Ob Ost, ob West: Braune Berliner Kontinuitäten

Immer wie­der? Aus­stel­lung in der Zionskirche

Die Kon­ti­nui­tät

Manch­mal erstaunt es, wie über­rascht man­che Men­schen auf die immer stär­ke­re Sicht­bar­keit der extre­men Rech­ten oder auf die Auf­de­ckung des NSU reagie­ren. Eine Wan­der­aus­stel­lung in Ber­lin unter­nimmt nun den Ver­such, die aktu­el­len Ver­hält­nis­se in einen his­to­ri­schen Kon­text zu set­zen und auf­zu­zei­gen, dass vie­le heu­ti­ge Struk­tu­ren eigent­lich kein neu­es Phä­no­men dar­stel­len. Die Aus­stel­lung trägt den Titel  „Immer wie­der? Extre­me Rech­te und Gegen­wehr in Ber­lin seit 1945“ und betrach­tet bei­spiel­haft an zehn Ereig­nis­sen die Kon­ti­nui­tät neo­fa­schis­ti­schen Den­kens und Han­delns im Ber­li­ner Kontext.

Das beson­de­re an der Aus­stel­lung ist, dass – im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Bei­trä­gen zum The­ma – die Ereig­nis­se hier nicht als sin­gu­lä­re Aktio­nen ver­ein­zel­ter rech­ter Aktivist*innen dar­ge­stellt wer­den, wel­che außer­halb der Gesell­schaft, wie aus dem Nichts her­aus pas­sie­ren. Viel­mehr wer­den hier die Kon­ti­nui­tä­ten der neo­na­zis­ti­scher For­mie­rung seit 1945 deut­lich gemacht und die wie­der­keh­ren­den Stra­te­gien der Rech­ten bis heu­te, und zwar in West- wie Ost­ber­lin, herausgearbeitet .

Der Schwer­punkt auf die Ste­tig­keit von rech­tem Akti­vis­mus und des­sen Ein­bet­tung in die Gesell­schaft ist auch des­halb so beson­ders, wider­spricht die­ser Fokus doch dem fast täg­lich beschwo­re­nen Selbst­bild einer deut­schen Erfolgs­ge­schich­te der Über­win­dung des Natio­nal­so­zia­lis­mus in Nach­kriegs­deutsch­land. Der Zugang zu den Bei­spie­len ist mul­ti­per­spek­ti­visch: zu jedem Bei­spiel wird auch die gesell­schaft­li­che Reak­ti­on und anti­fa­schis­ti­scher Wider­stand dokumentiert.

Der Ort

Die Zions­kir­che bie­tet als ers­te Sta­ti­on der Wan­der­aus­stel­lung eine geschichts­träch­ti­ge Kulis­se, beson­ders eines der dar­ge­stell­ten  Bei­spie­le der Aus­stel­lung. Hier fand im Okto­ber 1987 ein Kon­zert für Jugend­li­che aus dem Umfeld der DDR-Oppo­si­ti­on statt, mit der Ost­ber­li­ner Punk­band „Die Fir­ma“ und der noch heu­te erfolg­rei­chen Band „Ele­ment of Crime“ aus West­ber­lin. Gegen Ende des Kon­zer­tes stürm­ten Neo­na­zis die Kir­che und schlu­gen auf die Besucher*innen ein, wäh­rend die Volks­po­li­zei um die Ecke stand und taten­los zusah. Die Aus­stel­lung zeigt Fotos die­ser Sze­nen und zitiert Zeu­gen­aus­sa­gen zu der Stür­mung des Kon­zer­tes, wel­che durch die sakra­le Stim­mung des Kir­chen­rau­mes und die hip­pen Cafés in der Umge­bung heu­te gera­de­zu sur­re­al wir­ken. Das Kon­zert in der Zions­kir­che kann als ein Wen­de­punkt in der Geschich­te de  Neo­na­zis­mus in der DDR gese­hen wer­den, da nun die Exis­tenz orga­ni­sier­ter „Faschos“ nicht mehr geleug­net wer­den konn­te; auch in einem Staat, der sich per defi­ni­tio­nem als anti­fa­schis­tisch ver­stand, waren Aktio­nen von Skin­heads und ande­ren Rech­ten an der Tagesordnung.

Ein sanf­ter Brand­ge­ruch beglei­tet die Besucher*innen, ent­stan­den in der Nacht vor der Aus­stel­lungs­er­öff­nung durch eine durch­ge­schmor­te Bau­lam­pe im zum Teil ein­ge­rüs­te­ten Kir­chen­in­nen­raum, und macht das Gesche­he­ne doch etwas vorstellbarer.

Aktionsformen

Eini­ge The­men der Aus­stel­lung machen auch noch ein­mal deut­lich, dass die Aneig­nung oder Pira­te­rie eigent­lich „tra­di­tio­nell“ lin­ker Akti­ons­for­men auch nicht erst seit der Ent­ste­hung der neu­rech­ten „Iden­ti­tä­ren Bewe­gung“ ein The­ma ist. In den 1990ern ent­wi­ckel­te sich bei­spiels­wei­se eine rech­te Hausbesetzer*innenszene in der Weit­ling­s­tra­ße Lich­ten­berg – eigent­lich ein Bruch mit den Kon­ven­tio­nen, da Haus­be­set­zun­gen bis dahin eher eine Akti­ons­form lin­ker Grup­pen waren. Bis heu­te ist der Weit­ling­kiez in Lich­ten­berg des­halb mit der Neo­na­zi­sze­ne konnotiert.

Erschre­cken­de Par­al­le­len zu heu­te lie­gen auch in den dar­ge­stell­ten Details. In den 1990ern schon ver­brei­te­ten Rech­te Kle­be­zet­tel (mit z.B. höchst krea­ti­ven Sprü­chen wie Asy­lan­ten raus! oder Jagd die Lin­ken, weil sie stin­ken), qua­si eine Metho­de um das „Revier zu mar­kie­ren“ und Räu­me sym­bo­lisch zu bele­gen. Die­se Stra­te­gie wird auch von der heu­ti­gen Rech­ten gepflegt; Sti­cker der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung sind im ver­schie­de­nen deut­schen Städ­ten unüber­seh­bar präsent.

Hingehen!

Der lokal­ge­schicht­li­che Fokus der Aus­stel­lung hät­te dazu füh­ren kön­nen, dass die eigent­lich kri­ti­sier­te Iso­lie­rung ein­zel­ner Ereig­nis­se und die Ver­schleie­rung grö­ße­rer Zusam­men­hän­ge repro­du­ziert wird. Doch die Bei­spie­le aus Lich­ten­berg, Neu­kölln, Plöt­zen­see oder Prenz­lau­er Berg rücken die Ereig­nis­se der letz­ten Jahr­zehn­te in eine so greif­ba­re Nähe, was ein Weg­se­hen und Von-Sich-Schie­ben unmög­lich macht.

Die Inhal­te sind über­sicht­lich auf über­manns­ho­hen Holz­ta­feln ange­bracht, die in der Kir­che ver­teilt dazu ein­la­den, von einer The­ma­tik zur ande­ren zu wan­dern. Mit Kopf­hö­rern kön­nen Zeu­gen­aus­sa­gen im Ori­gi­nal­ton, Radio­bei­trä­ge aus den letz­ten Jahr­zehn­ten oder Ver­an­stal­tungs­mit­schnit­te zu den jewei­li­gen Berei­chen ange­hört wer­den. Klei­ne­re Infor­ma­ti­ons­ta­feln sor­gen dafür, dass bestimm­te Begrif­fe noch ein­mal erklärt wer­den – bei­spiels­wei­se mit Erläu­te­run­gen zu „Skin­heads“, zu den „V‑Leute“ genann­ten Spit­zeln der Inlands­ge­heim­diens­te oder zu einem umkämpf­ten Schlag­wort wie „Hege­mo­nie“. Die gan­ze Auf­ma­chung der Tafeln ist dar­auf ange­legt, dass man auch ohne gro­ße Vor­kennt­nis­se die beschrie­be­nen Ereig­nis­se gut ver­ste­hen und ein­ord­nen kann, und das scheint auch ohne Ver­ein­fa­chun­gen, Pole­mik oder Ver­harm­lo­sung zu funktionieren.

Durch die Zusam­men­ar­beit des Anti­fa­schis­ti­schen Pres­se­ar­chivs und Bil­dungs­zen­trums (apa­biz) und dem Akti­ven Muse­um ist also eine Aus­stel­lung ent­stan­den, die in ihrer Über­sicht­lich­keit gleich­wohl ein sehr direk­tes und fass­ba­res Bild von Aktio­nen der extre­men Rech­ten und den Wider­stän­den dage­gen auf­macht. In der Aus­stel­lung wer­den von Fuß­ball über Wahl­kampf bis hin zu Anti-Anti­fa vie­le The­men­be­rei­che auf­ge­macht und somit ein wirk­lich wei­ter Bogen gespannt, der die Aus­ma­ße rech­ter Aktio­nen und Ein­fluss­nah­me greif­bar macht. Und gleich­zei­tig indi­rekt dazu auf­ruft, aktu­el­le Ent­wick­lun­gen nicht zu unter­schät­zen und laut zu wer­den gegen eine Faschi­sie­rung von Tei­len der Gesellschaft.

Die Aus­stel­lung kann noch bis zum 30. April 2019 in der Zions­kir­che (Prenz­lau­er Berg) besucht wer­den, danach noch im Rat­haus Neu­kölln (10. Mai – 16. Juni 2019) und um August Bebel Insti­tut im Wed­ding (18. Juni – 15. Juli 2019).

 

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