
Es muss eigentlich nicht darüber diskutiert werden: Während der Corona-Krise muss die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden und qualitativ guten Lebensmitteln gesichert werden. Das gilt ausnahmslos für alle. Sowohl für die Bevölkerungsgruppen, deren Einkommen weiter gezahlt werden oder die ein finanzielles Polster besitzen, als auch für die Personen, die schon seit vielen Jahren einen hohen Teil ihres Einkommens oder ihrer Transferleistungen für die Versorgung mit Nahrungsmitteln ausgeben müssen. Die Versorgung mit Essen muss an erster Stelle stehen, weshalb auch aktuell die (durchaus berechtigte) linke Kritik am System der «Tafeln» ausgesetzt werden sollte.
Aber bei der Frage, wie die Nahrungsmittelversorgung gesichert werden soll, reibt man sich bei einigen Aussagen jedoch verdutzt die Augen. Politik und Verbände sehen die deutsche Gemüseproduktion in akuter Gefahr, weil durch die seuchenbedingten Grenzschließungen die polnischen, rumänischen und ukrainischen Arbeitskräfte fehlen (könnten). Die oftmals schlecht bezahlten saisonalen Arbeitskräfte, euphemistisch «ausländische Erntehelfer*innen» oder «Saisonarbeiter*innen» genannt, stechen Spargel oder pflücken Erdbeeren. Bundesagrarministerin Julia Klöckner wollte dementsprechend zunächst Gastronomiebeschäftige, die von ausbleibenden Gästen betroffen sind, als Saisonarbeiter*innen verpflichten.
Jetzt kam ihr nächster Vorschlag: «Asylbewerber» auf die Felder. Dazu schrieb sie, dass «der ein oder andere aus sicheren Herkunftsländern wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, aus Nordmazedonien, Montenegro, Serbien oder auch dem Senegal könnte durchaus Interesse an der Arbeit in der Landwirtschaft haben». Auf den ersten Blick ein gar nicht mal uninteressanter Vorschlag: Migrant*innen in der Provinz könnten dort zu einigem Umdenken führen, gilt der Raum doch als besonders empfänglich für rechte Propaganda und rassistische Vorurteile. Und viele Asylsuchende wollen, aber dürfen von Gesetzes wegen während ihres Asylverfahrens gar nicht arbeiten. Die Krise für ein Umdenken zu nutzen, wäre zu begrüßen. Dennoch ist der Vorschlag nicht ohne Chuzpe. Es wird suggeriert, dass Personen aus den genannten Ländern landwirtschaftliche Arbeit mehr liegt als Migrant*innen aus anderen Ländern, zum Beispiel der Europäischen Union. Und es wird betont, dass die Personen durch diese Arbeit keinen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten würden, schließlich kommen sie aus sogenannten «sicheren Herkunftsländern». Selbst nach der temporären Arbeit wären sie wieder von Abschiebung bedroht. Denn die Arbeitserlaubnis soll nur begrenzt erfolgen und nicht dauerhaft vergeben werden.
Ohne Frage: Solidarität mit der Landwirtschaft war schon vor der Corona-Krise notwendig, um Höfesterben zu beenden, eine agrarökologische Wende zu erreichen und lebenswerte ländliche Räume zu schaffen. Aber ehrlich, so?
Als antirassistischer Agrarwissenschaftler ärgert den Autor diese Aussage besonders.
Ein weiterer interessanter Beitrag zu diesem Thema: https://www.rosalux.de/news/id/41822/systemrelevanz-ja-arbeitsrechte-nein