Von Mareen Heying
Zunächst möchte ich PG Macioti für ihr sehr gutes Standpunkte-Papier danken. Die Autorin ist äußerst gut informiert und weiß, worüber sie schreibt – gerade beim Thema Sexarbeit ist das leider keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil. Menschen lieben es, sich zu Prostitution zu äußern, ohne auch nur im Ansatz zu wissen, wie sich das so genannte «Rotlichtmilieu» bestimmt und wie es den überwiegend weiblichen Sexarbeiterinnen geht. Und nein, es reicht nicht aus, einen Mainstream-Presse-Artikel gelesen zu haben. Sondern wer sich zu Sexarbeit äußert, sollte sich mit den Positionen der in der Prostitution Tätigen beschäftigen; durch Gespräche, das Lesen von Hurenzeitschriften und ‑büchern und durch genaues Hinhören statt vorschneller moralischer Bewertung. Wir Linke glauben doch auch sonst nicht, was uns die Medien verkaufen wollen, warum bei der Prostitution?
Dabei ist es so leicht, die Stimmen Sexarbeiterinnen zu hören – für die Leute, die sie hören möchten. Der sich im Oktober 2013 gegründete Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. informiert auf seiner Webseite sexwork-deutschland.de über aktuelle Forderungen und zeigt die Vielschichtigkeit der in der Prostitution Tätigen auf. Ihre Ziele sind ähnlich denen der sich in den frühen 1980er Jahren in Deutschland konstituierenden Hurenbewegung, Teil der feministischen Bewegungen. Die Hurenbewegung forderte eine rechtliche und gesellschaftliche Teilhabe für Frauen im gleichen Maße wie für Männer. Die politisch aktiven Huren haben die Augen vor sozialen Verhältnissen nicht verschlossen und darum die Anerkennung von Prostitution als Beruf eingefordert und einen Abbau der gesellschaftlichen Diskriminierung von Sexarbeiterinnen. Denn nur eine Person, die auch gesellschaftlich anerkannt ist, hat die Möglichkeit, an einer Gesellschaft teilzuhaben. Eine Gesellschaft, die Sexarbeiterinnen nicht akzeptiert und ihnen Rechte verweigert, ist eine patriarchale Gesellschaft, die auch Frauenrechte mit Füßen tritt – wenn nicht offiziell, so hinter verschlossenen Türen. Denn die Prostitution spiegelt das Bild der Frau einer Gesellschaft wieder. Durch aktive Medienarbeit schafften es die Huren in den 1980er und 1990er Jahren, sich ein Gehör zu verschaffen. Demos, Kundgebungen und Hurenbälle sorgten für die Sichtbarmachung der Frauen. Sie forderten sexuelle Selbstbestimmung ein und eine tolerante, freie Gesellschaft, die Menschen nicht nach dem Beruf, sondern nach inneren Werten beurteilt. Allianzen mit andern benachteiligten Gruppen – auch mit feministischen Bewegungen – waren ihnen wichtig. Selbstbewusst standen sie für eine Anerkennung ihres Berufs ein, wie der Berufsverband heute.
Sicher, es gibt Frauen, die keinen Spaß an dieser Tätigkeit haben, die sich jeden Tag wünschen, etwas anderes tun zu können, aber aufgrund von Alternativlosigkeit keine andere Wahl haben. Gerade für diese Frauen sind gute Arbeitsbedingungen und eine rechtliche Anerkennung von Bedeutung, damit sie sich nicht in der Illegalität bewegen müssen. Doch Menschen, die sich mit ihrem Beruf unwohl fühlen, haben wir in jedem Bereich, da wir alle entfremdete ArbeitnehmerInnen sind. Wer geht jeden Tag gerne Haare schneiden? Wer geht jeden Tag gerne den Dreck anderer Menschen wegwischen? Aber FriseurInnen und Putzkräfte werden fast nie nach Freiwilligkeit gefragt. Warum die Sexarbeiterinnen? Eine Escort-Dame erklärte jüngst auf einer Feier zum 2. Juni, dem Internationalen Hurentag, dass sie über zehn Jahre einen Bürojob hatte, den sie nicht mochte. Niemand habe sie je gefragt, ob sie dies freiwillig tue. Seitdem sie in der Sexarbeit einen Beruf, sogar eine «Berufung» gefunden habe, müsse sie sich die Frage stellen lassen, die sie stets mit «ja» beantwortet. Hätte sie das in Bürojob jemand gefragt, hätte sie «nein» gesagt, aber das wollte niemand wissen.
Zwar würde auch ich – wie Macioti – nicht davon sprechen, dass Prostitution ein Beruf wie jeder andere ist, aber ich möchte eine Gegenfrage stellen: Was ist ein Beruf wie jeder andere? Herzchirurgin? KFZ-Mechaniker? Schädlingsbekämpferin? Gourmet-Koch? Die Bahn preist die freien Stellen im Betrieb an mit dem Slogan «Kein Job wie jeder andere». Muss ein Beruf nun also «wie jeder andere» sein, um als Beruf zu gelten oder nicht? Reicht es nicht aus, dass Sexarbeiterinnen ihre Dienstleistung als Erwerbstätigkeit bezeichnen, mit der sie sich ihren Lebensunterhalt finanzieren? Die Antwort ist trivial: Es gilt als Arbeit jene, die gesellschaftlich anerkannt ist, wer auch immer darüber entscheidet. Und der ökonomische Zwang, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, macht aus einer Prostituierten keine Frau, die unter Zwang arbeitet.
Huren, die öffentlich dazu stehen Sexarbeiterin zu sein und ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben, wird vorgeworfen, nicht repräsentativ zu sein. Nun, auch hier möchte ich eine Gegenfrage stellen: Bin ich eine repräsentative Feministin? Ist Angela Davis eine repräsentative Feministin? Sind es die Frauen von Femen? Es gibt nicht die Feministin und es gibt nicht die Prostituierte – so einfach ist das nicht. Wie auch Macioti schreibt: Die Prostituierten sind keine homogene Gruppe – ebenso wenig wie ihre Kunden. Der Freier ist laut der deutschen Hurenbewegung «ein ganz normaler Durchschnittsmann». Diesen Durchschnittsmann zu bestrafen, wie es in Schweden gesetzlich geregelt ist, ist ein Schuss nach hinten. Kunden, die Sorge hatten, eine Prostituierte könne unter Zwang stehen, wenden sich nun nicht mehr an eine Beratungsstelle, da sie Angst vor einer Anzeige haben. Die Gelder zur Umsetzung des Gesetzes gingen an Polizei und Verwaltung, sie wurden nicht in Ausstiegsprogramme für die Sexarbeiterinnen investiert. Die Prostitution gibt es im skandinavischen Land weiterhin, sie ist nur nicht mehr so sichtbar, sie findet im Untergrund statt, die Frauen stehen unter einem größeren Druck. Auch die rechtliche Grundannahme zum Gesetz ist bereits falsch: Prostitution wird in Schweden als Gewalt gegen Frauen definiert und daher der Kunde bestraft. Aber nicht Prostitution ist Gewalt gegen Frauen, sondern der gesellschaftliche und rechtliche Umgang mit Sexarbeiterinnen, sie zu entrechten und zu kriminalisieren, ist Gewalt gegen Frauen. Über sie zu reden und nicht mit ihnen, sie aus Entscheidungsprozessen fernzuhalten, das ist Gewalt gegen Sexarbeiterinnen.
Die gesellschaftliche Gleichsetzung von Prostitution und Menschenhandel blendet nicht nur die vielfältigen Feldbereiche der Sexarbeit aus, vor allem lässt sie die Ausmaße von Menschenhandel im Baugewerbe oder in der Pflege verblassen. Menschen werden durch andere Menschen ausgebeutet. Das ist ein Fakt und der muss von allen, aber gerade von uns Linken bekämpft werden. Ausgebeuteten Menschen müssen wir solidarisch die Hand reichen und in ihren antikapitalistischen Kämpfen gegen Unterdrückung unterstützen – auf Augenhöhe, Seite an Seite. Sexarbeiterinnen aber per se einzureden, sie seien Opfer, sie mundtot zu machen und zu stigmatisieren, ist falsch. Es gibt genug echte feministische Probleme, etwa wenn vermeintliche Feministen sich als Sexisten und Frauenschläger entpuppen, wenn die akademischen Feministinnen vor lauter Theorie die Praxis vergessen. Dort muss angesetzt werden, nicht krampfhaft ein Opfer stilisiert werden, das es so nicht gibt. Huren müssen nicht «gerettet» werden, sie müssen wie alle anderen Menschen respektiert werden, Sexarbeiterinnen sind Subjekte, keine Objekte.
Das von PG Macioti sehr genau beschriebene Hurenstigma führt zu psychischen Belastungen von Prostituierten. Frauen leiden darunter, dass sie ihrer Familie den Beruf verheimlichen müssen, das ständige Lügen ist anstrengend. Wahre FreundInnen zu finden, ist sehr schwer. Darunter leiden sie viel mehr als unter der Arbeit. Gerade dieses Stigma macht es Frauen, die nicht mehr in der Sexarbeit tätig sein wollen, so schwer, auszusteigen. Gerade Migrantinnen in der Sexarbeit sind durch diese Mehrfachdiskriminierungen doppelt belastet. Macioti plädiert dafür, das Hurenstigma zu bekämpfen. Das ist gut und richtig. Leider ist das nicht neu. Es spricht nicht gegen den Text, dass sie wiederholt, was die Hurenbewegung bereits vor Jahren forderte, es zeigt, dass die Forderungen der Hurenbewegung noch immer nicht umgesetzt wurden, dass Frauen, die promiskuitiv leben, noch immer nicht gesellschaftlich anerkannt werden.
Anders als PG Macioti denke ich nicht, dass Frauen sich das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schon erstritten haben. Denn dann hätte ich diesen Text nicht schreiben müssen. Die Selbstbestimmung müssen wir uns noch erobern, in Bündnissen mit anderen Frauen und mit Sexarbeiterinnen, denn – um Pieke Biermann zu zitieren – Prostituierte sind «Frauen, wie andere auch». Sexarbeit ist Arbeit und Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht.
Mareen Heying, Historikerin, Autorin, Redakteurin der feministischen Zeitschrift Wir Frauen, promoviert zur Hurenbewegung in einem deutsch-italienischen Vergleich. Arbeitsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechtergeschichte, antifaschistischer Widerstand, Geschichte der Prostitution. Heying ist Promotions-Stipendiatin der Rosa Luxemburg Stiftung.