Das Oberlandesgericht in der Münchner Nymphenburger Straße. Ein Zelt, drei Durchlässe: für die akkreditierte Presse einer, rechts außen. In der Mitte die Bevölkerung, die dabei sein können soll. Für wen ist der linke Durchlass reserviert, in dem niemand in der Schlange steht? Wer steht da sonst, wer fehlt heute? Ich bin das erste Mal hier. Also direkt vor dem Gerichtsgebäude. Ich bin nicht niemand, ich gehöre nicht zur akkreditierten Presse. Ich stehe in der Mitte. Ein Schild weist mein Interesse und meine Zugehörigkeit zu dieser Interessengruppe als legitim aus. Es scheint, ich repräsentiere die Bevölkerungsmehrheit. Weiterlesen „«Vielleicht gehörten unsere Leben nicht immer uns, aber die Toten waren immer unsere Toten.» (Mario Levi)“
Author: Koray Yılmaz-Günay
Splittergarten
In der Kriminaltechnik wird zur Ermittlung von Wucht und Wirkung einer unkonventionellen Explosivvorrichtung ein Versuchsareal abgesteckt, das als «Splittergarten» bezeichnet wird.
Unsere regelmäßige Kolumne zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in unseren Themenfeldern wird unter dem poetischen Titel auf Gedankensplitter und Blüten der Kritik verwiesen, die wir in diesem Garten sprießen lassen wollen. Und zwar aus der Feder namhafter Autor_innen und befreundeter Kolleg_innen. Das ganze kann bierernst, ironisch, literarisch, persönlich, polemisch, abwegig, sachlich und/oder zugespitzt sein.
«Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit» (Melissa Gira Grant)
Sexarbeiter_innen kommen in der laufenden Verbots- und Kriminalisierungs-Debatte kaum selbst zu Wort. In ihrem Buch «Hure spielen» lässt Melissa Gira Grant, Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin die Akteur_innen selbst zu Wort kommen. Sie plädiert für einen grundsätzlich neuen Blick auf die Sexindustrie – inklusive männlicher und transsexueller Sexarbeit. Die Dokumentation ihrer Buchpräsentation am Freitag, den 17. Oktober 2014, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Katharina Florian (Edition Nautilus) sowie Liad Kantorowicz (Moderation) ist mit begleitendem Material jetzt online einsehbar: http://www.rosalux.de/documentation/51717.
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Das lähmende Mosaik: Rassismus als Alltagserfahrung
Es sind vor allem zwei Probleme, die ein zielführendes Gespräch über beziehungsweise eine funktionierende Arbeit gegen Rassismus erschweren. Zum einen wird er entweder als Phänomen der Nazizeit historisiert oder als Merkmal des aktuellen ‹Rechtsextremismus› debattiert. Rassismus ist unzweifelhaft eines der Ideologieelemente des Neonazismus, vieler populistischer Parteien, aber auch hetzerischer Rede in Büchern, an Wahlkampfständen oder bei Gästen von Fernsehtalkshows. Dass er aber wesentlich mehr ist als das, was lange zurückliegt oder bloß am sogenannten Rand der Gesellschaft stattfindet, taucht allzu selten auf: Kinder, die hier geboren werden, gelten nach wie vor zuerst einmal als das, was ihre Eltern sind oder die Großeltern einmal waren: Migrantinnen und Migranten, ‹mit Migrationshintergrund› oder ‹nicht-deutscher Herkunft›. Menschen, die aus einem Mitgliedsstaat der EU kommen, haben andere Rechte beim Zugang zu Arbeit, Gesundheit und politischer Teilhabe als ‹Drittstaatenangehörige›. Schwarze werden – unabhängig von Pass oder Migrationsgeschichte – nicht nur von der Bundespolizei anlassunabhängig kontrolliert. Tatsächliche oder vermeintliche Sprachkenntnisse, das Äußere, die Staatsangehörigkeit, der Name, die Religion und viele andere Merkmale, wie es im juristischen Antidiskriminierungs-Deutsch heißt, sorgen dafür, dass in Medien, Politik, auf dem Arbeitsmarkt, im Fitnessstudio oder in der Schule Menschen in Gruppen sortiert und diese Gruppen mit einer Wertigkeit versehen werden. Nicht zuletzt die Schulleistungsuntersuchungen der OECD (sogenannte Pisa-Studien) haben deutlich aufgezeigt, wie wenig es der individuelle (Un-) Wille ist, der Bildungsleistungen und ‑aufstiege beeinflusst. Die institutionellen und die strukturellen Bedingungen, unter denen wir allesamt leben, begünstigen die einen und benachteiligen – und zwar systematisch – die anderen: auch wenn es niemand böse meint, auch wenn die Meinenden nicht ‹-extrem› sind. Weiterlesen „Das lähmende Mosaik: Rassismus als Alltagserfahrung“
Migration & Sexarbeit: Diskussionsforum
Die Themen Prostitution/Sexarbeit und Menschenhandel werden immer wieder besonders erbittert diskutiert. Gleichzeitig stehen derzeit auf mehreren Ebenen politische Weichenstellungen an. Das Europäische Parlament berät den Vorschlag, nach dem Vorbild Schwedens die Bestrafung von Freiern in allen Mitgliedsstaaten einzuführen. In Deutschland wird im Herbst eine Entscheidung zur Revision des Prostitutionsgesetzes gefällt werden. Jüngst wurde im Bundesrat eine Erlaubnispflicht für Bordelle beschlossen. Angeheizt wurde die Debatte vor einigen Monaten aber auch durch eine Kampagne der Zeitschrift Emma, die Prostitution mit Sklaverei gleichgesetzt und eine Rücknahme des Prostitutionsgesetzes (ProstG in Kraft seit 2002) forderte. Die Meinungen zu diesen Entwicklungen gehen auch innerhalb der gesellschaftlichen und politischen Linken weit auseinander. Zwischen der Forderung nach kategorischem Verbot und einer unkritischen Pro-Prostitutions-Haltung liegen viele verschiedene Positionen.
Das im April 2014 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte «Standpunkte»-Papier mit dem Titel «Liberal zu sein reicht nicht aus» von PG Macioti hat zu zahlreichen, stark voneinander abweichenden Reaktionen geführt. Aus diese Anlass wird mit diesem Blog wird ein moderiertes Forum eröffnet, das Raum für Anmerkungen, Austausch und Diskussion schafft und die Debatte für eine weitere Öffentlichkeit erschließt. Veröffentlicht werden Debattenbeiträge, die sich auf das Papier beziehen, aber auch darüber hinausgehende Positionen einnehmen können. Wir bitten wenn möglich um Beiträge in geschlechtergerechter Sprache.
Die hier vertretenen Positionen sind individuelle Meinungsäußerungen und geben nicht zwangsläufig die Meinung des Redaktionsteams wieder.
Redaktion: Koray Yılmaz-Günay, Referent für Migration; Dr. Eva Schäfer, Referentin für Geschlechterverhältnisse; Katharina Pühl, Referentin für feministische Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse; Laura Bremert, Praktikantin Referat feministische Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse; Lukas Fuchs, Mitarbeit im Bereich Migration der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.