Von Christiane Howe
Prostitution ist, wie auch PG Macioti in ihrem Beitrag feststellt, ein sehr facettenreiches und komplexes Feld. Nicht nur in Deutschland bestehen bis heute unterschiedliche ethische Grundhaltungen zu dieser Art der Tätigkeit. Kategorien wie Menschenwürde, individuelle Handlungsfreiheit, sexuelle Selbstbestimmung sowie Gleichberechtigung von Mann und Frau werden hier in unterschiedlicher Weise inhaltlich gefüllt und gegeneinander abgewogen.
Die Begriffe Prostitution, Sexarbeit, Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und/oder der Ausbeutung der Arbeitskraft (§232, §233 StGB), Gewalt und der reißerische, nebulöse Begriff «Zwangsprostitution» gehen hierbei vielfach durcheinander. Differenzierungen sind selten, meist wird zwar alles in einen Topf geworfen, das eine aber ohne das andere gedacht und kann deshalb nicht zusammenhängend besprochen oder diskutiert werden. Es treffen sich hier vielfältige Linien von Machtverhältnissen, die es alleine bereits schwer machen, das Ganze zu fassen. Zudem berühren sie an vielfältigen Schnittstellen «Eingemachtes», was sich an der emotionalen Aufgeladenheit und den polarisierenden Debatten zeigt. Es liegt nahe, die Linien und Ebenen einzeln zu betrachten, um sich dem Ganzen annähern zu können. Auch wenn es wiederum eine zumindest punktuelle Komplexitätsreduktion unvermeidlich macht.
Macioti hat in ihrem Beitrag versucht, die Komplexität des Hurenstigmas aufzufächern. Ein recht vielversprechender Ansatz. Ich denke dennoch, dass sich sexuelle Normen und sexuelles Verhalten in den letzten Jahrzehnten durchaus verändert haben. Inwieweit diese Veränderungen im Kontext der m.E. nach wie vor überwiegend dichotomen Geschlechterkonstruktionen grundlegend feststellbar sind, bleibt zwar weiterhin fraglich. Hinsichtlich der Sexarbeit oder des Hurenstigmas hat sich, meiner Einschätzung nach, aber der Fokus durchaus verschoben. Verändert hat sich die strikte gesellschaftlich anerkannte Normierung, gegossen in die Form der Ehe, die ehemals festlegte, wann, wo und wie Begehren und Sexualität in legitimer Art und Weise – jeweils unterschiedlich für Männer und Frauen – stattfinden durfte. Dieser Konstruktion und strikten Normierung lag eine klare Geschlechterdichotomie zugrunde, zugespitzt formuliert: die zurückhaltende, passive Frau, die kein Begehren kennt, und der aktive, sich die Welt aneignende Mann, der nur Begehren kennt. Diese Dichotomie wurde (und wird) von allen Beteiligten in ihrer je aktuellen Form vorgefunden und (re-) produziert. Dabei umfasst das «Konstrukt»Sexualität individuelle und kollektive Imaginationen, phantasmatische Besetzungen des Körpers, Wünsche und Erfahrungen, Körpererleben und ‑sensationen. Sexualität wird im Laufe eines Lebens ausgebildet, entwickelt und gestaltet, und zwar im Rahmen des jeweils kulturell entwickelten Verständnisses von Sexualität, in dem wir sexuell werden und sind.
Die strikt-normierten Zuschreibungen und Rahmenbedingungen für das Ausleben von Sexualität haben sich verändert, ihnen ist eine Aushandlung über Formen und Umsetzungen von Begehren und Lust gewichen. Alles ist oder scheint erlaubt, was hier zwei oder mehrere Menschen freiwillig und möglichst auf gleicher Augenhöhe miteinander vereinbaren, im besten Falle geht es gleichermaßen um die Lust aller Beteiligten. Damit konnten zumindest in Ansätzen auch die Promiskuität von Frauen, insbesondere als serielle Monogamie gelebt, sowie gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine stärkere Akzeptanz erfahren.
Höchste gesellschaftliche Anerkennung erfährt jedoch nach wie vor die Verbindung der sexuellen Lust mit romantischer Liebe. Sexualität ist in Beziehungen jedoch zu einem Gradmesser ihres Gelingens geworden, zu einem Medium und Zeichen von gemeinsamer Selbstverwirklichung. Sie gilt heute als intimster und authentischer Ausdruck des eigenen Selbst und ist mit diesem untrennbar verbunden. Daraus folgen entsprechende Identitätskonstruktionen und entwickeln sich entsprechende Vorstellungen darüber, wie Begehren, Lust und Sexualität heute zu leben sind. Es entstehen wiederum Normierungen. Jenseits der beschriebenen Veränderungen sind hierbei die geschlechtsspezifisch geprägten Begehrensstrukturen weitgehend bestehen geblieben: Sie wird begehrt. Er begehrt. Daraus folgen bestimmte, geschlechtsspezifisch anerkannte Skripte, die konkrete sexuelle Handlungen und Praktiken hervorbringen. Diese sind verknüpft mit der Ausbildung und Bestätigung von geschlechtsspezifischen – weiblichen wie männlichen – Identitäten, so z.B. die schöne Frau und der gute Liebhaber.
Der aktuellen Aushandlungsnorm zweier oder mehrerer sich hier (vermeintlich besonders) authentisch und intim begegnender männlicher, weiblicher, trans* Individuen steht – in fast logischer Weise – die Sexarbeit entgegen, denn hier wird unter anderen Vorzeichen ausgehandelt: Es geht (meist) ausschließlich um seine Lust und ihren Verdienst. Es geht um Arbeit, eine von ihrer Seite aus aktiv erbrachte (sexuelle, erotische) Dienstleistung – für viele heute in der Konkretion einer quasi entäußerten, vermarkteten Sexualität kaum vorstellbar – und ums Bezahlen dieser Arbeit, ums Geldverdienen, ihren Lebensunterhalt oder einen Zusatzverdienst.
Ist Sexarbeit Arbeit? Im Sinne von zur Verfügung stellen von Zeit, Raum, Verausgabung geistiger und körperlicher Arbeitskraft? Sexarbeit kann grundsätzlich als eine aktive und im Voraus getroffene Vereinbarung beschrieben werden. Dabei wird eine bestimmte Geldsumme gegen verabredete sexuelle, erotische Dienstleistungen getauscht. Die Begegnung kann von Seiten der Kunden als eine «projektive Inszenierung» beschrieben werden, von Seiten der Sexarbeiter_in als eine professionelle, durchaus intime, aber keine persönlich-private Beziehungsaufnahme. Letztere wird in aller Regel weder von der Sexarbeiter_in noch vom Kunden gewünscht, da es die professionelle und schützende Konstruktion vergleichbar bei einer Therapie, verlassen würde. So legen sich die in der Sexarbeit Tätigen auch durchgängig Berufsnamen zu.
Ein Anfang und ein Ende sowie Grenzen der Begegnung sind klar umrissen, da jede Tätigkeit seitens der Sexarbeiter_innen vereinbart und bezahlt werden muss. Für alle Beteiligten besteht dadurch kaum die Gefahr, die Kontrolle über diese Geschäftsbeziehung, das Loslassen oder die eigenen Gefühle zu verlieren. Als professionell arbeitende Dienstleister_in regelt sie_er den Ablauf: von der Kontaktaufnahme über die Verhandlung bis zur konkreten Gestaltung der Intimkommunikation mit dem Freier. Das heißt, hier kann und darf die bis heute bestehende klassische dichotome Geschlechterkonstruktion aufgehoben werden: So kann er den durchaus anstrengenden Job des guten Liebhabers hinter sich lassen, sich in wissende und zupackende Hände einer sexuell aktiven Frau (der «Hure», hier liegt meiner Einschätzung nach das Stigma begründet) begeben und den Wonnen der passiven Hingabe überlassen ohne als «Waschlappen» zu gelten. Folglich lässt sich auch das direkte Verhältnis von Kunden und Sexarbeiter_innen nicht einfach als (sexuelles) Gewaltverhältnis beschreiben. Macht- und Gewaltausübung sind kein Kundenmerkmal.
Da wir im Zeitalter der vermeintlich vollzogenen Emanzipation leben und die bestehende Begehrens-/Geschlechter-Dichotomie ausblenden sowie Sexualität mit ihrer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gegenwärtig zur eigenen Vervollkommnung selbstverständlich und untrennbar dazugehört sowie Ausgangspunkt und Bedingung für eine befriedigende Partnerschaft ist, hat sich der Diskurs über Sexarbeit auch zunehmend verschoben. So stellen sich mehr denn je Fragen, wer denn heute noch in diesem Bereich tätig ist und wer das überhaupt noch nachfragt? Sexarbeit scheint folgerichtig in der aktuellen gesellschaftlichen Imaginationen eher von Ausbeutung, geringen Ressourcen, kaum vorhandenen Zugängen und Möglichkeiten geprägt zu sein, die Menschen auf das vermeintlich einzige, was noch bleibt, reduziert: den Verkauf des Körpers, der konsequenterweise mit einer hohen Ausbeutung einhergeht. Und auf Kunden, die es nötig haben oder ansonsten keine Möglichkeiten. Abgesehen von diesen Stigmatisierten hat das alles doch niemand mehr nötig. In solcher Form Geld zu verdienen, scheint überholt, mit Ausnahme vielleicht noch für die verschwindend wenigen, die es einfach aus Lust und Passion tun und sich damit wiederum zulässigerweise selbstverwirklichen.
Um sich im Kontext dieser Vorstellungen der Sexarbeit etwas «sachdienlicher» zu nähern, ist es möglicherweise ratsam, zwei relevante Ebenen zu unterscheiden: das Verhältnis von Kunden (weniger von Kundinnen) und Sexarbeiter_innen sowie die ausbeuterischen bis Zwang ausübenden Rahmenbedingungen. Also die Frage danach, was genau wie in der Sexarbeit stattfindet und welche Rolle Menschenhandel, Arbeitsausbeutung und Zwang darin spielen.
Maciotis Forderungen kann ich mich weitgehend anschließen, eine weitere Kriminalisierung zur Lösung dieser komplexen Probleme ist völlig ungeeignet und setzt am falschen Ende an. Sie stellt eine ganze Branche wieder ins Zwielicht. Die Anerkennung als Arbeit ist meiner Meinung nach jedoch längst überfällig. Die bestehenden (gesetzlichen) Rahmenbedingungen und Sondergesetze der Branche gehören auf den Prüfstand, die Ausbeutung der Arbeitskraft und die teilweise schwierigen Arbeitsbedingungen sollten stärker in den Fokus genommen werden. Insbesondere hier, bei den Verantwortlichen, u.a. den Arbeit- und Gesetzgebern, bei der Umsetzung in den Kommunen und Verwaltungen und mit der Stärkung der Rechte von Sexarbeiter_innen kann durchaus ein erster Ansatz zu einer nachhaltigen Verbesserung liegen. Die Veränderung in Bezug auf das von ihr angesprochene Hurenstigma setzt allerdings eine grundlegende Veränderung in der dichotomen Geschlechterkonstruktion voraus, die noch zu leisten wäre.
Christiane Howe ist Soziologin. Sie hat in verschiedenen Forschungsprojekten zum Thema gearbeitet und forscht aktuell zur polizeilichen Präventionsarbeit. Kontakt: howe@hu-berlin.de.
Zur Information ein feministischer Beitrag für Linke Männer und Linke Männer hörige Frauen.
http://diestoerenfriedas.de/?p=223