Der Letzte von Dreizehn

Ich bau‘ dir ein Schloss: NSU-Unter­su­chungs­aus­schuss in mär­chen­haf­ter Umge­bung Foto: N. Lehmann

Das The­ma NSU-Kom­plex ist noch nicht aus allen Par­la­men­ten ver­schwun­den. In Meck­len­burg-Vor­pom­mern in Schwe­rin tagt noch immer der letz­te akti­ve von ins­ge­samt 13 Unter­su­chungs­aus­schüs­sen, die es zu dem The­ma in der Bun­des­re­pu­blik gibt bzw. gab. Dafür, dass Schwe­rin eine Lan­des­haupt­stadt ist, ist es zumin­dest von Ber­lin aus nur ver­gleichs­wei­se schwie­rig zu errei­chen. Auf der immer­hin zwei­stün­di­gen Fahrt muss man ein­mal umstei­gen und für die letz­te Stre­cke eine Regio­nal­bahn benut­zen. Und dadurch, dass die Sit­zung des Aus­schus­ses im Schwe­ri­ner Schloss, dem „schöns­ten Par­la­ments­sitz Deutsch­lands“, bereits um 9:30 Uhr beginnt, muss man auch ent­spre­chend früh losfahren.

50 Sitzungen bisher

Nach Vor­zei­gen der Per­so­nal­aus­wei­se, Anga­be der Kon­takt­da­ten und ins­ge­samt drei Namens­kon­trol­len betritt man schluss­end­lich die Zuschauer*innentribüne mit einem guten Blick auf den Par­la­ments­saal, wo bereits alles für den Par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schuss vor­be­rei­tet ist. Ein Unter­su­chungs­aus­schuss ist ein nicht­stän­di­ger Aus­schuss eines Par­la­ments, der mit­tels Son­der­be­fug­nis­sen wie Zeu­gen­vor­la­dun­gen oder Akten­ein­sich­ten ver­schie­dens­te Sach­ver­hal­te unter­su­chen kann. U‑Ausschüsse wer­den z.B. häu­fig von der Oppo­si­ti­on genutzt um das Han­deln der Regie­rung zu kon­trol­lie­ren und sind dafür auch das wahr­schein­lich stärks­te Mit­tel, teil­wei­se füh­ren sie aber auch in Sack­gas­sen, wenn bei der Ermitt­lung kei­ne Ergeb­nis­se zuta­ge treten.

Im NSU-Unter­su­chungs­aus­schuss in Meck­len­burg-Vor­pom­mern ist jedoch nicht nur die Oppo­si­ti­on, also Lin­ke und AfD, ver­tre­ten. Auch die Regie­rungs­par­tei­en SPD und CDU — also alle im Par­la­ment ver­tre­te­nen Frak­tio­nen — haben jeweils zwei bis vier Abge­ord­ne­te im Aus­schuss, von denen aber nicht alle stän­dig anwe­send sind. Zusätz­lich sit­zen nur weni­ge Mitarbeiter*innen der jewei­li­gen Frak­tio­nen im Saal. Dem­entspre­chend ist der Par­la­ments­saal im Schwe­ri­ner Schloss kaum gefüllt. Ähn­lich ist es bei den bei­den Zuschauer*innentribünen, Coro­na-bedingt ist die Besucher*innen Anzahl stark begrenzt und mit Anmel­dung und Anga­be der Kon­takt­da­ten im Vor­aus ver­bun­den. Kur­ze Zeit spä­ter eröff­net auch schon die Vor­sit­zen­de Ann Chris­tin von All­wör­den (CDU) den Untersuchungsausschuss.

Die 50. Sit­zung des NSU-Unter­su­chungs­aus­schus­ses Meck­len­burg-Vor­pom­mern vom 16. Okto­ber 2020 beschäf­tigt sich haupt­säch­lich mit der Arbeits­wei­se des Ver­fas­sungs­schut­zes in Bezug auf den NSU-Kom­plex, ins­be­son­de­re in MV, und der Fra­ge ob es schon vor der Selbst­ent­tar­nung des NSU 2011 Hin­wei­se auf die Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on gege­ben hat.

Zur Befra­gung waren drei Zeu­gen vor­ge­la­den wor­den, zwei davon sogar sehr pro­mi­nent: Heinz Fromm, von 2000 bis 2012 Chef des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz, also genau wäh­rend der Zeit der NSU-Mor­de und ‑Anschlä­ge, und Hans-Georg Maa­ßen, sein Nach­fol­ger als Prä­si­dent von 2012 bis 2018, der wäh­rend der Auf­ar­bei­tung des NSU-Kom­ple­xes den VS lei­te­te. Als drit­ter Zeu­ge war Elmar Ruhl­ich vor­ge­la­den, von 1995 bis 2001 Lei­ter des Lan­des­ver­fas­sungs­schut­zes MV. Auf­grund der nam­haf­ten Zeu­gen gab es ein grö­ße­res öffent­li­ches Inter­es­se an der Sit­zung. Vor allem bei der Ver­neh­mung Maa­ßens waren vie­le Zuschauer*innen da, auch Vertreter*innen der Pres­se waren anwesend.

Zuerst Fromm…

Der Unter­su­chungs­aus­schuss begann mit der Ver­neh­mung Fromms. Die fast drei­stün­di­ge Befra­gung dreh­te sich um meh­re­re The­men­kom­ple­xe, unter ande­rem um die Rol­le des V‑Manns Tho­mas Rich­ter, der als Quel­le den Deck­na­men „Corel­li“ führ­te, das rechts­extre­mis­ti­sche Musik­netz­werk „Blood and Honour“ und ins­be­son­de­re um das Neo­na­zi-Maga­zin „Der wei­ße Wolf“. In die­sem habe es laut Fromm bereits 2002 in der Aus­ga­be 18, die auch dem Bun­des­ver­fas­sungs­schutz zur Ver­fü­gung stand, einen Hin­weis auf den NSU gege­ben. Die­sem Hin­weis war jedoch nicht nach­ge­gan­gen wor­den. Auch die schon häu­fig gestell­te Fra­ge, war­um damals nie­mand auf die Idee gekom­men war, dass Nazis für die Mord­se­rie ver­ant­wort­lich gewe­sen sein könn­ten, konn­te, wie zu erwar­ten war, nicht beant­wor­tet wer­den. Auf eine Fra­ge des Lin­ken-Abge­ord­ne­ten Peter Rit­ter, ant­wor­te­te Fromm, dass er es sich selbst nicht erklä­ren kön­ne, war­um weder Sicher­heits­be­hör­den noch z.B. anti­fa­schis­ti­sche Recher­che­grup­pen die­sen Schluss gezo­gen hät­ten. Durch die­se Aus­sa­ge erkann­te er zwar in gewis­ser Wei­se die Wich­tig­keit der Arbeit von Anti­fa-Recher­che-Grup­pen an. Aller­dings ist es ja auch nicht deren Auf­ga­be, die Arbeit des VS und ande­rer Behör­den zu machen, im Gegen­teil Anspruch und Ethos der anti­fa­schis­ti­schen Recher­che ste­hen dem Ord­nungs- und Deu­tungs­an­spruch des Staa­tes häu­fig und per defi­ni­tio­nem dia­me­tral ent­ge­gen. Ins­ge­samt gab es bei der Befra­gung kaum neue Erkennt­nis­se, die Fra­gen dreh­ten sich häu­fig im Kreis und wie­der­hol­ten sich. Eine der Ein­schät­zun­gen Fromms am Ende der Befra­gungs­run­de war aller­dings inter­es­sant: Sei­ner Ansicht nach sei die Gefahr, dass es heu­te wie­der zu etwas wie dem NSU-Kom­plex kom­men könn­te, deut­lich gerin­ger, da die Zusam­men­ar­beit und damit auch der Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen Bun­des- und Lan­des­be­hör­den des VS deut­lich enger gewor­den sei und auch die Gefahr des Rechts­ter­ro­ris­mus aus dem Unter­grund nicht mehr unter­schätzt wer­de. Ob sei­ner Mei­nung nach der Neu­an­fang des VS nach dem NSU geglückt sei, woll­te Fromm jedoch nicht sagen.

Der Fisch stinkt vom Kopf her: Kund­ge­bung gegen den Ver­fas­sungs­schutz anläss­lich der Ladung von Heinz Fromm und Hans-Georg Maa­ßen vor den PUA MV Foto: N.Lehmann

Wäh­rend des Aus­schus­ses fand vor dem Schloss wegen der Anwe­sen­heit der ehe­ma­li­gen hoch­ran­gi­gen VS-Leu­te eine klei­ne Kund­ge­bung der links­ju­gend solid statt. Die­se for­der­te die Abschaf­fung des VS u.a. auf­grund sei­nes Ver­sa­gens beim Auf­klä­ren des NSU-Komplexes.

… dann Maaßen

Nach einer Mit­tags­pau­se ging es im Saal wei­ter mit der Zeu­gen­be­fra­gung Maa­ßens. Fromms Nach­fol­ger, der 2018 u.a. wegen wie­der­holt ver­harm­lo­sen­der Aus­sa­gen zu neo­na­zis­ti­schen Vor­fäl­len in Chem­nitz sei­nen Hut neh­men muss­te und in den einst­wei­li­gen Ruhr­stand ver­setzt wur­de, brach­te eben­falls kaum neue Erkennt­nis­se her­vor. Sei­ner Mei­nung nach sei Rechts­extre­mis­mus ein grö­ße­res Pro­blem in MV, da sich durch die gro­ße Flä­che und die regio­na­le Struk­tur Rück­zugs­räu­me ent­wi­ckelt hät­ten und wegen der dün­nen Besied­lung die Poli­zei­prä­sens nicht sehr groß sei. Die gesam­te Sze­ne sei indes geschrumpft, behaup­te­te Maa­ßen, die Gewalt­be­reit­schaft habe jedoch zuge­nom­men. Obwohl ihm der Skan­dal um den Minis­te­ri­al­re­fe­ren­ten Lothar Lin­gen, der sechs Tage nach dem Auf­flie­gen des NSU am 4.11.2011 sämt­li­che Akten mit NSU-Bezug im Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz zusam­men­tra­gen und ver­nich­ten ließ, nicht ent­gan­gen sein kann, beharr­te Maa­ßen auf einem uralten Sach­stand, dem­zu­fol­ge das Schred­dern wich­ti­ger Akten von V‑Leuten im Zusam­men­hang mit dem NSU-Kom­plex nur auf­grund von Unwis­sen­heit über die Bedeu­tung der Daten und auf­grund falsch ver­stan­de­ner daten­schutz­recht­li­cher Maß­ga­ben erfolgt sei. In einem Neben­satz war es Maa­ßen auch ein­mal mehr wich­tig, den Grund sei­ner dama­li­gen Ent­las­sung in Fra­ge zu stel­len: „Bis heu­te blei­be ich dabei, dass es in Chem­nitz kei­ne Hetz­jag­den gege­ben hat“.

Nach­dem Maa­ßen gehen durf­te, wur­de wegen der Kür­ze sei­ner Befra­gung eine nicht öffent­li­che Sit­zung ein­ge­scho­ben. Dar­auf folg­te um 15 Uhr die Zeu­gen­be­fra­gung Ruhl­ichs statt. NSU-Watch fasst die­se Befra­gung zutref­fend in einem Tweet zusam­men: „Ruhl­ich konn­te sich an wenig erin­nern, konn­te mit dem Begriff Blood&Honour nichts anfan­gen und woll­te lie­ber mit sei­nen Lebens­er­fol­gen prahlen.“

Alles in allem war der Besuch des Unter­su­chungs­aus­schus­ses ein span­nen­der Ein­blick in die par­la­men­ta­ri­sche Arbeit, dem man jeder*m, der/die sich dafür inter­es­siert, nur emp­feh­len kann. Auch wenn, wie zu erwar­ten war, kei­ne bedeut­sa­men Erkennt­nis­se dabei zuta­ge tra­ten, war es span­nend, Abge­ord­ne­ten bei die­ser Arbeit zuzusehen.