«We will rise»-Ausstellung zur Refugee-Bewegung
Kurz vor der Ausstellungseröffnung Anfang August kam es zu einer heftigen Debatte. Im Hof des Friedrichshain-Kreuzberg-Museums diskutierten die Ausstellungsmacher_innen mit der Museumsleitung darüber, ob und wie die Refugee-Bewegung die Politik des Bezirks kritisieren darf. Der Bezirksteil Kreuzberg war einer der Kristallisationspunkte der neuerlich erstarkten Bewegung der letzten Jahre. Hier befinden sich der Oranienplatz mit dem berühmt gewordenen Protestcamp und die mit einem massiven Polizeiaufgebot geräumte Gerhart-Hauptmann-Schule.
Martin Düspohl, der Leiter des Museums, war mit einer Ausstellungstafel im Eingangsbereich nicht einverstanden. Auf der Tafel erhebt Turgay Ulu, ein Refugee-Aktivist, Vorwürfe gegen Bezirksbürgermeisterin Monika Hermann und ihre Politik gegenüber der Bewegung. So hörten die Gäste der Eröffnungsveranstaltung eine lautstarke Diskussion, in der es letztendlich darum ging, wer über die Inhalte und den Aufbau der Ausstellung bestimmen darf.
In seinem Kommentar aus dem Jahr 2014 kristisiert Turgay Ulu die Bürgermeisterin. Der Text ist überschrieben mit der Frage: «Was ist der Unterschied zwischen Henkel und Hermann?», also zwischen der grünen Bezirksbürgermeisterin und dem Berliner CDU-Innensenator.
Die Kritik der Museumsleitung an Ulus Kommentar betrifft aber nicht nur den Inhalt, sondern besonders dessen zentrale Position als erste Tafel der Ausstellung. Hörbar für die bereits erschienen Gäste der Eröffnung sprach der Museumsleiter die Ausstellungsmacher_innen im Museumshof darauf an. Im Eingangsbereich würde sie als «Einführung» gelesen werden. Mehrmals bat er darum, die Tafel doch wenigstens an einer anderen, weniger zentralen Stelle zu platzieren. Er sei der Ansicht, dass die Ausstellungsplatte an diesem Ort die komplette «We will rise»-Ausstellung diskreditiere.
Die Ausstellungsmacher_innen reagierten sichtlich empört. Sie widersprachen der Einschätzung Düspohls, es handele sich bei dem fraglichen Kommentar zur Rolle der Bürgermeisterin um einen «persönlichen Angriff». Stattdessen kritisierten sie mehrmals, gerade der grün regierte Bezirk habe der Bewegung auch eine Menge Schaden zugefügt. Mit ruhiger Stimme versuchte einer der Aktivist_innen zu erklären, warum die Kritik im Eingangsbereich stehen soll: Wenn dieser Text die Bezirkspolitik nicht zu Beginn der Ausstellung kritisiere, könne diese auch als eine des Bezirks in seinem eigenen Museum wahrgenommen werden. Die Aktivist_innen der Refugee-Bewegung und des Ausstellungskollektivs schienen sichtlich verärgert darüber, dass Außenstehende sich berufen fühlten, ihnen zu sagen, was zu ihrer Bewegung und zur Ausstellung der Bewegung gehöre.
Mit Fotos und Texten dokumentiert die Ausstellung die Refugee-Bewegung seit ihrem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin im Herbst 2012 bis zum Mai 2015. Das Ausstellungskollektiv erzählt in vier Sprachen (Englisch, Arabisch, Französisch und Deutsch) von einzelnen Stationen und den vielen Protestformen der Geflüchteten. Die Besucher_innen besteigen passend zum Titel (dt. «Wir werden aufsteigen»/«Wir werden uns erheben») dabei die gut 90 Treppenstufen im Glasturm des Museums. Ein Schwerpunkt liegt auf der Zeit der Besetzung und Räumung des Oranienplatzes sowie der ehemaligen Gehart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße. An den Ausstellungstafeln sind immer wieder «Post-its» angebracht und die Aufforderung an alle Besucher_innen: «Füge dem Zeitstrahl gerne etwas hinzu». Die Ausstellung soll ein interaktiver und kontroverser Ort sein. Besucher_innen werden aufgefordert, etwas hinzuzufügen und mitzureden. Die Ausstellung ist gleichzeitig Archiv für die Materialien der Protestbewegung: Flyer und Plakate von Demonstrationen, Transparente mit den Forderungen der Refugees bis hin zu den entwickelten Strategien sowie Videos und Musik der Besetzungszeit sind dort dokumentiert.
In der Diskussion bei der Eröffnung war dem Museum sichtbar wichtig, nicht als Zensur-Instanz aufzutreten. Sein Leiter bekräftigte, es wolle eine marginalisierte Perspektive ausstellen und die Refugees hätten die Möglichkeit, diesen Raum für die Darstellung ihrer Position zu nutzen. Aber er verfiel dabei in einen väterlichen Ton, wenn er ein ums andere Mal wiederholte, besser als die Ausstellungsmacher_innen selbst einschätzen zu können, wie sie ihre Ziele erreichen: «Ich kann nicht verstehen, warum Sie Ihre eigene Ausstellung diskreditieren wollen.»
Letzten Endes blieb der Text, wo er hingestellt wurde: Im Eingang des Glasturms. Trotz der angespannten Stimmung konnten alle Beteiligten in ihren Eröffnungsreden die Diskussion auch schätzen. Sie waren sich einig darin, dass das Ziel der Ausstellung, auch kontroverse Debatten anzustoßen, bereits erreicht worden sei. Seit kurzem ist dieser Erfolg sogar noch deutlicher: Denn mittlerweile ist neben der Ausstellungstafel mit der Kritik von Turgay Ulu auch eine Antwort der Grünen aufgetaucht. Eine zweite Tafel steht jetzt jener von Ulu genau gegenüber. Darauf geht Jana Borkamp, grüne Bezirksstadträtin in Kreuzberg-Friedrichshain, detailliert auf die Kritik ein: Sie moniert darin, dass Ulus Tafel erst am Morgen der Eröffnung von den Ausstellungsmacher_innen hinzugefügt wurde und mit dem Museum nicht abgesprochen war.
Sie rechtfertigt das Verhalten der grünen Bezirkspolitik und schreibt, das Bezirksamt habe sich immer um Verständigung mit der Bewegung bemüht. Der Verhandlungsweg sei auch wegen des Verhaltens seitens der Refugee-Aktivist_innen gescheitert.
Mit den beiden kontroversen Ausstellungstafeln im Museum beschuldigen sich beide Konfliktparteien ein weiteres Mal gegenseitig, die Verantwortung am Scheitern der Verhandlungen zu tragen. Aber die Dokumentation dieser Auseinandersetzung in einem öffentlichen und transparenten Rahmen wie auf Tafeln in einer Ausstellung, die auch Archiv einer politischen Bewegung sein will, ist eine neue, spannende Form. Außerdem wird hier ermöglicht, dass an der Diskussion nicht nur die direkt Beteiligten, wie Politiker_innen und Aktivist_innen, teilnehmen. Stattdessen sind dort alle Besucher_innen als Beteiligte der Gesellschaft herausfordert, ihre Meinungen einzubringen oder auch ihr Wissen in der Ausstellung zu archivieren.
Die Erstellung der Ausstellung «We will rise» wurde finanziell von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Seit dem 6.8.2015 bis Ende Oktober 2015 ist sie im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum zu sehen. Der Eintritt ist frei. Video zur Eröffnung im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum
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