Weimarer Frühling

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Nach einem klä­ren­den Gewit­ter: Regen­bo­gen über dem Wei­ma­rer Markt­platz Foto: Burschel

In Wei­mar hat sich etwas Unge­wöhn­li­ches ereig­net: dort ist die übli­che Opfer-Täter-Umkehr, wenn es um Poli­zei­ge­walt geht, gran­di­os geschei­tert. In der Nacht zum 20. April 2012 waren vier jun­ge Leu­te wegen des Ver­dachts der Sach­be­schä­di­gung von Wei­ma­rer Beamt_innen in Gewahr­sam genom­men und – nach Anga­ben der Betrof­fe­nen – in den poli­zei­li­chen Haft­zel­len gede­mü­tigt und – im Fal­le einer jun­gen Frau – belei­digt und hand­fest miß­han­delt wor­den. Nach dem Schock die­ser bra­chia­len Frei­heits­be­rau­bung brauch­ten die jun­gen Leu­te, die sich einer links­al­ter­na­ti­ven Sze­ne zurech­nen, erst­mal ein paar Wochen, ehe sie sich zur Anzei­ge gegen die Polizist_innen ent­schlos­sen. Lan­ge Zeit wer­den sie die­sen Schritt, wie vie­le ande­re in ähn­li­cher Situa­ti­on, bit­ter bereut haben, denn der Spieß der Straf­an­zei­ge wur­de recht bald zu ihren Unguns­ten umge­dreht und drei von ihnen fan­den sich schließ­lich auf der Ankla­ge­bank im Amts­ge­richt Wei­mar wie­der. Nach­dem das Ver­fah­ren gegen die beschul­dig­te Schicht der Poli­zei­in­spek­ti­on (PI) Wei­mar ein­ge­stellt wor­den war, muss­te fast auto­ma­tisch Kla­ge gegen die drei Betrof­fe­nen wegen „fal­scher Ver­däch­ti­gung“ der Beamt_innen und der „Vor­täu­schung einer Straf­tat“ erho­ben wer­den. Wei­ter­le­sen „Wei­ma­rer Frühling“

Comic by krautfunding

HJetztreichtsSachsnitz
Das Alter­na­ti­ve Kul­tur- und Bil­dungs­zen­trum (AKu­BiZ) in Pir­na, gelobt sei sein Name, ist bun­des­weit bekannt gewor­den, weil es den Säch­si­schen Demo­kra­tie­preis 2010 zurück­ge­wie­sen hat. Die Initia­ti­ve wand­te sich damit gegen die damals noch flä­chen­de­ckend gefor­der­te „Extre­mis­mus­klau­sel“. Aber auch die ande­ren Pro­jek­te vom AKu­BiZ sind cool und bei­spiel­ge­bend und ver­die­nen unse­re Unter­stüt­zung. Des­halb soll hier jetzt mal auf einen Crowd­fun­ding-Anlauf der AkUBiZler_innen ver­wie­sen und dafür gewor­ben werden.

Worum geht es in diesem Projekt?

Ziel die­ses Pro­jek­tes ist die Erar­bei­tung und Erstel­lung eines Comic-Hef­tes mit dem The­men­schwer­punkt „Asyl­su­che“. Bereits 2007 haben wir, in Zusam­men­ar­beit mit den Kolleg*innen der dama­li­gen Opfer­be­ra­tung Amal Sach­sen, unser ers­tes Comic ver­öf­fent­licht. Damals dreh­te sich inhalt­lich alles um die ras­sis­tisch moti­vier­ten Über­grif­fe und die Atmo­sphä­re der Angst und Hilf­lo­sig­keit, die inner­halb der Gesell­schaft erzeugt wur­de. Im Zuge der neu­es­ten Ent­wick­lun­gen und der erneut rapi­de anstei­gen­den Zah­len von Über­grif­fen sahen wir es als not­wen­dig an, die Geschich­te unse­res ers­ten Comics wei­ter­zu­füh­ren. Tarek und sei­ne Freund*innen wer­den sich, eini­ge Zeit nach den Gescheh­nis­sen des ers­ten Teils, wie­der mit einer heik­len Situa­ti­on kon­fron­tiert sehen.

Wei­ter­le­sen „Comic by krautfunding“

Splittergarten

In der Kri­mi­nal­tech­nik wird zur Ermitt­lung von Wucht und Wir­kung einer unkon­ven­tio­nel­len Explo­siv­vor­rich­tung ein Ver­suchs­are­al abge­steckt, das als «Split­ter­gar­ten» bezeich­net wird.

Unse­re regel­mä­ßi­ge Kolum­ne zu aktu­el­len Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen in unse­ren The­men­fel­dern wird unter dem poe­ti­schen Titel auf Gedan­ken­split­ter und Blü­ten der Kri­tik ver­wie­sen, die wir in die­sem Gar­ten sprie­ßen las­sen wol­len. Und zwar aus der Feder nam­haf­ter Autor_innen und befreun­de­ter Kolleg_innen. Das gan­ze kann bier­ernst, iro­nisch, lite­ra­risch, per­sön­lich, pole­misch, abwe­gig, sach­lich und/oder zuge­spitzt sein.

Heimatschutz“: Kriminologisches Wimmelbild

Stefan Aust, Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU, Patheon 2014, 864 Seiten, ISBN: 978−3−570−55202−5

 

Heimatschutz von Dirk Laabs
Buch­co­ver von „Hei­mat­schutz“, der ambi­tio­nier­ten NSU-Gesamt­schau von Dirk Laabs und Ste­fan Aust

Auch das noch, war der ers­te Gedan­ke vie­ler, die sich inten­siv mit dem NSU-Kom­plex beschäf­ti­gen, als der 800-Sei­ten-Klotz „Hei­mat­schutz. Der Staat und die Mord­se­rie des NSU“ im Juni 2014 auf den Tisch gedon­nert wur­de. 350.000 Sei­ten Ermitt­lungs­ak­ten, 488 Sei­ten Ankla­ge­schrift mit 1600 Fuß­no­ten im Mün­che­ner NSU-Ver­fah­ren, 1400 Sei­ten Abschluss­be­richt des NSU-Unter­su­chungs­aus­schus­ses des Bun­des­ta­ges, gewich­ti­ge Abschluss­be­rich­te der Par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schüs­se (PUA) der Län­der Bay­ern, Sach­sen und Thü­rin­gen, Kom­mis­si­ons­be­rich­te, eine unüber­seh­ba­re Fül­le qua­li­ta­tiv völ­lig unter­schied­li­cher Medi­en­be­rich­te, mehr oder weni­ger glaub­wür­di­ge Recher­che­er­geb­nis­se, ufer­lo­se Inter­net­de­bat­ten, die wöchent­lich im NSU-Pro­zess dazu kom­men­den Pro­to­kol­le (z.B. von NSU-Watch), Beweis­an­trä­ge, Erklä­run­gen, Gerichts­ent­schei­dun­gen und Stel­lung­nah­men, die Aus­sa­gen von bis­her rund 400 Zeu­gin­nen und Zeu­gen mit ent­spre­chen­dem Medi­en­echo, und dann eben noch eine gan­ze Rei­he von Buch­ver­öf­fent­li­chun­gen, die immer knapp zu ihrem eige­nen Ver­falls­da­tum erschei­nen und sich so stets auch dem Ver­dacht aus­setz­ten, dass sie rasch noch die Sah­ne eines media­len Auf­re­ger­the­mas abschöp­fen soll­ten. Der Wett­lauf mit dem Sahn­e­löf­fel begann nur weni­ge Mona­te nach dem Auf­flie­gen, der Selbst­ent­tar­nung, dem rät­sel­haft blu­tig-abrup­ten Ende – wie immer man das nen­nen will, was sich am 4. Novem­ber 2011 in Eisen­ach abspiel­te –, dem Ende des­sen, was seit­her irre­füh­rend das „Zwi­ckau­er Ter­ror­trio“ genannt wird: die­se frü­hen Bücher sind heu­te, zwei Jah­re spä­ter, im Grun­de wert­los, weil von den Ereig­nis­sen, die andau­ern, vom „Skan­dal in Echt­zeit“ (Tho­mas Moser in „Geheim­sa­che NSU“) längst über­holt wor­den sind. War­um also soll­te man sich den Tort antun und sich durch das – ver­mut­lich eben­so kurz­le­bi­ge – Kon­vo­lut der Autoren Ste­fan Aust und Dirk Laabs arbeiten?

Eben­so könn­te man sich dem kur­zen, aber ver­nich­ten­den Urteil von Jens Hoff­mann in kon­kret 7/2014 anschlie­ßen: „‚Hei­mat­schutz‘ ist so über­flüs­sig wie Staats­bür­ger­kun­de“. Hoff­mann stößt sich vor allem an For­ma­lem – „…dass etwa 90 Pro­zent der ver­wen­de­ten Zita­te gar nicht erst nach­ge­wie­sen wer­den“ – und dem typi­schen Kol­por­ta­ge­stil in Spie­gel-Manier, wo der V‑Mann Tho­mas Star­ke als „Halb-Grie­che“ (S. 25) ein­ge­führt wird, wo man die Pocken­nar­ben des Blood&Honour-Kaders Jan Wer­ner erst erkennt, „wenn man näher an ihn her­an­tritt“ (S. 293) und wo Bea­te Zsch­ä­pes Lächeln kaschiert, „dass sie eigent­lich nicht beson­ders hübsch ist – ihre Augen sind zu groß, die Lip­pen zu schmal, die Nase ist zu klein, die Pro­por­tio­nen ihres Gesichts schei­nen nicht zu stim­men“ (S. 193). Ähn­li­che Stel­len gibt es zuhauf in dem Buch und sie sto­ßen einem tat­säch­lich sau­er auf.

Und natür­lich ist auch ziem­lich durch­sich­tig, wes­halb dem eigent­li­chen Autor Dirk Laabs der illus­tre „Ter­ro­ris­mus­exper­te“ Ste­fan Aust, der inzwi­schen als Her­aus­ge­ber in Sprin­gers „Welt“ ange­kom­men ist, auf den Bauch gebun­den wur­de: es ist anzu­neh­men, dass die Ver­mark­tungs­gi­gan­ten von Ran­dom House, bei deren Ver­lag Pan­the­on der mit dem Preis von 22,99 Euro wohl­fei­le Zie­gel erschie­nen ist, sich von Aust eine gehö­ri­ge Ver­kaufs­för­de­rung erwarten.

Wei­ter­le­senHei­mat­schutz“: Kri­mi­no­lo­gi­sches Wimmelbild“

Skandal in Echtzeit

Rezension: Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur. Verlag Klöpfer & Meyer 2014, 315 Seiten, ISBN 978−3−86351−086−2

 

Buch­co­ver „Geheim­sa­che NSU

Andre­as Förs­ter, der als frei­er Autor unter ande­rem für die Ber­li­ner Zei­tung arbei­tet, kann als mode­ra­ter und zuver­läs­si­ger Inves­ti­ga­tiv-Jour­na­list gel­ten, der wenig Auf­he­bens um sei­ne Per­son macht. Zum NSU hat er die stich­hal­tigs­ten und bes­ten Bestands­auf­nah­men zu Unge­reimt­hei­ten bei den Ermitt­lun­gen und was die Ver­stri­ckun­gen deut­scher Behör­den angeht gelie­fert. So waren die Erwar­tun­gen an ein Buch, das Förs­ter zum NSU-Kom­plex her­aus­ge­ben wür­de, hoch. Das Buch ist im Juni 2014 erschie­nen, heißt „Geheim­sa­che NSU. Zehn Mor­de, von Auf­klä­rung kei­ne Spur“ und ist zumin­dest kei­ne Ent­täu­schung. Im Gegen­teil, für inter­es­sier­te Men­schen, die beim wöchent­li­chen Par­force-Ritt im Mün­che­ner Gerichts­saal ein­fach nicht mehr mit­kom­men, die die tau­send Din­ge nicht mehr über­bli­cken, die außer­halb des Gerichts­saals eben­falls im Wochen­takt – wie etwa der Tod bis­her zwei­er Zeu­gen – für Ent­set­zen und Irri­ta­ti­on sor­gen, und die das Gefühl haben, eini­ge bri­san­te Fra­gen wer­den amt­li­cher­seits im Sin­ne einer zwei­fel­haf­ten Staats­rä­son has­tig weg­ge­fegt, für die ist das Buch genau das rich­ti­ge: eine auf gnä­di­gen 300 Sei­ten kon­zen­trier­te, schnell und gut les­ba­re Ein­füh­rung in die blin­den Fle­cken des NSU-Komplexes.

Stän­dig kom­men neue Details und Indi­zi­en in die­sem kom­ple­xen Fall an die Öffent­lich­keit“, stellt Förs­ter fest (S. 12) und damit klar, dass das Buch nur eine „vor­über­ge­hen­de Bestands­auf­nah­me“ sein kann. Und er benennt die­je­ni­gen, denen es über­las­sen bleibt, gegen den Wider­stand offi­zi­el­ler Stel­len, die offe­nen Fra­gen zu stel­len, zurück­ge­hal­te­ne Infor­ma­tio­nen und Ermitt­lungs­er­geb­nis­se auf­zu­stö­bern und „sich mit behörd­li­chen Stel­lung­nah­men nicht zufrie­den­ge­ben“: enga­gier­te Jour­na­lis­ten und „akri­bisch arbei­ten­de Neben­kla­ge­an­wäl­te“. Zwar ver­gisst er in sei­nem Vor­wort völ­lig, die kon­ti­nu­ier­li­che und unab­hän­gi­ge Recher­che von Anti­fa-Grup­pen zu erwäh­nen, die viel dazu bei­getra­gen haben, ein ers­tes Gesamt­bild einer rechts­ter­ro­ris­ti­schen Bewe­gung in Deutsch­land zu erlan­gen, aber mit die­sem Ver­säum­nis steht er im Main­stream, zu dem er in letz­ter Kon­se­quenz doch zählt, nicht allein. Geschenkt. Wei­ter­le­sen „Skan­dal in Echtzeit“