
Ein neues Gesetz, gepaart mit Abschreckungsmaßnahmen, soll Geflüchtete bundesweit zu völlig rechtlosen Menschen machen, über die der Staat willkürlich verfügen kann. Ein Kommentar.
Seit der „Flüchtlingskrise“ 2015, die in Wahrheit eine Krise der Behörden im Umgang mit Geflüchteten war, erleben wir einen Abbau des Flüchtlingsrechts in erschreckendem Ausmaß. Unablässig spuckt das Bundesinnenministerium Papiere, Entwürfe, Gesetzesvorhaben aus, einzeln oder zu Paketen geschnürt. Oft sind die Gemeinheiten versteckt: Wohlfahrtsverbände bekommen höchstens 48 Stunden für eine Stellungnahme, überforderte Parlamentarier*innen winken die Gesetze durch.
Geflüchtete sollen schneller und länger in Abschiebehaft
Wie 1992 droht eine Entkernung des Flüchtlingsrechts. Doch anders als in den 1990ern steht jetzt keine Europäische Union bereit zur Verteidigung des Rechtes auf Schutz. In einem „Race to the Bottom“ überbieten sich die europäischen Nationalstaaten im Abbau von Flüchtlingsrechten und in der Erfindung neuer alter Abschreckungsmaßnahmen. Dazu dient auch das neue Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das jetzt vom Kabinett beschlossen wurde. Rechtsmittel für oder zugunsten von Geflüchteten sollen abgebaut werden: Sie sollen früher, schneller und länger in Abschiebehaft genommen werden können; für die benötigten Plätze sollen in Einrichtungen für Strafhaft besondere Trakte für Abschiebehäftlinge eingerichtet werden können.
Wer zudem nach Ansicht der Ausländerbehörde nicht hinreichend bei der Passbeschaffung mitwirkt, soll, geht es nach dem Gesetz, auch keine Duldung mehr bekommen. Stattdessen ist eine Bescheinigung vorgesehen, die eine dauerhafte Lagerunterbringung, ein absolutes Arbeits- und Bildungsverbot und eine Reduzierung der Leistungen um 60 Prozent für die Betroffenen bereithält. Jegliche Form der Integration oder Teilhabe soll damit unterbunden werden. In ungeahnter Massivität will man hier einen Status schaffen, den Georg Restle vom Politikmagazin Monitor ganz zu Recht so kommentiert: „Seehofer schafft hier einen neuen Menschentypen: den Rechtlosen.“
Damit die Durchsetzung der Abschiebung nicht am Widerstand von Unterstützer*innen scheitert, hält der Gesetzesentwurf noch ein Schmankerl bereit: Das Datum von Abschiebungen und sogar Botschaftsvorführungen wird als „Geheimnis“ eingestuft, wer es weitergibt, begeht damit Geheimnisverrat. Aber auch alle anderen, die diese Termine weitergeben oder veröffentlichen, können der Beihilfe zum Geheimnisverrat beschuldigt werden.
Man weiß nicht so recht was schlimmer ist. In der Kombination aber liest sich das neueste Seehofer-Gesetz wie abgeschrieben vom Kumpel Orbán aus Ungarn. Gibt es dort nicht schon Internierungslager für Geflüchtete, wo der Vorwurf, das seien illegale Haftanstalten, mit dem Hinweis gekontert wird, nach Serbien seien die Tore der Lager allzeit offen? Ebenfalls in Ungarn werden Menschenrechtsorganisationen, vor allem diejenigen, die sich auch für Rechte Geflüchteter einsetzen, massiv in ihrer Arbeit behindert und mit Strafen bedroht. Seehofer begibt sich mit seinem Gesetzesentwurf auf den Pfad des autoritären Staates.
Eine bloße Mitteilung des Abschiebetermins wird dann zur Straftat
Massiv wird in die Lebensmöglichkeiten von Geflüchteten eingegriffen: Sie sollen isoliert und separiert werden, verfügbar für eine Abschiebung, die dennoch in vielen Fällen gar nicht möglich sein wird. Zugleich soll jeder Versuch, Geflüchtete vor der Abschiebung zu warnen oder zu bewahren, bestraft werden. Dies gilt nicht allein im Falle einer Abschiebung, sondern bereits weit im Vorfeld und bei der bloßen Mitteilung eines Abschiebetermins. Der Gesetzesentwurf ist unausgegoren, aber allein in ihrer Maßlosigkeit markieren die Vorschläge den Weg in eine Gesellschaft, in der der Staat schon bestraft, was ihn nur ärgert und seine alleinige Verfügung über die Gruppe der Ausreisepflichtigen infrage stellt. Es dauert nicht mehr lange, dann wird gegen jedes Aufmucken gegen die Ausländerbehörden der Straftatbestand der Majestätsbeleidung wieder eingeführt. Das ist, ebenso wie die Einführung von Body-Cams, die nur bei Übergriffen auf Polizisten, nicht bei Übergriffen von Polizisten, ausgewertet werden sollen, ein erschreckender Schritt in Richtung eines Obrigkeitsstaates.
Dr. Stephan Dünnwald ist Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrat. Sein Beitrag erschien zuerst im aktuellen Hinterland-Magazin Nr. 41. Helene Mildenberger hat dies Hinterland-Heft zusammen mit dem Periodikum des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein „Der Schlepper“ für uns rezensiert.