Englisch-Schulbücher stellen einen von wenigen Räumen in der BRD dar, in denen das Thema Rassismus aktuell explizit und vergleichsweise ausführlich diskutiert wird. In einer Analyse von 18 Englisch-Lehrwerken für die Sekundarstufe II im Bundesland Bremen, die zwischen 2000 und 2010 erschienenen sind, konnte ich nachzeichnen, wie diese Auseinandersetzung mit Rassismus in den Schulbüchern selbst in Rassismus verwoben ist (Bönkost 2014). Diese Verstrickung macht sich insbesondere an der regelhaften Verwendung des Rassebegriffes in den Unterrichtswerken fest. In über 100 Lerneinheiten der untersuchten Bücher wird der Begriff gebraucht. Trotz einer begrifflichen Unschärfe und regelrechten Begriffsdiffusität in einigen Lehrwerken kennzeichnen die Thematisierungen von «Rasse» in den Schulbüchern bestimmte Strukturen. Zum Beispiel wird der Begriff am häufigsten mit Bezug auf die USA als Zielsprachenland benutzt.
Die Verwendung des Rassebegriffes im Rahmen der Repräsentation der USA in den Schulbüchern lässt vermuten, dass bei der Schulbuchproduktion Überlegungen darüber, wie die Adressat_innen den Ausdruck interpretieren könnten, kaum bedeutungsvoll waren. Der Rassebegriff funktioniert lediglich als zuordnender Begriff und Personenbeschreibung. Kein Schulbuchtext erklärt, welche Bedeutung ihm zukommt und warum Menschen in den USA, wie z. B. die vielfach ausdrücklich als «Rassen» angesprochenen Gruppen «Schwarze» und «Weiße», «rassisch» kategorisiert werden. Damit rücken die Lehrwerke die Differenz der vermeintlichen «Rassen» selbst in den Vordergrund. Weil sie das im Zusammenhang mit dem Rassebegriff angebotene Wissen kaum begründen und erläutern, ist die Bedeutung des Begriffes kontextuell bestimmt.
Ich konnte drei wiederkehrende Verwendungskontexte des Rassebegriffes in den Lehrwerken ermitteln:
- Die erste Kontextbedeutung umfasst die Beschreibung von «Rasse» als apolitische Kategorie, die über ihre verschiedenen Ausprägungen die US-amerikanische Bevölkerung in mehrere quantifizierbare Kollektive teilt. Zwecks Erfassung von Daten zur demografischen Entwicklung der USA wird auf sie zurückgegriffen.
- In seiner zweiten Bedeutung verweist der Rassebegriff auf ein Identitätsmerkmal mit einer möglichen politischen Implikation. Hier wird rassistische Diskriminierung thematisiert. Die Texte mit diesem Bedeutungsgehalt beziehen sich nur auf «Schwarze» und «Weiße», beschreiben diese als oppositionelles Paar und zeigen Differenzen zwischen ihnen auf. Während Erstere als von rassistischer Ausgrenzung betroffen dargestellt werden, werden «weiße» US-Amerikaner_innen in der Rolle als nicht von Rassismus diskriminierte Menschen portraitiert. Sie werden außerhalb des Konstruktionsprozesses von Rassismus verortet, so dass die Kategorie «weiß» als politisch neutral beschrieben wird. Gesamtgesellschaftliche Machtverhältnisse bleiben unberücksichtigt.
- Drittens weist der Ausdruck «Rasse» eine Ähnlichkeit mit dem Ethnizitätsbegriff auf. Hier ist die kulturelle Vielfalt der USA vordergründig, der sich die Schulbuchtexte trotz des verwendeten Rassebegriffes vor allem über einen vermeintlich politisch neutralen Ethnizitätsbegriff annähern.
Aus den Lehrwerken heraus abgeleitet kann deshalb die Frage Was ist «Rasse»? nur bedingt für alle Schulbuchtexte gleich beantwortet werden. Immer funktioniert der Begriff jedoch als vermeintlich natürliche Differenz- und Identitätskategorie, die die Bevölkerung in mehrere Gruppen unterteilt. Alle drei Bedeutungsdimensionen setzen damit voraus, dass Menschen selbstverständlich einer «Rasse» angehören. Kein Text verweist explizit auf den sozialen Konstruktionscharakter der Kategorie und nur aus wenigen Texten geht diese Information implizit hervor, so dass die «rassische» Zugehörigkeit des Individuums regelhaft als naturhaft und vom historischen Kontext losgelöst erscheint. Die Schulbücher suggerieren somit eine Neutralität von «Rasse», die es weder in den USA noch in Deutschland jemals gab und die gegenwärtig nicht existiert.
Um die Gründe für das Zustandekommen und die umfassendere soziale Bedeutung der Deutungsmuster, die die Repräsentationen von «Rasse» in den USA in den Lehrwerken betreffen, zu erfassen, muss gefragt werden, welche Interessen mit ihnen verfolgt werden. Wer profitiert warum und inwiefern von diesen Lerninhalten?
Die spezifische Verwendung des Rassebegriffes in den Schulbüchern konstituiert auf der impliziten Bedeutungsebene eine die deutsche Gesellschaft betreffende weiße Subjektposition. Sie bezieht sich auf die Lebenswelt und Erfahrungen in einer rassistischen Gesellschaft der Adressat_innen. Denn die Bücher bieten den Leser_innen eine Rolle als Betrachter_innen von «Rasse» in den USA an. Diese Rolle kann auch als Ort verstanden werden, von dem aus «Rasse» in den USA wahrgenommen wird. Als unhinterfragter Blickwinkel des Sprechens über ist dieser Ort machtvoll. Denn die Beschäftigungen mit «Rasse» in den Schulbüchern bieten den Leser_innen machtvolle bekannte rassifizierende Wahrnehmungsweisen an. Sie stellen als Lerninhalt die Normalität der rassistischen Ordnung der sozialen Welt bereit und machen den Adressat_innen das Angebot, ihre eigene Identität innerhalb dieser Strukturen zu begreifen. Damit präsentieren die Bücher mit ihrer Thematisierung von «Rasse» in den USA ein Wissensangebot, das geltende rassistische Herrschaftsverhältnisse in Deutschland bestärkt. Sie wiegen das vorherrschende weiße Subjekt in Sicherheit, indem sie Gewissheit über die Konstanz nationaler und internationaler von Rassismus geprägten Gesellschaftsstrukturen ermöglichen. Sie stützen damit die Handlungsfähigkeit der Angehörigen der weißen Mehrheit in der Gesellschaft, während sie die Möglichkeiten gesellschaftlicher (kultureller, ökonomischer, sozialer) Teilhabe von rassistisch ausgegrenzten Personen begrenzen.
Eine rassismuskritische Gestaltung von Englisch-Schulbüchern setzt voraus, dass der Themenstrang «race» konsequent politisiert und nur in der Verbindung mit kritischen Reflexionen ungleicher Machtverhältnisse und Interessenlagen im Kontext von Rassismus angesprochen wird. Bedeutsam ist nicht primär die Auswahl der Themen, sondern eine politische Rhetorik, die konsequent deutlich macht, dass «Rasse» keine differenten festgeschriebenen Identitäten vorausgehen, sondern unterschiedliche, (diskursiv) sozial erzeugte und sich relational zueinander verhaltende Positionen der Macht mit einem ungleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen schafft. Ein vermeintlich neutraler und scheinbar natürlicher Rassebegriff, der auf affirmative Weise Vielfalt konnotiert, ist konsequent zurückzuweisen. Der Rassebegriff ist grundsätzlich als heikel zu reflektieren, weil er immer rassistische Bedeutungsinhalte transportiert. Damit würde offengelegt werden, dass er wie in Deutschland auch in den USA problematisch ist, weil er auch hier machtpolitisch missbraucht wird und mit ihm ein Kampf um Bedeutungen und damit um das Leben von Individuen zentral berührende kulturelle, ökonomische und soziale Wirklichkeiten verbunden ist.
Literatur
Bönkost, Jule (2014): Zur Konstruktion des Rassediskurses im Englisch-Schulbuch. INPUTS – Kritische Beiträge zum postkolonialen und transkulturellen Diskurs, Bd. 5. Trier: WVT.