Empowerment ist ein politischer Begriff

Žakli­na, wel­che Bedeu­tung hat Empower­ment für dich?

Für mich per­sön­lich ist Empower­ment eine wich­ti­ge Hand­lungs­op­ti­on in mei­nem Leben: mit Men­schen zusam­men­zu­kom­men, die mich in mei­nen Fra­gen und in den Belan­gen unter­stüt­zen, wo ich auch Unter­stüt­zung geben kann, wo ich Stär­kung erfah­ren und soli­da­risch sein kann. Empower­ment ist ein Pro­zess und auch ein Raum, wo ich mit Gleich­ge­sinn­ten zusam­men­sit­zen und Hand­lungs­stra­te­gien ent­wi­ckeln kann. Empower­ment wird oft mit Selbst­er­mäch­ti­gung über­setzt. Ich glau­be, Selbst­er­mäch­ti­gung ist Teil von Empower­ment-Pro­zes­sen, aber wenn wir bei Selbst­er­mäch­ti­gung ste­hen blei­ben, dann kriegt es auch etwas Neo­li­be­ra­les: «Ja, wenn du willst, dann schaffst du es!» Mit Selbst­er­mäch­ti­gung ist im Grun­de gemeint, Räu­me zu haben, in denen ich mich mit Gleich­ge­sinn­ten aus­tau­schen kann. Das muss aber auch wei­ter­ge­hen. Über die­se Räu­me des Aus­tau­sches hin­aus müs­sen For­de­run­gen durch­ge­setzt wer­den, gera­de im Bereich von Ras­sis­mus und Herr­schafts­ver­hält­nis­sen. Es darf nicht bei einem «Ich muss mich selbst stär­ken» ste­hen bleiben.

Empower­ment ist zu einem Mode­be­griff gewor­den und ich fin­de es scha­de, dass er für alles Mög­li­che benutzt wird. In Deutsch­land wird der Begriff viel in der sozia­len Arbeit genutzt, wo er oft so gedeu­tet wird, dass Leu­te ver­meint­lich ihr Leben «in den Griff» bekom­men müs­sen. Ich ver­ste­he unter Empower­ment, dass Men­schen ihre legi­ti­men und ihnen zuste­hen­den Rech­te bekom­men. Vie­le ver­ges­sen, dass Empower­ment ein poli­ti­scher Begriff ist, der aus der Bür­ger­rechts­be­we­gung und Kämp­fen kommt, wo unter­drück­te Men­schen Rech­te ein­ge­for­dert haben. Das war nichts, was plötz­lich aus der Domi­nanz­ge­sell­schaft gewährt wur­de und wo gesagt wur­de: «Ja, jetzt müs­sen wir ein biss­chen die Leu­te empowern», son­dern Leu­te haben das eingefordert.

Was pas­siert in den Empower­ment-Work­shops, die du anbietest?

In den Work­shops ist es wich­tig, dass du einen Raum eröff­nest, wo Men­schen mit­ein­an­der reden kön­nen, ohne sich recht­fer­ti­gen zu müs­sen. Denn das Sich-recht­fer­ti­gen-Müs­sen ist die Erfah­rung, die vie­le machen, in ihrem Leben, im All­tag, in ihren Fami­li­en, in den ver­schie­dens­ten Kon­tex­ten. Der Aus­tausch unter­ein­an­der hat schon etwas ganz Stär­ken­des und so kön­nen auch Netz­wer­ke ent­ste­hen, um nicht allein zu sein. Kei­nen Aus­tausch zu haben und allein zu sein ist das, was so kaputt macht.

Wir machen bio­gra­phi­sches Arbei­ten, dass wir nach Wen­de­punk­ten im Leben schau­en, wo es auch um Ras­sis­mus­er­fah­run­gen ging, um tat­säch­lich da auch rein­zu­ge­hen und die Aus­wir­kun­gen in Form von Prä­gung sehen zu kön­nen – was es mit einem sel­ber gemacht hat. Das, was wir als Team­en­de machen kön­nen, ist den Raum zu öff­nen. Wir ver­su­chen, Ver­let­zun­gen auf­zu­fan­gen, weil vie­le unter­drück­te Emo­tio­nen hoch­kom­men. Dabei schau­en wir immer auch auf die Lin­de­rung des Schmer­zes: Was hät­te mir in den Situa­tio­nen gehol­fen? Wir schau­en nach Hand­lungs­stra­te­gien. Dafür nut­zen wir Kör­per- und Thea­ter­ar­beit, kon­kret geht es um das Thea­ter der Unter­drück­ten nach Augus­to Boal. Das Erleb­te wird nach­ge­spielt, und für die­se Situa­ti­on ver­su­chen wir, Hand­lungs­stra­te­gien und Ideen zu ent­wi­ckeln. Das Tol­le ist tat­säch­lich, dass du durch die­ses Spie­len muti­ger wirst für ähn­li­che Situa­tio­nen. Das noch­ma­li­ge Drauf­schau­en aus einer ande­ren Per­spek­ti­ve stärkt und macht Mut in Form von «Ah, das hät­te ich machen kön­nen. Ah, guck mal, so.» Das hilft sehr, die­ses Mit­ein­an­der­spie­len und das Gesche­he­ne noch­mal anders erfahr­bar zu machen.

Was denkst du, sind die poli­ti­schen Dimen­sio­nen von Empower­ment-Work­shops, auch in Abgren­zung von neo­li­be­ra­len Ansätzen?

Poli­ti­sche Dimen­sio­nen sind tat­säch­lich zusam­men­zu­kom­men und zu über­le­gen, was wir gegen bestimm­te Schief­la­gen tun kön­nen. Oder zu schau­en, was ist Leu­ten pas­siert, was kön­nen wir dage­gen tun? Sich also tat­säch­lich Stra­te­gien zu über­le­gen. Sagen wir mal, da gibt es einen Dis­kri­mi­nie­rungs­fall an einer Schu­le. Ich fin­de es wich­tig, dass auch die Eltern nicht allein­ge­las­sen wer­den, wenn es um Kin­der geht: Wie kön­nen wir Unter­stüt­zung in sol­chen Grup­pen leis­ten? Wer könn­te sich vor­stel­len, da viel­leicht unter­stüt­zend zu einem Gespräch mitzugehen?

Ja, ich fin­de poli­ti­sches Empower­ment hat nicht nur mit For­de­run­gen auf einer juris­ti­schen Ebe­ne zu tun. Poli­ti­sches Empower­ment bedeu­tet für mich auch, mir zuste­hen­de Rech­te ein­zu­for­dern. Manch­mal kann das sowas sein wie: «Wir brau­chen einen Raum.» Wenn das ein Recht ist, das ich habe, dann muss ich gucken, wo wir für unse­re Arbeit sowas her­krie­gen. Empower­ment sind nicht nur offe­ne Brie­fe, Ver­an­stal­tun­gen und gro­ße For­de­run­gen. Empower­ment besteht auch aus ganz vie­len klei­nen Schrit­ten. Beim Bei­spiel Schu­le bedeu­tet das auch, sich gegen das Sys­tem Schu­le zu stel­len, es in Angriff zu neh­men und nicht klein­bei­zu­ge­ben. Es gibt sehr häu­fig in Schul­kon­tex­ten Fäl­le, wo bei­spiels­wei­se Lehrer_innen furcht­ba­re Begrif­fe ver­wen­den. Ich fin­de, in genau sol­chen Situa­tio­nen braucht es Reak­tio­nen: zur Schul­lei­tung gehen etwa. Und wenn ich es allein nicht schaf­fe, dann zu fra­gen: Wer kann mich dabei unter­stüt­zen? Mit wem kann ich Argu­men­te für das Gespräch sammeln?

Du hast vor 15 Jah­ren ange­fan­gen Empower­ment-Semi­na­re zu team­en. Hast du das Gefühl, dass sich seit­dem etwas ver­än­dert hat?

Ja, und das freut mich auch total! Es gibt mitt­ler­wei­le vie­le ver­schie­de­ne Ange­bo­te für unter­schied­li­che Bedürf­nis­se und Belan­ge zum The­ma Ras­sis­mus und Empower­ment. Du hast Frau­ense­mi­na­re, Semi­na­re, wo es aus­schließ­lich um Kör­per­ar­beit als Empowerm­ent­stra­te­gie geht, dann hast du Empower­ment-Semi­na­re in ver­schie­de­nen Spra­chen, z.B. in tür­ki­scher Spra­che, oder für Schwar­ze Frau­en. Das fin­de ich schon wow! Also das ist ganz toll, dass Empower­ment mitt­ler­wei­le in die­ser Brei­te ange­bo­ten wird. Die Ange­bo­te ent­spre­chen tat­säch­lich auch der Diver­si­tät der Men­schen. Ich fin­de, es gibt ein ande­res Selbst­be­wusst­sein in die­sem Punkt und mitt­ler­wei­le auch eine viel brei­te­re Ver­net­zung. Ich fin­de es super, dass es dafür Finan­zie­rung gibt, auch wenn sie gemes­sen an ande­ren Ange­bo­ten kläg­lich ist, aber immer­hin! Vor zehn Jah­ren waren wir froh, wenn wir mal ein Empower­ment-Semi­nar im Jahr finan­ziert bekom­men haben. Da sehe ich schon eine mini Ver­än­de­rung, auch wenn ein grö­ße­res Volu­men natür­lich wün­schens­wert wäre, vor allem um auch die Trainer_innen ent­spre­chend bezah­len zu können.

In der Mehr­heits­ge­sell­schaft, auf brei­ter Ebe­ne hat sich lei­der nicht viel ver­än­dert. Dabei sind Ras­sis­mus und Empower­ment The­men, die auch die Mehr­heits­ge­sell­schaft betref­fen. Denn auch da muss es ein Wis­sen geben über Power-Sha­ring, über Cri­ti­cal Whiten­ess. Leu­te müs­sen sich über ihre Macht­po­si­tio­nen und Pri­vi­le­gi­en bewusst sein, um Ver­än­de­rung zu bewir­ken. Es nützt nichts, wenn kein Bewusst­sein dafür da ist, dann kön­nen mino­ri­sier­te Grup­pen for­dern so viel wie sie wol­len: Es braucht eine Unter­stüt­zung auf brei­ter Ebe­ne. Und eine Zusam­men­ar­beit von ver­schie­de­nen Ebe­nen und Akteur_innen.

Du wirst im nächs­ten Jahr dein zwei­tes Empower­ment-Semi­nar für die Rosa-Luxem­burg-Stif­tung geben. War­um glaubst du, ist das The­ma Empower­ment für die Rosa­Lux relevant?

Weil ich fin­de, dass kei­ne Insti­tu­ti­on an dem The­ma vor­bei­ge­hen kann. Es soll­te ein The­ma für alle sein – das ist eine Fra­ge der Hal­tung und der kul­tu­rel­len Ein­bin­dung von Orga­ni­sa­tio­nen. Im Grun­de genom­men soll­ten alle Empower­ment-Semi­na­re anbie­ten. Es soll­te ein Quer­schnitts­the­ma sein, so wie Gen­der zum Bei­spiel. Da sind aber vie­le Insti­tu­tio­nen noch nicht so weit, weil der Begriff Empower­ment für Peo­p­le of Color oder Schwar­ze Men­schen total angst­be­setzt ist. Ich weiß nicht, was für mys­ti­sches Wis­sen in den Köp­fen der Leu­te ist, auf jeden Fall schreckt sie das ab. Da find ich es wich­tig zu hin­ter­fra­gen: Wer macht Bil­dungs­pro­gram­me und an wen den­ke ich bei der Kon­zi­pie­rung und bei Ange­bo­ten von Bil­dungs­pro­gram­men? Anschei­nend sind in Bil­dungs­pro­gram­men Schwar­ze Men­schen und PoCs gar nicht mit­ge­dacht, sonst wären Empower­ment-Work­shops genau­so im Ange­bot wie Rhe­to­rik­trai­nings. Men­schen wer­den durch das Feh­len bestimm­ter Ange­bo­te unsicht­bar gemacht, und das ist auch eine Form von Aus­gren­zung und Aus­schluss. Das sagt auch ganz viel über die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se und die Insti­tu­tio­nen in Deutsch­land. Im Grun­de ist dies ein Abbild unse­rer Rea­li­tät. Aber ich bin opti­mis­tisch und freue mich, dass die RLS Empower­ment-Semi­na­re anbietet!

 

Žakli­na Mam­uto­vič arbei­tet im Bereich der poli­ti­schen Bil­dungs­ar­beit beim Bil­dungs­team Ber­lin-Bran­den­burg e.V. Sie ist dar­über hin­aus frei­be­ruf­li­che Trainer_in zu diskriminierungs‑, ras­sis­mus- und macht­kri­ti­schen The­men. Eben­so arbei­tet sie mit dem Anti-Bias-Ansatz und ist mit wei­te­ren Kolleg_innen im Anti-Bias-Netz  in ganz Deutsch­land aktiv.

 

Wei­te­re Bei­trä­ge im Dos­sier «Empower­ment?!»:

Mar­wa Al-Rad­wany und Ahmed Shah: Mehr als nur ästhe­ti­sche Korrekturen

Pas­qua­le Vir­gi­nie Rot­ter: We can breathe

Ozan Kes­k­in­kılıç: Erin­nern ist Empowerment

Isi­do­ra Rand­jelo­vić: Rech­te statt Fürsorge

Nata­scha Salehi-Shah­ni­an: Power­sha­ring: Was machen mit Macht?!

Mona El Oma­ri und Sebas­ti­an Flea­ry: «If you can’t say love…» – Ein Empower­ment-Flow zu Indi­vi­du­um, Dia­spo­ra-Com­mu­ni­ty und päd­ago­gi­scher Reflexion

Tuğ­ba Tanyıl­maz: Päd­ago­gin 2.0

Doro­thea Lin­den­berg und Eli­sa­beth Nga­ri: Von per­sön­li­chen Pro­ble­men zu poli­ti­schen Forderungen

Tahir Del­la: Schwar­ze Men­schen zwi­schen Fremd­wahr­neh­mung und Selbstbestimmung

Nuran Yiğit: Empower­ment durch Recht

Ire­ne Run­ge: Gemein­de­zu­ge­hö­rig­keit oder jüdi­sche Iden­ti­tät? Wie Eth­nie und Reli­gi­on sich ergänzen

Fatoş Ata­li-Tim­mer und Paul Mecher­il: Zur Not­wen­dig­keit einer ras­sis­mus­kri­ti­schen Sprache

Son­gül Bitiș und Nina Borst: Gemein­sam könn­ten wir das Haus rocken!

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