Der renommierte Schulbuchverlag Klett soll seine rassistische Schulbuchreihe «Meine Indianerhefte» einstellen. Das zumindest fordert der Verein glokal e.V. in einem offenen Brief. Die kritisierten Hefte sind Lernmaterialien für Grundschulkinder, die mit Anoki, einem kleinen «Indianer» illustriert sind. Der Klett-Verlag hat reagiert und glokal e.V. ein Gesprächsangebot gemacht.
glokal kritisiert die Schulhefte dafür, dass sie Native Americans als Maskottchen für Werbezwecke missbrauchen und sie klischeehaft darstellen würden. Diese Kritik wird von Organisationen der Native Americans und 200 anderen Unterzeichner_innen aus Schule, Politik und Wissenschaft unterstützt. Seitens Vertreter_innen der Native Americans in den USA werden seit Jahren Kampagnen wie «We are a culture, not a costume» und «Not your mascot» betrieben, um auf die rassistische Diskriminierung aufmerksam zu machen.
Ein Interview mit glokal e.V.
Was ist eigentlich rassistisch daran, sich als «Indianer» zu verkleiden und an Zeichnungen in Schulheften mit einem «Indianer»?
Ziemlich leicht zu erklären ist, dass es Menschen gibt, die sich heute als Native Americans bezeichnen. Die wollen nicht, dass du dich so verkleidest. Punkt. Wieso muss man da noch weiter diskutieren? Ab hier wird es absurd. Wer kann sich denn so eine Freiheit herausnehmen, sich dann trotzdem zu verkleiden? Natürlich sind das Menschen, die sonst im Alltag nicht diskriminiert werden und nicht zu «Anderen» gemacht werden.
Das Problematische ist im Prinzip, sich zentrale Merkmale wie Federschmuck anzueignen, obwohl die bei den Native Americans nur für einen ganz speziellen Kontext da sind und nur ganz bestimmte Menschen das tragen dürfen. Das ist eine Beleidigung und Diskriminierung der Menschen.
Und zum anderen ist es ein Symbol für Rassismus, weil Verkleidung als eine kulturelle Aneignung immer entlang einer «Rassen»-Hierarchie-Skala von oben nach unten gemacht wird: Weiße Menschen tragen Dreadlocks und verkleiden sich mit Baströckchen – das ist ein Zeichen von Überlegenheit nach dem Motto «Wir können uns das leisten, wir müssen uns keine Gedanken machen, ob die Menschen, die wir imitieren, das gut finden oder nicht.»
Deswegen haben auch viele Schwarze und Wissenschaftler of Color unseren offenen Brief mitunterschrieben. Es ist ein Thema, das sie genauso betrifft. Auch Kinder of Color werden mit den «Indianerheften» vom Klett-Verlag in Deutschland nicht adäquat beschult. Jede_r hat aber das Recht darauf, nach seinen_ihren Bedürfnissen beschult zu werden. Das wird Schwarzen Kindern und Kindern of Color sowieso permanent verwehrt.
Und das Besondere bei dem Thema Verkleiden als «Indianer» ist auch die Verbindung zu Cowboys: Wenn man weiß, dass in Nord- und Südamerika 95–98 Prozent der Bevölkerung umgebracht wurde, dann ist klar: Das war Völkermord. Und wie absurd wäre es, zu irgendeinem anderen Völkermord Faschingsspiele auszurichten? Grade in Deutschland… Das zeigt einfach auch, dass in der deutschen Gesellschaft bisher sehr wenig Wissen und Bewusstsein für die Geschichte und aktuelle Debatten von Native Americans vorhanden ist.
Wie wurdet ihr auf «Meine Indianerhefte» das erste Mal aufmerksam?
Uns hat eine Kollegin, die in der Lehrerausbildung tätig ist, darauf hingewiesen. Werbung mit stereotypen Bildern über Native Americans gibt es viele, aktuell z.B. von REWE oder der Zigarettenindustrie. Wir haben gedacht, beim Klett-Verlag es ist einfach nochmal was anderes: Da gibt es Hoffnung auf Umdenken, weil der Klett-Verlag einen Bildungsauftrag hat. Sie schmücken sich dort ja auch damit, dass sie diskriminierungsfreie Materialien auf den Markt bringen wollen.
Der Verlag scheint bisher das Problem der Wahrnehmung von «Indianern» als Kostüm nicht zu kennen.
Von den ganzen Autor_innen der Schulhefte hat wahrscheinlich niemand mit Native Americans gesprochen. Wir haben auch einige Unterschriften von Native Americans in den USA und Kanada, die zu den Schulheften ganz klar sagen: «Wir fühlen uns als First Nation oder Native Americans nicht repräsentiert. Das ist eine stereotype Darstellung und historisch inkorrekt.»
Klett-Mitarbeitende standen für Werbezwecke auf der didacta-Messe 2015 in Hannover sogar mit Federschmuck auf dem Kopf neben einem Tipi.
Das zeigt einfach nochmal, dass dort wirklich überhaupt gar kein Bewusstsein da ist. Für das Thema, sich zu verkleiden und «Cowboy und Indianer» zu spielen, gibt es in Deutschland kein Bewusstsein, dass das Menschen verletzt, dass es keine Ehrung, sondern Exotisierung ist und dass es dagegen auch Widerstand gibt.
Überrascht es Euch, dass die Klett-Autor_innen und ‑Illustrator_innen diese Diskriminierung der Native Americans nicht reflektieren?
Das ist im Mainstream sehr weit verbreitet, daher wundert uns das nicht. Uns wundert, wie wenig verantwortungsbewusst der Verlag mit so einem Thema umgeht. Es gibt Native Americans, die in Deutschland leben. Wenn man nur einmal das Internet aufmacht, kann man nachlesen, dass niemand so dargestellt werden möchte. Das Interessante bei Klett ist, dass sie die Darstellung nicht für ein Hilfsprojekt oder um auf eine Problematik hinzuweisen – wie etwa in der Entwicklungszusammenarbeit — verwenden, sondern rein zu Vermarktungszwecken. Daher gibt es von unserer Seite auch nicht viel Verhandlungsbereitschaft. Das ist politisch viel zu absurd, Native Americans als Gimmick zu verwenden.
Welche Erwartungen habt ihr an das Gespräch mit dem Klett-Verlag?
Dass sie uns erst einmal ernst nehmen. Aber die Schulhefte sind in so einer hohen Auflage erschienen und derart weit an den Schulen verbreiten, dass Klett sie vermutlich einfach weiter verlegen.
Was empfehlt ihr für eine diskriminierungsfreie Bildungsarbeit zum Beispiel in Bezug auf «Indianer»-Spiele?
Was wichtig wäre, wäre ein Buch, das Kinder dort abholt, wo sie sind, und zwar an der Idee, dass sie sich gerne verkleiden wollen, und sie dann mitnimmt auf eine Erzählung, die erklärt, warum das Menschen nicht wollen.
Wir arbeiten oft mit Lehrer_innen und Erzieher_innen zusammen. Viele wollen mal eine «Afrika-Woche» machen. Sie wollen eine Woche «ganz einfach leben», verstecken alle Spielsachen und wollen ganz wild sein und so weiter. Aber durch Nachfragen kommen wir schnell darauf: Dazu braucht man keine «Afrika-Woche». Sie können einfach ganz wunderbar eine Woche «einfach Leben» spielen. Sie können gerne alle Spielsachen verbannen – ich finde das eine super Idee –, sie können auch vom Boden essen, aber man braucht nicht den Umweg über den Exotismus. Und genauso ist es beim Thema «Indianer spielen». Verkleiden ist toll, aber ich muss dafür niemanden diskriminieren.
Kurz gesagt: Es ist ein Thema, wozu es in Deutschland unfassbar viel Diskussions- und Bildungsbedarf gibt. Und wir hoffen, dass wir über den offenen Brief an Klett auch jenseits von Klett eine Diskussion anregen können.
Uns hat vorhin eine Mutter angerufen und erzählt, dass es an der Schule ihrer Kinder seit Anfang des Schuljahres diese «Indianerhefte» gibt und dass dort viele Eltern darüber diskutiert haben. Das ist doch schon ein wichtiger Schritt. Letztendlich wäre es natürlich am besten, wenn Eltern und Lehrer_innen diese Hefte einfach nicht bestellen.
glokal e.V. besteht seit 2006 und ist ein Berliner Verein für machtkritische Bildungsarbeit. Sie bieten Seminare, Workshops und einen machtkritischen-systemischen Beratungsansatz an. Der offene Brief an Klett wurde am 14. September 2015 auf ihrer Inernetseite gepostet.