Rechte Staatsdiener*innen: Von Amts wegen Einzelfälle

Ver­stri­ckun­gen trans­pa­rent machen und unhalt­ba­re Nar­ra­ti­ve her­aus­for­dern: Gedenk­de­mo am 20. Febru­ar 2021 in Neu­kölln zum Jah­res­tag des ras­sis­ti­schen Mord­an­schlags in Hanau

Nur weni­ge Mona­te nach der Auf­de­ckung des NSU, im Febru­ar 2012 beschimpf­ten in der Klein­stadt Mücheln (Sach­sen-Anhalt) drei Neo­na­zis ein Imbiss betrei­ben­des Ehe­paar in deren Restau­rant ras­sis­tisch, wäh­rend die zwölf­jäh­ri­ge Toch­ter der bei­den sich in einem Lager­raum ver­steck­te. Die Täter droh­ten damit: soll­te der Gast­wirt den Imbiss nicht bis zu „Füh­rers Geburts­tag“ geschlos­sen haben, wür­de er als wei­te­res Opfer (im Kon­text der Mord­op­fer des NSU in der Pres­se ste­hen. Dann brach­ten sie den Mann zu Boden und schlu­gen und tra­ten auf ihn ein.

Gemächlich zum Einsatz kutschieren

Bei dem Ver­such ihrem Ehe­mann zu hel­fen, wur­de auch die Frau ver­letzt. Erst als der Bedräng­te nach einem Kebab-Mes­ser grei­fen konn­te, ver­lie­ßen die Rech­ten den Laden – selbst­ver­ständ­lich, um von der Stra­ße aus wei­ter zu pöbeln und zu ran­da­lie­ren. Die Beam­ten beim Not­ruf konn­ten oder woll­ten den von Nazis bela­ger­ten und ver­letz­ten Mann nicht ver­ste­hen; mit Ver­weis auf die schlech­ten Deutsch-Kennt­nis­se des Ange­grif­fe­nen been­de­ten sie das Gespräch, und das mehr­mals. Noch mal lang­sam: Der Not­ruf. Leg­te auf. Und das mehr­mals. Wäh­rend der ver­zwei­fel­te Vater es wie­der und wie­der bei 110 ver­such­te, ver­sam­mel­ten sich immer mehr Rech­te vor dem Geschäft. Ein eben­falls zu Hil­fe geru­fe­ner Ver­wand­ter der Über­fal­le­nen fuhr mit sei­nem Auto zufäl­lig die­sel­be Stre­cke wie der (end­lich) auf den Weg geschick­te Ein­satz­wa­gen. Fas­sungs­los sah der zu Hil­fe geru­fe­ne Ver­wand­te mit an, wie der Strei­fen­wa­gen an jeder roten Ampel hielt und auch sonst in gemäch­li­chem Tem­po Rich­tung Tat­ort kut­schier­te. Nach einer hal­ben Stun­de (!) dort ange­kom­men, wand­te die Beam­ten sich zunächst an die rech­te Ver­samm­lung, die inzwi­schen schon die Tür des Döners ein­ge­tre­ten hat­ten – um sie zu zum Her­gang zu befra­gen. Die erklär­ten: Der Aus­län­der … Das Mes­ser … Von nur weni­gen Anwe­sen­den wur­den die Per­so­na­li­en auf­ge­nom­men. Statt wenigs­tens hier­nach das blu­ten­de Opfer medi­zi­nisch zu ver­sor­gen und zu befra­gen, führ­ten die Beam­ten bei ihm zunächst eine Atem-Alko­hol­kon­trol­le durch. Nie­mand befrag­te den Laden­be­trei­ber oder sei­ne Frau danach, wen oder was sie bezeu­gen, bele­gen oder gar iden­ti­fi­zie­ren konn­ten. Um mal von der 12jährigen Toch­ter im Lager­raum zu schwei­gen. Die Bit­te der Eltern an die Beam­ten, ihrem ver­schanz­ten Kind doch zu ver­si­chern, dass die Lage nun sicher sei, damit das Mäd­chen sich wie­der aus der Kam­mer her­vor wag­te, wur­de behörd­li­cher­seits abg­lehnt. Kin­der­ver­sor­gung – kei­ne Zustän­dig­keit. Für die Ange­grif­fe­nen war die Tor­tur nach die­sem Febru­ar­tag nicht been­det. Alle Täter und deren Sympathisant*innen flitz­ten wei­ter­hin in Mücheln unbe­hel­ligt durch die Kan­te. Und auch das Urteil des Mer­se­bur­ger Amts­ge­richts – zwei Frei­sprü­che und ein­mal „Frei­zeit­ar­rest wegen Sach­be­schä­di­gung und fahr­läs­si­ger Kör­per­ver­let­zung“ – ver­harm­los­te und igno­rier­te die ras­sis­ti­sche Gewalt.

Ignorieren und Kleinreden

Der Fall warf ein­mal mehr die Fra­ge auf, ob die invol­vier­ten Beam­ten nur feh­ler­haft ihr Amt aus­üb­ten, ob es ihnen an Sen­si­bi­li­tät für die von Ras­sis­mus Betrof­fe­nen man­gel­te, ob sie auf dem „rech­ten Auge blind“ waren oder ob sie sich gar selbst ras­sis­tisch ver­hiel­ten? Immer­hin führ­te die Debat­te um den Angriff in Mücheln zu einer Stu­die, wie es sie laut Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer eigent­lich nicht geben darf – zu einer Unter­su­chung zum Poli­zei­li­chen Umgang mit migran­ti­schen Opferzeu­gen in Sach­sen-Anhalt. Zwar wur­den auch in ihr weder (struk­tu­rel­ler) Ras­sis­mus noch rechts­extre­me Ein­stel­lun­gen von Staats­be­diens­te­ten erho­ben; doch die Ergeb­nis­se stel­len klipp und klar „Wahr­neh­mungs­de­fi­zi­te von Ein­satz­be­am­ten und Sach­be­ar­bei­tern hin­sicht­lich der Ras­sis­mus­be­trof­fen­heit migran­ti­scher Opfer“ fest. Ver­nich­tend fällt zudem das Resü­mee bezüg­lich einer even­tu­ell aus der Erhe­bung resul­tie­ren­den To-Do-Lis­te für die Lan­des­po­li­zei Sach­sen-Anhalt aus: „Nach unse­ren Befun­den scheint die poli­zei­li­che Feh­ler­kul­tur in ihrer vor­lie­gen­den Ver­fas­sung jedoch kaum in der Lage, nach­hal­tig zur Bewäl­ti­gung der auf­ge­zeig­ten Pro­ble­me bei­tra­gen zu können“.
Das Igno­rie­ren und Klein­re­den rechts moti­vier­ter Gewalt ist eben­so wenig ein Ein­zel­fall wie die zusätz­li­che Dis­kri­mi­nie­rung von Opfern, Zeug*innen und Ange­hö­ri­gen. Spä­tes­tens der NSU-Pro­zess erwies: eine beträcht­li­che Anzahl an Polizeibeamt*innen, Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter von Ver­fas­sungs­schutz, Staats­an­walt­schaf­ten, Gerich­ten und ande­ren Insti­tu­tio­nen waren nicht nur außer­stan­de oder gewillt, die rech­te Mord­se­rie des NSU als sol­che zu erken­nen; statt des­sen neig­ten sie sogar dazu, die Opfer und deren Ange­hö­ri­ge jah­re­lang dop­pelt zu vik­ti­mi­sie­ren, indem sie sie als Betei­lig­te der Orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät zurech­ne­ten – und ent­spre­chend mit ihnen verfuhren.
Auch die Ama­deu Anto­nio-Stif­tung, wel­che rechts moti­vier­te Tötun­gen aus einer Viel­zahl von Quel­len zusam­men­trägt, zählt mit der­zeit min­des­tens 213 Todes­op­fern seit 1990 bei­na­he dop­pelt so vie­le wie die Bun­des­re­gie­rung. Beson­ders woh­nungs­lo­se Opfer rech­ter Gewalt fal­len aus jeder offi­zi­el­len Sta­tis­tik – nicht uner­heb­li­cher Wei­se des­we­gen, weil sich zu den Wahr­neh­mungs­de­fi­zi­ten gegen­über den „Opferzeug*innen“ Unkennt­nis, Igno­ranz und das Klein­re­den der rech­ten oder ras­sis­ti­schen Gesin­nung der Täter*innen gesellt. Sozi­al-dar­wi­nis­ti­sche Moti­ve? Nie gehört.

Einschüchternde Atmosphäre

Dass aus dem NSU „viel gelernt“ wor­den sei, kann Ahmed I. als Betrof­fe­ner ras­sis­ti­scher Gewalt und Neben­klä­ger im Mord­fall Wal­ter Lüb­cke ver­mut­lich nicht behaup­ten, der ähn­lich dis­kri­mi­nie­ren­de Erfah­run­gen sei­tens des Staats­ap­pa­ra­tes erdul­den muss(te). Pro­zess­be­ob­ach­ter Fried­rich Bur­schel kri­ti­siert: „Mit stän­di­gen schar­fen Unter­bre­chun­gen wird ihm hier eine tri­bu­nal­ar­ti­ge Situa­ti­on berei­tet, und er wie ein Beschul­dig­ter behan­delt. Sei­ne Aus­füh­run­gen zu den trau­ma­ti­schen Aus­wir­kun­gen des Mes­ser­an­griffs, zu Schlaf­stö­run­gen, Angst­zu­stän­den, den stän­di­gen Schmer­zen, der Gefühl­lo­sig­keit in den Bei­nen und wei­te­ren erheb­li­chen Ein­schrän­kun­gen durch die Rücken­marks­ver­let­zung gehen in der ein­schüch­tern­den Atmo­sphä­re unter“.
Und auch die Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen der ras­sis­ti­schen Mor­de in Hanau erhe­ben Fra­gen gegen Poli­zei und Behör­den, die den Vor­wür­fen in Mücheln in man­chen Punk­ten ähneln: Wie kam es zu dem Kom­plett­ver­sa­gen des Not­ru­fes in der Tat­nacht in Hanau? Wes­halb dau­er­te es vier­zig Minu­ten zwi­schen dem Bekannt­wer­den des PKW-Kenn­zei­chens des Täters und dem Auf­tau­chen der ers­ten Poli­zei­strei­fe in der Umge­bung von des­sen Wohn­haus, wo der ras­sis­ti­sche Ter­ro­rist das Auto bereits wie­der geparkt hat­te? Wes­halb ver­gin­gen wei­ter fast fünf Stun­den vor dem Zugriff der Poli­zei? Wie­so ver­steck­ten sich Poli­zei­be­am­te hin­ter dem ange­schos­se­nen Etris Hash­e­mi, als es fälsch­lich hieß, der Täter sei zum Tat­ort zurück gekehrt? War­um erhiel­ten die Ange­hö­ri­gen des ermor­de­ten Ham­za Kur­to­vić soge­nann­te „Gefähr­der­an­spra­chen“, wur­den aber nicht auf die Gefah­ren auf­merk­sam gemacht, die von dem eben­falls rechts­fa­na­ti­schen Vater des Ter­ro­ris­ten aus­ge­hen? Auch in Hanau berich­ten vie­le der von dem ras­sis­ti­schen Ter­ror Betrof­fe­nen, von der Poli­zei igno­riert oder gar ver­däch­tig wor­den zu sein. Dass die Poli­zei im Vor­feld des Anschlags die Not­aus­gän­ge einer betrof­fe­nen Shi­sha-Bars ver­schlie­ßen ließ, mag vor dem 19. Febru­ar zunächst wie die übli­che ras­sis­ti­sche Schi­ka­ne ange­mu­tet haben – nun gab es Tote. Wie vie­le Per­so­nen hät­ten ohne die hes­si­sche Poli­zei viel­leicht flie­hen kön­nen? Über­le­ben­de und Ange­hö­ri­ge sind eben­so fas­sungs­los über die wie­der­holt aus­ge­stell­ten Waf­fen­schei­ne an den poli­zei­be­kann­ten Täter wie über den respekt­lo­sen Umgang des Par­la­men­tes mit ihnen im Nach­gang der Tra­gö­die. Dass die hes­si­schen Land­tags­frak­tio­nen von CDU, SPD, Grü­nen und FDP sich nur auf eine als Kom­pro­miss prä­sen­tier­te Vari­an­te eines Opfer­hilfs­fonds eini­gen konn­ten, wonach die Betrof­fe­nen zu den Opfern „all­ge­mei­ner Kri­mi­na­li­tät“ gerech­net wer­den, ver­deut­licht, wie viel sich ange­sichts die­ser Zustän­de in Sachen Enga­ge­ment gegen Rechts­extre­mis­mus und Ras­sis­mus bewegt – von Amts wegen gar nichts.

Adorno: Nachleben des Faschismus

Es kommt einem das Wort des in Frank­furt gebo­re­ne Phi­lo­so­phen Theo­dor W. Ador­no in den Sinn, nach wel­chem er „das Nach­le­ben des Natio­nal­so­zia­lis­mus in der Demo­kra­tie als poten­ti­ell bedroh­li­cher“ betrach­te als „das Nach­le­ben faschis­ti­scher Ten­den­zen gegen die Demokratie.“
Das Zitat ist star­ker Tobak ange­sichts rechts-ter­ro­ris­ti­scher Mör­der, die auch Volksvertreter*innen ins Visier neh­men. Es ist jedoch gera­de die schie­re Men­ge an ras­sis­ti­schen Ver­feh­lun­gen und rechts­ra­di­ka­len Ent­glei­sun­gen, die von deut­schen Beamt*innen aus­ge­hen, die es erschwert, der Ein­zel­fall-Behaup­tung auch nur einen Fun­ken Glau­ben zu schen­ken, und die dar­auf ver­wei­sen, dass sehr wohl in der Demo­kra­tie Bedro­hun­gen erwach­sen kön­nen, die viel­leicht grö­ßer sind als die­je­ni­gen, die sich von außen gegen das eta­blier­te Sys­tem stel­len. Die Beschaf­fen­heit der meis­ten bekannt gewor­de­nen Fäl­le rech­ter Beamt*innen Zeigt zudem, dass Faschis­mus stets dar­auf abzielt, ande­re zu schädigen.
Bewei­se: So sorg­te der in eine Kame­ra „Lügen­pres­se!“ rufen­de LKA-Mit­ar­bei­ter und „Hut­bür­ger“ Maik G. wäh­rend einer Pegi­da-Demons­tra­ti­on flugs dafür, dass die Poli­zei-Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen das Reporter*innen-Team des ZDF fest­hiel­ten und an der wei­te­ren Aus­übung der Pres­se­frei­heit hin­der­ten, weil sie ihm „ins Gesicht“ gefilmt hät­ten. Das Wider­recht­li­che des Vor­gangs (und der Hut) sorg­ten für den Rest an Bekannt­heit. Bri­san­ter – und eben doch weni­ger bekannt ist der Umstand, dass Maik G. in die­ser Situa­ti­on (und auch sonst) Unter­stüt­zung von René Sey­fried fand, einem der Orga­ni­sa­to­rin­nen und Orga­ni­sa­to­ren der teils gewalt­sa­men frem­den­feind­li­chen Pro­tes­te in Frei­tal, aus denen her­aus auch die rechts­ter­ro­ris­ti­sche Grup­pe Frei­tal agier­te. Die Ver­öf­fent­li­chung des Haft­be­fehls eines jun­gen Ira­kers durch den Jus­tiz­voll­zugs­be­am­ten Dani­el Zabel auf einer rech­ten Inter­net­platt­form war wesent­li­cher Impuls für die 2018 in Chem­nitz statt­fin­den­den Aus­schrei­tun­gen und Hetz­jag­den. Zabel ist AfD-Mit­glied und wur­de 2020 außer­dem ange­klagt, mit wei­te­ren Justizbeamt*innen einen inhaf­tier­ten und gefes­sel­ten Tune­si­er miss­han­delt zu haben.

Um die Ecke vom OLG Frank­furt liegt die Poli­zei­wa­che, wo gehei­me Adress­da­ten einer Neben­kla­ge­an­wäl­tin der NSU-Neben­kla­ge abge­ru­fen wur­den, der dann vom „NSU 2.0“ Mord­dro­hun­gen zuge­sandt wurden

Inter­ne Poli­zei­do­ku­men­te zu den Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­nern (dazu gehö­ren auch Kin­der) eines teil­be­setz­ten Hau­ses in Ber­lin lan­de­ten – wie ein Steck­brief – auf dem rech­ten Blog „Hal­le Leaks“, wel­ches der ehe­ma­li­ge „Blood and Honour“-Aktivist und anti­se­mi­ti­sche Coro­na-Leug­ner Sven Lie­bich führt, der im Novem­ber 2020 auf einem Video beim Angriff auf einen Jour­na­lis­ten zu sehen war. Ins­be­son­de­re Ber­li­ner und hes­si­sche Beam­te schei­nen ein gewal­ti­ges Loch in der rech­ten Jacken­ta­sche zu haben, aus dem unge­fil­tert inter­ne Infos an rech­te Gewalttäter*innen pur­zeln. So belie­fer­ten in Hes­sen getä­tig­te Per­so­nen­ab­fra­gen eine*n der in Hal­le vor Gericht ste­hen­den „Aryans“, wel­che am 1. Mai 2017 in der Saal­e­stadt u.a. mit einem Stark­strom­ka­bel auf Lin­ke ein­ge­dro­schen hat­ten, mit poli­zei­in­ter­nen Infor­ma­tio­nen. Die wie­der­hol­ten Per­so­nen­ab­fra­gen und Mord-Dro­hun­gen des NSU 2.0, gerich­tet vor­nehm­lich an pro­mi­nen­te, lin­ke, femi­nis­tisch enga­gier­te oder als migran­tisch gele­se­ne Frau­en, las­sen nicht viel Raum zur Spe­ku­la­ti­on um den Ernst der Sache.
Es bleibt nicht bei Wor­ten und Zur­schau­stel­lung poli­ti­scher Feinde.
Aus­ge­rech­net ein in der rech­ten Anschlags­se­rie in Ber­lin Neu­kölln als Ansprech­part­ner (!) für die Betrof­fe­nen abge­stell­ter Poli­zei­be­am­ter steht seit Janu­ar 2021 vor Gericht, weil er einen Afgha­nen ras­sis­tisch belei­digt und zusam­men geschla­gen hat. Das Opfer wird nicht am Pro­zess teil­neh­men kön­nen – es wur­de abgeschoben.

Assoziationen an NS-Symbole

Ein­zel­ne Poli­zei­be­am­te tre­ten eben nicht nur offen mit patrio­ti­schen und neu­rech­ten bis rechts­extre­men Auf­nä­hern ihren Dienst an – so gesche­hen im säch­si­schen Ost­ritz, wo ein Bun­des­po­li­zist mit einem Sym­bol der Kreuz­rit­ter auf­trat wie dies auch die Ter­ro­ris­ten Anders Brei­vik und der Christ­church-Atten­tä­ter Bren­ton Tar­rant vor­leb­ten. Und sie flap­sen auch nicht mal mit rech­ten Codes her­um: wäh­rend eines Staats­be­su­ches des tür­ki­schen Prä­si­den­ten Erdoğan im Jahr 2018 tru­gen sich zwei säch­si­sche Beam­te eines Son­der­ein­satz­kom­man­dos (SEK) mit den Namen des bekann­ten NSU-Mit­glieds Uwe Böhn­hardt in eine Namens­lis­te ein; ein Jahr zuvor waren aus dem­sel­ben SEK Fotos an die Öffent­lich­keit gelangt, auf denen die Sit­ze des von der säch­si­schen Poli­zei neu ange­schaff­ten gepan­zer­ten Fahr­zeugs „Sur­vi­vor R“ mit Frak­tur­schrift, Adler und Kreuz bestickt waren – Asso­zia­tio­nen an NS-Sym­bo­le waren über­deut­lich. Den Pan­zer­wa­gen hat­ten nicht ein paar ver­ein­zel­te Beam­te so beim Her­stel­ler in Auf­trag gege­ben, son­dern das zustän­di­ge LKA.
Rech­te Hal­tun­gen füh­ren zu rech­ten Hand­lun­gen – und die­se haben stets damit zu tun, das jeweils „Ande­re“ zu mar­kie­ren und in der einen oder ande­ren Form aus der Gesell­schaft zu ent­fer­nen. Wie dies aus­se­hen könn­te, deu­tet das Ver­hal­ten von SEK-Beamt*innen, Kri­mi­nal-Poli­zis­tin­nen und Poli­zis­ten, Richter*innen, Soldat*innen, Mitarbeiter*innen des Ver­fas­sungs­schut­zes und ande­rer Sicher­heits­be­hör­den an, die im rech­ten Netz­werk „Nord­kreuz“ Waf­fen und etwa 40.000 Schuss Muni­ti­on für den „Tag X“ gebun­kert hat­ten. Auch eine Fein­des­lis­te fand sich bei Mit­glie­dern der Grup­pe, wel­che bereits Lei­chen­sä­cke und Lösch­kalk gekauft hat­ten. Eben­falls Kun­de beim Schieß­stand­be­sit­zer und Waf­fen­händ­ler, der „Nord­kreuz“ nahe stand, war der meck­len­bur­gi­sche Innen­mi­nis­ter Lothar Caf­fier (CDU), der seit Auf­flie­gen von Nord­kreuz im Jahr 2017 bis zur Kon­fron­ta­ti­on mit den Fak­ten im Jahr 2020 selbst kein Wort dar­über ver­lor, dass er eine Kurz­waf­fe bei dem Schieß­stand­be­sit­zer erwor­ben hat­te. Den Rück­tritt von sei­nem Amt voll­zog er ohne Unrecht­sein­sicht voll Selbst­mit­leid nur zähneknirschend.

Kein Erasmus-Jahr für Arbeitsmigrant*innen

Ich habe schon eini­ge Thea­ter­stü­cke geschrie­ben, die sich mit Rechts­extre­mis­mus und rech­ten Ten­den­zen in der Gesell­schaft befas­sen, nun bemer­ke ich aber, dass auch unter Thea­ter­schaf­fen­den eine Art Hemm­schwel­le besteht, die­se Pro­ble­me als haus­ge­mach­te der öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu betrach­ten. Ver­mut­lich klingt Staats­kri­tik an sich zu radi­kal. Außer­dem steht zu befürch­ten, dass auch Thea­ter­schaf­fen­de eine (ihre) pri­vi­le­gier­te Per­spek­ti­ve als objek­ti­ve neh­men. Es ist zwar rich­tig, aber eben auch leich­ter, hier­zu­lan­de gegen ras­sis­ti­sche Poli­zei­ge­walt in den USA auf die Stra­ße zu gehen, wäh­rend es all­täg­lich bleibt, dass die Knie deut­scher Polizist*innen auf den Nacken von PoCs lan­den. Die Kam­pa­gne Death in Cus­t­ody spricht von „180 Todes­fäl­len von Schwar­zen Men­schen, Peo­p­le of Color und von Ras­sis­mus betrof­fe­nen Men­schen in deut­schem Gewahr­sam seit 1990.“ Doch insti­tu­tio­nel­ler Ras­sis­mus und Igno­ranz kön­nen auch ganz lieb aus­se­hen­de Gesich­ter haben – und genau sie fin­den sich in der Kul­tur­in­dus­trie, wo sich wun­der­bar im aller-schi­ckes­ten Jar­gon über Frei­zü­gig­keit und Diver­si­tät, über Frei­heit und Demo­cra­cy und die euro­päi­schen Ideen strei­ten lässt. Ger­ne wird dabei über­se­hen, dass Mil­lio­nen von Arbeits­mi­gran­tin­nen und ‑migran­ten eben kein Eras­mus-Jahr ein­le­gen. „Wenn du drü­ben sitzt im Café von der Bio­la­den­ket­te lässt sich auch ‚treff­lich um die Demo­kra­tie debat­tie­ren.‘ (Die Putz­kraft ohne Wahl­recht kommt wie­so erst, wenn ihr raus seid.)“, sagt eine mei­ner Figu­ren, näm­lich Papa Maik, der als Ossi dar­un­ter lei­det, dass das Pro­blem Rechts­extre­mis­mus mit dem Stem­pel „Osten“ erle­digt wird. Er hät­te hin­zu­fü­gen kön­nen: dass Eras­mus-Stu­die­ren­de wäh­rend des ers­ten Lock­downs 2020 mit Jets zurück zu Mut­ti geflo­gen wur­den, wäh­rend in Göt­tin­gen schwer bewaff­ne­te Polizeibeamt*innen die Rumä­nin­nen und Rumä­nen hin­ter Bau­zäu­nen in einen rap­pel­vol­len Wohn­block ein­sperr­ten und bun­des­weit Geflüch­te­te in sog. Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zusam­men­ge­pfercht wur­den. Sol­che Bil­der aus Zen­tra­len Auf­nah­me­stel­len (ZAS­ten), z.B. 2019 in Hal­ber­stadt, wo Wach­leu­te auf einen am Boden lie­gen­den Afgha­nen ein­tra­ten. Ein­zel­fäl­le? Haus­ge­mach­tes? Die Kul­tur bleibt ver­däch­tig lan­ge ruhig, solan­ge davon nichts im Feuil­le­ton steht.
Wie vie­le Chat­grup­pen (mit mehr als 200 Ver­dachts­fäl­len bei der Poli­zei NRW) müs­sen eigent­lich noch auf­ge­deckt wer­den, um zu erken­nen, dass in deut­schen Behör­den ein anstän­di­ges Nazi-Pro­blem herrscht? Lei­der ist nicht ein­mal davon aus­zu­ge­hen, dass es sich von sel­ber ver­flüch­tigt. Im Gegen­teil, dass natio­na­lis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Posi­tio­nen regen Zulauf erhal­ten, fürch­tet selbst Ernst G. Wal­ter, Chef des Bun­des­po­li­zei­ge­werk­schaft sowie sein Kol­le­ge Jörg Radek von der Gewerk­schaft der Poli­zei: „Da ist bei vie­len Beam­ten etwas in Schief­la­ge gera­ten, was sich in Sym­pa­thien für das rechts­na­tio­na­le Par­tei­en­spek­trum aus­drückt.“ Ein Blick auf die Beru­fe der Abge­ord­ne­ten in den Lan­des­par­la­men­ten und dem Bun­des­tag lässt bei der AfD einen Über­hang an ehe­ma­li­gen oder noch täti­gen Polizeibeamt*innen, Soldat*innen und ande­ren Sicher­heits­freun­den erken­nen. In man­chen Bun­des­län­dern sit­zen für kei­ne Par­tei so vie­le Polizeibeamt*innen im Land­tag wie für die AfD – der Par­tei, die in Chem­nitz 2018 den Schul­ter­schluss mit allen Seg­men­ten der deut­schen völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Sze­ne öffent­lich zelebrierte.

Zaun und Abschottung

Der Natio­na­lis­mus, schreibt olle Ador­no in dem sel­ben Text, glau­be sich sel­ber nicht. Er sei ver­al­tet und die­ne als Mit­tel, „die Men­schen zur Insis­tenz auf objek­tiv ver­al­ten Ver­hält­nis­sen zu brin­gen.“ Nicht anders ist die Ten­denz in Behör­den, wes­halb in sie vor­nehm­lich Men­schen mit die­sem die Ver­hält­nis­se „erhal­ten­den“ Welt­bild ein­strö­men und dort gege­be­nen­falls auf­stei­gen. Sie pro­du­zie­ren die­se Hal­tun­gen auch: Denn jeder Schach­zug, wel­cher die Behör­de gegen Sank­tio­nen und Ver­än­de­run­gen von außen abrie­gelt, ist ein Garant für das Wei­ter­be­stehen die­ser Welt­bil­der. Nach eben jenem Vor­bild soll auch der Staat als Gan­zes funk­tio­nie­ren. Der Zaun und die Abschot­tung sind die ers­ten Mit­tel, um aus dem oder der Ande­ren eine*n Fremde*n zu machen. Danach folgt Bekämpfung.

Eine gekürz­te Ver­si­on des Tex­tes wur­de erst­mals im Spiel­zeit­heft 202122 des Staats­thea­ters Kas­sel veröffentlicht.

Dirk Lau­cke ist Autor für Thea­ter, Hör­spiel, Pro­sa und Film. 2006 erhielt er den Kleist-För­der­preis für „alter ford escort dun­kel­blau“, ein Stück unter Zeitarbeiter:innen. 2015 erschien sein Roman „Mit sozia­lis­ti­schem Grusz“ (Rowohlt). Zuletzt schick­te Lau­cke für den ARD Radio-Tat­ort ein schrä­ges Ermittler:innen-Pärchen in den rech­ten Sumpf einer Poli­zei­be­hör­de im fik­ti­ven Ort Lör­ben. Lau­ckes Thea­ter­stück „Han­ni­bal“ erscheint vor­aus­sicht­lich im Herbst 2021 als Bei­trag des Deut­schen Natio­nal Thea­ter Wei­mar im Rah­men des des bun­des­wei­ten Thea­ter­pro­jek­tes mit künst­le­ri­schen und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Intern­ven­tio­nen zum NSU-Kom­plex „Kein Schluss­strich!“

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