Im November 2021 jährt sich die Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zum zehnten Mal. Das durch eine Vielzahl von „Vertrauensleuten“ der Sicherheitsbehörden flankierte Terrornetzwerk der Nazi-KameradInnen hatte in der Zeit zwischen 1999 bis 2011 wenigstens neun Morde an Migranten und einen weiteren an einer Polizistin, drei Bombenanschläge und 15 Raub- und Banküberfälle mit zahlreichen zum Teil lebensgefährlich Verletzten in der Bundesrepublik verübt. Nach einem misslungenen Banküberfall von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach am 4. November 2011 wurde das berüchtigte sogenannte Paulchen-Panther-Bekennervideo im Namen des NSU verbreitet. Ihre Kombattantin noch aus den Tagen der Jenaer Kameradschaft in den 1990er Jahren, Beate Zschäpe, verschickte es gemeinsam mit bislang noch unbekannten UnterstützerInnen an wenigstens 15 Adressen – darunter eines direkt im Kuvert ohne Briefmarken, eingeworfen in den Briefkasten der Nürnberger Nachrichten, adressiert an den Redakteur Herbert Führ.
Der zehnte Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU ist weder aus der Sicht der vielfältig auch durch die polizeilichen Ermittlungen drangsalierten Migrant*innen noch aus antifaschistischer Perspektive ein schönes Jubiläum, aber allemal ein guter Anlass eine profilierte Rückschau zu der monströsen Causa zu halten. Und zu bedenken ist hier, dass selbst nach dreizehn Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (PUA) und einem zeitaufwändig geführten Strafprozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) München gegen einige wenige NSU-Beteiligte auch nicht annähernd von etwas gesprochen werden kann, was man in der historischen Sozialwissenschaft als einen „Stand der Forschung“ bezeichnen könnte. Gleichwohl: Es steht jetzt schon einiges an Untersuchungsmaterial bereit, dass ausführliche Recherchen und daraus zu ziehende begründete Schlussfolgerungen vor allem für das Funktionieren der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex erlaubt. Der Medienprofessor Tanjev Schultz (Uni Mainz), der noch als Reporter im Auftrag der Süddeutschen Zeitung am NSU-Verfahren teilgenommen hat, hat sich nun mit einem Sammelband an einer, wie er es formuliert, „Zwischenbilanz“ versucht. In 12 Beiträgen interviewt er dabei etwa Angehörige der Opfer des NSU-Terrors, den amtierenden Verfassungsschutzpräsidenten aus Thüringen, Stephan Kramer, die Nebenklage-Anwältin Seda Başay-Yıldız. Zusätzlich hat er die Politiker*nnen Clemens Binninger (CDU) und Martina Renner (Linke), den ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter des LfV NRW, Thomas Grumke, seine ehemalige SZ-Kollegin Wiebke Ramm und den Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, ebenfalls ein Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, für Autor*innenbeiträge gewonnen. Drei Beiträge in dem Buch stammen von Schultz selbst.
Propagandafloskeln der Inneren Sicherheit
Um es gleich vorneweg zu fragen: Was hat Schultz nur geritten, den VS-Beschäftigten Kramer und Grumke mit diesem Buch eine wohlfeile Plattform für ihre Ansichten zu eröffnen, die – man ahnt es bereits – auf was hinauslaufen? Richtig: Kramer hebt hier hervor, dass „wir“ mit einem „spürbar wachsendem Vertrauen in die Arbeit des Amtes (…) zumindest ein gutes Stück vorangekommen“ sein sollen. Mehr noch, so Kramer, nun gehe es darum „die Qualität des Verfassungsschutzes als wichtiges Instrument der ‚Wehrhaften Demokratie‘ substanziell zu verbessern.“ Liest man das richtig, dass es nun als Zwischenbilanz zum NSU darum gehen soll, „die Qualität des VS“ noch mehr zu verbessern? Bedeutet das, zu Ende gedacht, nicht, dass auch von Kramer das vielgestaltige Engagement des Thüringer VS in der Formierungsphase des NSU in der Zeit seines Amtsvorgängers Helmut Roewer dann doch als so schlecht nicht eingeschätzt wird. (S. 88 und 90) Auch der ehemalige VS-Beschäftigte Grumke stößt in das gleiche Horn wie Kramer und lässt die Leser*innen zunächst an seiner Erkenntnis:„Verfassungsschutzämter sind auch nur Ämter“, teilhaben (S. 97), um danach zu mahnen: „Pauschale Verurteilungen der Verfassungsschutzbehörden sind fehl am Platze.“ (S. 97) Auf solche Einfälle im Kontext mit dem NSU-Komplex kann eigentlich nur ein Protagonist und, sagen wir, Analytiker der Sicherheitsbehörden kommen. Und das alles mündet unter Schultz‘ publizistischer Kuratel in die von Grumke als eine „Kernhypothese dieses Artikels“ bezeichnete Aussage: „Die ausdifferenzierte Sicherheitsstruktur der ‘wehrhaften Demokratie‘ mit ihrer vorverlagerten Extremismusbeobachtung hat sich durchaus bewährt.“ (S. 104) Wenn einem solche Propagandafloskeln der Inneren Sicherheit auch noch als Zwischenbilanz aus der Aufarbeitung des NSU aufgedrängt werden, weiß man wirklich nicht mehr, ob man darüber lachen oder weinen soll.
Das lenkt die Frage darauf, was der Herausgeber Schultz eigentlich mit seinem Buch bezweckt? Kurz nach dem Ende des NSU-Strafprozesses vor dem OLG München hatte er im Herbst 2018 bereits eine umfassende Darstellung dazu verfasst. Bereits damals sei von Schultz, so Rezensent Friedrich Burschel, „für die Ermittlungsbehörden und Verfassungsschützer_innen (…) jedes Verständnis der Welt“ geäußert worden. Schultz‘ „offen ausgeübte Politikberatung, was jetzt zu passieren habe“ scheue „eine klare Analyse und Kritik.“ Dieser Befund zieht sich auch durch die Beiträge von Schultz im vorliegenden Buch. Zentral dafür die von Schultz immer wieder strapazierte Sprechblase eines „Wer so alles im NSU-Komplex versagt hat“: „Auch die Medien (haben) im NSU-Komplex versagt. Es war ihre Aufgabe, als Korrektiv der Behörden zu wirken. Dieser Aufgabe wurden sie nicht gerecht. (…) Sie stellten keine kritische Öffentlichkeit her, trugen keine Hinweise und Überlegungen zusammen, die es erlaubt hätten, auf die richtige Spur zu kommen. Dass rechte Terroristen hinter der Anschlagsserie steckten, wurde nicht ernsthaft erwogen und geprüft – weder in den Behörden noch in den Medien.“ (S. 50⁄51) Mehr noch: „Die Medien folgen häufig den Darstellungen der Behörden, ohne sie kritisch zu prüfen oder in Zweifel zu ziehen.“ (S. 57) Tja, wenn es denn so einfach wäre, wie Schultz hier schreibt: Die Medien sollen „häufig den Darstellungen der Behörden“ gefolgt sein, schreibt er. Ist das so zutreffend oder geht es weit über dieses „Versagen“ hinaus? So hat doch Schultz‘ Kollege aus der Süddeutschen, Joachim Käppner, noch im Sommer 2006 aktiv an der Umsetzung der Medienstrategie der Polizei in der Mordserie mitgewirkt, wie er in einem zusammen mit dem LKA-Profiler Alexander Horn 2014 verfassten Buch bekennt. Und was ist mit dem für die Springer-Gazetten „Welt“ und „Bild“ in den Jahren 2005 / 2006 publizierenden Journalisten Jörg Völkerling, der öffentlichkeitswirksam alle zuvor ventilierten Spekulationen der Polizei über die mutmaßlich in Drogen‑, Rotlicht- und sonstige Abgründe verstrickten Opferangehörigen mit Hinweisen auf eine international operierende Bande aus Istanbul bei weitem überboten hat? Weder Käppner noch Völkerling sind doch hier den Darstellungen der Polizei unkritisch gefolgt, sondern haben sich auf ihre Weise an deren Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Mordserie beteiligt. Soviel journalistische Autonomie – mit den bekannten gegenaufklärerischen Konsequenzen – war eben immer auch im NSU-Komplex möglich. Dasselbe gilt auch für Schultz, der zusammen mit Kollegen Anfang Juli 2012 der Kleinfamilie Temme in ihrem idyllischen Apfelgarten in Hofgeismar einen Besuch abgestattet hat. Wir erinnern uns: Die Rolle des hessischen Inlandsgeheimndienstlers, der bei der Ermordung des Internetcafé-.Betreibers Halit Yozgat am 6. April 2006 bis heute völlig unaufgeklärt ist. Hier war es eben auch Schultz selbst, der Andreas Temme eine Plattform dafür eröffnete, in der sich dieser mit der nicht weiter kommentierten Aussage in den NSU-Zusammenhang einordnen durfte: „Ich war das angreifbarste Opfer!“ (SZ v. 5.7.2012, S. 3) Und das alles im Zusammenhang mit einer im gleichen Beitrag von den Verfassern couragiert ausgesprochenen entschiedenen Ablehnung jeder Form der Verschwörungstheorie.
Schöne runde Geschichten
Dass Schultz vom Journalismus herkommt, ist ihm nicht vorzuwerfen. Und evident hier allemal, dass wer es bis zur Süddeutschen geschafft hat, in der Regel auch nicht zu den schlechtesten Schreiber*innen gehört. Zentral zum Handwerk des Journalismus zählt jedoch, umgangssprachlich formuliert, schöne „runde Geschichten“ zu verfassen. Konkret bedeutet das: Da, wo man in einer komplexen Sache wie dem NSU-Kontext nicht mehr weiter kommt, überbrückt man die Wissenslücken einfach mit mehr oder minder eleganter Rabulistik.
Solche journalistischen Schreibmethoden zeitigen aber zuweilen ihre Konsequenzen für den Wahrheitsanspruch in der Sache, um die es doch gehen soll. So formuliert Schultz elegant, dass die Polizei, „erst im Jahr 2006, nach dem neunten Mord, (…) erstmals ernsthaft die Möglichkeit in Betracht [zieht], bei dem oder den Tätern könnte es sich um Rechtsradikale handeln, die Türken aus Hass töteten“. Allerdings, so Schultz weiter, habe sich „mit dieser Theorie (…) niemand aus dem Fenster“ lehnen wollen, weil die „Kommissare noch nichts Greifbares in Händen“ gehalten haben sollen. (S. 59) Wie bitte? Die Polizei soll 2006 „nichts Greifbares in Händen“ gehalten haben? Das ist einfach nicht wahr. Ab dem 21. April 2006 hatten die Sokos „Café“ und „Bosporus“ mit Andreas Temme den ersten konkreten Tatverdächtigen in der Mordserie „in Händen“. Und Temme verweigerte sich nicht nur ihren Aufklärungsbemühungen, sondern es stellte sich schnell heraus, dass es sich bei ihm erstens um einen Waffenspezialisten und rechtsdrehenden „Geschichtsfan“ handelte, und der zweitens in seiner Funktion als V‑Mann-Führer des LfV Hessen Spitzel aus der Naziszene zu betreuen hatte. Mit Temme war die Polizei schon 2006 auf das seit Jahrzehnten exzellent geschmierte Relais Verfassungsschutz – Naziszene gestoßen, ein Befund, der einerseits bei den ermittelnden Polizist*innen einem zeitgenössischen Bericht im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zufolge, „blankes Entsetzen“ ausgelöst haben soll. Auf der anderen Seite löste die Festnahme des ersten Tatverdächtigen in der Mordserie, so mit Werner Störzer ein hochrangiger Polizeibeamter der BAO Bosporus mit seiner Aussage im bayrischen NSU-Untersuchungsausschuss, einen „Quantensprung“ in den weiteren Ermittlungen aus. Wenn das wahr wäre, wird es vollends absurd, wenn Schultz versucht seinen Leser*innen weiszumachen, dass dann im Verlaufe des Jahres 2006 „der neue Anlauf“ der Polizei mit der Hypothese von Rechtsradikalen als den Mördern, „der endlich zum Ziel hätte führen können, schon auf halber Strecke“ erlahmt sein soll. Erlahmt? Warum nur hat sich hier der Vorsitzende des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy (SPD), mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, der damals als Innenminister in Hessen amtierte in einer fünfstündigen Befragung um die Interpretation genau dieses Sachverhalts gestritten? Es war doch Innenminister Bouffier selbst, der Ende Juli 2006 die weiteren polizeilichen Ermittlungen in der Causa Temme nicht einfach nur so zum „erlahmen“ gebracht, sondern schlicht abgebrochen hatte. (BT-NSU-UA-Prot Nr. 32 vom 28.9.2012) Übrigens im Ergebnis mit großem Erfolg, sowohl für Andreas Temme, der Zeit seines Berufslebens als Beamter des Landes Hessen auch nicht einen Euro an Gehaltseinbußen hat hinnehmen müssen, sowie auch für den Bestandserhalt des LfV Hessen, wie sich heute nüchtern bilanzieren lässt.
Gründungsurkunde der Sonderkommission „Bosporus“
Auch mit Blick auf eine doch mögliche vergleichende Lektüre der NSU-PUAs in Bayern, Hessen, NRW und des ersten Bundestags-PUA erscheint es rätselhaft, wie Schultz bei den ersten fünf Morden in den Jahren zwischen 2000 – 2004 von einer „komplizierte(n) Ermittlungsstruktur verschiedener Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden in mehreren Städten und Bundesländern“ fabulieren kann. (S. 114) Spätestens nach der im Oktober 2002 veröffentlichten Presseerklärung des Polizeipräsidiums Mittelfranken aus Nürnberg, nach eben den vier Morden waren die diesbezüglichen Ermittlungen von der Polizei faktisch eingestellt worden. (Vgl. POL-MFR (1872) PM vom 8.10.2002) Das ist auch der Grund dafür, warum der langjährig an der Mordserie ermittelnde Kommissar Albert Vögeler zum Ermittlungsstand im Februar 2004 nach dem fünften Mord an Mehmet Turgut in Rostock-Toitenwinkel den Abgeordneten des NSU-UA in Mecklenburg-Vorpommern bei seiner Aussage Mitte September 2020 lediglich erzählen konnte: „Zu diesem Zeitpunkt war ich alleine mit der ganzen Serie beschäftigt, beziehungsweise habe das mehr verwaltet. Große Ermittlungen kann man mit einem Mann nicht machen.“ Wohl wahr! Dort wo seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaften schon lange vorher entschieden worden ist, mit weiteren Ermittlungen in einer Mordserie aufzuhören, ist doch gerade nichts mehr, wie Schultz es nahezulegen versucht, kompliziert, sondern unfassbar einfach.
Und dann soll nach Schultz die Ende Juni 2005 in Nürnberg beim Polizeipräsidium Mittelfranken ins Leben gerufene BAO Bosporus „mit dem (Nagelbomben-)Anschlag in Köln nur am Rande befasst“ gewesen sein. Doch leider, so Schultz, seien „die Morde und die Sprengstoffverbrechen (…) noch nicht als Teil einer gemeinsamen Serie wahrgenommen“ worden. (S. 118) Die BAO Bosporus soll also mit dem Nagelbombenanschlag von Köln nur „am Rande befasst“ gewesen sein? In einer der ersten Pressemitteilungen der sich gerade gründenden übergreifenden Kommission Bosporus war das von Kriminalrat Peter Grösch, Sprecher des Polizeipräsidiums Nürnberg, erheblich direkter formuliert worden: „Eine von den Medien ins Spiel gebrachte Verbindung zwischen der Mordserie und dem Nagelbomben-Attentat vor einem Jahr in Köln besteht jedoch nicht. (…) Es besteht keinerlei Zusammenhang zwischen dem Verbrechen in Köln und den sieben Morden an den Kleinunternehmern.“ (Zitat vom 23.6.2005) Eben diese Aussage kann als eine der Gründungsurkunden der BAO Bosporus gelesen werden. Eine der Aufgaben der BAO Bosporus bestand doch genau darin, einen Zusammenhang zwischen dem Nagelbombenangriff von Köln mit der Mordserie an den Migranten kategorisch auszuschließen. Diese Aufgabe lag gerade nicht „am Rand“ sondern war zentral. Und die Erfüllung dieser Aufgabe gelang der BAO Bosporus auch jahrelang frei von jedem Versagen – bis es dann im November 2011, ironisch gesprochen, zu der unkontrollierten Verbreitung des Selbstenttarnungsvideos des NSU kam.
Das „System Fritsche“
Gibt es denn an dem vorliegenden Band nichts, was positiv zu vermerken ist? Doch: der Beitrag von Sebastian Wehrhahn und Martina Renner sowie der von Clemens Binninger können zur aufmerksamen Lektüre empfohlen werden. Wehrhahn und Renner arbeiten auch an dem vom hochrangigen Sicherheitspolitiker Klaus-Dieter Fritsche (CSU) eingerichteten „System Fritsche“ heraus, wie es durch eine gezielte Personalpolitik in dem Verfassungsschutz gelungen ist, die „ideologische Tradition des Antikommunismus“ fortzuführen. Eine Behörde, die sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht und nicht nur „aktiv gegen die Demokratisierung der Gesellschaft“ arbeitet, sondern auch, so Wehrhahn und Renner weiter, mit einer „Betriebskultur der Intransparenz (…) ein gefährliches System“ etabliert hat, wird auch in Zukunft „immer wieder Fälle wie den NSU-Komplex ermöglichen wird.“ (S. 84) Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des zweiten NSU-PUA des Bundestages, der einstige Kriminalpolizist Clemens Binninger, formuliert am bis heute weitgehend unaufgeklärten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn am 25. April 2007 „offene Fragen (und) bleibende Herausforderungen.“ Hier listet er konzise eine Vielzahl von „Fakten, Indizien, Zufällen“ auf, die in der Zukunft der weiteren Aufklärung harren. (S. 128ff)
Im Schlusskapitel hält Schultz fest: „Der Terror des ‘Nationalsozialistischen Untergrunds‘ (NSU) ist weder vollständig juristisch aufgeklärt noch umfassend gesellschaftlich aufgearbeitet“. Es seien „schmerzliche Lücken geblieben – in der Suche nach der Wahrheit und in den Lehren, die aus dem Fall zu ziehen wären.“ (S. 139). Da ist ihm vorbehaltlos zuzustimmen. Bitter ist jedoch die Erkenntnis, dass es ihm im vorliegenden Band sowohl in seinen eigenen Beiträgen wie auch in der Zusammenstellung der anderen Aufsätze an einem engagierten Ansatz zur Suche nach der Wahrheit gebricht.
Verdunklungsgefahr
In der von ihm selbst im Verbund mit etlichen anderen Professor*nnen im Kohlhammer-Verlag herausgegebenen Reihe „Politik und Gesellschaft“ heißt es unter anderem in der Selbstdarstellung, dass zwar in der Presse „viele Fragen aufgrund ihrer Komplexität nicht immer zufriedenstellend beantwortet werden“ können, eben in dieser Publikationsreihe nunmehr aber eine „Brücke zwischen (…) tagesaktuellen Themen und umfassender, wissenschaftlicher Grundlage“ geschlagen werden solle. Die Reihe verspricht, dass hier „Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen“ mit „Standpunkte(n) und Argumente(n) zum Thema des jeweiligen Bandes (…) eine außergewöhnliche und kontroverse Tiefenschärfe“ für die „Herausforderungen der Gegenwart“ entfalten sollen. (2) Mit Verlaub. Dieser hehre Anspruch wird von Tanjev Schultz mit dem Inhalt wie der Komposition des hier besprochenen Bandes bei weitem unterboten. Für eine bessere Zukunft sollte ein Schlussstrich unter Beiträge solcher Qualität wie derjenigen der Verfassungsschützer und von Schultz selbst gezogen werden, die den komplexen Sachverhalt mehr verdunkeln als erhellen.
Tanjev Schultz (Hrsg.) Nationalsozialistischer Untergrund / Zehn Jahre danach und kein Schlussstrich, Mainz 2021, ISBN /978–3‑17–039620‑3, Seiten 15