Emil Julius Gumbel (1891−1966) war ein überzeugter Pazifist. Er kam aus einer hoch gebildeten jüdischen Familie, was sein Denken ebenso geprägt hat wie seine Erfahrung als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg wurde der junge Mathematiker auf die skandalöse Ungleichbehandlung politischer Morde von links und rechts aufmerksam.Emil Julius Gumbel hatte kurz vor dem Ersten Weltkrieg am Seminar für Statistik und Versicherungswesen der Universität München promoviert und nutzte seine Kenntnisse nun, um diese haarsträubende Ungerechtigkeit deutlich zu zeigen. In seinen Bücher „[Zwei bzw.] Vier Jahre Politischer Mord“ und „Verschwörer“ und „Verräter verfallen der Feme“ hat er detaillierte Berichte über die juristische Aufarbeitung politischer Morde Linker und Rechter vorgelegt. Er machte mit seinen Texten überdeutlich, was jeder irgendwie ahnte, aber keiner wagte, laut zu sagen. Von den 376 politisch motivierten Morden im Zeitraum von 1919 bis 1922, war die überwiegende Mehrheit von 354 Morde den nationalistischen Geheimorganisationen zuzuordnen. Seine Veröffentlichung zeigten die Doppelmoral und die nationalistischen Sympathien der Justiz. Die rechtsterroristische Gewalt im Namen von Volk und Vaterland wurde nicht nur von der Justiz und den Behörden toleriert, sondern durch skandalös niedrige Strafen indirekt unterstützt. Die zahlreichen Morde rechter Attentäter wurden durchschnittlich mit 4 Monaten Haft geahndet, dabei war keine einzige Todesstrafe. Dem gegenüber wurde bei 10 von den 22 links motivierten Morden die Todesstrafe verhängt (und vollstreckt).
Nachdem seine ersten Veröffentlichungen zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag führten, hat Emil Julius Gumbel weiter daran gearbeitet, um die Geheimstrukturen, die erst durch seine statistische Arbeit sichtbar wurden, weiter in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Diskurses zu bringen. Seine weiteren Bücher, „Verschwörer“ und „Verräter verfallen der Feme“ konzentrierten sich auf die „Schwarze Reichswehr“, deren kontinuierlicher rechter Terror die Demokratie von Anfang an gefährdete. Ein gescheiterter Versuch, ihn zum Schweigen zu zwingen, war es, ihn des Landesverrats anzuklagen.
Seine politischen Texte, die auf nationalistische Geheimorganisationen aufmerksam machten und die reaktionäre Ausrichtung der deutschen Justiz herausarbeiteten, waren höchst provokativ und mahnten die fatalen Schwächen der Republik an. Gumbel wurde für seine akribische Arbeit gehasst. Seine Tätigkeit als Wissenschaftler war in einer mehrheitlich extrem konservativen Professorenschaft äußerst gefährdet. Er wurde dennoch 1923 an der Universität Heidelberg habilitiert, an der er aufgrund seines Pazifismus‘ stets angefeindet worden war. Schon ein Jahr später fand er sich auf Hinwirken des damaligen bayerischen Kultusministers vom Dienst suspendiert. Seine Lehrberechtigung entzog man ihm 1932. Daraufhin wanderte er schon frühzeitig nach Paris aus, wo er andere Geflüchtete unterstützte und politische Schriften gegen den Nationalsozialismus veröffentlichte.
Man könnte sagen, dass Emil Julius Gumbel nur einer von vielen eloquenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Zeit war, in der Tausende in Deutschland verfolgt und zur Flucht gezwungen wurden. Aber das würde nicht stimmen. Obwohl er für seine Beiträge in statistischer Theorie anerkannt ist, sind seine politischen Schriften in Deutschland bis heute zum Großteil unbekannt – er ist vielen ein Dorn im Auge, derjenige, der genau jenen gruseligen Zusammenhang von Geheimterror und reaktionärem Staatsapparat in der Zwischenkriegszeit erkannte und durchschaute. Trotz vieler Gastaufenthalte in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren kam seine gewünschte Wiederanstellung an der Universität Heidelberg und seine Rehabilitierung nie zustande. Er blieb in den USA als Professor an der Columbia University. Seine enorm hellsichtigen politischen Werke werden bis heute ignoriert, eben weil sie das Versagen der Vernunft aufzeigen, was er am Beispiel rechten Terrors und der Komplizenschaft der deutschen Justiz in der Weimarer Zeit beschrieb. Seine Kompromisslosigkeit und sein Bestehen auf Menschenrechten, Gleichheit und Pazifismus könnten ihn auch heute noch oder wieder zum Vorbild machen. Er war ein Mann, der nur zum Schlag seiner eigenen Trommel zu marschieren bereit war, wo alle anderen aus Angst oder Bequemlichkeit die Augen schlossen und mitliefen. Es wird Zeit, diesen Vorkämpfer der Humanität, der Demokratie und emanzipativer Politik dem Vergessen zu entreißen, an ihn zu erinnern und ihn zu ehren.