
Das Thema rechte, antisemitische und rassistische Gewalt war vergangene Woche Thema einer Pressekonferenz im Haus der Demokratie und Menschenrechte: Die Dokumentations- und Beratungsstellen ReachOut, die Berliner Registerstellen und Each One (EOTO e.V.) stellten ihre Ergebnisse und Analysen zu entsprechenden Vorfällen im vergangenen Jahr vor und berichteten dabei von größtenteils steigenden Zahlen.
ReachOut, die Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Berlin, dokumentierte für das Jahr 2019 390 tätliche Angriffe von Körperverletzungen über massive Bedrohungen bis hin zu zwei versuchten Tötungen. Die bisher höchste dokumentierte Zahl seit Start des Projektes im Jahr 2001. Gestiegen seien dabei sowohl die Anzahl an rassistischen motivierten (55%) als auch die LGBTIQ*-feindlichen Angriffe. Die Zahlen sind dabei höher, als die der Polizei, da auch Vorfälle mitaufgenommen werden, die nicht zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer dürfte wohl noch weitaus höher sein. ReachOut-Mitarbeiterin Sabine Seyb beschreibt die steigenden Angriffszahlen mit einer zunehmenden Enttabuisierung des Sag- und Machbaren im politischen Raum, auch jenseits der AfD. Zugleich seien viele unaufgeklärte Gewaltdelikte eine Ermutigung für Täter*innen straffrei agieren zu können, da sie oftmals nicht mit Konsequenzen rechnen müssten.
Die meisten Taten fanden 2019 laut ReachOut in den städtischen Bezirken Berlins statt und ein Großteil an öffentlichen Orten (136). Gestiegen sei gleichzeitig die Zahl an Angriffen, die in privaten Räumen, dem direkten Wohnumfeld, Arbeitsplatz, oder bei Freizeitveranstaltungen vorkämen, von 71 Taten 2018 auf 121 im vergangenen Jahr. So wurden zum Beispiel im Juni vergangenen Jahres in Treptow zwei Schüsse direkt auf die Wohnungstür einer geflüchteten Familie in Adlershof abgegeben — die Kugeln blieben in der Tür stecken. Zuvor sei die Familie wiederholt rassistisch motiviert beleidigt und Zaun und Briefkasten seien zerstört worden. Fälle wie dieser beschreiben die Zuspitzung des gesellschaftlichen Klimas und die wachsende Selbstsicherheit rassistisch motivierter Täter*innen, auch in private Räume einzudringen. Seyb sprach auch über den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau. Sie appellierte in diesem Kontext an die Wichtigkeit, langfristige gesellschaftliche Debatten zu schaffen, um Taten wie diese nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und sich gegen das sich verschärfende politische Klima zu stellen.
Gewalt gegen Schwarze Menschen
Auch Rassismus gegenüber Schwarzen steigt an. In diesem Kontext stellte Jeff Kwasi Klein die Arbeit der im Jahre 2019 neu gegründeten Organisation „Each One monitoring“ vor. Das junge Projekt versteht sich als Erstberatungsstelle bei Anti-Schwarzem Rassismus‘ mit dem Ziel, Betroffene zu empowern und der gleichzeitig rassistisch motivierte Vorfälle in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und zu skandalisieren. Für das Jahr 2019 verzeichnete „Each one monitoring“ 193 Fälle Vorfälle mit rassistischem Hintergrund. Jeff Kwasi Klein berichtet von einem generellen Anstieg Vorfälle dieser Art mit einem gleichzeitigem großen Desinteresse in der Öffentlichkeit. Dies lege den strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft offen, kommentierte Klein, und verdeutliche zugleich den gesteigerten Bedarf von Dokumentierung der Fälle, um die Problematik sichtbarer zu machen.
Das Monitoring von „Each one“ gehe dabei in drei Richtungen: Zum einen sollen mit dem Programm Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen angesprochen werden. Gleichzeitig richtet es sich aber auch an politische Institutionen und Antidiskriminierungsnetzwerke in Berlin. Klein betont die Wichtigkeit von Netzwerken in der Antidiskrimierungsarbeit, die nur über Austausch und gemeinsame Arbeit funktionieren könne. Zentral sei in der Arbeit auch immer ein intersektionaler Blick, da besonders Schwarze Menschen oft von Mehrfachdiskriminierung betroffen seien. So beschreibt er zum Beispiel den Fall einer Mutter, die in der Kita aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache und ihrem Geschlecht auf mehreren Ebenden gleichzeitig diskriminiert wird.
„Each One monitoring“ möchte einen erweiterten Handlungsrahmen schaffen im Kontext dieses Rassismus‚. So sollen die Monitoring-Berichte in Zukunft in Behörden gelangen, um auf dieser Grundlage konkret auf rassistische Strukturen verweisen zu können.
Anstieg rassistischer Beleidigungen und LGBTIQ*-feindlicher Angriffe
Auch die Berliner Registerstellen vermelden ein zunehmend gewaltsames politisches Klima. Für das Jahr 2019 berichten sie von 3277 Vorfällen mit extrem rechtem, rassistischem, antisemitischem, LGBTIQ*-feindlichem, sozialchauvinistischem oder behindertenfeindlichem Hintergrund. Die Definition von „Vorfällen“ ist dabei umfassender als die von ReachOut und beeinhaltet auch nicht-tätliche Angriffe wie Beleidigungen und Propagandadelikte. Die Registerstellen möchten damit, laut Sprecherin Kati Becker, ein generelles gesellschaftliches Klima beschreiben. Die Zahl der Vorfälle habe zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht abgenommen (2018: 3405), die Form habe sich jedoch verändert. Doch die Zahl der tätlichen Angriffe habe eindeutig zugenommen, — nach Angaben von ReachOut von 317 im Jahr 2018 auf 390 im vergangenen Jahr.
Im Januar 2019 sei einer Mitarbeiterin eines Kirchenasyls auf ihrem privaten Telefonanschluss folgende Drohnachricht hinterlassen worden: „Es wird Zeit das du Deutschland verlässt.“ Ein Beispiel für die vielen rassitischen motivierten Vorfälle aus dem vergangenen Jahr. Denn die größte Tatmotivation bleibe Rassismus mit 44 Prozent. Diese Zahl sei zwar ähnlich zu der aus dem Vorjahr, doch es zeige sich, dass es statt nicht tätlichen Bedrohung und verbalen Angriffen immer mehr tätliche Angriffe seien. Auch hier wird von einem sich immer weiter zuspitzenden Klima gesprochen, dass jedes Jahr gewaltvoller werde und mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein von Täter*innen einhergehe, die sich zu rechten, rassistisch motivierten Angriffen ermächtigt fühlten, so Becker.
Signifikant gestiegen seien auch die LGBTIQ*-feindlichen Angriffe, diese hätten sich mit einer Zahl von 222 seit dem Vorjahr mehr als verdoppelt (2018: 109). So sei zum Beispiel am 28. Juli in Köpenick die vor dem Rathaus gehisste Regenbogenfahne von zwei Männern versucht worden zu verbrennen. Dazu kletterten diese bis zum Fahnenmast und verursachten ein Brandloch in der Fahne.
Kati Becker appelliert an die Öffentlichkeit, die brutalen Anschläge der letzten Monate in Hanau und Halle nicht als Randerscheinung, Einzelfälle oder lokale Ereignisse zu verharmlosen, sondern als Ergebnis eines generell verschlechterten gesellschaftlichen Klimas: Das Problem liege vielmehr in der Mitte der Gesellschaft. Ein ähnlich erschreckende Tat könne überall passieren, auch in Berlin, wie die Zunahme an Gewalt in den zurückliegenden Jahren verdeutliche.
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