„Es ist bezeichnend, dass ich mich hier vor Gericht verantworten muss und die, die Profit mit dem Tod machen, nicht auf der Anklagebank sitzen“, beginnt Lukas B. seine Stellungnahme vor dem Landgericht Berlin (LG), wo er im Rahmen einer Protestaktion des anti-militaristischen Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen!“ aus dem Jahr 2019 angeklagt ist. Eine Stunde nach Prozessbeginn ist das Verfahren auch schon beendet und das Bündnis feiert einen Erfolg: B.s Anklage wegen Widerstands und tätlichem Angriff auf Polizeibeamte wird unter Auflagen fallengelassen.
„War starts here — lets stop it here“
Der junge Mann aus Celle hatte im vergangen Jahr mit fast 50 anderen Aktivist*innen die Bühne der Hauptversammlung des Waffenkonzerns Rheinmetall im Berliner Maritim-Hotel besetzt, als der Chef des Konzerns, Armin Papperger, diese betreten wollte, um seine Rede zu halten. Fast eine Stunde war die Veranstaltung unterbrochen, bevor die Polizei die Aktivist*innen von der Bühne holte. Bei dem Wegtragen aus dem Gebäude soll B. einem Polizeibeamten gegen den Oberkörper getreten haben, so heißt es in der Anklage.
Lukas B. ist der Einzige, der sich an diesem Tag vor dem LG für die Aktion verantworten muss. „Das ist eine Strategie des Abkapselns“ sagt ein Aktivist von der Ortsgruppe des Bündnisses aus Celle dazu. Die politische Dimension der Aktion solle verschleiert werden und der Prozess zu einer persönlichen Angelegenheit zwischen der Polizei und B. gemacht werden, erklärt er weiter. Damit die politische Ebene des Antikriegsaktivismus‘ auch am Tag der Gerichtsverhandlung präsent bleibe, hatte „Rheinmetall Entwaffnen!“ zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude in Moabit aufgerufen. Eine Gruppe von circa 40 Unterstützer*innen des Bündnisses versammelt sich dort schon am frühen Morgen und Sprechchöre hallen durch die Turmstraße. Zwischen großen Bannern mit Aufschriften wie „Rheinmetall tötet“ und wehenden pinken Fahnen leistet die bunt gemischte Gruppe solidarischen Beistand für den Beschuldigten.
Waffenhandel: Undurchsichtiges Geschäft mit dem Tod
Verschiedene Redebeiträge auf der Kundgebung thematisieren die Verbrechen von Riesen wie Rheinmetall. Deutschlands größter Rüstungskonzern steht schon seit Jahren in der Kritik, deutsche Exportbeschränkungen zu umgehen und Waffen in Krisengebiete zu liefern. Die Aktivist*innen sprechen über die Unterstützung der Türkei mit Waffen für zweifelhafte kriegerische Handlungen. Sie sprechen über Syrien, Libyen und den Jemen, um nur einige Länder zu nennen, in denen durch den Vertrieb über Rheinmetall-Tochterfirmen im Ausland immer wieder auch deutsche Waffen für Kriegstote verantwortlich gemacht werden können.
Doch es sind nicht nur die Konzerne wie Rheinmetall, die bei diesem Thema eine Rolle spielen. Eine Studie von Facing Finance und urgewald im Jahr 2016 legte offen, dass verschiedene Banken immer wieder Geld in Rüstung investieren, obwohl eine Mehrheit der Kund*innen laut Umfragen eine Unterstützung der Rüstungsindustrie auf diese Weise ablehnt. Dass die Banken dennoch investieren ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie lukrativ, aber auch wie wenig transparent das Geschäft mit Waffen nunmal ist.
„Es ist wichtig, das Schweigen zu brechen“, sagt Lukas B. im Gerichtssaal. Ruhig und konzentriert liest der junge Mann von einem Papier seine Stellungnahme ab und versucht, in ein paar Minuten die große Komplexität der Thematik zu umreißen. Er sagt, Rheinmetall stehe exemplarisch für ein globales System der Unterdrückung und Ausbeutung. Und er betont, dass es bei dem Prozess an diesem Tag nicht um ihn gehe, sondern um die Kriminalisierung der gesamten Antimilitarismusbewegung. Klatschen und Klopfen sind die Reaktion aus dem Publikum, die Verfahrensbeteiligten verziehen keine Miene. Im Zuhörer*innenbereich des Gerichtssaals haben Teilnehmende der Kundgebung Platz genommen. Teils in schwarzen T‑Shirts mit dem Aufdruck „Healthcare not Warfare“ sitzen sie im Saal und folgen dem Prozessverlauf sonst schweigend.
Solidarisches Ende eines Prozesses: Geld für Prothesen in Rojava
Und der Prozess endet schneller als erwartet: Nach Vernehmung des ersten Zeugen sind sich alle Verfahrensbeteiligten einig: Die Anklage wird fallengelassen. Die vermeintlichen Tritte gegen einen Polizeibeamten, die die Begründung für die Anzeige wegen tätlichen Angriffs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte waren, beschreibt der betroffene Polizist im Zeugenstand nun als „Paddelbewegungen“ von mittlerer Kraft, während die Beine des Angeklagten unter seinem Arm einklemmt waren. Nicht genug für die Anklage, befindet das Gericht. Freigesprochen ist der junge Mann aus Celle dennoch nicht. Das Verfahren wird gegen Zahlung von 300 Euro eingestellt, die gleichen Bedingungen wie sie auch andere Aktivist*innen im Zuge der Protestaktion erhielten.
Als Lukas B. das Gerichtsgebäude verlässt und sich in Richtung Mikrophon bewegt, um noch ein paar Worte zu sagen, bricht Applaus los. Der Aktivist sagt, er wolle schauen, dass die Strafzahlung dort ankomme, wo sie gebraucht werde. Das Geld solle an eine Prothesen-Werkstatt in Rojava, einer autonomen Region in Nordsyrien gehen, wo sich die Situation vor allem seit den jüngsten türkischen Offensiven im vergangenen Jahr immer weiter verschärft.
Inwieweit für das Gericht der politische Rahmen der Aktion von „Rheinmetall Entwaffnen!“ eine Rolle spielte, bleibt fraglich. Aber für das Bündnis ist der Tag dennoch gut gelaufen. Mit dem Fallenlassen der Anklage habe die Kriminalisierung der ganzen Aktion nicht geklappt, sagt Lukas in einer Stellungnahme auf Twitter. Die pinken Flaggen der Protestler*innen wehen munter vor sich hin, während die Gruppe langsam auseinanderströmt und sich bereit macht für einen noch lange nicht beendeten Kampf.