Rezi: Strammstehen vor der Demokratie.

Maxi­mi­li­an Fuhr­mann / Sarah Schulz: Stramm­ste­hen vor der Demo­kra­tie. Extre­mis­mus­kon­zept und Staats­schutz in der Bun­des­re­pu­blik. Stutt­gart 2021.

Pro­vin­zi­el­ler Extre­mis­mus: Selbst in Sachsen

»Im Unter­schied zum Rechts­extre­mis­mus tei­len sozia­lis­ti­sche und kom­mu­nis­ti­sche Bewe­gun­gen die libe­ra­len Ideen von Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit – inter­pre­tie­ren sie aber auf ihre Wei­se um.« Die­ser Satz war zehn Jah­re lang in einem Dos­sier der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung (bpb) über soge­nann­ten Links­extre­mis­mus zu lesen und stand in die­sem Zeit­raum unbe­ach­tet im Web. Ein Tweet im Janu­ar 2021 lös­te einen Shit­s­torm von Kon­ser­va­ti­ven und extrem Rech­ten aus. Die Ideen des Libe­ra­lis­mus könn­ten nicht in einen Bezug zu „links­extre­men“ Bewe­gun­gen gesetzt wer­den, so der Tenor. Dar­auf­hin inter­ve­nier­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern, dem die bpb unter­ge­ord­net ist, und ver­lang­te eine Ände­rung des Tex­tes zuguns­ten einer For­mu­lie­rung des Verfassungsschutzes. 

Nun lie­ße sich der Vor­fall damit erklä­ren, dass er Teil einer Ent­wick­lung sei, inner­halb der »rech­te Netz­wer­ke gegen die Wis­sen­schaft und Medi­en« (Pot­ter 2021) vor­ge­hen, so Kai Geh­ring, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter der Grü­nen und Kura­to­ri­ums­mit­glied der bpb, gegen­über Bell­tower, einer Web­sei­te der libe­ra­len Ama­deu Anto­nio Stif­tung. Der Skan­dal lie­ge dar­in, dass die Auto­no­mie der Bun­des­zen­tra­le infra­ge gestellt und das BMI vor den Rech­ten ein­kni­cken wer­de. Ober­fläch­lich betrach­tet ist das rich­tig und doch nur ein Teil der in dem Skan­dal ste­cken­den Pro­ble­ma­tik, wie aus der Lek­tü­re des schma­len Ban­des „Stramm ste­hen vor der Demo­kra­tie“ von Maxi­mi­li­an Fuhr­mann und Sarah Schulz deut­lich wird, auch wenn das Bei­spiel selbst in das Buch nicht auf­ge­nom­men wer­den konn­te. Die The­men von Fuhr­mann / Schulz sind das Extre­mis­mus- und Staats­schutz­kon­zept sowie die dahin­ter ste­hen­de Idee der wehr­haf­ten Demokratie.

Aspa­ra­gus­feind­lich­keit: Extre­mis­ti­sche Spargelgegner*innen rufen zur Gewalt gegen Gemü­se auf

Wehrhafte Demokratie als konservatives Projekt in der Weimarer Republik

Im ers­ten Teil der Publi­ka­ti­on greift Sarah Schulz in der Zeit zurück bis zur kon­ser­va­ti­ven Front­stel­lung gegen die angeb­lich zu libe­ra­le Wei­ma­rer Repu­blik. Die wehr­haf­te Demo­kra­tie gilt als die not­wen­di­ge Kon­se­quenz aus dem Schei­tern des Ver­fas­sungs­staa­tes durch die Macht­über­nah­me der Nationalsozialist*innen, wird heu­te bis in (links-)liberale Krei­se hin­ein behaup­tet. Schulz ver­weist auf den Staats­rechts­leh­rer Carl Schmitt, der argu­men­tier­te, die libe­ra­le Demo­kra­tie müs­se durch Ein­he­gung vor sich selbst geschützt wer­den. Schmitt posi­tio­nier­te sich als »Teil einer illi­be­ra­len juris­ti­schen Front gegen die Wei­ma­rer Repu­blik« (20), die sich nicht nur aus der extre­men Rech­ten rekru­tier­te. Auch Kon­ser­va­ti­ve dach­ten in Bah­nen einer ver­meint­lich deut­schen Rechts­tra­di­ti­on, in der dem Gedan­ken eines rein for­ma­len posi­ti­ven Rechts eine außer­ge­setz­li­che Instanz – etwas Über­po­si­ti­ves – über­ge­ord­net sein müs­se. Schmitt wand­te sich bekannt­lich dem Natio­nal­so­zia­lis­mus zu und wid­me­te sich als „Kron­ju­rist des Drit­ten Reichs“ (Wal­ter Guri­an) Ideen zu des­sen Rechts­ord­nung. Er leis­te­te sei­nen Bei­trag unter ande­ren, indem er 1933 der Macht­über­nah­me Lega­li­tät zusprach und in ihr das Moment des Über­po­si­ti­ven in »Dis­zi­plin und deut­schem Sinn für Ord­nung« (Ebda.) aus­mach­te. Die­se Argu­men­ta­ti­on war unter ande­rem des­halb wich­tig, um den am Lega­li­täts­prin­zip ori­en­tier­ten Beam­ten- und Jus­tiz­ap­pa­rat, der zwar häu­fig kon­ser­va­tiv und demo­kra­tie­feind­lich, aber nicht unbe­dingt natio­nal­so­zia­lis­tisch gesinnt war, auf die Sei­te des NS-Regimes zu zie­hen. Zwei wei­te­re Maß­nah­men flan­kier­ten die­ses Vor­ge­hen. Mit der Reich­tags­brand­ver­ord­nung wur­den die Grund­rech­te abge­schafft, wäh­rend das Par­la­ment qua Ermäch­ti­gungs­ge­setz aus­ge­schal­tet wur­de. Der schein­bar lega­le Rah­men dien­te dazu, den von den Nationalsozialist*innen geschaf­fe­nen Aus­nah­me­zu­stand zu legi­ti­mie­ren und den Mythos einer recht­mä­ßi­gen Macht­über­nah­me zu fun­die­ren. Das Ende der Wei­ma­rer Demo­kra­tie bil­de­te den Höhe­punkt eines kon­ser­va­ti­ven Illi­be­ra­lis­mus, dem die »Skep­sis gegen­über Demo­kra­tie und Par­ti­zi­pa­ti­on« (Ebda.) ein­ge­schrie­ben ist. Es soll­te daher auf­hor­chen las­sen, wenn Orga­ni­sa­tio­nen, die sich ger­ne selbst als Zivil­ge­sell­schaft betrach­ten, für ein Demo­kra­tie­för­der­ge­setz plä­die­ren, das ein »Gesamt­kon­zept für eine wehr­haf­te Demo­kra­tie« dar­stel­le, wie Timo Reinfrank von der Ama­deu Anto­nio Stif­tung fordert.

Schulz weist dar­auf hin, dass die Stim­men von Exi­lier­ten und Intel­lek­tu­el­len wie Ernst Fraen­kel, Franz Neu­mann, Eugen Kogon oder Léon Poli­a­kov und ihre Per­spek­ti­ve auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ne Funk­ti­ons­wei­se im Zuge der „Grund­stein­le­gung der wehr­haf­ten Demo­kra­tie in den 1950er-Jah­ren“ (24) in der post-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gesell­schaft der Bun­des­re­pu­blik nicht prä­sent waren. Bei allen Unter­schie­den zwi­schen Fraen­kel und Neu­mann in der Bewer­tung der Struk­tur des NS-Staa­tes waren sie sich dar­in einig, dass eines der Merk­ma­le des Natio­nal­so­zia­lis­mus die „Ableh­nung des libe­ra­len, ratio­na­len Rechts“ (27) war. In sei­ner zen­tra­len Schrift „Der Dop­pel­staat“ schreibt Fraen­kel: »Der Ver­such den wah­ren Cha­rak­ter die­ser mit­tels des Bela­ge­rungs­zu­stan­des errich­te­ten Dik­ta­tur durch lega­lis­ti­sche Tricks zu ver­schlei­ern, wur­de mit Hil­fe ple­bis­zi­tär-demo­kra­ti­scher Manö­ver durch­ge­führt.« (Fraen­kel 1999: 67) Fraen­kel macht nicht wie in der kon­ser­va­ti­ven Geschichts­er­zäh­lung ver­meint­li­che Extre­me von rechts und links, oder wie in der libe­ra­len Vari­an­te das Feh­len von enga­gier­ten Demokrat*innen für das Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik ver­ant­wort­lich. Viel­mehr ver­or­tet er, wie Schulz zusam­men­fasst, die Ableh­nung der libe­ra­len Demo­kra­tie in einem „kon­ser­va­ti­ven Boll­werk“ (26), das in der »preu­ßisch-deut­schen Ver­fas­sungs­ge­schich­te« (Ebda.) und der poli­zei­li­chen All­macht abso­lu­tis­ti­scher Büro­kra­tie gründet.

Aufbau des Verfassungsstaates und seine antitotalitäre Ausrichtung

Nach der mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge des NS-Staa­tes stand die Dis­kus­si­on um den Umgang mit der natio­nal­so­zia­lis­tisch gepräg­ten Bevöl­ke­rung und die Errich­tung eines deut­schen Staa­tes schnell unter dem Ein­fluss des Kal­ten Krie­ges. Es bil­de­te sich ein soge­nann­ter anti­to­ta­li­tä­rer Kon­sens aus, in dem nicht »das Nach­le­ben des Natio­nal­so­zia­lis­mus in der Demo­kra­tie« (Ador­no 1971: 10) die­sel­be gefähr­det, son­dern ein vor­geb­li­cher Tota­li­ta­ris­mus von rechts und links. Das Inter­es­se der West­al­li­ier­ten, ins­be­son­de­re der USA, an einer gründ­li­chen Ent­na­zi­fi­zie­rung sank zuneh­mend, obwohl sie in der US-ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­zo­ne vor 1949 noch am gründ­lichs­ten vor­ge­nom­men wurde. 

Mit in Kraft tre­ten des Grund­ge­set­zes am 23. Mai 1949 war die Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land voll­zo­gen. In den USA wur­de die Unter­stüt­zung anti­kom­mu­nis­ti­scher Kräf­te bereits seit der Tru­man-Dok­trin 1947 voll­zo­gen. Im Zuge des soge­nann­ten McCar­thy­is­mus führ­te die ver­schwö­rungs­ideo­lo­gisch gepräg­te Para­noia vor einer kom­mu­nis­ti­schen Unter­wan­de­rung zur Ver­fol­gung auch ehe­ma­li­ger, real oder ver­meint­lich, lin­ker Exilant*innen. In der Bun­des­re­pu­blik bot sich mit dem Anti­kom­mu­nis­mus ein Ticket für den pro­blem­los nicht mehr all­zu offen sag­ba­ren Anti­se­mi­tis­mus an. Mit dem Korea-Krieg 1950 über­nahm auch die SPD end­gül­tig die anti­to­ta­li­tä­re und anti­kom­mu­nis­ti­sche Aus­rich­tung der bür­ger­li­chen Par­tei­en. Kri­ti­sche Posi­tio­nen wie die von Fraen­kel und Neu­mann wur­den kaum berück­sich­tigt. Als Ele­men­te, die Wehr­haf­tig­keit des Ver­fas­sungs­staa­tes in der frü­hen Pha­se der Staats­grün­dung in Gestalt der frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung (fdGO) zu eta­blie­ren, kön­nen gel­ten: die Dis­kus­si­on über das Grund­ge­setz im Par­la­men­ta­ri­schen Rat 194849, ins­be­son­de­re um Art. 18, der das Ver­wir­ken von Grund­rech­ten bis heu­te vor­sieht; die Ein­füh­rung einer Ewig­keits­klau­sel des Grund­ge­set­zes in Art. 79 Abs. 3 sowie die Mög­lich­keit von Par­tei­ver­bo­ten in Art. 21 Abs. 2. Das nor­ma­ti­ve Kon­zept der fdGO bleibt im Grund­ge­setz vage und wird erst in den 1950er-Jah­ren mit der Ein­füh­rung des poli­ti­schen Straf­rechts und dem Tat­be­stand der „Staats­ge­fähr­dung“ sowie mit­tels der Par­tei­ver­bo­te gegen die Nach­fol­ge­par­tie der NSDAP „Sozia­lis­ti­sche Reichs­par­tei“ (SRP) und die lin­ke KPD stär­ker kon­tu­riert. Die neben den Tat­be­stän­den Hoch- und Lan­des­ver­rat im 1. Straf­rechts­än­de­rungs­ge­setz von 1951 ein­ge­führ­te Staats­ge­fähr­dung soll­te prä­ven­tiv wir­ken. Es ging dabei weni­ger um die tat­säch­li­che Dro­hung einer Revo­lu­ti­on. Viel­mehr wur­de »eine Gefahr der Unter­wan­de­rung Deutsch­lands durch kom­mu­nis­ti­sche Kräf­te, die die Bun­des­re­pu­blik mit lega­len Metho­den desta­bi­li­sie­ren wol­len« (47), her­auf­be­schwo­ren. Anders aus­ge­drückt ging es um eine straf­recht­li­che Prä­ven­ti­on, indem bereits lega­le poli­ti­sche Hand­lun­gen unter Ver­dacht gerie­ten. Die Kon­kre­ti­on der fdGO blieb dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in den oben genann­ten Ver­bots­ver­fah­ren über­las­sen, mit denen das Gericht aller­dings an das poli­ti­sche Straf­recht anknüpf­te, ohne dass dies so expli­zit wur­de. Inhalt­lich unter­füt­tert wur­de das Para­dig­ma der fdGO nicht. Her­an­ge­zo­gen wur­de statt­des­sen eine »reli­gi­ös-natur­recht­li­che« (51) Begrün­dung wie der Rechts­wis­sen­schaft­ler Chris­toph Gusy fest­stell­te, die von einer »Schöp­fungs­ord­nung« (Ebda.) als über­ge­ord­ne­tem Moment der Staats­le­gi­ti­mi­tät aus­ging. Das KPD-Ver­bot 1956 unter­stell­te der Par­tei ein rein tak­ti­sches Ver­hält­nis zur fdGO. Poli­ti­sche Par­tei­en müss­ten aber »immer auch für die fdGO als erstre­bens­wer­tes Ide­al arbei­ten und nicht ein blo­ßes Zweck­ver­hält­nis zu ihr haben.« (Ebda.) Das fdGO-Para­dig­ma beinhal­tet im Kern ein Ver­fas­sungs­prin­zip in dem nicht die Bürger*innen vor staat­li­chen Zugrif­fen geschützt wer­den, son­dern umge­kehrt der Staat vor ihnen und vor Begeh­ren nach zu viel Frei­heit und Demo­kra­tie prä­ven­tiv ver­tei­digt wird. Dar­an hat sich auch mit der Neu­for­mu­lie­rung des Staats­schut­zes in den 1960er- und ins­be­son­de­re den 1970er-Jah­ren nichts geän­dert. Mit dem Auf­kom­men der anti­au­to­ri­tä­ren Neu­en Lin­ken, die deut­lich viel­fäl­ti­ger war als die bis­he­ri­ge par­tei­kom­mu­nis­ti­sche Lin­ke, die sich an der (post-) sta­li­nis­ti­schen Sowjet­uni­on ori­en­tier­te, wur­de ein fle­xi­ble­res Kon­zept des Staats- und Demo­kra­tie­schut­zes not­wen­dig. Mit der ver­än­der­ten Ost­po­li­tik Wil­ly Brandts wur­de zudem das anti­kom­mu­nis­ti­sche Feind­bild des Kal­ten Kriegs, zumin­dest außer­halb der Sicher­heits­be­hör­den mit ihrem viel­fach NS-belas­te­tem Per­so­nal, auf­ge­weicht, aller­dings ohne dass es je völ­lig ver­schwand. Die gesell­schaft­li­che Libe­ra­li­sie­rung ging jedoch ein­her mit einer »Vor­ver­la­ge­rung der Ein­schät­zung über die Ver­fas­sungs­treue« (64) in die Exe­ku­ti­ve, ins­be­son­de­re in die Verfassungsschutzbehörden.

Ham­burg vorn: Anti­fa gegen Coronaleugner*innen

Extremismus – Inhaltsleere als Konzept

Max Fuhr­mann ana­ly­siert im zwei­ten Teil des Buches; wie der Extre­mis­mus­be­griff hege­mo­ni­al wur­de. Er knüpft dabei an sei­ne Dis­ser­ta­ti­ons­schrift „Anti­ex­tre­mis­mus und wehr­haf­te Demo­kra­tie“ an. Anders als der Tota­li­ta­ris­mus- und Radi­ka­lis­mus­be­griff, die bei­de an his­to­ri­sche Strö­mun­gen anknüpf­ten, war und ist Extre­mis­mus ein inhalts­lee­rer Con­tai­ner. Extre­mis­mus ist dem­nach das Gegen­teil von Demo­kra­tie, die im behörd­li­chen Den­ken mit der fdGO gleich­ge­setzt wird. Wesent­lich für die Popu­la­ri­sie­rung und Absi­che­rung des Extre­mis­mus­be­griffs ist die untrenn­bar mit den Namen Uwe Backes und Eck­hard Jes­se ver­bun­de­ne­ne Extre­mis­mus­for­schung. Backes und Jes­se ori­en­tie­ren sich mit ihrem ers­ten Arti­kel „Extre­mis­mus und Demo­kra­tie“ aus dem Jahr 1983 wenig über­ra­schend am Inlands­ge­heim­dienst Ver­fas­sungs­schutz, um »Extre­mis­mus als Anti­the­se zu Demo­kra­tie« (75) zu set­zen und der Grenz­zie­hung zwi­schen den bei­den angeb­li­chen Gegen­po­len „exis­ten­zi­el­le Bedeu­tung für den Bestand der Demo­kra­tie“ (Ebda.) zuzu­mes­sen. In spä­te­ren Arbei­ten bemüht sich das Autoren­duo, Extre­mis­mus als »Ableh­nung der Grund­pfei­ler demo­kra­ti­scher Ver­fas­sungs­staa­ten« (76) zu defi­nie­ren. Die­se Grund­pfei­ler hei­ßen Plu­ra­lis­mus, Gewal­ten­kon­trol­le und Men­schen­rech­te, wobei die empi­ri­sche Erfah­rung von Min­der­hei­ten in Deutsch­land mit letz­te­ren ist, dass die­se in der Ver­fas­sungs­theo­rie beson­ders geschütz­ten Rech­te für sie nur ein­ge­schränkt gel­ten. Fuhr­mann betrach­tet aus­führ­lich das Zusam­men­spiel von Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den und Extre­mis­mus­for­schung. For­mal unab­hän­gig ver­wen­det die Extre­mis­mus­for­schung die Grund­la­gen sicher­heits­be­hörd­li­cher Set­zun­gen und sta­bi­li­siert die­se durch den sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Anstrich, auf den sich wie­der­um die Behör­den beru­fen. Bis heu­te geben Backes und Jes­se das Jahr­buch „Extre­mis­mus & Demo­kra­tie“ her­aus. Vie­le ihrer Schrif­ten sind bei der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung oder den Lan­des­zen­tra­len erschie­nen, die neben den Ver­fas­sungs­schutz­äm­tern nicht nur einen beson­de­ren Bei­trag zur Ver­brei­tung des Extre­mis­mus­mo­dells geleis­tet haben, son­dern zusam­men mit dem Vel­den­stei­ner Kreis »Platt­for­men für den Aus­tausch und Netz­wer­ke zwi­schen Extre­mis­mus­for­schung und staat­li­chen Ein­rich­tun­gen« (79) mit finan­zi­el­ler För­de­rung durch öffent­li­che Gel­der dar­stel­len. Ehe­ma­li­ge oder noch akti­ve Geheimdienstler*innen wie Bet­ti­na Blank oder Chris­ti­an Men­horn bekom­men im Jahr­buch von Backes und Jes­se immer wie­der Publi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Blank, Mit­ar­bei­te­rin beim Ver­fas­sungs­schutz Baden-Würt­tem­berg, hat 2014 die Mono­gra­fie „Deutsch­land einig Anti­fa? ›Anti­fa­schis­mus‹ als Agi­ta­ti­ons­feld von Links­extre­mis­ten“ ver­öf­fent­licht, in der sie die Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes – Bund der Anti­fa­schis­ten (VVN-BdA) in den Zusam­men­hang mit „Links­extre­mis­mus“ stellt. Die Rezen­sen­tin in der FAZ vom 15.09.2014 ver­an­lasst die Arbeit, von einem »rea­li­täts­fer­nen Sze­na­rio« zu schrei­ben und kommt wei­ter­ge­hend zu dem Urteil, dass Blank »vor der Gefähr­lich­keit des Rechts­extre­mis­mus (…) die Augen schließt.« (Weber 2014) Die VVN wird bis 2011 im baden-würt­tem­ber­gi­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt als links­extre­mis­tisch beein­fluss­te Orga­ni­sa­ti­on geführt. Fuhr­mann kommt mit Bezug auf die Ver­fas­sungs­schüt­ze­rin Blank zu der Ein­schät­zung, »sie wür­de auf der einen Sei­te als Geheim­dienst­le­rin die VVN mit nach­rich­ten­dienst­li­chen Mit­teln« über­wa­chen, wäh­rend »sie sich auf der ande­ren Sei­te die wis­sen­schaft­li­che Legi­ti­ma­ti­on für die­ses Vor­ge­hen selbst« (80) schreibt. Wel­che Aus­wir­kun­gen die fort­wäh­ren­de Nen­nung der VVN im baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt hat­te, dürf­te bekannt sein. Ihr wur­de zeit­wei­lig die Aner­ken­nung der Gemein­nüt­zig­keit durch das Ber­li­ner Finanz­amt ent­zo­gen. Ein Damo­kles­schwert, dass wei­ter­hin über der anti­fa­schis­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on schwebt. Dem Extre­mis­mus­be­griff liegt ein auto­ri­tä­res Demo­kra­tie­ver­ständ­nis zugrun­de, das ande­ren Vor­stel­lun­gen von Demo­kra­tie als der des demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungs­staa­tes ableh­nend gegen­über­steht. Backes und Jes­se stel­len sich ana­log zu kon­ser­va­ti­ven War­nun­gen vor einer zu libe­ra­len Demo­kra­tie in der Wei­ma­rer Zeit gegen die »For­de­rung nach einer Demo­kra­ti­sie­rung aller Lebens­be­rei­che« und sehen die Gefahr einer »Über­deh­nung des Demo­kra­tie­be­griffs« (97).

Zivilgesellschaft als Staatsschutz

Der hege­mo­nia­le Cha­rak­ter des Extre­mis­mus­kon­zepts ist bis in die staat­li­chen Pro­gram­me für Demo­kra­tie­schutz wirk­mäch­tig. Seit 2001 hat das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Jugend (BMFSFJ) unter­schied­li­che Pro­gram­me auf­ge­legt, mit denen als zivil­ge­sell­schaft­li­che Vor­ha­ben titu­lier­te Pro­jekt geför­dert wur­den. Die Aus­rich­tung der Pro­gram­me war von Beginn an strit­tig. Sie stan­den ursprüng­lich im Kon­text des „Auf­stands der Anstän­di­gen“, aus­ge­ru­fen von Bun­des­kanz­ler Schrö­der als Reak­ti­on unter ande­rem auf einen Bom­ben­an­schlag auf teils jüdi­sche Aussiedler*innen in Düs­sel­dorf-Wehr­hahn im Juli 2000. Das ers­te Akti­ons­pro­gramm der rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung „Jugend für Tole­ranz und Demo­kra­tie“ war auf die Bekämp­fung von Rechts­extre­mis­mus aus­ge­rich­tet. Es ori­en­tier­te an der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Rechts­extre­mis­mus­for­schung, die antie­ga­li­tä­re Ein­stel­lun­gen auch in der soge­nann­ten Mit­te der Gesell­schaft unter­sucht und sich nicht wie die Extre­mis­mus­for­schung an der Hal­tung zum demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungs­staat als Pro­blem­feld aus­rich­tet. Im Ver­lauf der nun 20-jäh­ri­gen Geschich­te wur­den die Bun­des­pro­gram­me durch die wech­seln­den Regie­run­gen und Minis­te­rin­nen des BMFSFJ unter­schied­lich aus­ge­rich­tet. Fami­li­en­mi­nis­te­rin Kris­ti­na Schrö­der (2010) leg­te neben dem Bun­des­pro­gramm „Tole­ranz för­dern – Kom­pe­tenz stär­ken“ die „Initia­ti­ve Demo­kra­tie stär­ken“ (IDS) auf. Sie soll­te sich gegen Links­extre­mis­mus und isla­mis­ti­schen Extre­mis­mus rich­ten. Die Pro­gramm­leit­li­ni­en ori­en­tier­ten sich am Extre­mis­mus­mo­dell: »Unter Extre­mis­mus sind alle Bestre­bun­gen zu ver­ste­hen, die gegen die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung (…) gerich­tet sind.« (103) Das Pro­gramm stand immer wie­der in der Kri­tik. Unter ande­rem stell­te das Deut­sche Jugend­in­sti­tut in sei­ner Pro­gram­meva­lua­ti­on die Kate­go­rie Links­extre­mis­mus infra­ge. Die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Amts­nach­fol­ge­rin von Schrö­der, Manue­la Schwe­sig, ging zur Kate­go­rie Links­extre­mis­mus auf Distanz und rich­te­te das Bun­des­pro­gramm Demo­kra­tie leben! an Kon­zep­ten zu De-Radi­ka­li­sie­rung und Grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit aus. Das Ergeb­nis war eine Art Extre­mis­mus­kon­zept light, in das zudem ein nicht näher defi­nier­ter Begriff von lin­ker Mili­tanz Ein­zug hielt, der 2019 wie­der gestri­chen wur­de. Fuhr­mann resü­miert, dass sich «auf der Ebe­ne der poli­ti­schen Leit­li­ni­en das Extre­mis­mus­kon­zept durch­ge­setzt« (106) habe. Es wur­den jetzt Pro­jek­te geför­dert die »alle For­men von Extre­mis­mus berück­sich­ti­gen.« (107).

Anti­fa­schis­ti­sche extre­mis­ti­sche Monarchist*innen gegen Rechts: Sowas gibt es nur in Bayern

Eine poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit der durch die Bun­des­pro­gram­me geför­der­ten Pro­jek­te ist nur bedingt gege­ben. Bereits im Pro­gramm „Jugend für Tole­ranz und Demo­kra­tie“ der rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung muss­ten die Trä­ger von Modell­pro­jek­ten Publi­ka­tio­nen geneh­mi­gen las­sen. Im Zuge einer Neu­struk­tu­rie­rung im Jahr 2007 wur­den die Pro­jek­te qua För­der­be­scheid dar­über unter­rich­tet, »dass sie sich auf dem Boden der fdGO bewe­gen müs­sen« (108). Minis­te­rin Schrö­der führ­te eine soge­nann­te Demo­kra­tie­er­klä­rung ein, mit der Trä­ger sich zur fdGO beken­nen muss­ten – womit sie sich dem Urteil des Ver­fas­sungs­schut­zes zu beu­gen hat­ten. Dar­über hin­aus wur­den die Trä­ger auf­ge­for­dert sicher­zu­stel­len, dass dies auch für alle Projektpartner*innen gilt. Fuhr­mann weist auf die brei­te Kri­tik an der auch Extre­mis­mus­klau­sel genann­ten Demo­kra­tie­er­klä­rung hin. Gleich­zei­tig zeigt er den ver­kür­zen­den bis oppor­tu­nis­ti­schen Cha­rak­ter auf, wenn die Unter­ord­nung unter die Deu­tung des Ver­fas­sungs­schut­zes dar­über was demo­kra­tisch legi­tim und im Sin­ne der fdGO ist, nicht gleich­zei­tig kri­ti­siert wird: »Hier ent­fal­tet die wehr­haf­te Demo­kra­tie ihre vol­le Wir­kung. Die Vor­ver­la­ge­rung des Demo­kra­tie­schut­zes funk­tio­niert geräusch­los, indem selbst die poli­ti­sche Zivil­ge­sell­schaft kein Pro­blem mit einem Bekennt­nis zu einer For­mel hat, die sich auch gegen die Zivil­ge­sell­schaft selbst rich­tet (…).« (109) Manue­la Schwe­sig nahm die Demo­kra­tie­er­klä­rung ihrer Vor­gän­ge­rin in der Form zurück. Abge­schafft wur­de sie aller­dings nicht. Ein nicht geson­dert zu unter­schrei­ben­des Begleit­schrei­ben regel­te fort­an das Bekennt­nis zur fdGO. 

Es darf bezwei­felt wer­den, dass die durch die Bun­des­pro­gram­me geför­der­te Pro­jekt­land­schaft noch zivil­ge­sell­schaft­li­chen Cha­rak­ter hat. Die poli­ti­sche und damit die finan­zi­el­le Abhän­gig­keit, bis auf die Ebe­ne von Projektmitarbeiter*innen, haben sich nicht allein über die staat­li­chen Vor­ga­ben ver­schärft. In den 20 Jah­ren des Bestands der Bun­des­pro­gram­me hat sich das Berufs­feld poli­ti­scher Bil­dung enorm aus­ge­wei­tet. Ein guter Teil von Pro­jekt­trä­gern müss­te ohne die staat­li­chen För­der­mit­tel um die Exis­tenz fürch­ten. Auch, teils ehe­ma­li­ge, lin­ke Aktivist*innen haben in den Pro­jek­ten ihr aller­dings oft pre­kä­res Aus­kom­men gefun­den. Das mag gut gehen, wenn unter links nicht mehr die Kri­tik an der gesell­schaft­li­chen Tota­li­tät ver­stan­den wird, son­dern die päd­ago­gi­sche Arbeit an pro­ble­ma­ti­schen Ein­stel­lungs­mus­tern oder sanf­tes Mäkeln gegen­über Ein­zel­phä­no­me­nen. Zivil­ge­sell­schaft hin­ge­gen ist ein Teil des Staats­schut­zes gewor­den, des­sen Grund­la­ge das Kon­zept der wehr­haf­ten Demo­kra­tie mit­samt der illi­be­ra­len his­to­ri­schen Her­kunft ist. So gese­hen ist es bei­na­he eine gute Nach­richt, dass das von der gro­ßen Koali­ti­on vor­ge­se­he­ne Demo­kra­tie­för­der­ge­setz, auch Wehr­haf­te-Demo­kra­tie-För­der­ge­setz genannt, letzt­lich vor­erst am Wider­stand der CDU geschei­tert ist. Dabei war die nun­mehr ehe­ma­li­ge Fami­li­en­mi­nis­te­rin Gif­fey (SPD) zu Vie­lem bereit. So soll­ten Pro­jek­te im Rah­men der Antrag­stel­lung zu einem schrift­li­chen Bekennt­nis zur fdGO ver­pflich­tet wer­den und auch dazu, die­ses Bekennt­nis auch für Mitarbeiter*innen und Projektpartner*innen zu gewährleisten.

Lite­ra­tur:

Theo­dor W. Ador­no: Was bedeu­tet: Auf­ar­bei­tung der Ver­gan­gen­heit, in: Ders.: Erzie­hung zur Mün­dig­keit. Frank­furt am Main 1971. 10 – 28.

Ernst Fraen­kel: Der Dop­pel­staat, in: Ders.: Gesam­mel­te Schrif­ten Band 2. Baden-Baden 1999. S. 33 – 266.

Nicho­las Pot­ter: BpB ändert Satz zu Links­extre­mis­mus auf Druck des Innen­mi­nis­te­ri­ums, Bell­tower 05.03.2021, https://​www​.bell​tower​.news/​n​a​c​h​-​r​e​c​h​t​e​m​-​s​h​i​t​s​t​o​r​m​-​b​p​b​-​a​e​n​d​e​r​t​-​s​a​t​z​-​z​u​-​l​i​n​k​s​e​x​t​r​e​m​i​s​m​u​s​-​a​u​f​-​d​r​u​c​k​-​d​e​s​-​i​n​n​e​n​m​i​n​i​s​t​e​r​i​u​m​s​-​1​1​2​8​17/

Timo Reinfrank im Gespräch mit Ste­phan Kar­kow­sky: „Nicht schnell durch den Bun­des­tag boxen“, Deutsch­land­funk Kul­tur 12.05.2021, https://​www​.deutsch​land​funk​kul​tur​.de/​d​e​m​o​k​r​a​t​i​e​f​o​e​r​d​e​r​g​e​s​e​t​z​-​n​i​c​h​t​-​s​c​h​n​e​l​l​-​d​u​r​c​h​-​d​e​n​-​b​u​n​d​e​s​t​a​g​.​1​0​0​8​.​d​e​.​h​tml.

Petra Weber: Streit­schrift mit Seh­schwä­che, FAZ 15.09.2014, https://​www​.faz​.net/​a​k​t​u​e​l​l​/​p​o​l​i​t​i​k​/​p​o​l​i​t​i​s​c​h​e​-​b​u​e​c​h​e​r​/​b​e​t​t​i​n​a​-​b​l​a​n​k​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​e​i​n​i​g​-​a​n​t​i​f​a​-​s​t​r​e​i​t​s​c​h​r​i​f​t​-​m​i​t​-​s​e​h​s​c​h​w​a​e​c​h​e​-​1​3​1​5​4​9​8​2​.​h​tml.