Marathon auf dem Balkan

Foto: bordermonitoring.eu
Von Akti­vis­ten ange­brach­te Weg­wei­ser (Foto: bor​der​mo​ni​to​ring​.eu)

Nach­dem wir nun seit eini­gen Tagen auf der Bal­kan­rou­te unter­wegs sind, habe ich mehr und mehr das Gefühl, einem Mara­thon über etli­che Län­der hin­weg zu fol­gen. Den Flücht­lin­gen dürf­te es ähn­lich gehen: Es geht nicht nur dar­um, das Ziel schnellst mög­lich zu errei­chen – die meis­ten sind erst vor weni­gen Tagen aus der Tür­kei auf­ge­bro­chen – son­dern es gibt an etli­chen Punk­ten auch «Ver­sor­gungs­sta­tio­nen», wo Was­ser, Obst, Koh­len­hy­dra­te und medi­zi­ni­sche Betreu­ung ange­bo­ten wer­den. Eben wie bei einem Mara­thon. Orga­ni­siert wird das von NGOs, dem UNHCR, dem Roten Kreuz, etli­chen loka­len Akti­vis­ten und Unter­stüt­zern aus ganz Euro­pa. Das Gan­ze wirkt manch­mal auch ein wenig absurd, nicht nur weil es (von Akti­vis­ten ange­brach­te) Weg­mar­kie­run­gen gibt, son­dern auch, weil es nicht sel­ten vor allem dar­um geht, die eige­ne «Wohl­tat» best­mög­lich in Sze­ne zu setz­ten. Also etwa sofort Schil­der der eige­nen Orga­ni­sa­ti­on im Hin­ter­grund zu plat­zie­ren, die dann – natür­lich mit «dank­ba­ren» Flücht­lin­gen im Vor­der­grund – foto­gra­fiert wer­den. Aber: Das trifft natür­lich nur für einen Teil der enga­gier­ten Grup­pen zu. Heu­te zum Bei­spiel haben wir eine Vokü aus Regens­burg und tsche­chi­sche Akti­vis­ten getrof­fen, die sich spon­tan orga­ni­siert haben und ein­fach los­ge­fah­ren sind, ohne pri­mär sich selbst zu doku­men­tie­ren. Hut ab. Das ist das Euro­pa, das ich mir vor­stel­le. Aber der Rei­he nach. Unse­ren letz­ten Bei­trag been­de­ten wir mit Bil­dern von einem abfah­ren­den Zug in Gev­ge­li­ja. Nach etwa sechs Stun­den Fahrt errei­chen die drei bis vier Züge täg­lich den Bahn­hof in Tab­a­nov­ce. Die­ser liegt direkt an der Gren­ze zu Ser­bi­en. Die Bahn­glei­se ver­lau­fen etwa 500 Meter par­al­lel zum offi­zi­el­len Auto­bahn-Grenz­über­gang. Fak­tisch geht der infor­mel­le Grenz­über­tritt zu Fuß ent­lang der Bahn­glei­se sogar schnel­ler als der «offi­zi­el­le» im Auto. In die­sen Vide­os ist zu sehen, was sich kurz vor bzw. nach der Ankunft des Zuges in Tab­a­nov­ce abspielt:

Die Meta­pher vom Mara­thon ist übri­gens nicht ganz rich­tig. Viel­mehr han­delt es sich um einen Tri­ath­lon, bei dem das Mit­tel der Fort­be­we­gung per­ma­nent gewech­selt wer­den muss: Es geht nicht nur zu Fuß oder mit dem Zug vor­an, son­dern auch mit dem Bus, wie in dem fol­gen­den Video zu sehen. Die­ses haben wir in Pre­se­vo (Ser­bi­en) auf­ge­nom­men, das die Flücht­lin­ge nach ihrem Marsch aus Gev­ge­li­ja ent­lang er Glei­se errei­chen. Dort wer­den die Flücht­lin­ge nach dem Grenz­über­tritt mit UNHCR-finan­zier­ten Bus­sen zu einem soge­nann­ten «One stop cent­re» in der Stadt gebracht, nach­dem sie eini­ge Stun­den – wie an der maze­do­nisch-ser­bi­schen Gren­ze – in einem Camp direkt an der Gren­ze ver­bracht haben. Der Fuß­marsch zu die­sem Camp beträgt etwa sie­ben Kilo­me­ter. Behin­der­te und sons­ti­ge Per­so­nen, die sich nur schwer fort­be­we­gen kön­nen, wer­den aller­dings bereits nach drei Kilo­me­tern von (eben­falls UNHCR-finan­zier­ten) Klein­bus­sen abge­holt. Übri­gens leis­ten auch in Pre­se­vo Frei­wil­li­ge des «Youth Forum at the Demo­cra­tic Par­ty of Alba­ni­ans – Pre­se­vo» fan­tas­ti­sche Arbeit, die alle­samt knall­ro­te T‑Shirts mit der Auf­schrift «Refu­gees wel­co­me» tragen:

«Here was war. Not like in Syria. Here was not real war, but in Koso­vo. But we were afraid and we were going to Mace­do­nia, like the refu­gees. After two months, I was going back like the refu­gees, on the same road like the refu­gees now. It was the same road. I know that felling.»

Ganz zu Beginn des fol­gen­den Vide­os ist auf der lin­ken Sei­te die Schlan­ge für die Regis­trie­rung zum «One stop cent­re» zu sehen. Gezwun­ge­nen wird aller­dings nie­mand, sich hier zu mel­den. Viel­mehr geht es dar­um, sich offi­zi­ell als Asyl­su­chen­der in Ser­bi­en regis­trie­ren zu las­sen, womit man ein Papier erhält, wel­ches einen auf­for­dert, sich inner­halb von 72 Stun­den in einer der ser­bi­schen Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu mel­den. Tat­säch­lich fährt dort aller­dings nie­mand hin. Fak­tisch han­delt es sich um ein Tran­sit­vi­sum für die Wei­ter­rei­se. Am Ende des Vide­os sind auf der rech­ten Sei­te die Rei­se­bus­se zu sehen, die die Flücht­lin­ge seit eini­gen Tagen nicht mehr nach Bel­grad bzw. Nord­ser­bi­en, son­dern nach Sid an die kroa­ti­sche Gren­ze bringen.

Die­ser Bei­trag gibt ledig­lich die Situa­ti­on wie­der, so wie wir sie in den letz­ten Tagen wahr­ge­nom­men haben. Alles ver­än­dert sich aller­dings per­ma­nent. So erreicht uns etwa gera­de eben die Nach­richt, dass die kroa­ti­sche Poli­zei die Leu­te aus Sid nicht mehr pas­sie­ren lässt und dort nun Tau­sen­de erst mal im Korn­feld fest hän­gen. So gut orga­ni­siert die «Ver­sor­gung­sta­tio­nen» in unse­ren Vide­os auch erschei­nen mögen, von jetzt auf gleich Tau­sen­de Men­schen zu ver­sor­gen, über­for­dert auch sie umge­hend. Unter­stüt­zung ist also nach wie vor drin­gend not­wen­dig. Wich­tig ist dabei, dass ihr bereits im Vor­feld eurer Rei­se Kon­takt mit Leu­ten auf­nehmt, die bereits vor Ort sind und ein­schät­zen kön­nen, was gera­de wo gebraucht wird. Und vor allem: Ihr müsst unbe­dingt fle­xi­bel sein kön­nen, was ins­be­son­de­re bedeu­tet, dass Autos bzw. Trans­por­ter not­wen­dig sind.

 

Marc Speer arbei­tet für den Ver­ein bor​der​mo​ni​to​ring​.eu.