
Aufklärung für Burak
Die essentielle Frage „Wer hat Burak ermordet?“ war schon 2012 im Jahre seines gewaltsamen Todes auf einem roten Banner der „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ zu lesen. Seit sieben Jahren ist sie nicht beantwortet; das Banner ist nach wie vor aktuell und verweilt die gesamte Veranstaltung über auf seinem Platz hinter der Bühne. Das große Stichwort der diesjährigen Gedenkveranstaltung ist weniger Gedenken als Aufklärung. Aufklärung des Mordes an Burak, Aufklärung über die Zusammenhänge zu anderen neonazistischen und rassistischen Taten, Aufklärung über die Rolle staatlicher Behörden in diesem Kontext.
Vor einem Jahr ist ganz in der Nähe des Tatortes eine zwei Meter hohe Bronzestatue der Künstlerin Zeynep Delibalta zum Gedenken an den Ermordeten enthüllt worden, sie trägt den Titel „Algorithmus für Burak und ähnliche Fälle“. Während der Veranstaltung legen immer wieder Menschen Blumen und Sträuße auf dem Sockel der Statue ab, auf dem auch mehrere Bilder von Burak zu sehen sind. Kurz nach der Enthüllung letzten Jahres übergossen Unbekannte die Statue mit Chemikalien und beschädigten sie so – ein weiterer beängstigender Akt vermutlich rassistischer Art, der unaufgeklärt geblieben ist .
Zusammenhänge und Zusammenhalt
Zahlreiche Initiativen, Familienangehörige und Einzelpersonen beteiligen sich an den der Kundgebung. „Wir wollen zusammen leben, wir wollen zusammen sein. Wir wollen keine Kämpfe, keine Kriege“, sind die eröffnenden Worte von Buraks Großmutter. Faruk Arslan, der bei dem rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 Mutter, Tochter und Nichte verlor, betont in seinem Redebeitrag, dass er solange wiederkomme, bis der Mord an Burak aufgeklärt sei. Alle Menschen, deren Leben durch Naziterror zerstört wurde, sollten hier zusammenkommen und sich gegenseitig Kraft geben. Seine Solidarität und Anteilnahme mit dem Fall in Berlin wird noch deutlicher mit seinen Worten: „Wir sind auch eine Familie Bektaş“. Der Zusammenhalt von Menschen, die Angehörige durch rassistische und neonazistische Gewalt verloren haben, zeigt sich bei dieser Veranstaltung in beeindruckender Weise. Auch Candan Özer-Yılmaz, die Witwe des 2017 an den Spätfolgen des Nagelbombenanschlags des NSU in der Kölner Keupstraße verstorbenen Atilla Özer ist anwesend. Sie spricht davon, dass sinnlose Mittagessen mit Merkel die fehlenden Therapieangebote für Betroffene rassistischer Anschläge nicht ersetzen würden und sie das ewige Gerede von Integration nicht mehr hören könne. „Integriert euch mit unseren Geschichten“, ist ihre klare Ansage an die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Während die Namen der NSU-Mörder*innen in der deutschen Öffentlichkeit fast ikonisiert werden, bleiben die Namen der Opfer oft unbenannt .
Unzureichende Ermittlungen
Während der Gedenkveranstaltung gibt die Burak-Initiative eine ausführliche kritische Bestandsaufnahme des Ermittlungsverfahrens: An wie vielen Ecken und Enden die Behörden ungenau gearbeitet hätten, sei erschreckend. Dass schon nach drei Monaten keine Zeug*innen mehr vernommen wurden, dass das analysierte Überwachungsvideo eines BVG-Busses von einem falschen Fahrzeug stammte, dass drei Hinweisen , die einen Zusammenhang mit dem Nazi Rolf Z. anregen, nicht nachgegangen wurde, sind nur ein paar Beispiele der unzureichenden Ermittlungsarbeit.

Das Stichwort struktureller Rassismus drängt sich auch im Falle von Burak Bektaş mal wieder auf. Das Anwält*innenteam der Familie kritisiert, dass ein rechtes Motiv oder mögliche Spuren, die in die Neonaziszene führen, während des Ermittlungsverfahrens kaum eine Rolle spielten. Dabei klingt die Befürchtung mit, dass der Staatsschutz – zuständig für politisch motivierte Kriminalität und auch für rassistische Verbrechen – selbst von rassistischen Strukturen durchzogen ist. Nur kurz erwähnt seien hier Drohbriefe an die linke Szene oder Chats mit rechten Parolen, ausgehend von Beamt*innen des Berliner Staatsschutzes. Auch die reflexartigen Ermittlungen in Richtung „Ehrenmord“ zeugen von der strukturellen Verankerung rassistischer Vorannahmen innerhalb der Polizei. Die Ermittlungsarbeit der Berliner Behörden wird von den Redner*innen auch mit den Stichworten Untätigkeit, Ignoranz und Desinteresse beschrieben; eine Zusammenfassung, die bei den zahlreichen Pannen nicht verwunderlich ist.
Forderung nach Untersuchungsausschuss
Diese Aspekte und noch viel mehr haben dazu geführt, dass die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ die Forderung nach einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss stellt, um die ergebnislosen Ermittlungsarbeiten zu untersuchen. Bisher verhallen trotz rot-rot-grüner Regierung alle Aufklärungsappelle in Richtung rechten Terrorismus’ ohne Wirkung, auch im Zusammenhang mit dem „Wirken“ des NSU und der entsprechende Behördenarbeit in Berlin. Mit den Verstrickungen des Berliner Inlandsgeheimdienstes, Behördenleaks gegenüber der Presse und Verbindungen Berliner Beamt*innen in die rechte Szene hätten entsprechende Untersuchungsausschüsse genug zu tun. Stadtoffiziell scheint man sich jedoch an die eigenen Beamtenschaft nicht dran zu trauen.
Eine Ungeheuerlichkeit ereignete sich am Tage nach der diesjährigen Gedenkveranstaltung: im Boulevardblatt „Berliner Kurier“ erschien ein Artikel, der den Mord an Burak Bektaş in den Zusammenhang eines misslungenen Raubüberfalls stellt und als einen erklärbaren Racheakt bezeichnet. Diese Falschbehauptung vollführt einmal mehr die altbekannte Täter-Opfer Umkehr, was die Familie des Ermordeten mit Entsetzen erfüllte und die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss noch dringlicher macht.
Genau vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig Initiativen wie die zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş sind: Die Geschichten der Betroffenen werden davor geschützt, diffamiert zu werden oder in Vergessenheit zu geraten. Auch bleibt die behördliche Arbeit nicht unhinterfragt und die Problematik mangelnder Ermittlungen in Richtung rassistischer oder neonazistischer Motive wird skandalisiert.