit 2001 ein Bekennt­nis zur fdGO unter­schrei­ben soll­ten, kam staat­li­cher­seits zudem ein Miss­trau­en gegen­über den sich als Zivil­ge­sell­schaft ver­ste­hen­den Trä­gern zum Vor­schein. Die Klau­sel wur­de nach anhal­ten­der Kri­tik 2014 eher halb­her­zig wie­der abge­schafft. »Das Vor­drin­gen der anti­ex­tre­mis­ti­schen wehr­haf­ten Demo­kra­tie in den Prä­ven­ti­ons­be­reich« (S.290) bleibt nicht unwi­der­spro­chen und bie­tet bei Fuhr­mann die Mög­lich­keit, auf­grund der rela­ti­ven Ein­ge­grenzt­heit des Dis­kurs­fel­des Hege­mo­nien infra­ge zu stel­len. Es wäre die Auf­ga­be sich zivil­ge­sell­schaft­lich ver­ste­hen­der Trä­ger sich anhal­tend gegen die Ver­ein­nah­mun­gen gegen­über staat­li­chen Inter­es­sen zu stel­len und sich gegen ein­engen­de Dis­kus­sio­nen über den Demo­kra­tie­be­griff zu posi­tio­nie­ren. Nicht nur die Abhän­gig­keit der Trä­ger von staat­li­cher Finan­zie­rung kann einer kri­ti­schen Posi­tio­nie­rung ent­ge­gen­ste­hen. Wenn sich bei­spiels­wei­se ein zivil­ge­sell­schaft­li­cher Akteur wie Mat­thi­as Quent, Direk­tor des Jena­er Insti­tuts für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft, in sei­nem Buch „Deutsch­land rechts außen“ dem Kon­zept der wehr­haf­ten Demo­kra­tie weit­ge­hend unkri­tisch ver­schreibt, dann zeigt sich, wie ein eng gefass­ter Demo­kra­tie­schutz, der sich nicht zugleich „nach oben“ rich­tet, leicht zu einer Inter­es­sens-Iden­ti­tät von staat­li­cher und zivil­ge­sell­schaft­li­cher Sei­te füh­ren kann.

Max Fuhr­mann ist für ein wich­ti­ges Buch zu dan­ken. Und auch wer sonst dem hege­mo­nie­theo­re­ti­schen Kon­zept nicht zuge­neigt ist, kann sei­ne Arbeit mit Gewinn lesen. Fuhr­mann rekon­stru­iert prä­gnant, wie das Kon­zept der erst anti­to­ta­li­tä­ren, spä­ter anti­ex­tre­mis­ti­schen wehr­haf­ten Demo­kra­tie hege­mo­ni­al wur­de und wie es, durch die umfas­sen­de Denun­zia­ti­on alter­na­ti­ver Demo­kra­tie­vor­stel­lun­gen als extre­mis­tisch, durch­ge­setzt wur­de. Um der aktu­ell statt­fin­den­den auto­ri­tä­ren For­mie­rung ent­ge­gen­zu­wir­ken, sind aber gera­de Dis­kus­sio­nen um alter­na­ti­ve Demo­kra­tie­kon­zep­te not­wen­dig, soll das Pro­blem der anhal­ten­den Rechts­drift grund­sätz­lich bekämpft wer­den, ohne den Völ­ki­schen und ande­ren extrem Rech­ten Raum zu geben.

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