
Nur wenige Monate nach der Aufdeckung des NSU, im Februar 2012 beschimpften in der Kleinstadt Mücheln (Sachsen-Anhalt) drei Neonazis ein Imbiss betreibendes Ehepaar in deren Restaurant rassistisch, während die zwölfjährige Tochter der beiden sich in einem Lagerraum versteckte. Die Täter drohten damit: sollte der Gastwirt den Imbiss nicht bis zu „Führers Geburtstag“ geschlossen haben, würde er als weiteres Opfer (im Kontext der Mordopfer des NSU in der Presse stehen. Dann brachten sie den Mann zu Boden und schlugen und traten auf ihn ein.
Gemächlich zum Einsatz kutschieren
Bei dem Versuch ihrem Ehemann zu helfen, wurde auch die Frau verletzt. Erst als der Bedrängte nach einem Kebab-Messer greifen konnte, verließen die Rechten den Laden – selbstverständlich, um von der Straße aus weiter zu pöbeln und zu randalieren. Die Beamten beim Notruf konnten oder wollten den von Nazis belagerten und verletzten Mann nicht verstehen; mit Verweis auf die schlechten Deutsch-Kenntnisse des Angegriffenen beendeten sie das Gespräch, und das mehrmals. Noch mal langsam: Der Notruf. Legte auf. Und das mehrmals. Während der verzweifelte Vater es wieder und wieder bei 110 versuchte, versammelten sich immer mehr Rechte vor dem Geschäft. Ein ebenfalls zu Hilfe gerufener Verwandter der Überfallenen fuhr mit seinem Auto zufällig dieselbe Strecke wie der (endlich) auf den Weg geschickte Einsatzwagen. Fassungslos sah der zu Hilfe gerufene Verwandte mit an, wie der Streifenwagen an jeder roten Ampel hielt und auch sonst in gemächlichem Tempo Richtung Tatort kutschierte. Nach einer halben Stunde (!) dort angekommen, wandte die Beamten sich zunächst an die rechte Versammlung, die inzwischen schon die Tür des Döners eingetreten hatten – um sie zu zum Hergang zu befragen. Die erklärten: Der Ausländer … Das Messer … Von nur wenigen Anwesenden wurden die Personalien aufgenommen. Statt wenigstens hiernach das blutende Opfer medizinisch zu versorgen und zu befragen, führten die Beamten bei ihm zunächst eine Atem-Alkoholkontrolle durch. Niemand befragte den Ladenbetreiber oder seine Frau danach, wen oder was sie bezeugen, belegen oder gar identifizieren konnten. Um mal von der 12jährigen Tochter im Lagerraum zu schweigen. Die Bitte der Eltern an die Beamten, ihrem verschanzten Kind doch zu versichern, dass die Lage nun sicher sei, damit das Mädchen sich wieder aus der Kammer hervor wagte, wurde behördlicherseits abglehnt. Kinderversorgung – keine Zuständigkeit. Für die Angegriffenen war die Tortur nach diesem Februartag nicht beendet. Alle Täter und deren Sympathisant*innen flitzten weiterhin in Mücheln unbehelligt durch die Kante. Und auch das Urteil des Merseburger Amtsgerichts – zwei Freisprüche und einmal „Freizeitarrest wegen Sachbeschädigung und fahrlässiger Körperverletzung“ – verharmloste und ignorierte die rassistische Gewalt.
Ignorieren und Kleinreden
Der Fall warf einmal mehr die Frage auf, ob die involvierten Beamten nur fehlerhaft ihr Amt ausübten, ob es ihnen an Sensibilität für die von Rassismus Betroffenen mangelte, ob sie auf dem „rechten Auge blind“ waren oder ob sie sich gar selbst rassistisch verhielten? Immerhin führte die Debatte um den Angriff in Mücheln zu einer Studie, wie es sie laut Bundesinnenminister Seehofer eigentlich nicht geben darf – zu einer Untersuchung zum Polizeilichen Umgang mit migrantischen Opferzeugen in Sachsen-Anhalt. Zwar wurden auch in ihr weder (struktureller) Rassismus noch rechtsextreme Einstellungen von Staatsbediensteten erhoben; doch die Ergebnisse stellen klipp und klar „Wahrnehmungsdefizite von Einsatzbeamten und Sachbearbeitern hinsichtlich der Rassismusbetroffenheit migrantischer Opfer“ fest. Vernichtend fällt zudem das Resümee bezüglich einer eventuell aus der Erhebung resultierenden To-Do-Liste für die Landespolizei Sachsen-Anhalt aus: „Nach unseren Befunden scheint die polizeiliche Fehlerkultur in ihrer vorliegenden Verfassung jedoch kaum in der Lage, nachhaltig zur Bewältigung der aufgezeigten Probleme beitragen zu können“.
Das Ignorieren und Kleinreden rechts motivierter Gewalt ist ebenso wenig ein Einzelfall wie die zusätzliche Diskriminierung von Opfern, Zeug*innen und Angehörigen. Spätestens der NSU-Prozess erwies: eine beträchtliche Anzahl an Polizeibeamt*innen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften, Gerichten und anderen Institutionen waren nicht nur außerstande oder gewillt, die rechte Mordserie des NSU als solche zu erkennen; statt dessen neigten sie sogar dazu, die Opfer und deren Angehörige jahrelang doppelt zu viktimisieren, indem sie sie als Beteiligte der Organisierten Kriminalität zurechneten – und entsprechend mit ihnen verfuhren.
Auch die Amadeu Antonio-Stiftung, welche rechts motivierte Tötungen aus einer Vielzahl von Quellen zusammenträgt, zählt mit derzeit mindestens 213 Todesopfern seit 1990 beinahe doppelt so viele wie die Bundesregierung. Besonders wohnungslose Opfer rechter Gewalt fallen aus jeder offiziellen Statistik – nicht unerheblicher Weise deswegen, weil sich zu den Wahrnehmungsdefiziten gegenüber den „Opferzeug*innen“ Unkenntnis, Ignoranz und das Kleinreden der rechten oder rassistischen Gesinnung der Täter*innen gesellt. Sozial-darwinistische Motive? Nie gehört.
Einschüchternde Atmosphäre
Dass aus dem NSU „viel gelernt“ worden sei, kann Ahmed I. als Betroffener rassistischer Gewalt und Nebenkläger im Mordfall Walter Lübcke vermutlich nicht behaupten, der ähnlich diskriminierende Erfahrungen seitens des Staatsapparates erdulden muss(te). Prozessbeobachter Friedrich Burschel kritisiert: „Mit ständigen scharfen Unterbrechungen wird ihm hier eine tribunalartige Situation bereitet, und er wie ein Beschuldigter behandelt. Seine Ausführungen zu den traumatischen Auswirkungen des Messerangriffs, zu Schlafstörungen, Angstzuständen, den ständigen Schmerzen, der Gefühllosigkeit in den Beinen und weiteren erheblichen Einschränkungen durch die Rückenmarksverletzung gehen in der einschüchternden Atmosphäre unter“.
Und auch die Überlebenden und Angehörigen der rassistischen Morde in Hanau erheben Fragen gegen Polizei und Behörden, die den Vorwürfen in Mücheln in manchen Punkten ähneln: Wie kam es zu dem Komplettversagen des Notrufes in der Tatnacht in Hanau? Weshalb dauerte es vierzig Minuten zwischen dem Bekanntwerden des PKW-Kennzeichens des Täters und dem Auftauchen der ersten Polizeistreife in der Umgebung von dessen Wohnhaus, wo der rassistische Terrorist das Auto bereits wieder geparkt hatte? Weshalb vergingen weiter fast fünf Stunden vor dem Zugriff der Polizei? Wieso versteckten sich Polizeibeamte hinter dem angeschossenen Etris Hashemi, als es fälschlich hieß, der Täter sei zum Tatort zurück gekehrt? Warum erhielten die Angehörigen des ermordeten Hamza Kurtović sogenannte „Gefährderansprachen“, wurden aber nicht auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die von dem ebenfalls rechtsfanatischen Vater des Terroristen ausgehen? Auch in Hanau berichten viele der von dem rassistischen Terror Betroffenen, von der Polizei ignoriert oder gar verdächtig worden zu sein. Dass die Polizei im Vorfeld des Anschlags die Notausgänge einer betroffenen Shisha-Bars verschließen ließ, mag vor dem 19. Februar zunächst wie die übliche rassistische Schikane angemutet haben – nun gab es Tote. Wie viele Personen hätten ohne die hessische Polizei vielleicht fliehen können? Überlebende und Angehörige sind ebenso fassungslos über die wiederholt ausgestellten Waffenscheine an den polizeibekannten Täter wie über den respektlosen Umgang des Parlamentes mit ihnen im Nachgang der Tragödie. Dass die hessischen Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP sich nur auf eine als Kompromiss präsentierte Variante eines Opferhilfsfonds einigen konnten, wonach die Betroffenen zu den Opfern „allgemeiner Kriminalität“ gerechnet werden, verdeutlicht, wie viel sich angesichts dieser Zustände in Sachen Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus bewegt – von Amts wegen gar nichts.
Adorno: Nachleben des Faschismus
Es kommt einem das Wort des in Frankfurt geborene Philosophen Theodor W. Adorno in den Sinn, nach welchem er „das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher“ betrachte als „das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.“
Das Zitat ist starker Tobak angesichts rechts-terroristischer Mörder, die auch Volksvertreter*innen ins Visier nehmen. Es ist jedoch gerade die schiere Menge an rassistischen Verfehlungen und rechtsradikalen Entgleisungen, die von deutschen Beamt*innen ausgehen, die es erschwert, der Einzelfall-Behauptung auch nur einen Funken Glauben zu schenken, und die darauf verweisen, dass sehr wohl in der Demokratie Bedrohungen erwachsen können, die vielleicht größer sind als diejenigen, die sich von außen gegen das etablierte System stellen. Die Beschaffenheit der meisten bekannt gewordenen Fälle rechter Beamt*innen Zeigt zudem, dass Faschismus stets darauf abzielt, andere zu schädigen.
Beweise: So sorgte der in eine Kamera „Lügenpresse!“ rufende LKA-Mitarbeiter und „Hutbürger“ Maik G. während einer Pegida-Demonstration flugs dafür, dass die Polizei-Kolleginnen und Kollegen das Reporter*innen-Team des ZDF festhielten und an der weiteren Ausübung der Pressefreiheit hinderten, weil sie ihm „ins Gesicht“ gefilmt hätten. Das Widerrechtliche des Vorgangs (und der Hut) sorgten für den Rest an Bekanntheit. Brisanter – und eben doch weniger bekannt ist der Umstand, dass Maik G. in dieser Situation (und auch sonst) Unterstützung von René Seyfried fand, einem der Organisatorinnen und Organisatoren der teils gewaltsamen fremdenfeindlichen Proteste in Freital, aus denen heraus auch die rechtsterroristische Gruppe Freital agierte. Die Veröffentlichung des Haftbefehls eines jungen Irakers durch den Justizvollzugsbeamten Daniel Zabel auf einer rechten Internetplattform war wesentlicher Impuls für die 2018 in Chemnitz stattfindenden Ausschreitungen und Hetzjagden. Zabel ist AfD-Mitglied und wurde 2020 außerdem angeklagt, mit weiteren Justizbeamt*innen einen inhaftierten und gefesselten Tunesier misshandelt zu haben.

Interne Polizeidokumente zu den Bewohnerinnen und Bewohnern (dazu gehören auch Kinder) eines teilbesetzten Hauses in Berlin landeten – wie ein Steckbrief – auf dem rechten Blog „Halle Leaks“, welches der ehemalige „Blood and Honour“-Aktivist und antisemitische Corona-Leugner Sven Liebich führt, der im November 2020 auf einem Video beim Angriff auf einen Journalisten zu sehen war. Insbesondere Berliner und hessische Beamte scheinen ein gewaltiges Loch in der rechten Jackentasche zu haben, aus dem ungefiltert interne Infos an rechte Gewalttäter*innen purzeln. So belieferten in Hessen getätigte Personenabfragen eine*n der in Halle vor Gericht stehenden „Aryans“, welche am 1. Mai 2017 in der Saalestadt u.a. mit einem Starkstromkabel auf Linke eingedroschen hatten, mit polizeiinternen Informationen. Die wiederholten Personenabfragen und Mord-Drohungen des NSU 2.0, gerichtet vornehmlich an prominente, linke, feministisch engagierte oder als migrantisch gelesene Frauen, lassen nicht viel Raum zur Spekulation um den Ernst der Sache.
Es bleibt nicht bei Worten und Zurschaustellung politischer Feinde.
Ausgerechnet ein in der rechten Anschlagsserie in Berlin Neukölln als Ansprechpartner (!) für die Betroffenen abgestellter Polizeibeamter steht seit Januar 2021 vor Gericht, weil er einen Afghanen rassistisch beleidigt und zusammen geschlagen hat. Das Opfer wird nicht am Prozess teilnehmen können – es wurde abgeschoben.
Assoziationen an NS-Symbole
Einzelne Polizeibeamte treten eben nicht nur offen mit patriotischen und neurechten bis rechtsextremen Aufnähern ihren Dienst an – so geschehen im sächsischen Ostritz, wo ein Bundespolizist mit einem Symbol der Kreuzritter auftrat wie dies auch die Terroristen Anders Breivik und der Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant vorlebten. Und sie flapsen auch nicht mal mit rechten Codes herum: während eines Staatsbesuches des türkischen Präsidenten Erdoğan im Jahr 2018 trugen sich zwei sächsische Beamte eines Sondereinsatzkommandos (SEK) mit den Namen des bekannten NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt in eine Namensliste ein; ein Jahr zuvor waren aus demselben SEK Fotos an die Öffentlichkeit gelangt, auf denen die Sitze des von der sächsischen Polizei neu angeschafften gepanzerten Fahrzeugs „Survivor R“ mit Frakturschrift, Adler und Kreuz bestickt waren – Assoziationen an NS-Symbole waren überdeutlich. Den Panzerwagen hatten nicht ein paar vereinzelte Beamte so beim Hersteller in Auftrag gegeben, sondern das zuständige LKA.
Rechte Haltungen führen zu rechten Handlungen – und diese haben stets damit zu tun, das jeweils „Andere“ zu markieren und in der einen oder anderen Form aus der Gesellschaft zu entfernen. Wie dies aussehen könnte, deutet das Verhalten von SEK-Beamt*innen, Kriminal-Polizistinnen und Polizisten, Richter*innen, Soldat*innen, Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden an, die im rechten Netzwerk „Nordkreuz“ Waffen und etwa 40.000 Schuss Munition für den „Tag X“ gebunkert hatten. Auch eine Feindesliste fand sich bei Mitgliedern der Gruppe, welche bereits Leichensäcke und Löschkalk gekauft hatten. Ebenfalls Kunde beim Schießstandbesitzer und Waffenhändler, der „Nordkreuz“ nahe stand, war der mecklenburgische Innenminister Lothar Caffier (CDU), der seit Auffliegen von Nordkreuz im Jahr 2017 bis zur Konfrontation mit den Fakten im Jahr 2020 selbst kein Wort darüber verlor, dass er eine Kurzwaffe bei dem Schießstandbesitzer erworben hatte. Den Rücktritt von seinem Amt vollzog er ohne Unrechtseinsicht voll Selbstmitleid nur zähneknirschend.
Kein Erasmus-Jahr für Arbeitsmigrant*innen
Ich habe schon einige Theaterstücke geschrieben, die sich mit Rechtsextremismus und rechten Tendenzen in der Gesellschaft befassen, nun bemerke ich aber, dass auch unter Theaterschaffenden eine Art Hemmschwelle besteht, diese Probleme als hausgemachte der öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten. Vermutlich klingt Staatskritik an sich zu radikal. Außerdem steht zu befürchten, dass auch Theaterschaffende eine (ihre) privilegierte Perspektive als objektive nehmen. Es ist zwar richtig, aber eben auch leichter, hierzulande gegen rassistische Polizeigewalt in den USA auf die Straße zu gehen, während es alltäglich bleibt, dass die Knie deutscher Polizist*innen auf den Nacken von PoCs landen. Die Kampagne Death in Custody spricht von „180 Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Menschen in deutschem Gewahrsam seit 1990.“ Doch institutioneller Rassismus und Ignoranz können auch ganz lieb aussehende Gesichter haben – und genau sie finden sich in der Kulturindustrie, wo sich wunderbar im aller-schickesten Jargon über Freizügigkeit und Diversität, über Freiheit und Democracy und die europäischen Ideen streiten lässt. Gerne wird dabei übersehen, dass Millionen von Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten eben kein Erasmus-Jahr einlegen. „Wenn du drüben sitzt im Café von der Bioladenkette lässt sich auch ‚trefflich um die Demokratie debattieren.‘ (Die Putzkraft ohne Wahlrecht kommt wieso erst, wenn ihr raus seid.)“, sagt eine meiner Figuren, nämlich Papa Maik, der als Ossi darunter leidet, dass das Problem Rechtsextremismus mit dem Stempel „Osten“ erledigt wird. Er hätte hinzufügen können: dass Erasmus-Studierende während des ersten Lockdowns 2020 mit Jets zurück zu Mutti geflogen wurden, während in Göttingen schwer bewaffnete Polizeibeamt*innen die Rumäninnen und Rumänen hinter Bauzäunen in einen rappelvollen Wohnblock einsperrten und bundesweit Geflüchtete in sog. Erstaufnahmeeinrichtungen zusammengepfercht wurden. Solche Bilder aus Zentralen Aufnahmestellen (ZASten), z.B. 2019 in Halberstadt, wo Wachleute auf einen am Boden liegenden Afghanen eintraten. Einzelfälle? Hausgemachtes? Die Kultur bleibt verdächtig lange ruhig, solange davon nichts im Feuilleton steht.
Wie viele Chatgruppen (mit mehr als 200 Verdachtsfällen bei der Polizei NRW) müssen eigentlich noch aufgedeckt werden, um zu erkennen, dass in deutschen Behörden ein anständiges Nazi-Problem herrscht? Leider ist nicht einmal davon auszugehen, dass es sich von selber verflüchtigt. Im Gegenteil, dass nationalistische und rassistische Positionen regen Zulauf erhalten, fürchtet selbst Ernst G. Walter, Chef des Bundespolizeigewerkschaft sowie sein Kollege Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei: „Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt.“ Ein Blick auf die Berufe der Abgeordneten in den Landesparlamenten und dem Bundestag lässt bei der AfD einen Überhang an ehemaligen oder noch tätigen Polizeibeamt*innen, Soldat*innen und anderen Sicherheitsfreunden erkennen. In manchen Bundesländern sitzen für keine Partei so viele Polizeibeamt*innen im Landtag wie für die AfD – der Partei, die in Chemnitz 2018 den Schulterschluss mit allen Segmenten der deutschen völkisch-nationalistischen Szene öffentlich zelebrierte.
Zaun und Abschottung
Der Nationalismus, schreibt olle Adorno in dem selben Text, glaube sich selber nicht. Er sei veraltet und diene als Mittel, „die Menschen zur Insistenz auf objektiv veralten Verhältnissen zu bringen.“ Nicht anders ist die Tendenz in Behörden, weshalb in sie vornehmlich Menschen mit diesem die Verhältnisse „erhaltenden“ Weltbild einströmen und dort gegebenenfalls aufsteigen. Sie produzieren diese Haltungen auch: Denn jeder Schachzug, welcher die Behörde gegen Sanktionen und Veränderungen von außen abriegelt, ist ein Garant für das Weiterbestehen dieser Weltbilder. Nach eben jenem Vorbild soll auch der Staat als Ganzes funktionieren. Der Zaun und die Abschottung sind die ersten Mittel, um aus dem oder der Anderen eine*n Fremde*n zu machen. Danach folgt Bekämpfung.
Eine gekürzte Version des Textes wurde erstmals im Spielzeitheft 2021⁄22 des Staatstheaters Kassel veröffentlicht.
Dirk Laucke ist Autor für Theater, Hörspiel, Prosa und Film. 2006 erhielt er den Kleist-Förderpreis für „alter ford escort dunkelblau“, ein Stück unter Zeitarbeiter:innen. 2015 erschien sein Roman „Mit sozialistischem Grusz“ (Rowohlt). Zuletzt schickte Laucke für den ARD Radio-Tatort ein schräges Ermittler:innen-Pärchen in den rechten Sumpf einer Polizeibehörde im fiktiven Ort Lörben. Lauckes Theaterstück „Hannibal“ erscheint voraussichtlich im Herbst 2021 als Beitrag des Deutschen National Theater Weimar im Rahmen des des bundesweiten Theaterprojektes mit künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Internventionen zum NSU-Komplex „Kein Schlussstrich!“
3 Gedanken zu “Rechte Staatsdiener*innen: Von Amts wegen Einzelfälle”
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