
Das Zollhaus, ein Landgasthof in der Oberpfalz, welcher vor ein paar Jahrzehnten noch sprühte vor Leben, mit Tanzabenden, abertausenden Schnitzelbestellungen, Sommergästen und Musik aus der Jukebox, ist inzwischen hoch verschuldet und kurz vor dem Aus. Die 84-jährige Wirtin Berta Zenefels, bekommt überraschende Unterstützung von ihrer Enkelin Monika, welche ihre Karriere und ihr Mittdreißiger-Leben in Berlin hinter sich lässt, um den Hof wieder in Schuss zu bringen.
Die beiden Protagonistinnen der Dokumentation „80 000 Schnitzel“ sind der Regisseurin Hannah Schweier nicht unbekannt. Als Enkelin der Wirtin und als Schwester von Monika hat die Filmemacherin ihre eigene Familie, mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, ins Zentrum ihrer filmischen Auseinandersetzung über Fragen des Lebens gestellt.
Arbeiten fürs Leben — Leben für die Arbeit
„Wer nicht arbeitete und kein Gast war, hatte keine Existenzberechtigung“ erinnert sich Monika an die bedingungslose Arbeitsmoral auf dem Gutshof. Gäste umsorgen und bis vier Uhr nachts in der Küche stehen, die Kühe melken und die Äcker bewirtschaften – teils die gleichen Aufgaben, die auch heute wieder anstehen. Sogar die Momente, in denen Oma oder Enkelin innehalten, aus dem Fenster sehen und vor sich hinstarren, transportieren eine Ruhelosigkeit, die der „Mental Load“, also die psychischen Belastungen eines solchen Lebens mit sich bringt. Wie viel in diesen Momenten durch den Kopf der Frauen geht, ist fast durch den Bildschirm spürbar. Enkelin und Oma scheinen beide nichts anderes als Arbeit zu kennen, und doch gibt es Unterschiede in der Herangehensweise. Monika ist auch hier, um die Strukturen auf dem Hof so zu ändern, dass „man sich hier nicht mehr zu Tode schuften muss“. Irgendwie beeindruckend ist es, ihr bei der Ausdauer, Ruhe und Hartnäckigkeit zuzusehen, mit der sie sich den nie enden wollenden Aufgaben widmet. Und doch begegnet sie der Arbeit nicht so bedingungs- und grenzenlos, wie das im Leben der Oma üblich war. Jederzeit ist Monika bereit, die Sache abzubrechen, falls es nicht klappen sollte.
Dinge tun, einfach nur so zum Vergnügen, liegt der Oma Zenefels sehr fern. Weite Reisen und die Welt außerhalb des Hofes, außerhalb des Dorfes und der Familie spielen einfach keine Rolle in ihrem Leben – und das muss es auch gar nicht. Der Film macht deutlich, wie unterschiedlich Leben und Lebensentscheidungen nunmal sind, und wie sehr sie auch vom Kontext der Zeit und der Welt abhängen, in die Menschen hineingeboren werden.
Wann sie denn endlich was Richtiges arbeite, fragt Frau Zenefels die Regisseurin, und auf die Kamera deutend: „Das Ding da halten, das kann doch jeder“. Man sieht also, dass es schon ganz gut ist, dass es nicht in der Hand einer einzelnen Person liegt zu entscheiden, was legitime Arbeit ist und was nicht. Das Zollhaus jedenfalls bringt viel konkrete Arbeit mit hoher Selbstwirksamkeit. Es wird halt getan, was dran ist, wenn man selbst entscheidet, dass es notwendig ist. Das lässt sich sicherlich nicht von jedem Job in unserer kapitalistischen Gesellschaft behaupten.
(Keine) Männer

Es wird nicht extra in den Vordergrund gestellt. Aber ein Film, bei dem man zwei Stunden fast ausschließlich Frauen beim Leben, Entscheidungen treffen und Arbeiten zusieht, ist immer noch auffallend. Männer spielen scheinbar eine Nebenrolle. Es wird nie explizit über die Schwierigkeiten gesprochen, die es mit sich bringt, wenn zwei Frauen einen verschuldeten Hof in einer ländlichen Gegend bewirtschaften – darum geht es in erster Linie auch nicht. Männlicher Redeanteil ist in der ganzen Doku erfrischend gering. Und dennoch durchzieht die Macht des Patriarchats die ganze Geschichte. Deutlich wird das besonders bei Erzählungen der Oma: wie sie diejenige war, die bis zum Umfallen in der Küche stehen musste, obwohl sie längst keine Lust mehr hatte. Der Opa, der immer so viel schrie. Der Onkel, der mit seinen Träumen alles Geld verschlang und bei seinem Tod einen hoch verschuldeten Hof hinterließ. Dass nun etwas Neues entsteht, etwas, das auf eine ganz eigene Art Erfolg und Selbstwirksamkeit im Leben der jungen Monika hervorruft, ist schön zu sehen. Endlich spielen Männer auch tatsächlich nur noch eine Nebenrolle..
Eigentlich sprechen die Bilder des Films, die Spitzendeckchen, Fliegengitter und 70er-Jahre-Brillen ihre eigene ruhige Sprache. Die Erzählerin, die aus dem Off die Familiengeschichte kontextualisiert und über zerplatzte und neu geborene Träume spricht, scheint in Teilen etwas überflüssig. Andererseits ist die Transparenz, mit der die Regisseurin mit ihrer Rolle umgeht, interessant. Schnitte, bei denen „Cut!“ gerufen wird, tragen ebenso dazu bei wie Gespräche mit Frau Zenefels, bei denen die Regisseurin sich einen genervten Kommentar ihrer Oma gegenüber nicht verkneifen kann. Das ist auch deshalb erfrischend, da es ganz klar sichtbar macht, dass Geschichten nie aus einer neutralen Position heraus erzählt werden.
80.000 Schnitzel ist kein Film über die Krisen dieser Welt, über große politische Veränderungen und große Kämpfe. Irgendwie berührt er dennoch, weil es so schonungslos direkt um Arbeit, Leben und Träume geht, die abseits des großen Rampenlichts passieren.
Anlässlich des Internationalen Weltfrauentages präsentiert Das kleine Fernsehspiel ab dem 8. März 2021, im ZDF die Reihe „Drei Filme von Frauen über Frauen“. Alle Filme sind ab Sonntag, 7. März 2021, in der ZDFmediathek abrufbar.
Im Rahmen dieser Reihe werden folgende Filme gezeigt:
Lift like a Girl Dokumentarfilm, Ägypten 2020, R: Mayye Zayed
80.000 Schnitzel Dokumentarfilm, Deutschland 2020, R: Hannah Schweier
Frauenzimmer – Lust kennt kein Alter Dokumentarfilm, Deutschland 2011, R: Saara Aila Waasner