Intro: Laura Mvula / «Sing to the Moon»
Sebastian Fleary: Es passieren in meine Augen gerade im Empowerment-Bereich in Deutschland viele gute, starke Sachen. Ich habe das Gefühl, dass das, was da passiert, auch viel mit Inspiration, mit Anregungen und Weiterkommen zusammenhängt. Das ist echt für mich eine der Herausforderungen von Empowerment: Irgendwie habe ich eine Wahl, ich kann entscheiden, worauf ich meine Energie richte. Klar gibt es einen bestimmten Rahmen, der mir einige Sachen verwehrt. Ich bin nicht völlig frei, alles zu tun, was ich will. Es gibt auch 2014 immer noch eindeutig Barrieren, Ausschlüsse und Gefahren für PoC in Deutschland. Und in diesem Rahmen kann ich Entscheidungen treffen. bell hooks spricht in diesem Kontext viel von «choosing». In diesem Rahmen möchte ich mich dafür entscheiden, meine Energie auf Dinge zu richten, bei denen ich das Gefühl habe, die gehen vorwärts – und dabei geht es mir darum, was du tust. Ich finde dabei den Blick auf Diaspora echt spannend. Und auch den Blick auf Community. Zusammengedacht, finde ich es gerade spannend mit Blick auf die Empowerment-Bewegung in Deutschland, sich Diaspora-Communities anzuschauen und zu fokussieren. Für mich ist Community etwas sehr Greifbares, sehr Haptisches, sehr Analoges und gleichzeitig ist Community auch spirituell, verbunden und digital. Sie ist mehrdimensional und multi-perspektivisch. Im Prinzip finde ich es gerade auch spannend, Diaspora-Communities als eine weitere Dimension zu be-greifen von dem, was PoC-Sein bedeuten kann. Wo dann eben nicht nur die Rassismus-Erfahrungen in Deutschland das verbindende Element sind. Wenn du es positiv beschreibst, kannst du PoC-Sein auch beschreiben als Erfahrung von in der Diaspora lebend, aus einem anderem geographischen, kulturellen, nationalen Kontext kommend, Migrationsgeschichte habend. Wie kann ich hierbei Verbindung zu dem Herkunftsland/Diaspora-Kontext halten? Was geht da gerade? Was ist da in der Geschichte so alles vorgefallen? Was bedeutet das für mich, wenn ich hier oder auch dort Zeit verbringe? Das ist viel mehr als Rassismus-Erfahrungen in Deutschland. Es kann bei Diaspora um ganz vieles gehen. Und da ist die Frage, wie tief, wie verwurzelt, wie alltäglich diese Verbindungen und Erfahrungen und Perspektiven sind – wie mature … wie ausfüllend, reif, passend. Und gleichzeitig eröffnet das mehr Horizonte als Rassismus-Erfahrungen.
Mona El Omari: Ja klar, weil Menschen dann nicht nur durch die Abarbeitung an Rassismus verbunden sind.
Sebastian Fleary: Ja, ganz genau. Und es kann einfach schnell passieren, dass wir als PoC unsere Aufmerksamkeit vor allem dahin lenken – als Teil dessen, wie Herrschaft funktioniert.
Mona El Omari: Magst du das noch genauer erklären?
Sebastian Fleary: Ich mag es gerne, Sachen positiv zu formulieren und zu denken. Und wenn ich mal alleine bei mir anfange, ich – mich als Teil dieser Empowerment-Bewegung in Deutschland und darüber hinaus verstehend – fände es spannend, mich mehr damit zu beschäftigen, was in diesem Zusammenhang Visionen bedeuten können. In Empowerment-Prozessen werden für mich die Dimensionen von Liebe, Kritik und Vision einfach immer zentraler. Und es sind definitiv Aspekte, denen ich individuell (und wahrscheinlich auch andere) und wir kollektiv noch viel mehr Raum & Fokus schenken könnten. Und für mich läuft der Weg über love, community hin zur liberation.[1] Liebe ist für mich als Basis halt superwichtig… Und ich komme bei meinen unterschiedlichsten Gedanken zu diesen Punkten immer wieder zurück zu Liebe – irgendwie bildet es für mich immer stärker die Basis.
Mona El Omari: The first and last!
Sebastian Fleary: Und bei Empowerment heißt der Fokus klar Befreiung. Von etwas und für etwas, du willst wohin, da ist eine Energie drin und da geht es auf jeden Fall um Befreiung, ein besseres Leben. Die Frage ist, wie sieht das aus? Wie mache ich/wie machen wir das? – Dead Prez fragen in ihrem Song We want Freedom (2000): «What you go’ do to get free?» Und wie kommen wir mehr in Richtung Befreiung? Jetzt mal von Hier & Jetzt aus gedacht. Mit den Perspektiven, die wir alle mitbringen.
Mona El Omari: Und so wie wir sind, und nicht so wie wir sein sollen.
Sebastian Fleary: Ich finde das, was ich gerade in Deutschland an Empowerment-Impulsen wahrnehme, spiegelt einige Perspektiven wider, wo Leute kritisch, historisch kontextualisiert, subjektiv-verortet, biographisch-reflektierend, einfach sehr differenziert positioniert arbeiten. Das sind, wie ich finde, viele gute Einschläge und viele spannende, kreative Ansätze. Und wenn du das alles zusammenbringst, um mal zu schauen, was cool und inspirierend daran ist? Wie soll Befreiung & Zukunft denn aussehen? … Wow! Lasst uns mal schauen.
Mona El Omari: Yes, da kann ich ganz viel mit anfangen. Ich habe mir vor einigen Tagen noch Empowerment als eine fortwährende und wandelbare Cypher vorgestellt. Das Wissen zirkuliert, 360°, aber du landest nie am Ausgangspunkt, weil du in der Zeit weiter lernst, dich bewegst. Das heißt für mich im Zusammenhang mit Community und Empowerment auch etwas für die persönliche Ebene, nämlich dass es Community nicht vorwärts bringt, uns in diesem Lernen gegenseitig zu verletzen. Ich nehme mal Bezug auf das, was du gerade zu choice gesagt hast. Ich glaube, zwei Punkte, die auch mir an Empowerment immer wichtiger werden, sind choice und accountability. In Verbindung. «Choosing ‹wellness› is an act of political resistance.»[2] Und accountability ist auch zum Teil eine Wahl. Ich habe eine Wahl, ob ich diese Herausforderung oder Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es mir besser geht, in all diesen Rahmenbedingungen annehme oder nicht.
Es gibt Dinge, bei denen ich eine Wahl habe, und zumindest ist für mich mit diesen Wahlen, mit diesen Entscheidungen immer auch accountability verbunden. Bin ich mit dem im Reinen, was ich so mit mir und anderen Menschen mache? Und das steht für mich generell mit Empowerment in Verbindung. You gotta own what you do. Aktion, Reflexion, Aktion.[3] In Dauerschleife. Ich denke, das konzentriert sich nochmal ganz stark in der Rolle der Personen, die Empowerment-Arbeit etwa in Form von Workshops machen. In Workshops laden wir Menschen zu Prozessen ein, die sich nicht immer nur schön anfühlen. Menschen öffnen sich mit ihren Gefühlen, Erfahrungen und gegebenenfalls Verletzungen, um in Prozesse zu kommen, die im Ergebnis zu etwas Gutem – was auch immer das heißt – führen können. Und diese Prozesse anzustoßen und in dem begrenzt gesteckten Rahmen eines Wochenendes zu begleiten, ist etwas, mit dem ich nicht leichtfertig umgehen möchte. Das beschäftigt mich viel und ich frage mich, was das ganz praktisch bedeuten kann.
Sebastian Fleary: Und? Fällt Dir etwas ein?
Mona El Omari: Ich habe mich etwa gefragt, ob es möglich wäre, mit einigen Menschen, die Empowerment-Arbeit machen, so eine Art Acknowledgment of Accountability zu formulieren. Etwas, das widergespiegelt: Wir sind uns darüber bewusst, dass wir gewisse Prozesse anstoßen und dass auch unserem Tun Grenzen gesetzt sind. Dass dem, was wir können, Grenzen gesetzt sind, und wir wollen immer versuchen, damit achtsam umzugehen. Ich finde es gerade in so einer Rolle manchmal wichtiger zu wissen, was ich nicht kann, wann und wo ich vielleicht jemanden suchen oder weiterempfehlen sollte, der oder die es besser kann als ich, als immer zu wissen, was ich denn so ganz toll viel kann. Und ich denke über who cares for the carers[4] nach. Wie lange bin ich vor und nach einem Workshop verantwortlich?
Sebastian Fleary: Was ist noch meine Aufgabe als Anleitender, facilitator, Prozess-Begleiter und was nicht?
Mona El Omari: Genau. Wo kann und sollte ich meine Grenzen ziehen? Und was macht das mit mir, diese Workshops zu geben? Wo finde ich Austausch oder auch etwas wie kollegiale Beratung mit Menschen, die Empowerment-Arbeit machen? Wie kann ich möglichst sicher und fehler-freundlich lernen? Damit nicht alle in ihrem eigenen Süppchen kochen und hoffen, dass es gut läuft. Also, ich meine eine Stärkung nach innen für Leute, die Empowerment-Arbeit machen, aber auch accountability nach außen: Ich bin mir über die Potenz dessen, was ich tue, bewusst. Mit den Möglichkeiten und auch den Risiken.
Sebastian Fleary: Wie meinst du das?
Mona El Omari: Ich lerne mit jedem Workshop, den wir beide geben oder den ich alleine gebe. Aber es wäre wichtig, mehr Räume zu eröffnen, in denen mein Lernen nicht potenziell die Verletzung einer anderen Person bedeutet, weil sie gerade an einem Workshop teilnimmt. Und das auch in Achtung vor der Methodenvielfalt, die es gibt. Es geht mir da nicht um Streamlining, sondern darum, mit diesem Methodenreichtum, den wir haben, für uns und andere Menschen gut umzugehen. Letztlich bist du in dieser Arbeit das einzige Werkzeug, das du hast. Mit allem, was du bist. Und das ist eine Riesenchance, aber es ist auch eine Verantwortung.
Outro: Visionaries / «If you can’t say love»
Mona El Omari ist Poetess, Performerin, Diplom-Sozialpädagogin/Diplom-Sozialarbeiterin, Empowerment-Worker, freie Trainerin für politisch-soziale und künstlerische Bildungsarbeit, Doktorandin und Kanaktivistin. Love, light & the right kinds of shadows.
Sebastian Fleary ist music-lover, Diplom-Pädagoge, Theaterpädagoge, Streetworker, community believer, freier Trainer für Empowerment, politische und politisch-historische Bildungsarbeit & ein Mensch, der auf «good vibes» steht.
[1] Der Titel von Sebastian Flearys Diplomarbeit ist: «Without love, there is no community. Without community, there is no liberation. Reasonings über Schwarze Erfahrung, Empowerment und kritische Pädagogik».
[2] bell hooks in «Sisters of the Yaam. Black women and self-recovery» (1993)
[3] Paulo Freire in «Pädagogik der Unterdrückten» (1993)
[4] «Who cares for the carers» ist der Titel einer Studienarbeit, in der Mona El Omari mögliche psycho-soziale Bedürfnisse von care-givers in den Fokus gerückt hat.
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Marwa Al-Radwany und Ahmed Shah: Mehr als nur ästhetische Korrekturen
Pasquale Virginie Rotter: We can breathe
Ozan Keskinkılıç: Erinnern ist Empowerment
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Dorothea Lindenberg und Elisabeth Ngari: Von persönlichen Problemen zu politischen Forderungen
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Nuran Yiğit: Empowerment durch Recht
Irene Runge: Gemeindezugehörigkeit oder jüdische Identität? Wie Ethnie und Religion sich ergänzen
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Songül Bitiș und Nina Borst: Gemeinsam könnten wir das Haus rocken!