Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz: Strammstehen vor der Demokratie. Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik. Stuttgart 2021.

»Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.« Dieser Satz war zehn Jahre lang in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) über sogenannten Linksextremismus zu lesen und stand in diesem Zeitraum unbeachtet im Web. Ein Tweet im Januar 2021 löste einen Shitstorm von Konservativen und extrem Rechten aus. Die Ideen des Liberalismus könnten nicht in einen Bezug zu „linksextremen“ Bewegungen gesetzt werden, so der Tenor. Daraufhin intervenierte das Bundesministerium des Innern, dem die bpb untergeordnet ist, und verlangte eine Änderung des Textes zugunsten einer Formulierung des Verfassungsschutzes.
Nun ließe sich der Vorfall damit erklären, dass er Teil einer Entwicklung sei, innerhalb der »rechte Netzwerke gegen die Wissenschaft und Medien« (Potter 2021) vorgehen, so Kai Gehring, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Kuratoriumsmitglied der bpb, gegenüber Belltower, einer Webseite der liberalen Amadeu Antonio Stiftung. Der Skandal liege darin, dass die Autonomie der Bundeszentrale infrage gestellt und das BMI vor den Rechten einknicken werde. Oberflächlich betrachtet ist das richtig und doch nur ein Teil der in dem Skandal steckenden Problematik, wie aus der Lektüre des schmalen Bandes „Stramm stehen vor der Demokratie“ von Maximilian Fuhrmann und Sarah Schulz deutlich wird, auch wenn das Beispiel selbst in das Buch nicht aufgenommen werden konnte. Die Themen von Fuhrmann / Schulz sind das Extremismus- und Staatsschutzkonzept sowie die dahinter stehende Idee der wehrhaften Demokratie.

Wehrhafte Demokratie als konservatives Projekt in der Weimarer Republik
Im ersten Teil der Publikation greift Sarah Schulz in der Zeit zurück bis zur konservativen Frontstellung gegen die angeblich zu liberale Weimarer Republik. Die wehrhafte Demokratie gilt als die notwendige Konsequenz aus dem Scheitern des Verfassungsstaates durch die Machtübernahme der Nationalsozialist*innen, wird heute bis in (links-)liberale Kreise hinein behauptet. Schulz verweist auf den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, der argumentierte, die liberale Demokratie müsse durch Einhegung vor sich selbst geschützt werden. Schmitt positionierte sich als »Teil einer illiberalen juristischen Front gegen die Weimarer Republik« (20), die sich nicht nur aus der extremen Rechten rekrutierte. Auch Konservative dachten in Bahnen einer vermeintlich deutschen Rechtstradition, in der dem Gedanken eines rein formalen positiven Rechts eine außergesetzliche Instanz – etwas Überpositives – übergeordnet sein müsse. Schmitt wandte sich bekanntlich dem Nationalsozialismus zu und widmete sich als „Kronjurist des Dritten Reichs“ (Walter Gurian) Ideen zu dessen Rechtsordnung. Er leistete seinen Beitrag unter anderen, indem er 1933 der Machtübernahme Legalität zusprach und in ihr das Moment des Überpositiven in »Disziplin und deutschem Sinn für Ordnung« (Ebda.) ausmachte. Diese Argumentation war unter anderem deshalb wichtig, um den am Legalitätsprinzip orientierten Beamten- und Justizapparat, der zwar häufig konservativ und demokratiefeindlich, aber nicht unbedingt nationalsozialistisch gesinnt war, auf die Seite des NS-Regimes zu ziehen. Zwei weitere Maßnahmen flankierten dieses Vorgehen. Mit der Reichtagsbrandverordnung wurden die Grundrechte abgeschafft, während das Parlament qua Ermächtigungsgesetz ausgeschaltet wurde. Der scheinbar legale Rahmen diente dazu, den von den Nationalsozialist*innen geschaffenen Ausnahmezustand zu legitimieren und den Mythos einer rechtmäßigen Machtübernahme zu fundieren. Das Ende der Weimarer Demokratie bildete den Höhepunkt eines konservativen Illiberalismus, dem die »Skepsis gegenüber Demokratie und Partizipation« (Ebda.) eingeschrieben ist. Es sollte daher aufhorchen lassen, wenn Organisationen, die sich gerne selbst als Zivilgesellschaft betrachten, für ein Demokratiefördergesetz plädieren, das ein »Gesamtkonzept für eine wehrhafte Demokratie« darstelle, wie Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung fordert.
Schulz weist darauf hin, dass die Stimmen von Exilierten und Intellektuellen wie Ernst Fraenkel, Franz Neumann, Eugen Kogon oder Léon Poliakov und ihre Perspektive auf den Nationalsozialismus und seine Funktionsweise im Zuge der „Grundsteinlegung der wehrhaften Demokratie in den 1950er-Jahren“ (24) in der post-nationalsozialistischen Gesellschaft der Bundesrepublik nicht präsent waren. Bei allen Unterschieden zwischen Fraenkel und Neumann in der Bewertung der Struktur des NS-Staates waren sie sich darin einig, dass eines der Merkmale des Nationalsozialismus die „Ablehnung des liberalen, rationalen Rechts“ (27) war. In seiner zentralen Schrift „Der Doppelstaat“ schreibt Fraenkel: »Der Versuch den wahren Charakter dieser mittels des Belagerungszustandes errichteten Diktatur durch legalistische Tricks zu verschleiern, wurde mit Hilfe plebiszitär-demokratischer Manöver durchgeführt.« (Fraenkel 1999: 67) Fraenkel macht nicht wie in der konservativen Geschichtserzählung vermeintliche Extreme von rechts und links, oder wie in der liberalen Variante das Fehlen von engagierten Demokrat*innen für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich. Vielmehr verortet er, wie Schulz zusammenfasst, die Ablehnung der liberalen Demokratie in einem „konservativen Bollwerk“ (26), das in der »preußisch-deutschen Verfassungsgeschichte« (Ebda.) und der polizeilichen Allmacht absolutistischer Bürokratie gründet.
Aufbau des Verfassungsstaates und seine antitotalitäre Ausrichtung
Nach der militärischen Niederlage des NS-Staates stand die Diskussion um den Umgang mit der nationalsozialistisch geprägten Bevölkerung und die Errichtung eines deutschen Staates schnell unter dem Einfluss des Kalten Krieges. Es bildete sich ein sogenannter antitotalitärer Konsens aus, in dem nicht »das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie« (Adorno 1971: 10) dieselbe gefährdet, sondern ein vorgeblicher Totalitarismus von rechts und links. Das Interesse der Westalliierten, insbesondere der USA, an einer gründlichen Entnazifizierung sank zunehmend, obwohl sie in der US-amerikanischen Besatzungszone vor 1949 noch am gründlichsten vorgenommen wurde.
Mit in Kraft treten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war die Gründung der Bundesrepublik Deutschland vollzogen. In den USA wurde die Unterstützung antikommunistischer Kräfte bereits seit der Truman-Doktrin 1947 vollzogen. Im Zuge des sogenannten McCarthyismus führte die verschwörungsideologisch geprägte Paranoia vor einer kommunistischen Unterwanderung zur Verfolgung auch ehemaliger, real oder vermeintlich, linker Exilant*innen. In der Bundesrepublik bot sich mit dem Antikommunismus ein Ticket für den problemlos nicht mehr allzu offen sagbaren Antisemitismus an. Mit dem Korea-Krieg 1950 übernahm auch die SPD endgültig die antitotalitäre und antikommunistische Ausrichtung der bürgerlichen Parteien. Kritische Positionen wie die von Fraenkel und Neumann wurden kaum berücksichtigt. Als Elemente, die Wehrhaftigkeit des Verfassungsstaates in der frühen Phase der Staatsgründung in Gestalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung (fdGO) zu etablieren, können gelten: die Diskussion über das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat 1948⁄49, insbesondere um Art. 18, der das Verwirken von Grundrechten bis heute vorsieht; die Einführung einer Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes in Art. 79 Abs. 3 sowie die Möglichkeit von Parteiverboten in Art. 21 Abs. 2. Das normative Konzept der fdGO bleibt im Grundgesetz vage und wird erst in den 1950er-Jahren mit der Einführung des politischen Strafrechts und dem Tatbestand der „Staatsgefährdung“ sowie mittels der Parteiverbote gegen die Nachfolgepartie der NSDAP „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) und die linke KPD stärker konturiert. Die neben den Tatbeständen Hoch- und Landesverrat im 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 eingeführte Staatsgefährdung sollte präventiv wirken. Es ging dabei weniger um die tatsächliche Drohung einer Revolution. Vielmehr wurde »eine Gefahr der Unterwanderung Deutschlands durch kommunistische Kräfte, die die Bundesrepublik mit legalen Methoden destabilisieren wollen« (47), heraufbeschworen. Anders ausgedrückt ging es um eine strafrechtliche Prävention, indem bereits legale politische Handlungen unter Verdacht gerieten. Die Konkretion der fdGO blieb dem Bundesverfassungsgericht in den oben genannten Verbotsverfahren überlassen, mit denen das Gericht allerdings an das politische Strafrecht anknüpfte, ohne dass dies so explizit wurde. Inhaltlich unterfüttert wurde das Paradigma der fdGO nicht. Herangezogen wurde stattdessen eine »religiös-naturrechtliche« (51) Begründung wie der Rechtswissenschaftler Christoph Gusy feststellte, die von einer »Schöpfungsordnung« (Ebda.) als übergeordnetem Moment der Staatslegitimität ausging. Das KPD-Verbot 1956 unterstellte der Partei ein rein taktisches Verhältnis zur fdGO. Politische Parteien müssten aber »immer auch für die fdGO als erstrebenswertes Ideal arbeiten und nicht ein bloßes Zweckverhältnis zu ihr haben.« (Ebda.) Das fdGO-Paradigma beinhaltet im Kern ein Verfassungsprinzip in dem nicht die Bürger*innen vor staatlichen Zugriffen geschützt werden, sondern umgekehrt der Staat vor ihnen und vor Begehren nach zu viel Freiheit und Demokratie präventiv verteidigt wird. Daran hat sich auch mit der Neuformulierung des Staatsschutzes in den 1960er- und insbesondere den 1970er-Jahren nichts geändert. Mit dem Aufkommen der antiautoritären Neuen Linken, die deutlich vielfältiger war als die bisherige parteikommunistische Linke, die sich an der (post-) stalinistischen Sowjetunion orientierte, wurde ein flexibleres Konzept des Staats- und Demokratieschutzes notwendig. Mit der veränderten Ostpolitik Willy Brandts wurde zudem das antikommunistische Feindbild des Kalten Kriegs, zumindest außerhalb der Sicherheitsbehörden mit ihrem vielfach NS-belastetem Personal, aufgeweicht, allerdings ohne dass es je völlig verschwand. Die gesellschaftliche Liberalisierung ging jedoch einher mit einer »Vorverlagerung der Einschätzung über die Verfassungstreue« (64) in die Exekutive, insbesondere in die Verfassungsschutzbehörden.

Extremismus – Inhaltsleere als Konzept
Max Fuhrmann analysiert im zweiten Teil des Buches; wie der Extremismusbegriff hegemonial wurde. Er knüpft dabei an seine Dissertationsschrift „Antiextremismus und wehrhafte Demokratie“ an. Anders als der Totalitarismus- und Radikalismusbegriff, die beide an historische Strömungen anknüpften, war und ist Extremismus ein inhaltsleerer Container. Extremismus ist demnach das Gegenteil von Demokratie, die im behördlichen Denken mit der fdGO gleichgesetzt wird. Wesentlich für die Popularisierung und Absicherung des Extremismusbegriffs ist die untrennbar mit den Namen Uwe Backes und Eckhard Jesse verbundenene Extremismusforschung. Backes und Jesse orientieren sich mit ihrem ersten Artikel „Extremismus und Demokratie“ aus dem Jahr 1983 wenig überraschend am Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz, um »Extremismus als Antithese zu Demokratie« (75) zu setzen und der Grenzziehung zwischen den beiden angeblichen Gegenpolen „existenzielle Bedeutung für den Bestand der Demokratie“ (Ebda.) zuzumessen. In späteren Arbeiten bemüht sich das Autorenduo, Extremismus als »Ablehnung der Grundpfeiler demokratischer Verfassungsstaaten« (76) zu definieren. Diese Grundpfeiler heißen Pluralismus, Gewaltenkontrolle und Menschenrechte, wobei die empirische Erfahrung von Minderheiten in Deutschland mit letzteren ist, dass diese in der Verfassungstheorie besonders geschützten Rechte für sie nur eingeschränkt gelten. Fuhrmann betrachtet ausführlich das Zusammenspiel von Verfassungsschutzbehörden und Extremismusforschung. Formal unabhängig verwendet die Extremismusforschung die Grundlagen sicherheitsbehördlicher Setzungen und stabilisiert diese durch den sozialwissenschaftlichen Anstrich, auf den sich wiederum die Behörden berufen. Bis heute geben Backes und Jesse das Jahrbuch „Extremismus & Demokratie“ heraus. Viele ihrer Schriften sind bei der Bundeszentrale für politische Bildung oder den Landeszentralen erschienen, die neben den Verfassungsschutzämtern nicht nur einen besonderen Beitrag zur Verbreitung des Extremismusmodells geleistet haben, sondern zusammen mit dem Veldensteiner Kreis »Plattformen für den Austausch und Netzwerke zwischen Extremismusforschung und staatlichen Einrichtungen« (79) mit finanzieller Förderung durch öffentliche Gelder darstellen. Ehemalige oder noch aktive Geheimdienstler*innen wie Bettina Blank oder Christian Menhorn bekommen im Jahrbuch von Backes und Jesse immer wieder Publikationsmöglichkeiten. Blank, Mitarbeiterin beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg, hat 2014 die Monografie „Deutschland einig Antifa? ›Antifaschismus‹ als Agitationsfeld von Linksextremisten“ veröffentlicht, in der sie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) in den Zusammenhang mit „Linksextremismus“ stellt. Die Rezensentin in der FAZ vom 15.09.2014 veranlasst die Arbeit, von einem »realitätsfernen Szenario« zu schreiben und kommt weitergehend zu dem Urteil, dass Blank »vor der Gefährlichkeit des Rechtsextremismus (…) die Augen schließt.« (Weber 2014) Die VVN wird bis 2011 im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflusste Organisation geführt. Fuhrmann kommt mit Bezug auf die Verfassungsschützerin Blank zu der Einschätzung, »sie würde auf der einen Seite als Geheimdienstlerin die VVN mit nachrichtendienstlichen Mitteln« überwachen, während »sie sich auf der anderen Seite die wissenschaftliche Legitimation für dieses Vorgehen selbst« (80) schreibt. Welche Auswirkungen die fortwährende Nennung der VVN im bayerischen Verfassungsschutzbericht hatte, dürfte bekannt sein. Ihr wurde zeitweilig die Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das Berliner Finanzamt entzogen. Ein Damoklesschwert, dass weiterhin über der antifaschistischen Organisation schwebt. Dem Extremismusbegriff liegt ein autoritäres Demokratieverständnis zugrunde, das anderen Vorstellungen von Demokratie als der des demokratischen Verfassungsstaates ablehnend gegenübersteht. Backes und Jesse stellen sich analog zu konservativen Warnungen vor einer zu liberalen Demokratie in der Weimarer Zeit gegen die »Forderung nach einer Demokratisierung aller Lebensbereiche« und sehen die Gefahr einer »Überdehnung des Demokratiebegriffs« (97).
Zivilgesellschaft als Staatsschutz
Der hegemoniale Charakter des Extremismuskonzepts ist bis in die staatlichen Programme für Demokratieschutz wirkmächtig. Seit 2001 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) unterschiedliche Programme aufgelegt, mit denen als zivilgesellschaftliche Vorhaben titulierte Projekt gefördert wurden. Die Ausrichtung der Programme war von Beginn an strittig. Sie standen ursprünglich im Kontext des „Aufstands der Anständigen“, ausgerufen von Bundeskanzler Schröder als Reaktion unter anderem auf einen Bombenanschlag auf teils jüdische Aussiedler*innen in Düsseldorf-Wehrhahn im Juli 2000. Das erste Aktionsprogramm der rot-grünen Bundesregierung „Jugend für Toleranz und Demokratie“ war auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus ausgerichtet. Es orientierte an der sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung, die antiegalitäre Einstellungen auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft untersucht und sich nicht wie die Extremismusforschung an der Haltung zum demokratischen Verfassungsstaat als Problemfeld ausrichtet. Im Verlauf der nun 20-jährigen Geschichte wurden die Bundesprogramme durch die wechselnden Regierungen und Ministerinnen des BMFSFJ unterschiedlich ausgerichtet. Familienministerin Kristina Schröder (2010) legte neben dem Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ die „Initiative Demokratie stärken“ (IDS) auf. Sie sollte sich gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus richten. Die Programmleitlinien orientierten sich am Extremismusmodell: »Unter Extremismus sind alle Bestrebungen zu verstehen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (…) gerichtet sind.« (103) Das Programm stand immer wieder in der Kritik. Unter anderem stellte das Deutsche Jugendinstitut in seiner Programmevaluation die Kategorie Linksextremismus infrage. Die sozialdemokratische Amtsnachfolgerin von Schröder, Manuela Schwesig, ging zur Kategorie Linksextremismus auf Distanz und richtete das Bundesprogramm Demokratie leben! an Konzepten zu De-Radikalisierung und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus. Das Ergebnis war eine Art Extremismuskonzept light, in das zudem ein nicht näher definierter Begriff von linker Militanz Einzug hielt, der 2019 wieder gestrichen wurde. Fuhrmann resümiert, dass sich «auf der Ebene der politischen Leitlinien das Extremismuskonzept durchgesetzt« (106) habe. Es wurden jetzt Projekte gefördert die »alle Formen von Extremismus berücksichtigen.« (107).

Eine politische Unabhängigkeit der durch die Bundesprogramme geförderten Projekte ist nur bedingt gegeben. Bereits im Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ der rot-grünen Bundesregierung mussten die Träger von Modellprojekten Publikationen genehmigen lassen. Im Zuge einer Neustrukturierung im Jahr 2007 wurden die Projekte qua Förderbescheid darüber unterrichtet, »dass sie sich auf dem Boden der fdGO bewegen müssen« (108). Ministerin Schröder führte eine sogenannte Demokratieerklärung ein, mit der Träger sich zur fdGO bekennen mussten – womit sie sich dem Urteil des Verfassungsschutzes zu beugen hatten. Darüber hinaus wurden die Träger aufgefordert sicherzustellen, dass dies auch für alle Projektpartner*innen gilt. Fuhrmann weist auf die breite Kritik an der auch Extremismusklausel genannten Demokratieerklärung hin. Gleichzeitig zeigt er den verkürzenden bis opportunistischen Charakter auf, wenn die Unterordnung unter die Deutung des Verfassungsschutzes darüber was demokratisch legitim und im Sinne der fdGO ist, nicht gleichzeitig kritisiert wird: »Hier entfaltet die wehrhafte Demokratie ihre volle Wirkung. Die Vorverlagerung des Demokratieschutzes funktioniert geräuschlos, indem selbst die politische Zivilgesellschaft kein Problem mit einem Bekenntnis zu einer Formel hat, die sich auch gegen die Zivilgesellschaft selbst richtet (…).« (109) Manuela Schwesig nahm die Demokratieerklärung ihrer Vorgängerin in der Form zurück. Abgeschafft wurde sie allerdings nicht. Ein nicht gesondert zu unterschreibendes Begleitschreiben regelte fortan das Bekenntnis zur fdGO.
Es darf bezweifelt werden, dass die durch die Bundesprogramme geförderte Projektlandschaft noch zivilgesellschaftlichen Charakter hat. Die politische und damit die finanzielle Abhängigkeit, bis auf die Ebene von Projektmitarbeiter*innen, haben sich nicht allein über die staatlichen Vorgaben verschärft. In den 20 Jahren des Bestands der Bundesprogramme hat sich das Berufsfeld politischer Bildung enorm ausgeweitet. Ein guter Teil von Projektträgern müsste ohne die staatlichen Fördermittel um die Existenz fürchten. Auch, teils ehemalige, linke Aktivist*innen haben in den Projekten ihr allerdings oft prekäres Auskommen gefunden. Das mag gut gehen, wenn unter links nicht mehr die Kritik an der gesellschaftlichen Totalität verstanden wird, sondern die pädagogische Arbeit an problematischen Einstellungsmustern oder sanftes Mäkeln gegenüber Einzelphänomenen. Zivilgesellschaft hingegen ist ein Teil des Staatsschutzes geworden, dessen Grundlage das Konzept der wehrhaften Demokratie mitsamt der illiberalen historischen Herkunft ist. So gesehen ist es beinahe eine gute Nachricht, dass das von der großen Koalition vorgesehene Demokratiefördergesetz, auch Wehrhafte-Demokratie-Fördergesetz genannt, letztlich vorerst am Widerstand der CDU gescheitert ist. Dabei war die nunmehr ehemalige Familienministerin Giffey (SPD) zu Vielem bereit. So sollten Projekte im Rahmen der Antragstellung zu einem schriftlichen Bekenntnis zur fdGO verpflichtet werden und auch dazu, dieses Bekenntnis auch für Mitarbeiter*innen und Projektpartner*innen zu gewährleisten.
Literatur:
Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Ders.: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt am Main 1971. 10 – 28.
Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, in: Ders.: Gesammelte Schriften Band 2. Baden-Baden 1999. S. 33 – 266.
Nicholas Potter: BpB ändert Satz zu Linksextremismus auf Druck des Innenministeriums, Belltower 05.03.2021, https://www.belltower.news/nach-rechtem-shitstorm-bpb-aendert-satz-zu-linksextremismus-auf-druck-des-innenministeriums-112817/
Timo Reinfrank im Gespräch mit Stephan Karkowsky: „Nicht schnell durch den Bundestag boxen“, Deutschlandfunk Kultur 12.05.2021, https://www.deutschlandfunkkultur.de/demokratiefoerdergesetz-nicht-schnell-durch-den-bundestag.1008.de.html.
Petra Weber: Streitschrift mit Sehschwäche, FAZ 15.09.2014, https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/bettina-blank-deutschland-einig-antifa-streitschrift-mit-sehschwaeche-13154982.html.